Kategorie: Vorträge
Hoffnung für alle (Apokatastasis panton)? Von welcher Zukunft reden wir heute im Glauben an Jesus Christus?
Vortrag im Pfarrkonvent Cottbus in Burg (Spreewald) am 06.04.2016
1. Das Problem der Erwartung des Gerichts nach den Werken
Es ist kein Zweifel, dass die Hoffnung auf Gottes Reich und das ewige Leben im Neuen Testament auf der ganzen Linie mit der Erwartung eines endzeitlichen Gerichtes Gottes verbunden ist. Das gilt an erster Stelle für die Verkündigung der nahen Gottesherrschaft durch den irdischen Jesus. Wenn die Gottesherrschaft herein bricht, entscheidet dieses Endgericht darüber, wer ihrer teilhaftig sein wird – und das werden nicht alle sein. Das werden nur die sein, die nach dem Willen Gottes des Vaters gelebt und gehandelt haben (Mt 7, 21). Die anderen werden ausgestoßen in die Finsternis von „Heulen und Zähneklappen“ (Mt 8,12; 25, 30).
Der Richter in diesem Gericht wird der Menschensohn sein, wobei in der Exegese umstritten ist, ob der sog. „historische Jesus“ sich damit selbst gemeint hat. Im Gleichnis vom Weltgericht, das die „Böcke von den Schafen“ trennt (Mt 25, 31ff.), ist Jesus eindeutig selbst dieser richtende „Menschensohn“. Markus 8, 38 könnte aber auch so verstanden werden, dass Jesus einen Dritten gemeint hat, wenn er sagt: „Wer sich meiner und meiner Wort schämt in diesem abtrünnigen, sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er in der Doxa seines Vaters mit seinen heiligen Engeln kommen wird“. Die synoptischen Evangelien sind jedoch eindeutig in der Überzeugung geschrieben, dass Jesus der Menschensohn ist. Er wird auch unabhängig von der Richterfunktion als Mensch (vgl. z.B. Mt 8, 20) und in den Leidensankündigungen (Mk 8, 31ff.; 9,30ff.; 10, 32ff.) so bezeichnet.
Nehmen wir hinzu, dass die Evangelien alle aus der Perspektive der Auferstehung Jesu Christi geschrieben sind, so steht in ihrem Hintergrund auch die Erwartung seiner Wiederkunft. Er ist der „Erstling“ der Entschlafenen, dem alle folgen werden, die zu ihm gehören (I Kor. 15, 20-24). Wenn das geschieht, aber wird er als Richter kommen. Der Apostel Paulus hat darum trotz seiner Lehre, dass wir aus Glauben an Gottes Gerechtigkeit in Jesus Christus gerecht sind (Röm. 5,1), daran festgehalten, dass der wiederkommende Christus uns nach den Werken richten wird: „Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richtstuhl Christi, damit ein jeder erhalte, wie er in seinem leiblichen Leben gehandelt hat, es sei gut oder böse“ (II Kor 5,10). Der Jakobusbrief redet sogar davon, dass „ein unbarmherziges Gericht über den ergehen wird, der nicht Barmherzigkeit getan hat“ (Jakobus 2, 13).
Diese wenigen Hinweise auf das neutestamentliche Gerichtszeugnis, die vermehrt werden können, mögen genügen, um erklärlich zu machen, dass die Erwartung eines „doppelten Ausgangs“ des Gerichtes Jesu Christi seit den Zeiten der alten Kirche bis heute zu einem stabilen Element christlicher Verkündigung und Lehre werden konnte. Daran hat auch die Reformation mit ihrem Großmachen unseres Gerechtseins vor Gott allein aus Gnade und allein aus Glauben nichts geändert. In der verfestigten Lehrgestalt der reformatorischen Theologie klingt das so: „ Das Gericht wird gehalten werden von Christo […], den Frommen zum ersehnten Troste, den Gottlosen zum höchsten Schrecken.“ Sie werden „je nach dem Grade ihrer Gottlosigkeit in leiblichen und geistigen Schmerzen für ihre Sünden in Ewigkeit büßen.“ Die Frommen, denen ihre Sünden im Prinzip vergeben sind, aber werden „je nach dem Grade ihrer Frömmigkeit“ eine durch nichts gestörte Seligkeit genießen (Heinrich Schmid, Die Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche7, 478).
Das Problem, welches diese Lehre der Verkündigung des Gottes schafft, der in Christus für alle Menschen eingetreten ist und sich aller erbarmt (Röm 11, 32), ist klar. Diese Art der Vorstellung vom jüngsten Gericht hebt auf, dass Gott bis in Ewigkeit mit seiner Gerechtigkeit und Gnade für seine Geschöpfe eintritt. Aus der Eindeutigkeit und Entschiedenheit der Zukunft von Menschen, die an Jesus Christus glauben, wird die Gespaltenheit einer Zukunftserwartung, die das Gericht der Gnade durch die Vergebung der Sünden wieder zurückübersetzt in ein Gericht des Gesetzes – mit der Folge, dass das sogenannte Frommsein selbst als eine Leistung erscheint, die zudem noch von unterschiedlicher Qualität sein kann, wogegen Gottlossein eben die Negativleistung ist. Es ist zwar in gewissem Sinne einsichtig, warum es in der christlichen Kirche in einer einseitigen Auslegung des neutestamentlichen Gerichtszeugnisses zur Ausbildung dieser Vorstellung kommen konnte. Man wollte einer lässigen Heilssicherheit, einem Ausruhen auf der Gnade Jesu Christi wehren. Man wollte zur Geltung bringen, dass Christi Gnade keine Verharmlosung der Sünde bedeutet.
