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Meditation zu 2. Timotheus 1, 6-7
Bittgottesdienst für den Frieden: "Bereit zum Widerstehen" (Hannover 2014)
2. Timotheus 1, 6-7
Aus diesem Grund erinnere ich Dich: Lass das Feuer der Gabe Gottes, die durch die Auflegung meiner Hände noch in dir ist, wieder brennen. Denn Gott hat uns nicht einen Geist des Verzagens gegeben, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
Kraft, Liebe und Besonnenheit schenkt Gott denen, die er in eine Welt sendet, in der Gewalt herrscht, in der Kämpfe toben, in der Menschen sich maßlos aneinander vergehen. Kraft, Liebe und Besonnenheit sind nötig, um in einer solchen Welt dem Evangelium vom Frieden Gottes im Sinnen und Trachten, im Handeln und Verhalten Raum unter uns Menschen zu schaffen. Was aber bedeutet der Dreiklang von Kraft, Liebe und Besonnenheit für das christliche Leben, für die christliche Gemeinde konkret?
Kraft, die von Gottes Geist ausgeht, ist etwas ganz anderes als Gewalt. Denn Gewalt drückt nieder, schaltet aus, vernichtet. Kraft, von welcher unser Text redet, ist dagegen die Energie des Zusammenseins Gottes mit jedem Menschen, die sich aus dem Evangelium speist. Sie richtet auf, lädt ein, beflügelt Leben in der Gemeinschaft. Sie stimmt mit der Liebe zusammen, die jeden Menschen mit göttlicher und menschlicher Bejahung seines besonderen Daseins würdigt. Besonnenheit aber ist die Gabe Gottes an die Botschafterinnen und Botschafter des Evangeliums, die ihnen Nüchternheit, Realitätssinn, Vernunft und Augenmaß beim Wahrnehmen ihres Auftrags schenkt. Das Reich Gottes zu verwirklichen, ist ihnen in dieser relativen Welt mit ihren Grenzen und voller menschlicher Fehlbarkeit, die sie prägt, nicht aufgetragen. Ihr Auftrag heißt: „Wegbereitung“ für Gottes Reich im „Vorletzten“ (Dietrich Bonhoeffer). Dafür soll und kann das uns Menschen Mögliche getan werden, auch wenn das nur Schritte auf Gottes Friedensreich hin sein und bleiben werden.
Timotheus sind die Schritte auf diesem Wege offenkundig schwer geworden. Der Geist des „Verzagens“ (wie wir das Wort übersetzen müssen, das nur hier im Neuen Testament vorkommt) ist über ihn gekommen. Wir kennen das. Die andauernde Erfahrung, dass die Botschaft von Jesus Christus bei den Menschen nicht ankommt und die Impulse für ein Leben aus dem Friedensgeist Gottes im Weltgetriebe versickern, lässt die Kraft erlahmen, die Liebe erkalten und daran zweifeln, ob mit Vernunft und Augenmaß in Sachen des Friedens ohne Gewalt etwas auszurichten ist. Das Feuer des Geistes Gottes glimmt dann nur noch in uns und lodert nicht mehr. Die christliche Religion wird „Privatsache“, wie die heute übliche Form des Verzagens von Christinnen und Christen in der pluralistischen Gesellschaft genannt wird.
Hilft da die Erinnerung an frühere Zeiten, als das Feuer des Geistes Gottes bei Timotheus noch brannte? Hilft uns da die Erfahrung, die wir vor 25 Jahren gemacht haben, als es nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation so aussah, als könne unsere Welt zu einem Frieden ohne Waffengewalt finden, der dem Frieden Gottes menschlich entspricht? Ein bisschen schon. Denn gute Erfahrungen, die man nicht so leicht vergessen kann, sind wie segnende Hände, an die Timotheus erinnert wird. Die Erinnerung an die Berührung mit ihnen hält das Feuer der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit auf unserem Lebensweg und dem Weg der Gemeinde wenigstens am Glimmen.
Doch ohne Windzufuhr droht das Glimmen zu erlöschen. Man muss hinein pusten, damit die Gaben des Geistes Gottes wieder aufflammen. Ob Timotheus dazu in der Lage war, wissen wir nicht. Der Brief an ihn aber pustet kräftig. Er ermutigt uns, das auch zu machen und uns so gegenseitig beizustehen, wenn der Geist des Verzagens nach uns greift. Denn Kraft vom ewigen Gott der Gemeinschaft, Liebe und Besonnenheit zählt zu dem Besten, was wir Christinnen und Christen in dieser friedlosen Welt aufzubieten haben.