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04.07.2019 10:42 Alter: 5 yrs
Kategorie: Vorträge

Freier Gott - Freier Mensch. Zur aktuellen Bedeutung der Theologie Karl Barths

Vortrag in der Stephanuskirche Berlin am 07.Juli 2019


Für die Gemeinden etwas überraschend hat die Evangelische Kirche in Deutschland das Jahr 2019 zum „Karl-Barth-Jahr“ erklärt. Eröffnet wurde es in Kooperation mit dem Schweizer Evangelischen Kirchenbund am 10. Dezember vorigen Jahres in Basel. Da jährte sich zum 50. Male der Todestag des Schweizer Theologieprofessors, der im vorigen Jahrhundert einen großen Einfluss auf die Kirche und die Theologie in Deutschland ausgeübt hat.

2019 aber ist das Jahr, in dem Karl Barth vor 100 Jahren – damals Pfarrer in Safenwil/ Baselland – die theologische und kirchliche Bühne mit einer Auslegung des Römerbriefes des Apostels Paulus betrat. Dieses Buch war zunächst zwar ein Ladenhüter. Erst durch die 2. Auflage aus dem Jahre 1921 wurde Barth in Deutschland und international bekannt. Doch der 1. Auflage dieses Buches verdankte er die Berufung zum Honorarprofessor für Reformierte Theologie in Göttingen. Damit begann das Hineinwirken dieses Schweizers in die deutsche Kirche und Theologie, die bis zu seinem Lebensende im Jahre 1968 angedauert hat.

Die Wanderausstellung, die wir heute eröffnen, informiert sehr gut über die spannenden Stationen des Lebens und Wirkens von Karl Barth. Ich konzentriere mich im Folgenden unter dem Stichwort „Theologie“ hauptsächlich auf das, was aus dem Werk Karl Barths für die Kirche – besser für die Gemeinde – heute wichtig bleibt. Denn mit dem Wort „Freiheit“ hat Barth am Ende seines Lebens selbst zusammengefasst, worum es ihm immer gegangen ist: Um den freien Gott, der sich uns Menschen trotz allem, was wir anrichten, gnädig zuwendet und um die Menschen, die im Glauben an diesen Gott ihr Leben in Freiheit verantworten (vgl. Gespräche 1964-1968, Karl Barth Gesamtausgabe IV/28, Zürich 1997, 259).

 

1. Freiheit in der Distanz: Die „dialektische Theologie“

Angefangen hat alles, womit Barth Kirche und Theologie heraus gefordert hat, in der Zeit des 1. Weltkrieges. Er war damals – wie gesagt – als Schweizer Pfarrer tätig. Seine theologische Ausbildung hatte er jedoch in Deutschland durch die sogenannte „liberale Theologie“ erhalten. Das war eine Theologie, die das Christentum als Teil der bürgerlichen Kultur jener Zeit verstand. Sie wollte das „Religiöse“ im Einklang mit den Erkenntnissen der neuzeitlichen Wissenschaft zur Geltung bringen, ja es als unentbehrlich für eine humane Kultur profilieren. Adolf von Harnacks Berliner Vorlesungen über das „Wesen des Christentums“ aus dem Jahre 1900 sind bis heute Ausweis dieses .sogenannten „Kulturprotestantismus“.

1914 aber musste Barth erleben, wie seine „liberalen“ theologischen Lehrer den 1. Weltkrieg mit seinem schrecklichen Massenmorden geradezu als religiöses Erlebnis priesen. Auf Tafel 5 der Ausstellung gibt das Bild „Vater ich preise Dich“, auf dem ein Mensch dargestellt wird, der den „Heldentod“ religiös verklärt, einen bildhaften Eindruck davon. Barths Lehrer unterzeichneten das „Manifest an die Kulturwelt“, in dem alle Verletzungen des Völker- und Kriegsrechtes durch Deutschland gerechtfertigt und die Alliierten beschuldigt wurden, „Mongolen und Neger auf die weiße Rasse zu hetzen“. Wohlgemerkt: Keine Nazis redeten hier, sondern Theologen im Namen einer christlichen Kultur.