Aber dieses Anliegen wird hier doch zu einem hohen Preis erkauft. Es stellt die Verlässlichkeit der Gnade Gottes für alle Menschen in Frage. Es birgt zudem die Konsequenz in sich, dass die Christenmenschen auf ihre eigene Rettung (die ja dann auch wieder in Frage steht) nur hoffen können, wenn zugleich die sogenannten Gottlosen nicht gerettet werden. Die Hoffnung auf eine gute Zukunft hat die Angst vor einer schrecklichen Zukunft zur Partnerin. Das Christuszeugnis in Bezug auf die Zukunft gerät in Konflikt mit dem Christuszeugnis der Gegenwart. Das aber ist bei genauem Hinsehen vom Neuen Testament her nicht zu rechtfertigen. Werfen wir deshalb noch einmal einen Blick auf II Kor 5,10.
2. Die Werke der Glaubenden und der „Richtstuhl“ Jesu Christi
Paulus sagt: „Wir (!) müssen alle offenbar werden vor dem Richtstuhl Christi“. Er bezieht die Vorstellung vom Gericht nach den Werken also nicht abstrakt auf die ganze Menschheit. Er bezieht sie auf die glaubenden Christinnen und Christen. Es stehen hier also nicht die „Gottlosen“, die Christus gar nicht kennen oder ihn ablehnen, auf der einen und die „Frommen“ auf der anderen Seite gegenüber und werden nach ihren Werken gerichtet. Es ist hier vielmehr von den Werken die Rede, welche die glaubenden Christinnen und Christen tun. Sie müssen vor dem Richtstuhl Christi offenbar werden, von dem Paulus redet. Warum?
Eine Antwort darauf gibt die Verkündigung der Rechtfertigung sündiger Menschen aus Glauben ohne die Werke des Gesetzes (Röm 3,28). Paulus schärft den Glaubenden das Gericht nach den Werken ein, indem er dieses Rechtfertigungsgeschehen, das Menschen von der Sünde frei macht, bei den Christinnen und Christen voraussetzt. Rechtfertigung ereignet sich unter Ausschluss der Werke aufgrund der Gnade Gottes. Die Gerechtfertigten sind jedoch nicht solche Menschen, die mit Werken nichts mehr zu tun haben. Im Gegenteil, sie sind jetzt erst richtig in die Lage versetzt, durch die Liebe einander zu dienen (vgl. Gal. 5, 13) und sie als die Erfüllung des Gesetzes in ihrem Leben zu begreifen (vgl. Röm 13, 10). Sie leben also aus dem Glauben heraus im Tun von Werken. So vollziehen wir ja alle unser Leben. In unserem Tun, Verhalten und Unterlassen bekommen wir erst die besondere Geschichte, das besondere Gesicht, in der ein Mensch vom anderen unterschieden ist. In dieser Besonderheit leben wir auf unsere Zukunft bei Gott zu.
Die Werke, mit denen wir im Glauben an den Gott unser Leben profilieren, unterscheiden sich allerdings grundlegend von rechtfertigenden Werken. Sie werden nicht getan, um uns vor Gott zu rechtfertigen. Sie werden auch nicht um des jüngsten Gerichtes willen getan. Es sind Werke, denen das Werkhafte der Gesetzlichkeit fehlt. Mit der Liebe können und wollen sich die Glaubenden nichts verdienen; weder vor Gott noch vor den Menschen.
Dennoch bleibt es dabei, dass hier Werke getan werden und eben darum – so ist Paulus zu verstehen – muss vom Gericht die Rede sein. Wo Werke sind, ist auch Gericht, ist Beurteilung über den Charakter der Werke, durch die ein menschliches Leben sein Profil gewinnt. Ohne solche Werke wären wir bloß schemenhafte Menschen. Wenn es also ein Gericht Gottes über uns gibt, dann würdigt uns Gott als solche, deren vollzogenes Leben der Beachtung und der Rede und wert ist. Wir verschwinden, wenn das Eschaton mit dem Gericht kommt, dessen Gerichtsherr Jesus Christus ist, nicht als irgendein gestaltloser Nebel, wenn wir der Ewigkeit Gottes begegnen. Wir kommen dort an, indem das, was wir waren, beurteilt wird.
