Kategorie: Artikel
"Kirche im Sozialismus" - dem Staat zu nahe gerückt?
Beitrag im EKD-Magazin zum Themenjahr 2014: Reformation und Politik
Es ist heute weithin üblich geworden, die Evangelische Kirche in der DDR pauschal eine „Kirche im Sozialismus“ zu nennen. Die DDR hat 40 Jahre lang existiert. Die ersten 20 Jahre war von der „Kirche im Sozialismus“ keine Rede. Als aber diese Rede mit der Gründung des „Bundes des Evangelischen Kirchen in der DDR“ im Jahre 1969 aufkam, hat sie beileibe nicht wie eine unangefochtene Losung die Wirklichkeit der kirchlichen Institutionen, der Gemeinden und des Lebens der einzelnen Christinnen und Christen bestimmt. Es war im Gegenteil so, dass sie von Anfang an von kritischen Fragen aus allen Bereichen der kirchlichen Wirklichkeit umgeben war und in den 80ger Jahren von diesen Fragen regelrecht zersetzt wurde. Nach dem Ende der DDR hat Bischof Albrecht Schönherr, der sich in der DDR-Zeit besonders für diese Formel eingesetzt hat, in seiner Biographie bekannt, dass dies ein Fehler war. Es ging der Evangelischen Kirche um ihren Einsatz für die Menschen in der Gesellschaft, der von der Staatspartei der Sozialismus als Weltanschauung, Gesellschaftskonzept und Programm politischer Machtausübung verordnet war. Es ging aber nicht darum, den christlichen Glauben in dieser Weltanschauung zu beheimaten, das sozialistische Gesellschaftskonzept einfach hinzunehmen und zu allen Machtdemonstrationen des sozialistischen Staates „Ja und Amen“ zu sagen.
Es ist hier nicht der Ort, darzustellen, wie es zu dieser Formel gekommen ist. Das ist hinreichend aufgeklärt. Der grundsätzlich religionsfeindliche sozialistische Staat begann, je länger die DDR existierte, sich darauf einzustellen, dass die „Religion“ in Gestalt der Kirche nicht einfach „abstarb“, wie es die marxistisch-leninistische Theorie aufgrund einer sozialistischen Gesellschaftsgestaltung vorsah. Dieses „Absterben“ durch Druck auf die Glieder der Kirche befördern, blieb ein Ziel sozialistischer Machtausübung vom Anfang der DDR bis zu ihrem Ende. Das war auch erfolgreich. Die Christenheit in der DDR schrumpfte unter diesem Druck drastisch. Aber es blieb noch ein Viertel der Bevölkerung, das sich diesem Druck nicht fügte. Die Kirche blieb auch in dezimierter Gestalt eine im ganzen Land gegenwärtige Institution, die mit ihrem Parochialsystem ein nicht zu ignorierender gesellschaftlicher Großfaktor war. Im Geiste sozialistischer „Strategie und Taktik“, wie sie Lenin gelehrt hatte, haben die Ideologen des DDR-Sozialismus darum versucht, durch Integration der Kirche „in den Sozialismus“ der als „klassenfeindlich“ eingestuften „Religion“ den Zahn zu ziehen. „Kirche im Sozialismus“ war in ihrer Vorstellung eine der sozialistischen Machtausübung hörige Kirche, die sich der Kritik an der Weltanschauung der Staatspartei enthält und die „Errungenschaften“ des „real existierenden Sozialismus“ im höheren Tone zu preisen weiß.
Heute wird gefragt wird, warum sich der „Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR“ die Formel von der „Kirche im Sozialismus“, deren parteiamtliche Lesart ja bekannt war, mit der Einschränkung „nicht neben, nicht gegen, sondern im Sozialismus“, zu eigen gemacht hat. Dabei wird man gerechterweise eine Bedingung würdigen müssen, unter der die Kirchen und Gemeinden in der DDR zu leben hatten. Nach menschlichem Ermessen war entschieden, dass das von der gewaltigen Militärmacht der Sowjetunion gestützte System des DDR-Sozialismus auf unabsehbare Zeit existieren würde. Es blieb auch der Kirche nichts anderes übrig, als sich im Interesse des Lebens der Gemeindeglieder mit den Machthabern des Sozialismus und ihrer Propaganda ins Benehmen zu setzen. Jede Dorfgemeinde stand vor dieser Herausforderung. Dem Sozialismus mit seiner sozialen Grundidee das Beste abzugewinnen und zu unterstützen, was diese Idee in der Realität durchaus Gutes bewirken konnte, war deshalb ein ehrlich gemeintes Anliegen der Christenheit in der DDR, das auch in die vage Formel von der „Kirche im Sozialismus“ hinein schwang.
Nicht zu vergessen ist auch, dass diese Formel eine gewisse Entkrampfung bei den allgegenwärtigen Funktionären der Staatspartei bewirkt hat. Sie hatten die Christinnen und Christen und all die Pfarrerinnen und Pfarrer, Katechtinnen und Katecheten, Diakoninnen und Diakonen per Anweisung des Politbüros nun nicht mehr bloß als „Speerspitze des Klassenfeindes“ zu betrachten, sondern mussten sich angewöhnen, Glieder der Kirche als solche zu behandeln, die es mit dem „Sozialismus“ gut meinen – besser freilich sogar, als sie es selber im Sinne hatten. Aber gerade hier lag der Hase im Pfeffer. Denn in einer christlichen Gemeinde und in einer kirchlichen Institution lässt sich der Geist nicht bändigen, der Gutes für uns Menschen nur zu schätzen weiß, wenn es auf dem Boden von Freiheit gedeiht. Gutes ohne Freiheit verstopft unser Sinnen und Trachten mit Korken von Ideologien und Zwangsvorstellungen, die uns Menschen nur als Marionetten irgendwelcher Machthaber auf der politischen und gesellschaftlichen Bühne sehen wollen. Mit den Gemeinden in der DDR, denen sich die Institution der Kirche verpflichtet wusste, war diese Verstopfung des Geistes der Freiheit auf die Dauer nicht möglich. Sie sind deshalb zum Konzentrationsort der „friedlichen Revolution“ von 1989 geworden.
Wer heute von der Kirche in der DDR als „Kirche im Sozialismus“ spricht, muss darum dazu sagen, wie diese Kirche in allen ihren Gliederungen dem „Sozialismus“ ausdauernd zugesetzt hat. Dass dabei auch erbärmliches und beklagenswertes Versagen in Sachen Wahrheitsliebe und Zivilcourage dazwischen gespukt hat, ist wohl wahr. Wir haben es nach 1989 sehr beschämt zu Kenntnis genommen. Im politischen Felde einer Kirche der Reformation gibt es ja überhaupt nicht allzu viel, auf das wir als Christenheit wirklich stolz sein können. Aber ein bisschen können wir uns ohne alle Selbstgerechtigkeit wohl zugutehalten, dass die „Kirche im Sozialismus“ dazu beigetragen hat, den Boden für ein Leben freier Menschen im Lande der Reformation zu bereiten.