Eine Theologie, in welcher Derartiges möglich war, im Namen Gottes, wie ihn die Bibel bezeugt, außer Kraft zu setzen, war das Anliegen des Safenwiler Pfarrers. Er wurde – wie er später sagte – beim Predigen biblischer Texte „von der Wahrheit überfallen[…] wie von einem gewappneten Mann“ (Not und Verheißung der christlichen Verkündigung, in: Das Wort Gottes und die Theologie, München 1925, 102). Es war die Wahrheit, dass diese „Religion“ mit Gott nichts zu tun hat. Darum setzte er sich in seinem Pfarrgarten eines Tages unter einen Apfelbaum und begann Satz für Satz aufzuschreiben, was der Apostel Paulus – wie er ihn verstand –im Römerbrief vom freien Gott und von den Menschen sagt.  Gott – das war seine Erkenntnis– ist der ganz Andere, der mit aller Bemächtigung seiner Wirklichkeit durch eine Kulturreligion nichts zu tun hat. Alle „Religion“, die Gott für ihre Interessen in Betrieb nimmt, unterlag von daher einer schneidenden Kritik. Da wurde richtig „blutig rasiert“ hat der alte Barth gesagt (vgl. Gespräche 1959-1962, Karl Barth Gesamtausgabe IV/25, Zürich 1995, 373).  

Der Safenwiler Pfarrer wollte – mit Sören Kierkegaard geredet – den ‚unendlichen qualitativen Unterschied‘ von Zeit und Ewigkeit“, von Gott und Mensch einprägen. Er machte die „Krisis“, in die Gott alles menschliche Aneignen seiner Wirklichkeit stürzt, groß. „Wir sollen als Theologen von Gott reden“ heißt es in einem Vortrag. „Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. […] Das ist unsere Bedrängnis. Alles andere ist daneben Kinderspiel“ (Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie, in: Das Wort Gottes und die Theologie, München 1925, 158). Wenn wir überhaupt von Gott zu reden wagen, dann nur, weil er sich in Christus offenbart hat! Aber er berührt dabei die Welt (uns!) nur so, wie die „Tangente einen Kreis“ berührt. Nur als „Schnittlinie“ wird uns Gottes Offenbarung sichtbar und bleibt zugleich unsichtbar. Wir können sie nicht festhalten wie ein gleichsam Objektives. Der Glaube an diesen Gott wird darum „Hohlraum“ und „Einschlagtrichter“ genannt, in dem sich Gott „je und jäh“ bezeugt.

Der Theologie und der Verkündigung der Kirche bleibt demnach nur eines: Sowohl das Ja des offenbaren Gottes zu uns Menschen und zugleich sein Nein zu unserer religiösen Bemächtigung Gottes zur Geltung bringen. Nur im Hin- und Hergehen zwischen dem Ja Gottes seinem Nein, „ohne länger als einen Moment in einem starren Ja oder Nein […] zu verharren“, ist demnach Theologie und kirchliche Verkündigung nur noch möglich (Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie, 172).

Irgendein Zuschauer hat das „dialektische Theologie“ genannt. Barth selbst hat sich diese Bezeichnung seiner Theologie aber auch selbst zu Eigen gemacht. Die Dialektik von Ja und Nein Gottes zu uns, sagt der Theologe aus einem Alpenland, sei ein Balanceakt auf einem schmalem Felsengrat, ein „grauenerregendes Schauspiel für alle nicht Schwindelfreien“, also nichts für einen „Flachlandbewohner“, sondern nur für einen „Sohn der Berge“ (a.a.O., 173).

