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02.01.2014 20:54 Alter: 10 yrs
Kategorie: Artikel

Zwei liebe Genossen

Warum Ochs' und Esel im Stall an der Krippe Jesu nicht fehlen dürfen. (Die Kirche 50/2010)


Am 6. Oktober 1989 hat Erich Honecker am Vorabend des 40. Jahrestages der DDR der staunenden Weltöffentlichkeit verkündet: „Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs’ noch Esel auf“. Viele Kommentatoren dieses merkwürdigen Ausspruchs haben damals gemeint, der alte Honecker sei am Ende seiner real-sozialistischen Regierungszeit wohl nicht mehr ganz bei Trost gewesen. Die Menschen als Ochsen und Esel zu beschimpfen, die auf eine Erneuerung der Gesellschaft drängten, erschien ihnen als Ausdruck von Altersstarrsinn dieses einstmals mächtigsten Mannes in der DDR. Das war es wohl auch, aber zugleich war es doch auch noch mehr.

Denn Honecker hat hinzugefügt, es handele sich bei dem Spruch vom Lauf des Sozialismus, den Ochs’ und Esel nicht aufhalten können, um eine „alte Erkenntnis der deutschen Arbeiterbewegung“. Und in der Tat: Es ist belegt, dass die Aktivisten der SPD am 1. Mai 1890 am Müggelturm ein großes Plakat anbrachten, auf dem dieser Spruch stand.

Nun könnte man denken: Damit sollten die Kapitalisten als „blöde Ochsen“ und „dumme Esel“ angeprangert werden. Das war wohl auch mit im Spiele. Aber das Pärchen „Ochs’ und Esel“ entstammt trotzdem nicht der Welt deutscher Schimpfwörter. Wir alle entdecken dieses Paar, wenn wir in den Advents- und Weihnachtstagen über die Weihnachtsmärkte schlendern. Wir kennen es von unzähligen Bildern. „Ochs’ und Esel“ gehören zu den Zeugen des neugeborenen Jesuskindes – sie stehen an der Krippe, in der es liegt.

Merkwürdig ist das schon. Denn die Weihnachtsgeschichte des Lukasevangeliums weiß nichts davon. Ochs’ und Esel sind gewissermaßen in den Stall von Bethlehem eingewandert. Die Kirche hat nämlich von altersher die Krippe, in der das Jesuskind liegt, mit einem Vers aus dem 1. Kapitel des Buches Jesaja in Beziehung gesetzt: Dort heißt es: „Ein Ochse kennt seinen Besitzer und ein Esel die Krippe seines Herrn. (Aber) Israel hat nichts erkannt, uneinsichtig ist mein Volk“. „Ochs’ und Esel“ wurden darum in christlichem Sinne zu Symbolen der Geschöpfe Gottes, die ihren Herrn in der Krippe erkennen.

Natürlich ist das auf den ersten Blick eine abenteuerliche Bibelauslegung. Aber sie ist wirksam gewesen. „Ochs’ und Esel“ sind im Laufe der Geschichte der Christenheit zu festen Größen im Stall von Bethlehem geworden. In keiner von den Krippen, die in der Weihnachtszeit in unseren Kirchen aufgestellt werden, fehlen sie. Aber was hat dazu geführt, dass diese lieben Geschöpfe von der deutschen Arbeiterbewegung als Feinde des Sozialismus aufs Korn genommen wurden?

Die Antwort darauf muss mit einer weiteren merkwürdigen Geschichte aufwarten. Es ist die Geschichte von der Entstehung des besondern deutschen Weihnachtsfestes. Um sie zu verstehen, müssen wir ein wenig weiter ausholen. An sich sind Christenmetten zur Mitternacht eine alte christliche Tradition. In Deutschland wurden sie jedoch im 18. Jahrhundert verboten. Denn es war in der Bevölkerung üblich geworden, aus diesem Anlass ausschweifende Saufgelage zu veranstalten und auf den Straßen (ähnlich wie heute zu Silvester) herum zu krakeelen. Die Folge des Verbotes dessen war, dass sich die Feier des Heiligen Abends in die Familien verlagerte, allerdings vor allem in die begüterten bürgerlichen Familien. Thomas Mann hat in den „Buddenbrooks“ auf köstliche Weise geschildert, wie man sich eine solche Feier vorzustellen hat.

Die weitgehend verarmte Arbeiterschaft aber konnte sich dergleichen nicht leisten. Deshalb begannen viele Gemeinden, Weihnachtsfeiern für die Familien, die kein Weihnachten feiern konnten, in den Kirchen auszurichten. Sie versetzten zu diesem Zwecke den Christbaum und die Krippe mit Ochs’ und Esel aus der Wohnstube in die Kirche. Dieses erste Modell eines „Familiengottesdienstes“ ist dann im Laufe der Zeit zur erfolgreichsten religiösen Feier in Deutschland geworden. Volle Kirchen am Heiligen Abend prägen das Bild des 24. Dezember in Deutschland, während der eigentliche Weihnachtsfeiertag, der 25. Dezember, zu einer Art besinnlicher Nachfeier für die „normale“ Gottesdienstgemeinde geworden ist.