Ist aber das Gericht Jesu Christi, das in dieser Weise den Werken gilt, im Sinne des Paulus bleibend auf die Rechtfertigung aus Glauben zurückbezogen, dann kann es die Rechtfertigung nicht wieder in Frage stellen. Es wäre diese Infragestellung, würde es die Werke der Glaubenden wie rechtfertigende Werke beurteilen. Das sind sie aber selbst dann nicht, wenn sie sich im Lichte der Ewigkeit Gottes als fragwürdige Werke erweisen, die vergehen müssen. Vom glaubenden Menschen selbst, der solche Werke tut, gilt jedoch: „Er selbst aber wird gerettet werden [....] wie durchs Feuer hindurch“ (I Kor 3,15). Wir können auch sagen: Die Person der im Glauben gerechtfertigten Menschen wird nicht noch einmal in Frage gestellt. Das geschieht nur da, wo die Werke um des Gerichtes willen getan werden. Da ist der Mensch selbst unentschuldbar (vgl. Röm 2,5ff.). Dagegen brauchen wir das Gericht, das um der Werke willen da ist, gerade nicht mehr fürchten. Es wird an den Werken der Christinnen und Christen zwar herauskommen, was sie als Christinnen und Christen in ihrem Tun, Vollbringen und Unterlassen gewesen sind. Es werden alle sehr verschieden gewesen sein, so dass ein jeder von Gott verschiedenes Lob erfahren wird (vgl. I Kor 4,5). Aber die Person des gerechtfertigten Menschen, der Mensch selbst, steht in diesem Gericht nicht noch einmal in Frage. Man kann darum als ein Mensch, der von der Gnade Gottes in Jesus Christus geprägt und bewegt ist, an einen anderen Ausgang des Gerichtes genau genommen nicht glauben.
Die christliche Tradition hat diese Gerichtsvorstellung nun aber auch auf Menschen ausgedehnt, die nicht glauben. Das war es fast zwangsläufig, dass nur noch die Werke vom Menschen übrig bleiben, die sie als Personen vor Gott unmöglich machen. Wir können auch sagen: Der Unglaube oder der Nichtglaube werden dann zu Werken, aufgrund derer Gott Menschen nur verurteilen kann. In dieser Konstellation rückt auch der Glaube in die Funktion eines rechtfertigenden Werkes ein. Dann aber dann ist die Rechtfertigung aus Glauben eschatologisch so pointenlos, wie wir das in der Eschatologie der lutherischen Orthodoxie gesehen.
3. Die Hoffnung auf den Richter Jesus Christus
Auch wenn die Verkehrung des Gerichtes Christi in ein Gericht nach rechtfertigenden Werken zu kritisieren ist, ist in ihr ein berechtigtes Anliegen wirksam. Gottes Reich wird im Glauben an Jesus Christus als universales Reich erhofft. Es betrifft nicht nur die, die an Jesus Christus glauben, sondern alle. Ist das eschatologische Kommen Jesu Christi ein universales Kommen, dann wird es mit dem Gericht nicht nur über die Glaubenden, sondern über alle Menschen verbunden sein. Wenn nicht zu erwarten steht, dass sich unsere Welt im Ganzen in absehbarer Zeit zum Glauben an Jesus Christus bekehrt, ist dann aber nicht ernstlich zu befürchten, dass das Gericht einen schrecklichen Ausgang haben wird? Ist nicht Grund zur Sorge, dass es für die Scheinchristen ein fürchterliches Erwachen geben wird?
Erwarten kann man das wohl. Doch im Glauben an Jesus Christus erhoffen kann man das nicht. Wer hofft, dass Menschen verdammt werden, hat von Jesus Christus, der sich der Sünderinnen und Sünder erbarmt, so gut wie nichts verstanden. Hoffen können wir Christinnen und Christen nur darauf, dass solche Verdammung nicht stattfinden werde. Das widerspricht auch keinesfalls dem Jesus Christus, den uns die Evangelien bezeugen. Denn die von den Zeiten der alten Kirche her entwickelte Lehre vom jüngsten Gericht hat leider versäumt, die Geschichte Jesu Christi, sein Leben und Sterben für sündige Menschen beim Verständnis seines Richtens durchgreifend in Anschlag zu bringen. So entstand eine gespaltene Zukunftserwartung, in der gerade von dem, der für die sündigen Menschen gestorben ist, erwartet wird, dass er sie verdammt. Das ist widersinnig.
Dieser Widersinn konnte wuchern, weil die Gerichtsreden des irdischen Jesus abstrakt auf den Richter Jesus Christus bezogen wurden. Es wurde nicht in Anschlag gebracht, dass dieser Richter in seinem Leben am Ende selber an dem Ort steht, an dem Heulen und Zähneklappen ist. Es wurde nicht gesehen, dass er mit seinem Tode das Geschick der Böcke zur Linken teilte, von Gott verlassen sein. Es wurde nicht als fundamental für die Hoffnung zur Geltung gebracht, dass Gott in der Auferstehung Jesu Christi dies als gültig vollzogenes Gericht für alle Menschen anerkannt hat.
Im Lichte dieses Gerichtes ist aber auch das Gericht der Zukunft zu sehen, das nicht so verstanden werden kann, als hätte es das Eintreten Jesu Christi für alle Geschöpfe Gottes nicht gegeben. In dieser Sache muss darum eine Korrektur der jahrtausendealten christlichen Lehre und Verkündigung erfolgen, welche die Eindeutigkeit der Hoffnung auf Jesus Christus in die Zweideutigkeit einer gespaltenen Zukunftserwartung verkehrt hat. Solche Zukunftserwartung kann keine Hoffnung, keine brennende Hoffnung auf den Gott freisetzen, der sich der Menschenwelt in Jesus Christus zugewandt hat.