Als Barth dann Theologieprofessor in Göttingen und in Münster und Bonn wurde, musste er sich als „Sohn der Berge“ jedoch zwangsläufig ins Flachland der Verantwortung von Einsichten des christlichen Glaubens begeben, die nicht nur „je und jäh“ gelten. Religionskritisch im beschriebenen Sinne ist Barth zwar lebenslang geblieben. Berühmt und berüchtigt ist sein Satz, Religion sei die „Angelegenheit des gottlosen Menschen“ (Die Kirchliche Dogmatik [KD] I/2, 327).

Nach und nach schälte sich bei ihm aber die Einsicht heraus, dass Gottes Bejahung von allen Menschen den Vorrang vor seiner Verneinung dessen, wie Menschen ihn in Anspruch nehmen, hat. Nicht der unendliche Unterschied zwischen Gott und Mensch, sondern das Zusammensein von Gott und Mensch, wie es uns in Jesus Christus begegnet, wurde nun der Grundtenor seiner Theologie. „Ich hatte in jenen Jahren zu lernen“, schreibt Barth in einem Rückblick aus dem Jahre 1938, „daß die christliche Lehre ausschließlich und folgerichtig und in allen ihren Aussagen direkt oder indirekt Lehre von Jesus Christus als von dem uns gesagten Wort Gottes sein muß, um ihren Namen zu verdienen und um die christliche Kirche in der Welt zu erbauen, wie sie als christliche Kirche erbaut sein will“ (How my mind has changed, in: Der Götze wackelt. Zeitkritische Aufsätze, Reden und Briefe von 1930-1960, hg. von Karl Kupisch, Berlin 21964, 185).

Was Barth sich damit aufgeladen hatte, hat er selbst nicht geahnt, als er sich 1932 an das Schreiben der „Kirchlichen Dogmatik“ begeben hat. Denn für eine derartige Konzentration auf Jesus Christus gab es kein Vorbild. Es galt, bei allen Glaubensaussagen immer auf Neue „mit dem Anfang anzufangen“, der Jesus Christus heißt. Deshalb ist diese 13 Bände umfassende Dogmatik so dick geworden. „Kirchliche Dogmatik“ aber heißt sie, weil Theologie hier als eine Funktion der Kirche verstanden wird. Sie will ihr helfen, ihren Auftrag zu verantworten, von Gott zu reden. Barth hat nahezu 40 Jahre lang an dieser „Dogmatik“ gearbeitet. Dann musste er 1961 dem Alter Tribut zollen. Sein Hauptwerk ist Fragment geblieben.

Die erste Bewährungsprobe aber hatte dieses Werk schon zur Zeit seiner Entstehung zu bestehen. Die Konzentration auf Jesus Christus hat der Evangelischen Kirche in Deutschland geholfen, zum Teil Bekennende Kirche zu werden und dem Eindringen der Nazi-Ideologie und Gewaltherrschaft in die Kirche einen Riegel vorzuschieben.

 

2. Freiheit vom Nationalsozialismus in der Konzentration auf Jesus Christus

Der Schweizer Karl Barth war von Anfang an ein entschiedener Gegner des Nationalsozialismus. Er konnte das Nazitum nur als „eine riesenhafte Offenbarung der menschlichen Lüge und Brutalität auf der einen und der menschlichen Dummheit und Angst auf der anderen Seite“ beurteilen. Das hat ihn 1935 sein Lehramt an der Theologischen Fakultät in Bonn gekostet, weil er den Beamteneid auf Hitler nur mit einschränkenden Zusätzen leisten wollte. Doch er erhielt umgehend eine Professur in Basel und hat von da aus die Völker Europas ausdauernd zum Widerstand gegen die aggressive Ausbreitung Nazi-Deutschlands ermutigt. Berühmt – für manche freilich auch berüchtigt – ist sein offener Brief vom September 1938 an den tschechischen Theologieprofessor Joseph Hromadka, in dem er das tschechische Volk zum militärischen Widerstand gegen die Annexion des Sudentenlandes aufgerufen hat.

