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30.04.2006 00:00 Alter: 18 yrs
Kategorie: Radiosendungen

Jesus und Paulus

FeierTag am 30. April 2006


Sprecher

Heute gibt es ungefähr 2 Milliarden Christinnen und Christen auf der Welt. Menschen vieler Völker der Welt, aller Rassen und aller sozialen Schichten bekennen sich zu Jesus Christus. „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau.“ Denn sie „sind alle eins in Jesus Christus“. Dieser Satz des Apostels Paulus drückt für die ganze Christenheit heute eine Selbstverständlichkeit aus. Doch das war nicht immer so.

Wir besuchen eine christliche Gemeinde in Rom im Jahre 57. Sie ist aus der jüdischen Bevölkerung hervorgegangen, die damals in der Hauptstadt des römischen Weltreiches lebte. Durch den internationalen Verkehr in diesem Reich waren auch Christinnen und Christen aus der Provinz Judäa dorthin gekommen. Sie redeten von Jesus Christus zuerst in den Synagogen. Nach und nach trafen sie sich zu eigenen Versammlungen. Mit der Zeit stießen auch Römerinnen und Römer sowie Menschen aus vielen anderen Nationen dazu. „Heidenchristen“ nennt man sie, weil sie nicht aus dem Volke Israel stammten, zu dem Jesus gehörte.

Wir treffen eine Gruppe dieser Gemeinde auf dem Nachhauseweg von einem Gottesdienst. Sie unterhalten sich ziemlich aufgeregt. Denn seit einiger Zeit liest der Gemeindevorsteher in einzelnen Abschnitten den Brief eines gewissen Paulus an die Gemeinde vor. Paulus kündigt darin an, nach Rom kommen zu wollen. Er bittet die Gemeinde, ihn bei seinem Vorhaben zu unterstützen, weiter nach Spanien zu reisen. Er will auch dort das Evangelium verkündigen. Aber Hannah, einer jungen Frau, die aus Israel stammt, ist unwohl bei dem, was sie in diesem Brief vernimmt. Sie kommt darüber mit dem Griechen Krespos ins Gespräch.

Hannah

Also lieber Krespos, ich bin mir durchaus nicht sicher, ob wir diesen Paulus hier mit offenen Armen empfangen sollten. Ehrlich gesagt verstehe ich gar nicht Alles, was er da an komplizierten Sachen in dem Brief an uns schreibt. Ich bin Christin geworden, weil mir die Botschaft Jesu einfach in ihrer Klarheit das Herz angerührt hat. Jesus hat gesagt, dass die Zukunft der Welt in Gottes Liebe zu uns Menschen liegt. Er hat uns darum alle aufgerufen, uns dieser Liebe anzuvertrauen. Er hat uns ermutigt, den Sinn unseres Lebens im Lieben unserer Nächsten zu sehen.

Ich stamme ja aus Galiäa, der Heimat Jesu. Mein Vater hat einen von den Jüngern Jesu gekannt. Der hat ihm erzählt, wie das damals war. Alle waren einfach begeistert, wie hinreißend Jesus das Kommen des Reiches Gottes angekündigt hat, wie er das Gesetz Gottes auslegte, wie er sich den armen und verachteten Menschen zuwandte und Kranke heilte. Davon höre ich bei diesem Paulus überhaupt nichts. Was er sagt, klingt alles so losgelöst vom wirklichen Leben Jesu in Israel. Ich habe darum Sorge, dass er uns einen anderen Jesus als den verkündigt, den wir kennen.

Krespos

Diese Sorge kann ich dir nehmen, liebe Hannah. Ich bin erst vor einigen Wochen aus Korinth hierher nach Rom gekommen. Dort gibt es eine große christliche Gemeinde, zu der ich auch gehört habe. Sie ist von Paulus ins Leben gerufen worden. Ich kann dir versichern, da wird in den Gottesdiensten genauso vom Leben Jesu erzählt wie bei euch hier.

Hannah

Ja und warum schreibt uns Paulus dann in seinem Brief nichts davon? Er hätte uns doch z.B. das Gleichnis vom barmherzigen Samariter auslegen können, das ich so sehr liebe. Stattdessen redet er immer nur vom Kreuzestod Jesu.

Krespos

Er will uns eben sagen, was ihm besonders wichtig ist. Das bedeutet aber nicht, dass er uns auffordern will, das Leben Jesu zu vergessen. Er hat sogar einen jungen Mann bei sich – Markus heißt er – der ist dabei, das ganze Leben Jesu zusammenhängend aufzuschreiben. Doch das ist gar nicht so einfach. Markus hat uns einmal in der Gemeinde von den Schwierigkeiten berichtet, vor denen er da steht. Sie lassen sich im Grunde mit deinen eigenen Worten zusammen fassen.

Hannah

Mit welchen Worten?