Hinzu kommt, dass jene gespaltene Zukunftserwartung mit Vorstellungen von der Ewigkeit Gottes verbunden wurde, die wir nicht nur auf das Konto eines vergangenen Weltbildes schreiben, sondern auch als Irrtum über Gottes Ewigkeit beurteilen müssen. Neben dem „Himmel“ wurde auch die Hölle, in der die Verdammten ewig gequält werden, zum ewigen Szenarium. Wir müssen jetzt gar nicht davon reden, dass sich die christlichen Kirchen durch das Drohen mit der Hölle wahrhaft Schlimmes haben zuschulden kommen lassen. Entscheidend ist, dass das Kommen Jesu Christi zum Gericht nun an diese ewigen Gegebenheiten gebunden wurde. Denn wenn es solchen Himmel und solche Hölle gibt, dann muss es auch Gerichtete geben, die hier und dort drin sind. Mehr noch, es ist vorausgesetzt, dass das Böse in Gestalt der Hölle auch in Ewigkeit bestehen bleibt und von Christus sozusagen Bewohner zugeteilt bekommt, an denen sich das Böse in schrecklicher Weise austoben kann. „Die Hölle muss Hölle bleiben, um die Ungläubigen in Ewigkeit gefangenhalten zu können“, heißt es in einer von der Solida Declaratio zitierten Predigt Luthers über die Höllenfahrt Jesu Christi (BSLK 1025). Damit wird das Gericht Jesu Christi schon von vornherein programmiert. Der ewige Bestand eines Reiches des Bösen verträgt sich jedoch in keiner Weise mit dem Verständnis von Gottes Ewigkeit, in der Gott „alles in allem“ ist (vgl. I Kor 15, 28). Im Glauben an Jesus Christus richtet sich die christliche Hoffnung vielmehr auf eine Ewigkeit Gottes, die ganz von der Klarheit der Liebe durchwaltet ist, deren Gott uns im Leben und Sterben Jesu Christi versichert hat. Die Hoffnung auf den Richter Jesus Christus ist darum Hoffnung auf Gottes alles klar machende und nicht die „Hölle“ bestätigende Ewigkeit.
4. Wider die Apokatastasis als Prinzip
Die Hoffnung für alle, die das Wesen der christlichen Hoffnung zu verstehen ist, steht leider wiederum seit altkirchlichen Zeiten im Verdacht, einen Irrglauben Raum zu geben. Apokatastasis panton heißt dieser Irrglaube, den die alte Kirche so, wie ihn Origenes vertreten hat, im 6. Jahrhundert als Häresie verurteilt hat. Doch diese Verurteilung betrifft das hier vertretene Verständnis der Hoffnung für alle allenfalls am Rande. Denn bei Origenes handelt es sich mehr um eine philosophische Spekulation als um eine Auslegung des biblischen Zeugnisses.
Die Grundannahme von Origenes ist nämlich die unbiblische Vorstellung, Gott habe im Anfang durch den Logos nicht zuerst diese materielle Welt geschaffen, sondern ein Reich von Geistwesen, die – kraft des Ausgehens von der Gottheit und durch die Gottheit und ihren Logos vermittelt – die Wesensteilhabe an ihm besaßen. Sie waren jedoch zugleich mit eigener Vernunft und freien Willen begabt. Diese Freiheit verleitete sie durch ihre eigene Schuld von einem Abfall zum anderen. Waren sie im Ursprung immaterielle Geister, die Gott liebend und geliebt umgaben, so führte sie das Erkalten dieser Liebe zum Überdruss an der Gottesschau und also zum Sündenfall. Als Antwort auf diesen Fall schuf Gott die materielle Welt aus dem Nichts. Das muss als eine Aktion der göttlichen Vorsehung und Erziehung verstanden werden, welche aus Liebe und höchster Achtung gegenüber jedem einzelnen geschaffenen Wesen und seinem freien Willen diesen wohl führt, aber niemals zwingt.
Um die gefallenen Geistwesen also zur Um- und Rückkehr anzuhalten und anzuleiten, teilte Gott ihnen verschiedene Körper zu. Er wies ihnen die verschiedenen Stockwerke Universums als Stätte der Bestrafung, Erziehung und Erneuerung an, damit sie sich zu ihrem Schöpfer zurückwenden, ohne den sie ihr eigentliches Sein niemals zu verwirklichen vermögen. Sie werden aber durch Gottes Heilsveranstaltungen, durch Christus und die Kirche, dabei unterstützt. Zwar ist die Rückwendung zur Übereinstimmung mit Gottes Heilsplan ein langsamer, mühevoller Prozess, der ganze Weltalter dauern kann. Aber die Möglichkeit dazu bleibt gegeben. Die endgültige Wiederherstellung aller (Apokatastasis panton) wird dann erreicht sein, wenn alle Vernunftwesen (Engel, Menschen, Dämonen und auch der „Teufel“) sich frei der göttlichen Pädagogik unterworfen haben und in ihren ursprünglichen Zustand zurückgekehrt sind.