In seiner Zeit in Deutschland aber hatte Barth es vor allem mit dem kirchlichen Widerstand gegen die 1932 gegründete sogenannte „Glaubensbewegung der Deutschen Christen“ zu tun. Diese Bewegung war eine religiöse Variante des Nationalsozialismus, welche die Überzeugung vertrat, dass Gott dem deutschen Volk ein „arteigenes Gesetz eingeschaffen“  habe. Durch dieses Gesetz käme Gott den Deutschen nahe, indem er sie zur „heiligen Bindung von Blut und Boden, von Rasse und Vererbung, von Ehre und Gemeinschaft […] Opfer und Pflicht“ anhält. So hat es zum Beispiel Emmanuel Hirsch – der Cheftheologe jener „Glaubensbewegung“ – gesagt. Die Machtergreifung Hitlers wurde darum von einer breiten Strömung in der evangelischen Kirche und Theologie als eine „Gottesstunde“ gepriesen.

Mit einer derartigen Ideologie, die klar antisemitisch war, gewannen die „Deutschen Christen“ am 23. Juli 1933 in den meisten Landeskirchen die von Hitlers Regierung  angeordneten Kirchenwahlen und besetzten die kirchlichen Ämter nach dem Führerprinzip. Gegen diese „Machtergreifung“ in der Kirche aber formierte sich vom  Herbst 1933 an die Bekennende Kirche, deren wichtigster theologischer Kopf Karl Barth wurde.

Er bezeichnete die Behauptung eines besonderen Gottesgesetzes für das deutsche Volk als „vollzogenen Verrat am Evangelium“. Sie trage den „Stempel der Verkehrtheit so deutlich auf der Stirn […], daß (es) in einer gesunden Kirche schon ein Konfirmand hätte merken müssen“, heißt es in der berühmten Schrift „Theologische Existenz heute“ vom Juni 1933 (vgl.Vorträge und kleinere Arbeiten 1930-1933, Karl Barth Gesamtausgabe III/49,334). In ihr erklärte Barth: „Ich sage unbedingt und vorbehaltlos Nein zum Geist und zum Buchstaben“ der Lehre der Deutschen Christen. „Ich halte dafür, dass das Ende der evangelischen Kirche gekommen wäre, wenn diese Lehre […] zur Alleinherrschaft kommen würde. Ich halte dafür, dass die evangelische Kirche lieber zu einem kleinsten Häuflein werden und in die Katakomben gehen sollte, als dass sie mit dieser Lehre auch nur von Ferne Frieden schlösse“  (a.a.O., 324)

Barth rief darum die deutsche Theologenschaft zum Aufwachen auf. Sie habe „die […] entscheidende Frage nach der christlichen Wahrheit“ zu stellen, die es der Kirche allein ermögliche, in Freiheit ihren Weg als Kirche zu finden (vgl. a.a.O., 334f.). Er drängte die sich formierende Bekennende Kirche darum, diese Frage mit einem solennen Bekenntnis zu beantworten. Dazu kam es im Mai 1934 auf der Bekenntnissynode von Barmen, in der sich Vertreter (+ eine Frau!) der Bekenntnisgemeinschaften aus den einzelnen Landeskirchen sowie Vertreter der „intakten“, nicht von den „Deutschen Christen“ beherrschten Landeskirchen versammelten.

Bis auf ein paar Korrekturen trägt die durch diese Synode verabschiedete „Barmer Theologische Erklärung“ die Handschrift Barths. Ihre grundsätzliche Ausrichtung lautet ganz im Sinne der „Kirchlichen Dogmatik“: „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben“ Darum wird als „falsche Lehre“ verworfen, dass die Kirche als „Quelle ihrer Verkündigung“ noch andere „Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung (wie die „Deutschen Christen“ taten) anerkennen“ dürfe. Was das für das Selbstverständnis der Kirche, aber auch für ihre Verhältnis zum Staat bedeutet, entfalten die folgenden fünf Thesen.