Krespos

Du hast die Sorge geäußert, bei Paulus würde dir ein anderer Jesus begegnen, als der, den du durch den Bericht des Jüngers Jesu kennst. So ähnlich hat das Paulus selber tatsächlich auch einmal ausgedrückt. Jesus „nach dem Fleische“ kennen wir nicht mehr, hat er geäußert.

Hannah

Na so habe ich das ganz bestimmt nicht gesagt.

Krespos

Natürlich nicht. Paulus drückt sich auch für meinen Geschmack häufig etwas ungewöhnlich aus. Aber hat er nicht recht, dass uns Jesus heute nicht mehr so begegnet wie zu seinen Lebzeiten? Da haben sich die Menschen gefragt, wer das eigentlich ist, der da so vollmächtig von Gott redet. Diese Frage ist mit seiner Kreuzigung schrecklich beantwortet worden. Gott hat ihn verlassen, lautete die Antwort.

Hannah

Ach, ich verstehe, was du sagen willst. Bei dieser Antwort ist es nicht geblieben. Jesus ist nach seinem Tode den Jüngern erschienen. Dadurch trat sein ganzes Leben, aber auch sein Sterben in ein neues Licht. Auch ich kenne Jesus heute nur noch in diesem neuen Lichte. Ich nehme ihn mit anderen Augen wahr als die Menschen, mit denen er zu seinen Lebzeiten zusammen traf.

Krespos

So ist es. Markus aber steht nun vor der schwierigen Aufgabe, beides darzustellen: Jesus, wie er zu seinen Lebzeiten auf die Menschen gewirkt hat, und Jesus, der in Wahrheit der Christus ist, wie wir ihn heute kennen. Ich bin sehr gespannt, wie Markus diese Aufgabe lösen wird.

Hannah

Trotzdem bleibe ich dabei: Bei Paulus klingt alles so anders, als bei den Jüngern Jesu, die sich in Jerusalem zu unserem Herren bekennen. Vor allem bin ich ganz erschrocken darüber, was er über das Gesetz Gottes sagt. Es sei nicht nötig, um zu glauben. Das hat Jesus doch ganz bestimmt nicht behauptet. Ich habe gehört, dass es darüber auch schon eine große Auseinandersetzung zwischen Paulus und Petrus, dem wichtigsten Jünger Jesu, in Jerusalem gegeben hat.

Krespos

Das ist richtig. Auf dem sogenannten Apostelkonzil in Jerusalem hat Paulus darauf bestanden, dass die, die an Jesus Christus glauben, nicht mehr verpflichtet sind, die Vorschriften des jüdischen Gesetzes zu beachten. Sie können das machen, wenn sie wollen. Aber ihr Glaube hängt nicht daran, dass sie z.B. die Reinigungs- und Speisegebote dieses Gesetzes befolgen.

Hannah

Na, das lass mal lieber nicht meine Eltern hören. Denn sie leben auch als Christen mit dem Gesetzen Gottes für unser Volk. Und sie möchten, dass ich das auch tue.---

Ach schade. Wir sind schon bei der Gasse angekommen, in der ich wohne. Meine Eltern gucken schon, wo ich bleibe. Mich würde aber sehr interessieren, wie Du über die Lehre von Paulus denkst, Christen seien frei vom Gesetz des jüdischen Volkes. Denn das hat ja große Konsequenzen für das Leben unserer Gemeinde. Außerdem habe ich noch einiges auf dem Herzen, was mir in dem Brief von Paulus überhaupt nicht gefällt. Vielleicht ergibt sich ja einmal eine Gelegenheit, dass wir noch weiter über Paulus und Jesus, wie ich ihn verstehe, reden können.

Krespos

Die ergibt sich bestimmt. Wenn Du möchtest, kannst du dich ja mit deinen Eltern beim gemeinsamen Essen der Gemeinde nach dem nächsten Gottesdienst zu mir setzen. Da können wir uns weiter unterhalten.

 

Hannah

Das ist eine gute Idee. Also dann bis nächste Woche. Auf Wiedersehen, Krespos.

Krespos

Auf Wiedersehen Hannah.

Musik

Sprecher

Eine Woche ist vergangen. Hannah hat sich unterdessen bei anderen Gemeindegliedern erkundigt, was die denn so von Paulus wissen. Denn es ist ihr gar nicht recht gewesen, dass sie bei Krespos den Eindruck erweckt hat, sie habe keine Ahnung davon, wer Paulus ist. Hannah hat also in Erfahrung gebracht, dass Paulus eigentlich Saulus heißt und aus Tarsus in Kleinasien stammt. Sie weiß nun, dass er einmal die Christen verfolgt hat. Sie weiß auch, dass Jesus diesem Saulus ebenso erschienen ist, wie seinen Jüngern. Seitdem nennt er sich Paulus. Seitdem ist er überzeugt, dass Jesus Christus selbst ihn gesendet hat, um das Evangelium in der ganzen Welt zu verkündigen.

