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02.01.2014 20:37 Alter: 10 yrs
Kategorie: Artikel

Eros und Agape

Von der wahren Liebe (Paternoster 2006/2)


Das griechische Wort „Eros“ begegnet uns in der deutschen Sprache von heute fast ausschließlich in sexuellen Zusammenhängen. Wenn jemand „Erotik“ hört, denkt er an Sex. Das bedeutet aber, er denkt nicht unbedingt an Liebe. Das griechische Wort „Eros“ heißt aber Liebe. Es bedeutet jedoch viel mehr als sexuelle Lust, aber auch etwas anderes als unser deutsches Wort „Liebe“ gemeinhin aussagt. Eros – das ist im Denken der Antike das Streben nach Vollkommenheit. Dieses Denken versteht jeden einzelnen Menschen nur als mangelhaftes, unvollkommenes Exemplar der Gattung Mensch. Der Eros treibt uns darum an, an der Vollkommenheit, die uns außerhalb unserer selbst begegnet, teilzunehmen, ja sie uns anzueignen.

 Andere Menschen ziehen uns – so dachte man – durch ihre Schönheit an, damit wir durch sie vollkommener werden können. Sie wecken in uns das Begehren, uns mit ihnen zu vereinigen und sie genussvoll zu besitzen. In diesem Sinne wird auch die Sexualität verstanden. Sie schenkt uns eine Lust am Sein, die wir alleine nicht gewinnen können. Aber auch die Kunst wird deshalb hoch geschätzt. Sie vermittelt uns die Lust an unserem Idealbilde. Der Eros, den Platon geradezu als einen „Dämon“ im Menschen verstanden hat, richtet sich jedoch nicht bloß auf Menschen. Er treibt uns an, uns durch die Erkenntnis aller Dinge vollkommener zu machen. Er treibt uns vor allem zur Erkenntnis des Gottes, um uns den Genuss der Vereinigung mit der höchsten Vollkommenheit und Schönheit zu verschaffen.

Im Sinne der Bibel hat das mit wirklicher Liebe nichts zu tun. Auffälligerweise kommt im griechischen Neuen Testament und in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments noch nicht einmal die Vokabel „Eros“ vor. Die Bibel gebraucht, wenn sie von Liebe redet, das Wort „Agape“. Was damit gemeint ist, hat Paulus klassisch im sogenannten „Hohen Lied der Liebe“ in I Korinther 13 formuliert. Die Spitzenaussage dort lautet: Die Liebe „sucht nicht das Ihre“ (Vers 5). Sie ist selbstlos und nicht selbstsüchtig. Sie ist allein darauf aus, den anderen Menschen zu bejahen und ihm Gutes zu tun. Sie schätzt ihn um seiner selbst willen. Sie gibt ihm zu verstehen, dass er nichts als liebenswert ist.

Man hat darum von einem tiefen Gegensatz von Eros und Agape gesprochen. Der Eros macht die Menschen wie die Dinge und sogar Gott bloß zum Objekt meines Begehrens. Der Agape geht es um den eigenen Wert und die eigene Freiheit der Geliebten. Eros ist Sünde. Agape allein ist menschenwürdig. Doch die Konstruktion eines solchen Gegensatzes wird dem Phänomen der Liebe nicht gerecht.

Es ist zwar richtig, dass die Degradierung eines Menschen zum Mittel für den Zweck meines Lustgewinns menschenunwürdig ist. Es ist aber nicht richtig, dass Liebe die Opferung unseres eigenen Ichs verlangt. Zur Liebe gehört immer das Begehren, sich mit einem anderen Menschen zu vereinigen und das Selbstgefühl bei dieser Vereinigung zu steigern. Zur Liebe gehört auch das Bedürfnis, von einem anderen Menschen geliebt und bestätigt zu werden. Wäre die Agape ohne diese Eros-Komponenten, dann würde sie uns selbst immer ärmer machen. Menschen, die sich ganz für ihre Partnerinnen oder Partner „aufopfern“, verlieren ihr eigenes Gesicht. Das „erotische“ Interesse an unserer Selbstverwirklichung behält darum sein Recht – nicht nur im Verhältnis von Mann und Frau, auch in der Freundschaft, auch in der sozialen Praxis der Nächstenliebe und natürlich in der Gottesbeziehung.

In der Liebe, welche von Agape bestimmt ist, wird dieses Recht auf mein eigenes Leben aber überboten von dem Wunsch, für einen anderen Menschen da zu sein. Als „inmitten noch so großer Selbstbezogenheit immer noch größere Selbstlosigkeit“ hat ein Theologe die Liebe darum definiert; wir können auch sagen: als inmitten von noch so viel Eros immer noch mehr Agape. In der Beziehung von Mann und Frau kann dieses Wesen, ja dieses Glück der Liebe wohl am eindrücklichsten Ereignis werden. Hier treten Menschen wechselseitig für die Freiheit der Partnerin und des Partners ein, damit beide als sie selbst aufblühen können. Aber das skizzierte Zusammenspiel von Eros und Agape macht doch auch alle andere Formen der Liebe zu einem Ereignis von Glück – nicht zuletzt die Gottesliebe, die sich der Erfahrung verdankt, geliebt zu sein.                                                                                                                     (Wolf Krötke)