Es ist klar, dass diese Lehre von der Apokatastasis panton kein Satz der christlichen Hoffnung sein kann. Hier wird ein Drama konstruiert, in dem die Eschatologie in eine gnostische Seinslehre integriert ist. Alle müssen gerettet werden, weil die Wirklichkeit der von Gott geschaffenen Welt gerade dazu konstruiert ist. Das ist nur die umgekehrte Seite der anderen Konstruktion, nach der nicht alle gerettet werden können, weil erfahrungsgemäß nicht alle aufhören, Böses zu tun. Hier wie dort ist die Eschatologie nicht die Entfaltung der Hoffnung auf die freie, zukünftige Wirklichkeit Jesu Christi und ihr Gericht, sondern ein mit Notwendigkeit ablaufender Prozess.
Die Zukunft, auf welche die christliche Gemeinde hofft, kann jedoch kein Prinzip sein, das sich aus der Konstruktion der Welt oder der Verfassung von Menschen mit Notwendigkeit ergibt. Sie wird sich für uns unverfügbar ereignen. Sie liegt in den Händen der freien Gnade Jesu Christi. Sie ist kein Moment eines mit Notwendigkeit ablaufenden Prozesses. Wäre sie das, dann könnten und brauchten wir auf sie nicht hoffen. Wir wären dann bloß einem – noch dazu von uns erfundenem – Seinsgeschick unterworfen. Die lebendige Hoffnung reimt sich dagegen ein solches Geschick nicht zurecht. Sie richtet sich auf das freie Ereignen des gerechten gnädigen Gerichtes Gottes am Ende unseres Lebens, am Ende der Zeiten. Nicht ein Prinzip der Allerlösung wird uns retten, sondern der ewige Sohn Gottes, auf dessen Eintreten für jeden Menschen wir hoffen. Darum geht es und wenn es nicht mehr darum geht, dann bekommt das Vertreten eines Prinzips der Allerlösung etwas Fades, wie das immer geschieht, wenn Menschen Gott vorschreiben wollen, wie er sich in seiner Ewigkeit zu verhalten haben.
Ein Musterbeispiel dafür ist FriedrichSchleiermachers Lehre von der Apokatastasis panton. Für ihn war die Eschatologie überhaupt die Beschreibung dessen, was das christlich-fromme Selbstbewusstsein des Menschen von der Zukunft erwartet. Da ist klar: Es kann auf alle Fälle nicht erwarten, dass es einmal Erlöste und Verdammte geben wird. Denn wenn es beide gibt, dann müssen die Erlösten notwendig auch „eine Kenntnis von dem Zustande der Verdammten haben“. Diese Erkenntnis kann jedoch „nicht ohne Mitgefühl gedacht werden“. Das Mitgefühl der Erlösten mit den Verdammten aber „ muss notwendig die Seligkeit trüben“. Soll also die Seligkeit der Erlösten vollkommen sein, muss „dereinst eine allgemeine Wiederbringung der menschlichen Seelen erfolgen“ (Der christliche Glaube, § 163).
Hier ist die Lehre von der Apokatastasis panton nun gar zu einem Prinzip des frommen Egoismus geworden, aufgrund dessen es Gott den Frommen zur Mehrung ihrer Seligkeit sozusagen schuldig ist, die ganze Welt und alle Menschen zu erretten. So aber kann man im christlichen Glauben noch nicht einmal die Gegenwart Jesu Christi verstehen, die in der Begegnung mit ihm erfahren wird, geschweige denn seine Zukunft. Die Denkmodelle, die darauf hinauslaufen, dass es Jesu Christi Pflicht und Schuldigkeit sei, alle zu erretten, alle seine Zukunft schauen zu lassen, wollen das verfügbar machen, was wesensmäßig nicht verfügbar sein kann. Das ist das Zum-Ziel-Kommen Jesu Christi selbst mit seiner freien Gnade.
Wir halten also fest: In der Intention vertritt die Lehre von der Apokatastasis panton ein Anliegen, das sich mit der christlichen Hoffnung berührt. In ihr soll geltend gemacht werden, dass Gott sich nicht in Ewigkeit die Welt mit dem Bösen teilt. Denn um das Böse für immer zu überwinden, wurde Gott Mensch. Nur darf man diese Intention nicht in einen theoretisch erfassbaren und verfügbaren Automatismus verwandeln, der das Wesen der Zukunft Jesu Christi selbst in Frage stellt, nämlich dass sie kommt und wir sie in keiner Weise in der Hand haben. Jede menschliche Vorstellung, die über diese Zukunft zu regieren beginnt, kann sie als solche nur in Frage stellen. Sie stellt in Frage, dass in dieser Zukunft immer noch mehr drin sein möchte, als sich selbst die Lehre von der Apokatastasis panton vorzustellen vermag. Wir kennen die Art und Weise des Ereignens der Wirklichkeit Jesu Christi im Eschaton nicht und wir verschaffen uns auf unsachgerechte Weise Kenntnis von ihr, wenn wir weltliche Relationen bloß kausal in die Zukunft verlängern. Gnade kann man nicht kausal verlängern. Auf die Gnade kann man nur angewiesen bleiben. Darum dürfen alle Bilder, die wir uns vom Zum-Ziel-Kommen Jesu Christi machen, nur dieses Angewiesensein zum Ausdruck bringen.
