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02.01.2014 20:55 Alter: 10 yrs
Kategorie: Artikel

Kirchenpolemik eines Kulturchristen

Die Kirche 12/2011


Angelehnt an die „Götterdämmerung“ der germanischen Götter hat Friedrich Wilhelm Graf eine Sammlung seiner Feuilletonbeiträge mit dem Titel „Kirchendämmerung“ heraus gegeben. Der Beck-Verlag preist dieses Bändchen als „längst fällige“ Analyse kirchlicher Missstände. Doch „Analyse“ kann man Grafs Feuilleton-Theologie wohl kaum nennen. In ihr wird vielmehr die Kunst trainiert, die kirchliche Realität lächerlich und verächtlich zu machen.

Wie beabsichtigt, haben die Medien die Bälle, die ihnen damit zugespielt wurden, sofort weiter gekickt. Also wird im Orginalton Grafs kolportiert, die Evangelische Kirche in Deutschland sei eine „vermachtete und verfilzte Organisation“. Ihre Sprachlosigkeit beweise sie mit einem „verquasten Stammesidiom“, das keiner versteht. „Führende Kirchenvertreter“ werden der „Heimlichtuerei, Misswirtschaft und Verlogenheit“ geziehen. Selbstherrliches „Machtgehabe“ zeichne die Bischöfe mit ihrer „desingten Klerikalmode“ aus, usw., usw.

Nicht weniger schlimm steht es um die Pfarrerschaft. Graf urteilt: Sie richtet die „protestantische „Wortkultur“ zugrunde. Ihr fehlt „weithin“ (!) „intellektuelle Redlichkeit und theologischer Ernst“. Ihre „Bildungsferne“ offenbart sie beim Predigen mit dem Bauch. Denn die Pfarrerinnen und Pfarrer wollen nicht „Gottesgelehrte“, sondern „Kultbeamte“ und „Zeremonienmeister“ sein. Darum behängen sie das Lehrgewand des protestantischen Geistlichen, den Talar, mit Zeichen priesterlicher Würde oder ziehen sich bunte „Leibchen“ (Kollare) an. So kostümiert pflegen sie einen „wild wabernden Psychojargon“, einen „Kult der Betroffenheit“ und ein Moralisieren in der Pose „prophetischer Besserwisserei“. „Trivialisierung“ des Evangeliums ist das Ergebnis. Der majestätische Gott wird zu einem „Kuschelgott“ gemacht. Unter seinen Flügeln hält „religiös Halbseidenes von Steinheilung bis Meditationsmassage“ in die Kirchen Einzug, usw. usw.

Was von dieser Kirchenschelte zu halten ist, mögen Alle aus eigenem Erleben der Kirche als Institution und als Gemeinde selbst beurteilen. Jedenfalls sollen die genannten Laster, zu denen sich Demokratievergessenheit, Zukunftsverweigerung und der „Sozialpaternalismus“ der Diakonie gesellen, der Grund für das Schrumpfen der Kirchen sein. Denn diejenigen, „die sich mehr oder minder explizit als Christen oder Kulturchristen verstehen“, wollen nach Graf „mit den verlotterten Kirchen nichts mehr zu tun haben.“ Als Sprecher solcher Christen versteht er sich selbst. Sein Bändchen trägt den Untertitel: „Wie die Kirchen unser (!) Vertrauen verspielen“. Das aber weist die Spur dorthin, wo hier der Hase hier im Pfeffer liegt.

Auf den ersten Blick redet die Schelte im Namen des wahren reformatorischen Gottesglaubens. Es ginge um „die Kommunikation des Evangeliums als befreiender Wahrheit“ wird gebetsmühlenartig wiederholt. Was das bedeuten soll, erfährt man konkret nicht. Was angedeutet wird, aber hat mit „Befreiung“ nichts zu tun. So z.B. wenn Predigthörerinnen und -hörer – um den „Kuschelgott“ auszutreiben – mit dem „Stachel des Negativen“, d.h. mit „harter göttlicher Gewalt“ oder mit der „Erbsünde“ gepiesackt werden sollen.