Am Ende des 19. Jahrhunderts jedoch wurde das kirchliche Bemühen um Familiengottesdienste am Heiligen Abend noch zusätzlich durch eine antireligiöse Konkurrenz angetrieben. Die SPD und andere „freisinnige“ atheistische Vereine hatten nämlich begonnen, ihrerseits am 24. Dezember Weihnachtsfeiern mit Bescherungen für Kinder armer Eltern zu veranstalten. Dabei wurden die christlichen Weihnachtsfeiern scharf als Verdummung des unterdrückten Volkes angegriffen.

„Blick auf, ein Stern in hellem Scheine, der Sozialismus winkt dir zu und der Erlöser der bist du“, heißt es zum Beispiel in der sogenannten „Weihnachtsmarseillaise“, die bei solchen Feiern gesungen wurde. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass die „alte Erkenntnis der Arbeiterbewegung“, Ochs’ und Esel an der Krippe könnten den Sozialismus nicht aufhalten, in solchen Feiern ihren Ursprung hat. Diese „Erkenntnis“ meint eigentlich: Die Religion ist der Hemmschuh des sozialen Fortschritts der Menschheit. Der „blöde Ochse“ und der „dumme Esel“ sind ihr Markenzeichen.

Doch vor dieser Diffamierung müssen wir unsere beiden in den Stall von Betlehem eingewanderten Tiere in Schutz nehmen. Wir können das tun, indem wir auf ihren alttestamentlichen Hintergrund achten. Ochs’ und Esel wissen demnach, wo sie hingehören. Sie kennen ihren Besitzer und wissen, in welcher Krippe sie Futter finden. Gottes Volk aber hat vergessen, zu wem es gehört und woher es Kraft für sein Leben empfängt. Zwar feiert es seine religiösen Feste. Aber das bleibt kultisches Brimborium, wenn „Recht und Gerechtigkeit“ in diesem Volk mit Füßen getreten werden. Der Prophet Jesaja startet darum nach dem Hinweis auf Ochs’ und Esel seine Botschaft mit einer schneidenden Gerichtspredigt, die sich auf jeder kommunistischen Weihnachtsfeier sehen lassen kann.

Die Anführer des Volkes werden als „Mörder, Abtrünnige und Diebesgesellen“ angeklagt. Sie trachten nicht nach Gerechtigkeit, sondern nach Unterdrückung der Armen. Sie schaffen den „Waisen“ nicht Recht und nehmen sich nicht der Witwen an. Ihre Hände sind voll Blut. Sie müssen „schamrot“ da stehen, nicht nur vor Gott und den Menschen, sondern auch vor Ochs’ und Esel. Es gibt kein größeres Missverständnis der beiden, als sie zu Wappentieren einer Religion der Unterdrückung und Verdummung armer, leidender Menschen zu machen. Der Ochse, den Jesaja hier meint, veranlasst zum Brüllen und der Esel zum Schreien, wenn Recht und Gerechtigkeit mit Füßen getreten werden.

Im Stall von Bethlehem aber haben Ochs’ und Esel keinen Grund, sich als Protestochse und Protestesel zu präsentieren. Da sind sie ganz friedlich hinein genommen in eine neue Welt der Gerechtigkeit und des Friedens, die von dem Kinde ausstrahlt, das in der Krippe liegt. Sie machen die Unwiderruflichkeit von Gottes Verheißung sinnenfällig: Gott wird nicht davon lassen, für seine Geschöpfe eine Welt des Friedens und der Gerechtigkeit zu bereiten. Im Stall von Bethlehem ist sie schon Wirklichkeit. Da erledigt der sich der schlechte Ruf, in den Ochs’ und Esel von einem ideologisch verzerrten Blick auf Weihnachten gebracht werden sollten, von alleine.

Über den von Honecker so geschätzten Ochs’- und Eselspruch können wir deshalb wirklich nur kichern. Im Unterschied dazu aber werden wir die beiden echten Einwanderer in den Stall von Bethlehem mit Freuden begrüßen. Denn sie sind mit ihrem biblischen Tiefgang und Horizont Gehilfen unserer Weihnachtsfreude. Mehr noch: Sie sind – „sozialistisch“ gesprochen – unsere lieben Genossen auf dem Wege des Friedens und der Gerechtigkeit, den uns Gott in Israel und im Stall von Bethlehem gebahnt hat.


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