Unsere Kirche hat in ihrer Grundordnung diese Barmer Theologische Erklärung ausdrücklich bejaht. Pfarrerinnen und Pfarrer werden auf sie ordiniert. Darum – so sollte man meinen – pulst in ihr die Theologie Karl Barths – oder sollen wir lieber sagen: Darum sollte sie in ihr pulsen?  Wir werfen zwei kurze Blick auf Barths Verständnis der Kirche, um auf diese Frage zu antworten.

 

3. Freie Partnerschaft von Gott und Mensch: Die Gemeinde

In der 3. These der Barmer Theologischen Erklärung heißt es: „Die christliche Kirche ist die Gemeinde von Brüdern (die Schwestern müssen wir hinzufügen!), in der Jesus Christus in Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt“.

Wichtig ist hier, dass die Kirche grundlegend als Gemeinde, also als Gemeinschaft von lebendigen Menschen verstanden wird. Kirche und Gemeinde ist dasselbe. Alles, was von ihr theologisch, aber auch praktisch in der Organisation und im Vollzug ihres Lebens zu sagen ist, muss sich auf diese Gemeinschaft beziehen und von ihrem Leben in der Gegenwart Jesu Christi bestimmt sein. Vor allem hat es ihren Auftrag zu fördern, die „Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk“. So heißt es in der 6. These der Barmer Theologischen Erklärung. Die Gemeinde ist von Jesus Christus gesendet, um das Evangelium von Gottes Gnade zu bezeugen. Eine Gemeinde, welche ihre Sendung versäumt, repräsentiert eine introvertierte Kirche, die sich als religiöse Gemeinschaft nur mit sich selbst beschäftigt ist.

Gegen ein solches Kirchenverständnis, das wir heute mehr denn je gut kennen, wendet sich die „Kirchlichen Dogmatik“. In ihr wird die Gemeinde als die „vorläufige Darstellung“ der ganzen in Jesus Christus versöhnten Menschenwelt definiert. Damit wird klargestellt, dass Jesus Christus nicht bloß für die Menschen da ist, die sich in der Gemeinde versammeln. Er ist für die Menschheit, für die „Menschenwelt“ da!  Weil es aber der ewige Gott ist, der hier begegnet, dürfen wir sein Eintreten für alle Menschen auch nicht bloß als zufällige göttliche Laune verstehen. Es geht nach Barth in Jesus Christus vielmehr um eine Gottesaktion, die im ewigen Ratschluss Gottes begründet ist. In ihm – seiner „Gnadenwahl“ – erwählt Gott alle Menschen zu Bundespartnerinnen und Partnern seiner Gnade und Liebe. „Partnerin“ und „Partner“ Gottes ist in „Kirchlichen Dogmatik“ regelrecht eine theologische Definition von uns Menschen. Was bedeutet sie?

„Partnerinnen“ und „Partner“ sind zweifellos freie Menschen. Sie werden nicht in

eine „Zwangsjacke“ gesteckt oder wie eine Marionetten behandelt. Ein „Partner“, sagt Barth,  ist „verhandlungs- und bündnisfähig“ (KD III/1, 307). Er wird von Gott „auf seine eigenen Füße gestellt“ (KD IV/3, 1082). Partnerinnen und Partner Gottes sind „selbständig tätige, freie Subjekte“ (KD IV/3, 383) und „mündige Geschöpfe“ (KD IV/4, 39). Mit solchen Menschen möchte Gott zusammen sein. Er möchte, dass sie selbst in Freiheit auf die Zuwendung seiner Liebe antworten. Er möchte, dass sie in der Welt freie Zeugen dieser Liebe werden.

Denn Gott wollte nicht Gott sein, ohne dass menschliche Partnerinnen und Partner ihm den Dienst eines solchen Zeugnisses leisten (vgl. KD III/4, 756). Ganz anders als zur Zeit der „dialektischen Theologie“ sagt Barth jetzt: „Gott will nicht […] ohne den Menschen, nicht über seinen Kopf weg Versöhner geworden sein und sein Erlöser werden“ (KD IV/1, S. 824). Menschen sollen „Mithelfer“ der Versöhnung werden und in einer „Tatgemeinschaft“ mit dem Versöhner leben (vgl. KD IV/3, 689).

