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Theologie der Freiheit. Zum 50. Todestag Karl Barths am 10.12.2018
"Die Kirche" Nr. 49 vom 09. Dezember 2018, 3.
Kein Theologe hat im vorigen Jahrhundert die Evangelische Kirche in Deutschland so intensiv orientiert, bewegt und auch provoziert wie Karl Barth. Es ist unmöglich, eine Kirchengeschichte oder Theologiegeschichte dieser Zeit zu schreiben, ohne sein Lebenswerk zu würdigen.
Die starken Spuren seines Wirkens erst als Pfarrer in Safenwil/ Schweiz und dann als Theologieprofessor in Göttingen, Münster, Bonn und Basel sind auch 50 Jahre nach seinem Tod längst nicht verweht. Sein Hauptwerk, die 13 Bände umfassende „Kirchliche Dogmatik“, wird zu Studienzecken immer wieder neu aufgelegt. Die Gesamtausgabe seiner Werke umfasst derzeit 53 Bände und ist beileibe noch nicht abgeschlossen. Doch nicht nur das.
Die Theologische Erklärung von Barmen von 1934, die das Eindringen der nationalsozialistischen Ideologie und Gewaltherrschaft in die Evangelische Kirche abwehrte, ist im Wesentlichen von Karl Barth formuliert worden. Auf sie werden die Pfarrerinnen und Pfarrer unserer Kirche ordiniert. Damit gehört das Bekenntnis zu Jesus Christus als dem „einen Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben“ (These 1), zur Substanz unserer Kirche. Es ist zugleich die Kurzfassung dessen, worum es in Karl Barths Theologie geht.
Am Anfang des theologischen Weges des Safenwiler Pfarrers aber steht zuerst ein großes Erschrecken. Es war das Erschrecken darüber, wie seine „liberalen“ theologischen Lehrer (zum Beispiel Adolf von Harnack) den menschenmörderischen 1. Weltkrieg im Namen der christlichen „Religion“ und „Kultur“ begrüßt und verherrlicht haben. Da wurde er, der biblische Texte zu predigen hatte, „von der Wahrheit überfallen […] wie von einem gewappneten Mann“, nämlich dass diese „Religion“ mit Gott nichts zu tun hat. Er schrieb darum 1919 und 1922 Auslegungen des Römerbriefs, in dem Gott als dem „ganz Anderen“ mit der Stimme des Paulus Ausdruck verliehen wurde. Alle „Religion“, die Gott für ihre allzu weltlichen, ja menschenfeindlichen Interessen in Besitz und in Betrieb nimmt, unterlag von daher einer schneidenden Kritik.
Im Rückblick hat der alte Karl Barth gesagt: Das „hat den Leuten den ‚Römerbrief‘ so interessant gemacht, weil da so blutig rasiert wurde. Da kam niemand davon: Die Rationalisten und die Idealisten nicht, die Pietisten und Orthodoxen auch nicht, und die Religiösen und die Unreligiösen nicht“. Im letzten Vortrag, an dem Barth am Vortage seines Todes in der Nacht zum 10.12.1968 noch geschrieben hatte, aber lesen wir: „Bloße Kritik, bloße Abneigung , bloße Verachtung und Proteste gegen das Bisherige […] hat mit der der großen Aufbruchsbewegung der Kirche (zu der sie Gott frei macht) noch nichts zu tun“.
Positiv zu sagen, wozu Gott, wie er uns in Jesus Christus begegnet, Menschen frei macht und befähigt, hat Barth darum, als er sich auf eine Professur zunächst in Göttingen berufen ließ, als seine Lebensaufgabe verstanden. Gerade auch sein scharfes Nein zur religiösen Ideologie der „Deutschen Christen“, die 1933 in „Rasse, Blut und Boden“ Gottes Stimme für die Deutschen zu vernehmen glaubten, ist begründet in der Bejahung jedes Menschen durch Gott, die im Leben und Sterben Jesu Christi unüberhörbar ist.
In dieser Zeit ist Barth auch die Erkenntnis aufgegangen, dass die Theologie, welche die Kirche braucht, „in allen ihren Aussagen direkt oder indirekt Lehre von Jesus Christus als von dem uns gesagten Wort Gottes sein muß, um ihren Namen zu verdienen und um die christliche Kirche in der Welt zu erbauen, wie sie als christliche Kirche erbaut sein will“.