Ein Missverständnis der christlichen Hoffnung muss allerdings ausgeschlossen werden. Es geht nicht darum, dass ernstlich kein Gericht mehr stattfinden wird. Unser Leben und das Leben aller Menschen, wie es in Wahrheit und ohne alle Verstellung war, wird vor Jesus Christus zu Tage liegen und sein Urteil empfangen. Das, was in unserem Leben dem Bösen zugehört, wird von dem, was in Ewigkeit bestehen kann, unterschieden werden. Nur so können wir des ewigen Lebens teilhaftig werden. Wir hoffen darauf, dass wir aus diesem Gericht als die Menschen hervor gehen werden, die Gott gemeint hat, als er uns schuf. Die Spuren der Gottes- und Menschenfeindschaft in unserem Leben werden dann ewig vergangen sein.
In dieser Weise hoffen wir nicht nur für uns, sondern für alle Menschen auf das Gericht Jesu Christi. Denn wenn auch noch so viele nicht an Gott geglaubt und dementsprechend nicht nach seinem Willen gelebt haben, so hat er sie doch nicht als seine Geschöpfe entlassen. Sie sind selbst mit ihren Untaten nicht zu Unmenschen, Nichtmenschen oder Teufeln geworden. Sie werden so, wie sie ihr geschöpfliches Leben vollbracht haben, vor Jesus Christus offenbar sein und das wird für sie wie für uns, beschämend genug, aber auch befreiend sein. Sie werden ebenso wie wir jenem Unterscheiden des Gerichts Jesu Christi ausgesetzt werden, von dem wir hoffen, dass sie aus ihm mit uns als der Ewigkeit Gottes würdige Menschen hervorgehen.
5. Die Hoffnung auf das Gericht Jesu Christi als Anwalt der Menschenwürde
Wir können unsere Rechenschaft über die Hoffnung auf das Gericht Jesu Christi nicht schließen, ohne darauf hinzuweisen, was sie für den Lebensvollzug von Menschen im Getriebe der industriellen Massengesellschaft ebenso wie inmitten der Gewaltausbrüche unserer Tage bedeutet. Menschen werden hier zu Rädchen im Getriebe einerseits, zu Fliehenden und Getriebenen andererseits, deren Menschenwürde mit Füßen getreten wird. Dass sie so oder so unwichtig, überflüssig, ersetzbar sind, bekommen sie allenthalben zu spüren. Über ihrem Leben hängt der tiefe Schatten ihrer eigenen Unwichtigkeit. Niemand traut ihnen zu, dass sie für den Gang der Geschichte im Großen und Kleinen, für den Vollzug des gesellschaftlichen Lebens wichtig und unentbehrlich sind.
In einer Stadt wie Berlin, in deren Ostteil schon das Wort „Gott“ für 90 % der Bevölkerung ein Fremdwort ist, nimmt die Zahl der sogenannten „stillen Beerdigungen“ sprunghaft zu. Das sind nicht – wie man vom Wort her vermuten könnte – Ereignisse besonders intensiver Trauer um einen Menschen. Es handelt sich vielmehr um das stumm-gespenstische Beseitigen eines Menschen, der keines Wortes, keines Urteils, noch nicht einmal einer Klage mehr würdig ist.
Demgegenüber hält die christliche Hoffnung auf das Gericht Jesu Christi fest, dass der Mensch nicht dieses übergangene und schattenhaft verlöschende Wesen ist, dessen Taten und Untaten sich in lauter Gleichgültigkeit auflösen. Denn in der Perspektive dieser Hoffnung ist auf alle Fälle einer da, der nach jedem Menschen fragt, der jeden Menschen in dem wichtig nimmt, was er in seinem Leben war und vollbracht hat. In diesem Sinne macht die christliche Hoffnung auf Jesu Christi Gericht die Erheblichkeit des Menschen bis in Ewigkeit und damit seine Würde als dieser besondere Mensch schon in dieser Weltzeit seines Lebens groß.
Denn die Würde von Menschen vor Gott ist schon im Grundsatz etwas anders, als eine irgendwann zum Durchbruch gekommene menschliche Idee, die sich im Laufe ihrer Verwirklichung verflüchtigt. Sie ist schon mit dem Geschöpfsein von Menschen als etwas gegeben, das unverlierbar ist. Sind wir Gottes Geschöpfe, dann sind wir nicht bloß irgendwie ins Dasein geworfen. Wir stehen dann, indem wir sind, in der Beziehung zu Gott und wir sind aufgerufen, uns in dieser Beziehung unserer Würde als Geschöpfe dieses Gottes entsprechend zu verhalten. Menschsein heißt darum: Aufgerufen sein und gefragt sein. Wir müssen beides betonen. Dem Aufruf Gottes an sein Geschöpf, der Würde seines Geschöpfseins zu entsprechen, steht die Frage nach Adam „Wo bist Du“? (Gen.3,9) zur Seite.