            Das alles gilt wohlgemerkt als Bestimmung aller Menschen! In der christlichen Gemeinde aber sind die Menschen versammelt, die in einer derartigen „Tatgemeinschaft“ schon leben und andere Menschen in Wort und Tat darauf hinweisen, wozu Gott das Leben von Menschen frei macht. In diesem Sinne ist das Leben der  Kirche die „vorläufige Darstellung“ der ganzen in Jesus Christus erwählten und versöhnten Menschenwelt. „Vorläufig“ heißt diese Darstellung darum, weil sie dafür offen ist, dass neu hinzukommende Menschen der Tatgemeinschaft der Versöhnung neue Impulse zu geben vermögen. „Vorläufig“ heißt sie auch darum, weil Menschen hier nur das Menschenmögliche – belastet von Kurzsichtigkeit, Irrtümern, menschlichen Versagen und angewiesen auf Gottes Vergebung – tun können. Vorläufig aber heißt sie vor allem, weil die Kirche nicht das Reich Gottes ist, sondern ihm als „Kirche der begnadeten Sünder“, wie es in Barmen 3 heißt, erst entgegen geht.

            Diese Vorläufigkeit berechtigt jedoch nach Barth nicht, das Selbstverständnis der Gemeinde auf das Niveau eines Vereins im Mauseloch zurück zu schrauben, in dem Gleichgesinnte ihre religiösen Interessen pflegen. Als „vorläufige Darstellung“ der Bestimmung der Menschheit versteht sich die Gemeinde vielmehr ein wesentliches Element der großen Geschichte, die Gott mit der Menschenwelt in Gang hält. Nicht aufgrund von Selbstüberschätzung, sondern kraft göttlicher Ermächtigung tritt sie für die Zukunft der Menschheit ein.

 

4. Die Freiheit zum Dienst der ganzen  Gemeinde

Es wäre nun viel davon zu berichten, wie Barth auf hunderten von Seiten den geschilderten Grundduktus seines Verständnisses der Kirche konkretisiert hat. Das ist hier nicht möglich. Auf zwei Konkretionen, die sehr aktuell sind, möchte ich aber abschließend hinweisen.

Erstens: Menschen, die zu Partnerinnen und Partnern Gottes erwählt sind, können das nicht als religiöse „Virtuosen“ für sich alleine sein. Sie stehen sofort unmittelbar in der Beziehung zu anderen Menschen, die Gott ebenso wie sie selbst erwählt hat. Gegenseitige Partnerschaft ist nach Barth schon die Bestimmung aller Geschöpfe  (KD III/2, 386). Er nennt sie die „Grundform der Menschlichkeit“.

Entsprechendes gilt von Menschen, die ihre Erwählung zur Partnerinnen und Partnern Gottes schon erkannt und bejaht haben. Sie können sich nicht so verstehen, dass sie in ein „Privatverhältnis“ zu Gott treten. Gesendet von Gott sind sie nicht isolierte Einzelne, sondern gehören in die Gemeinschaft der Partnerinnen und Partner Gottes. Darum gilt: Christ werden und Christ sein kann man nur in der Gemeinde. „Zum Glauben erweckt und zur Gemeinde hinzugetan werden, ist eins und dasselbe« (KD IV/1, S. 768).

Barth widerspricht damit der zu seiner Zeit und heute wieder verbreiteten Anschauung, dass es der Vorzug des sogenannten  „Protestantismus“ sei, mit dem Betonen der Freiheit des eigenen, individuellen Glaubens von Menschen die sog. „Privatisierung der Religion“ zu befördern. „Privater, monadenartiger Glaube ist [...] kein christlicher Glaube“ (KD IV/1, S. 757), lautet demgegenüber Barths Urteil. Es gibt in der Orientierung an der in Christus konzentrierten Geschichte Gottes mit der Menschheit »kein legitimes Privatchristentum« (KD IV/1, S. 769).