Was er sich damit aufgeladen hatte, hat er vermutlich selbst nicht geahnt, als er sich 1932 an das Schreiben der „Kirchlichen Dogmatik“ begeben hat. Denn für eine derartige Konzentration auf Jesus Christus gab es in der christlichen Tradition kein Vorbild. Es galt, immer auf Neue „mit dem Anfang anzufangen“, der Jesus Christus heißt. Deshalb ist diese Dogmatik so dick geworden. „Kirchliche Dogmatik“ aber heißt sie, weil Theologie hier als die Wissenschaft verstanden wird, die eine Funktion unserer Kirche ist. Sie will ihr helfen, ihren Auftrag zu verantworten, von Gott zu reden. Barth hat 35 Jahre lang an dieser „Dogmatik“ gearbeitet. Dann musste er dem Alter Tribut zollen. Sein Hauptwerk ist Fragment geblieben.
Das Herzstück dieses „Fragments“ ist die Lehre von Gottes „Gnadenwahl“, d.h. der ewigen Erwählung aller Menschen zu Partnerinnen und Partnern Gottes. Denn Gottes Zuwendung zu uns Menschen, wie wir sie in Jesus Christus erfahren, kann nicht bloß als irgendeine zufällige Laune Gottes verstanden werden. Wenn es wirklich der ewige Gott ist, der uns in Jesus Christus begegnet, dann können wir darauf vertrauen, dass Gott schon immer mit uns zusammen Gott sein möchte. Dann gilt: „Es gibt zwar eine Gottlosigkeit des Menschen, es gibt aber […] keine Menschenlosigkeit Gottes.“
Diese Einsicht hat große Bedeutung für das Verständnis Gottes. Der Gott, der in der Freiheit seiner Liebe Menschen zu seinen Partnerinnen und Partnern erwählt, thront nicht als der „ganz Andere“ bloß in der Höhe. Er kann in Jesus Christus auch ganz niedrig sein. Er macht mitten unter den Menschen, die ihm untreu werden, ihn vergessen und gegen seine guten Weisungen handeln, einen neuen Anfang. Ja, er hört in der Kraft seines Geistes nicht auf, diesen Anfang zu machen.
Dem, was Gott selbst in seiner Freiheit tut, galt Barths ganze Aufmerksamkeit. Darauf wollte er so hinweisen, wie auf dem Isenheimer Altar der überlange Finger des Johannes auf Christus hinweist. Damit erledigt sich im Grunde schon der Einwand, der gegen seine Theologie immer wieder erhoben wird, nämlich, dass er „autoritär“ die „Absolutheit des Christentums“ behaupten wollte. Das „Christentum“ ist nicht „absolut“ – auch nicht der Weise, wie Barth es in Gestalt der christlichen Gemeinde beschrieben hat.
Denn die Gemeinde ist nur die „vorläufige Repräsentantin der ganzen in Christus versöhnten Menschenwelt“ und nicht „die triumphierende Anhängerschaft einer sogenannten Weltreligion“. In ihr versammeln sich Menschen, die mit ihrem Zeugnis von Jesus Christus und ihrem Leben als Partnerinnen und Partner Gottes andere Menschen mit dem bekannt machen, was Gott nach ihrer vorläufigen Erkenntnis Menschen zu Gute tut. Sie können das nach Barth nur „in höchstem Respekt vor der Freiheit der göttlichen Gnade“ tun und darum auch nur „in höchstem Respekt“ vor anderen Menschen, die nicht oder anders glauben,
Darin ist auch begründet, warum Barths Theologie des freien Gottes und der freien Menschen jederzeit politische Konsequenzen hatte. Denn Gott ist, wie Barth sagen konnte, „jedes Menschen Freund, Bürge und Bruder“. Darum gehört Solidarität mit den unter menschlicher Ungerechtigkeit leidenden Menschen selbstverständlich zum Leben der christlichen Gemeinde. Die Bibel in der einen Hand und die Tageszeitung in der anderen – so hat Barth einmal selbst seine theologische Arbeit beschrieben.
Durch sie ist unserer Kirche ein großer Schatz an Gottes- und Menschenerkenntnis geschenkt worden, der noch längst nicht veraltet ist. Natürlich begegnet darin auch viel Zeitbedingtes, auch Irrtümer und Fehlurteile. Ein “Barthianer“, der einfach nachplappert, was Barth geschrieben hat, kann man schon aus diesem Grunde nicht sein. Er selbst sei keiner, hat Barth geäußert. Er hat damit aufgefordert, kritisch mit seiner Theologie umzugehen, besser zu sagen als er es vermochte, dass Gottes Gnade „all Morgen frisch und neu“ ist.