In dieser Frage steckt schon aller Sinn, aber auch alle heute als so schwierig empfundene Problematik, die das biblische Reden vom „Strafen Gottes“ hat. Der Gott der Bibel lässt sich angehen, was Menschen tun. Er entlässt sie nicht aus ihrer Würde, vor ihm für sich verantwortliche Geschöpfe zu sein. Er hält sie auf und behaftet sie dabei, wenn sie bei diesem Tun ihre Würde zugrunde richten. Die gesamtbiblischen Vorstellungen davon sind mannigfaltig und lassen sich auch nur schwer systematisieren. Aber dass unser Verhalten in jeder Hinsicht Konsequenzen für uns selbst hat und wir ernten müssen, was wir säen (vgl. Gal 6,7) und mit dieser Ernte bei Gott offenbar sind und werden, bleibt eine unhintergehbare Wahrheit. Jeder Mensch ist darauf angewiesen, dass zwischen die Ernte seines Lebens und ihn selbst jemand tritt, damit er nicht als Opfer oder Täter der Bezeichnung „Mensch“ verlustig geht.
Die Hoffnung auf das Gericht Jesu Christus vergewissert jeden Menschen: Gott tritt in Jesus Christus zwischen uns und die Ernte unseres Lebens, die unserem Leben ein Profil gegeben hat, welches unsere Menschlichkeit in Frage stellt. Er tut das schon in diesem Leben. Darum hoffen wir für uns und alle Menschen, dass er das auch im Gericht Jesu Christi tun wird. Darum können wir den Versuch unterlassen, den wirklichen Menschen, der trotz seiner Rechtfertigung in dieser Zeit fortfährt, seine Menschenwürde zu verraten, irgendwie für das Gericht zurecht zu modeln. Diesen Versuch gibt es auf religiöse und auf nichtreligiöse Weise.
Die religiöse Weise ist z.B. die unbiblische katholische Lehre vom purgatorium, vom Fegefeuer, die behauptet, wir – d.h. unsere Seelen – würden nach unserem Tode vor dem Gericht Jesu Christi einem Läuterungsprozess unterliegen. In ihm würden die sog. „Sündenreste“ getilgt, die auch trotz der Vergebung der Sünde noch in uns zurückgeblieben sind und so würden wir für das Gericht gewissermaßen reif gemacht. Die Reformation hat darin zu Recht eine Bestreitung der Gnade Jesu Christi gesehen, auf die alle Menschen im Gericht ganz so, wie sie waren, angewiesen sind. Der Gedanke einer postmortalen Reinigung, die noch dazu mit einem schmerzhaften Erleiden von Strafen verbunden ist, stellt eine freie Erfindung dar, die im mangelnden Zutrauen zum eindeutig gnädigen Richter Jesus Christus begründet ist.
Noch weniger ist die unreligiöse Erwartung begründet, das Dunkle unseres Seins werde von alleine der Vergessenheit anheimfallen. In solchem Vergessen üben wir uns ja ausdauernd, wenn wir z.B. angesichts des Todes eines Menschen fast selbstverständlich dem alten Grundsatz „de mortuos nihil nisi bene“ folgen. Wir reden nur Gutes von den Toten. Aber wir sind uns dabei bewusst, wie viel wir verdrängen müssen, um das tun zu können und dass unser Versuch, auf diese Weise die Menschenwürde zu wahren, den wirklich gewesenen Menschen ausblendet. Wo immer uns Gott in Christus dagegen begegnet, ereignet sich die Konstitution unserer Menschenwürde ohne Verschweigen, Verniedlichen oder sogar Lügen. Die Vergangenheit unseres Tuns und unseres Unterlassens wird im Gericht Jesu Christi ohne Verstellung offenbar sein. Aber der Richter wird das, was an diesem Profil unsere Menschenwürde besudelt, dem Nichtigen anheimgeben und das, was unserer Menschenwürde entspricht, zum Leuchten bringen. So hoffen wir für unsere Nächsten und für uns, für die Fernsten, aber auch für die, von denen man nach unserem Urteil überhaupt nichts mehr Gutes sagen kann.
Hier bekommt diese Hoffnung zweifellos für unser Empfinden ihre Härten. Gilt das auch für die, die nach menschlicher Einsicht nichts als die Hölle verdient haben? Dürfen wir das auch für die großen Verbrecher hoffen, deren Namen mit dem Bösen fast in eins fallen wie Hitler, Eichmann, Stalin, Milosewicz, bin Laden und all die anderen, die sich in riesigen Ausmaßen an Gottes Geschöpfen vergangen haben? Ist das nicht eine Beleidigung für die Millionen Opfer, die sie auf dem Gewissen haben? So wirkt es zweifellos und so gibt es tatsächlich auch eine Anfechtung dieser Hoffnung. Das ist die Anfechtung, die wir uns durch unser eigenes Richten bereiten.