Dass es dieses „Privatchristentum“ in unserer verfassten Kirche reichlich gibt, wird damit nicht kaschiert. Kirchensteuerzahlerinnen und - zahler verstehen sich weithin als Nutznießer eines religiösen Angebotes, von dem sie je und je nach Lust und Laune Gebrauch machen, ohne sich selbst verpflichtet zu wissen, für den Auftrag der Gemeinde Verantwortung zu übernehmen. Angesichts dessen die Zusammengehörigkeit von Glaube und Teilnahme am Auftrag und an der Sendung  der Gemeinde einzuprägen und bewusst zu machen, zählt heute mehr denn je zu den Aufgaben, vor denen christliche Gemeinden in unserer pluralistischen, säkularen Gesellschaft stehen. Das führt uns schon auf die andere Konkretion des Kirchenverständnisses Barths, auf die ich hinweisen möchte. 

Zweitens: Wenn jede Christin und jeder Christ zum Zeugnis von Gott in Jesus Christus berufen und gesendet ist, dann haben alle in der Gemeinde einen Dienst. Traditionell wird das das „Priestertum aller Glaubenden“ genannt. Es gibt zwar viele verschieden zugespitzte Dienste mit verschiedenen Verantwortlichkeitsbereichen und die Nötigung zur ihrer ordentlichen Organisation. Aber alle Dienste müssen dem einen Dienst der Bezeugung Jesu Christi zugeordnet sein. Barth war darum ein entschiedener Kritiker eines Verständnisses kirchlicher Ämter, die eine Hierarchie (eine Herrschaftspyramide) in der Kirche begründen, in welcher der konkrete Dienst der Gemeinde an die letzte Stelle gerät. Er wollte den Amtsbegriff deshalb ganz vermeiden und ihn durch den Begriff des Dienstes ersetzen. In diesem Sinne ist sein etwas paradox klingender Satz gemeint: „In der christlichen Gemeinde sind entweder Alle Amtsträger oder Keiner – wenn aber Alle, dann Alle als Dienstleute“ (KD IV/2, S. 787).

 In diesem Satz spiegelt sich auch die 4. These der Barmer Theologischen Erklärung, die seinerzeit gegen die Errichtung des Führerprinzips in der Kirche gerichtet war, aber doch auch bis heute grundsätzliche Bedeutung behält. Sie lautet: „Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herrschaft der einen über die anderen, sondern (sind) die Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes“.

Wenn es dagegen geschieht, dass verschiedene Ämter in der Kirche sich – wie Barth sagt – zu „Ressortpartikularismen“ und „Isolierungen“ vom Dienst der ganzen Gemeinde entwickeln, dann führt das zwangsläufig zu einer Außerkraftsetzung der Partnerschaftlichkeit des Dienstes und Lebens der ganzen Gemeinde, in der alle Dienste gleich wertig sind (vgl. KD IV/2, 787). Die Folge ist die Befestigung des Unterschiedes „zwischen einer aktiven und einer inaktiven bzw. passiven Kirche“, in der z.B. viele Gemeindeglieder von der verfassten Kirche mit ihren Ämtern so reden als seien sie selbst nicht die Kirche. Mit dem Auseinanderdriften einer „regierenden und einer regierten, einer lehrenden und einer hörenden, einer bekennenden und einer ortssässigen Gemeinde“, wollte Barth sich dagegen nicht abfinden. Indem er die ganze Kirche mit allen ihren Diensten als „Zeugnis- und Dienstgemeinschaft“ verstand, wollte er sie vielmehr ermutigen, eine Kirche von freien Menschen zu werden, die von der Freiheit, in der Gott alle Menschen bejaht, in Wort und Tat glaubwürdig Zeugnis ablegen kann.

 


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