Doch um Inhalte der Predigt geht es eigentlich nicht. Was befördert werden soll, ist die „Volkskirche“ des „Kulturprotestantismus“ im 19. Jahrhundert. Als „protestantisch“ galt hier die „religiöse Unmittelbarkeit“ jedes Menschen vor Gott. Das „Individuum“ kann demnach selbst entscheiden, wie es an Gott glauben will. Das begründet eine Vielfalt von Glaubensüberzeugungen. Eine Kirche, die dieser Vielfalt Raum gibt, ist demnach eine rechte reformatorische Kirche.

Eine Kirche dagegen, in der ein Bekenntnis und die Gemeinschaft der Glaubenden wesentlich sind, führt zu „Vergemeinschaftungsdruck“ und „Milieuverengung“. Luthers Lehre vom „Priestertum aller Glaubenden“ wird deshalb als Befreiung dazu verstanden, abseits von der Gemeinde „mehr oder minder“ Christ zu sein. Dietrich Bonhoeffers Verständnis der Kirche als „Gemeinschaft der Glaubenden“ aber gilt als Wurzel des Kirchen-Übels.

Als Auslegung des reformatorischen Kirchenverständnisses ist das unwissenschaftlich, um nicht zu sagen abenteuerlich. Sogar „ein Kind von sieben Jahren“ weiß es nach Luthers „Schmalkaldischen Artikeln“ besser: Die Kirche ist die Versammlung der Gläubigen. Einem Privat- und Kulturchristentum hat Luther nirgendwo das Wort geredet. Das „Priestertum aller Glaubenden“ ist kein Freibrief für Alle, zu glauben, was sie wollen. Es verpflichtet Kirchenglieder, selbst verantwortlich für den Glauben und die Kirche Jesu Christi einzutreten.

Was Grafs Kirchenpolemik so schal macht, ist, dass er mit seinem Kirchenverständnis selbst befördert, was er beklagt! Das individualisierte Christentum ist es doch gerade, welches das Bedürfnis nach „Wellnessreligion“ in die Kirche trägt. Graf hat es selbst beschrieben. Menschen basteln sich aus Versatzstücken der christlichen Tradition und der Religionen eine individuelle Religiosität zusammen. Wird diese Religiosität in der Kirche nicht bedient, treten sie – so wird behauptet – aus. Das erklärt die in der Tat kritisch zu beurteilende Anpassung mancher kirchlicher Praxis an die „Bastel-Religiosität“.

Was aber verspricht Heilung von solchem Schaden? Antwort: Gebildete und kluge Pfarrerinnen und Pfarrer, die ihre „Berufsrolle“ professionell über „theologische Kompetenz“ definieren. An „ihnen entscheidet sich die Zukunft der Kirche“, lautet der letzte Satz des Buches. Darum sollen ihre Gehälter erhöht und „attraktive Arbeitsbedingungen“ ohne „dysfunktionale Tätigkeiten“ geschaffen werden.

Bei aller Wichtigkeit dieses Schlüsselberufes für die Kirche und der Theologie für das Pfarramt: Wirklichkeitsferner geht’s nimmer. Aber auch abgesehen davon schaltet das Ideal einer reinen Pastorenkirche im Gegenüber zum „persönlichen Christentum“ der Einzelnen gerade diese Einzelnen systematisch aus der Verantwortung für die Kirche aus. Denn es versteht sie nur als passive Nutznießer eines religiösen Angebots des „organisierten Christentums“.

Selten ist es jedoch so nötig gewesen wie heute, die Fähigkeit und den Willen der Gemeinde zur Verantwortung des Glauben und ihrer Kirche im öffentlichen Felde zu stärken. Es ist zwar richtig, dass es in der ererbten Struktur einer Flächenkirche, die schon längst nicht mehr „Volkskirche“ ist, jenes Gefälle von aktiven und inaktiven Gemeindegliedern gibt. Es ist aber theologisch und praktisch falsch, dieses Gefälle geradezu zu zementieren. Es verschafft den Menschen am Rande einer Flächenkirche höchstens das Profil einer meckernden Kirche.


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