Es gibt Menschen, die haben wir schon immer zur Hölle verdammt. Denn wir können uns nicht vorstellen, dass ihnen in irgendeiner Hinsicht das Vergessen und Vergeben ihrer Schandtaten gewährt wird. Aber auch sie werden nicht nur in unserem Lichte, sondern im Lichte Jesu Christi offenbar sein. Wir werden sie darum auch in unserer Hoffnung diesem Richter und nicht irgendeinem anderen anheimgeben, obwohl uns der Mund verschlossen ist, unsere Hoffnung für sie angesichts der Opfer zu artikulieren. Das weiß wirklich nur er, wie solche Menschen so gerichtet werden, dass es für ihre Opfer kein ewiger Schmerz ist, aber auch die Täter ihr Unterschiedenwerden von ihren Taten nicht als Verhöhnung ihrer Opfer verstehen können. Vielleicht wird es so sein, wie es Marmeladow in Dostojewskis Roman „Raskolnikow“ in seiner Rede vom jüngsten Gericht erhofft.
Dieser Marmeladow ist ein versoffener Trunkenbold, der ein fürchterliches Leben mit seiner Frau Katharina Iwanowna führt und seine Tochter, Sonja, auf den Strich schickt und das Geld, das sie anschafft, versäuft. Er befindet sich in einer Kneipe, als er sein Leben in den Horizont des Richters Jesus Christus stellt.
„Meinst du, Schankwirt, dass deine Flasche Schnaps mir ein Genuss war? Leid, Leid habe ich auf ihrem Grunde gesucht, Leid und Tränen, und die habe ich gefunden und gekostet; Mitleid aber wird mit uns der haben, der mit allen Mitleid hat und alle und alles versteht, er, der Einzige, er wird Richter sein. Er wird an jenem Tage kommen und fragen: 'Wo ist die Tochter, die sich um der bösen, schwindsüchtigen Stiefmutter und der fremden Kinderchen willen zum Opfer gebracht hat? Wo ist die Tochter, die mit ihrem irdischen Vater, einem verkommenen Trunkenbolde Mitleid hatte, ohne vor seiner Verrohung zu erschrecken?' Und er wird sagen: 'Komm her zu mir! Ich habe dir schon damals vergeben ... dir schon damals vergeben. Vergeben wird dir auch jetzt deiner Sünden Menge, denn du hast viel geliebt ...' Und er vergibt meiner Sonja, er vergibt ihr; ich weiß, dass er ihr vergibt ... Das habe ich doch noch eben erst, als ich heute bei ihr war, in meinem Herzen gefühlt! ... Und alle wird er richten und allen vergeben, den Guten und den Bösen, den Weisen und den Einfältigen ... Und wenn er dann mit allen fertig sein wird, dann wird er auch zu uns sprechen: 'Kommet her', wird er sagen, 'auch ihr! Kommet her, ihr Säufer, kommet her, ihr Willensschwachen, kommet her, ihr Schamlosen'. Und wir werden alle kommen, ohne Scheu, und vor ihn hintreten. Und er wird sagen: 'Schweine seid ihr, Ebenbilder des Viehes; aber kommet auch ihr zu mir!' Da werden die Weisen und Klugen sprechen: 'Herr, warum nimmst du diese auf?' Und er wird sagen: 'Darum nehme ich sie auf, ihr Weisen, darum nehme ich sie auf, ihr Klugen, weil auch nicht einer von ihnen sich dessen selbst für würdig gehalten hat...' Und er wird uns seine Hände entgegenstrecken, und wir werden vor ihm niederfallen... und werden weinen ... und werden alles verstehen! Dann werden wir alles verstehen'... und alle werden es verstehen, ... auch Katharina Iwanowna, ... auch die wird es verstehen! ... Herr, dein Reich komme!“
Es kommt jetzt nicht darauf an, zu unterstreichen, dass die Hoffnung auf den Richter Jesus Christus sich ganz selbstverständlich an den vergebenden Richter wendet – wenngleich das nach unseren Erwägungen zum Gericht wichtig genug ist. Worauf es hier ankommt, ist, dass sich die Hoffnung dieses armen Schuftes auf den kommenden Herrn überhaupt nicht an irgendwelchen kommenden Zuständen für dieses verpfuschte Leben orientiert. Was erhofft wird ist, dass der Richter Jesus Christus dieses Leben zurechtbringen möchte, dass dieser Mensch Marmeladow, den alle verurteilen und der sich selbst verurteilt, selbst nicht mehr zurechtbringen kann. Es ist ja unwürdiges, verbrecherisches Leben gewesen. Aber als dieses soll es angenommen werden, indem die Verbrechen, die auf ihm lasten, noch einmal von dem unterschieden werden, der sie verübte. Dass die „Ebenbilder des Viehes“, die doch Menschen sind, als Menschen behandelt werden, das ist für sie selbst und erst recht für alle anderen das schlechthin Überraschende.
Und dann heißt es immer wieder als Grundcharakteristikum dessen, was da geschieht: Wir werden es verstehen und alle werden es verstehen. Alle werden verstehen, dass ein Mensch, wie Gott ihn in Christus ansieht, nicht nur der Vergebung bedürftig, sondern ihrer als Gottes Geschöpf auch bleibend würdig ist.