Hannah findet es erstaunlich, dass selbst Petrus und die anderen Jünger diese Mission des Paulus akzeptiert haben. Denn sie haben damit grünes Licht für das Entstehen von christlichen Gemeinden gegeben, die nicht mehr in dem Gesetz Gottes für Israel verankert sind. Hannah treibt das um. Sie hat darum sehr aufmerksam zugehört, als der Gemeindevorsteher einen weiteren Teil aus dem Römerbrief verlesen hat. Nun freut sie sich, als sie sieht, dass ihr Gesprächspartner von der vorigen Woche ihr und ihren Eltern bei dem gemeinsamen Essen der Gemeinde Plätze neben sich frei gehalten hat. Er winkt ihnen zu, damit sie sich neben ihn setzen. Und das tun sie auch, indem sie sich freundlich begrüßen. Zu Hannah gewendet aber sagt Krespos:

Krespos

Guten Tag, Hannah. Es ist schön, dass wir uns weiter unterhalten können. Denn unser Gespräch aus der vorigen Woche ist mir doch noch sehr nachgegangen. Ich habe darum, als der Brief von Paulus weiter verlesen wurde, immer wieder daran denken müssen, wie er wohl heute auf dich gewirkt hat.

Hannah

Vielen Dank Krespos, dass du diese Plätze frei gehalten hast. Auch ich habe oft an unser Gespräch denken müssen. Heute hat mir jedoch schon besser gefallen, was Paulus vom Gesetz Gottes sagt. Es wird durch die Liebe erfüllt. Genau das hat Jesus verkündigt. Auch sonst habe ich die Stimme Jesu an vielen Stellen wieder erkannt, z.B. dass Menschen, die lieben, nicht übereinander richten. Sie sind sich bewusst, dass Gott alleine der Richter ist.

Krespos

Ich kenne noch einen anderen Brief von Paulus. In dem redet er geradezu überschwänglich von der Liebe. Sie sei sogar größer als der Glaube. „Auch wenn ich allen Glauben hätte“, sagt er da, „so dass ich Berge versetzen könnte und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts“.

Hannah

Sagt er das wirklich? Ich habe das Wort Jesu vom Bergeversetzen ganz anders in Erinnerung. Wer wirklich glaubt und nicht zweifelt, der kann zu einem Berg sagen: „Wirf dich ins Meer“ und er wird es tun.

Krespos

Ich bin sicher, dass Paulus dieses Wort Jesu im Ohr hatte. Ich finde aber, dass er es ganz im Sinne Jesu aufgefasst hat. Anderen Menschen bloß etwas Gewaltiges demonstrieren zu wollen, ist lieblos. Jesus selbst hat so etwas auch nicht gemacht. Was wir aus Glauben tun, soll vielmehr anderen Menschen zeigen, dass sie geliebt und geachtet sind. Dabei soll uns Gottes Gesetz helfen. Es ist nicht dazu da, dass wir es benutzen, um vor anderen groß dazustehen.

Hannah

So habe ich das eigentlich auch immer verstanden. Gottes Gesetz ist für die Menschen da und nicht die Menschen für das Gesetz, hat Jesus gesagt. Nur wenn wir aus Liebe zu den Menschen handeln, verhalten wir uns so, wie Gott es möchte. Wenn wir das aber tun, dann ist Gottes Gesetz für uns doch aber ganz wichtig. Es zeigt uns, wo wir konkret Liebe üben können. Ich begreife darum nach wie vor nicht, warum Paulus behauptet, es sei nicht nötig, um zu glauben.

Krespos

Vielleicht liegt das daran, dass Du von Kindesbeinen an mit dem Gesetz Gottes für Dein Volk aufgewachsen bist. Es ist einfach eine Gewohnheit für dich, in seinen Weisungen zu leben. Mir ist es da anders ergangen. Ich bin ein Grieche und im Glauben an die olympischen Götter groß geworden. Dann habe ich Menschen getroffen, die mich in die christliche Gemeinde mitgenommen haben. Die haben mir gesagt: Du bist Gott recht so, wie du bist. Du musst nicht irgendetwas leisten, um vor ihm zu bestehen. Du braucht dir nur gefallen zu lassen, dass Gott dich liebt.

Hannah

Das klingt tatsächlich so, wie Jesus die Menschen angeredet an.

Krespos

Ja, aber auch so, wie Paulus es im Geiste Jesu Christi verkündigt hat: Wir werden ohne die Werke des Gesetzes durch den Glauben vor Gott gerecht. Ich habe das als eine große Befreiung erfahren. Denn in meinem alten Glauben lebte ich ständig in der Angst, die unberechenbaren Götter zu erzürnen. Ich fand es darum wunderbar, dass die Gemeinde nicht gesagt hat: Erweise dich erst einmal durch deine Taten als würdig für Gott. Sie hat mich als einen Menschen aufgenommen, der schon längst vor Gott gewürdigt ist.

Hannah

So ist es mir auch ergangen, als mich das Evangelium, die gute Botschaft von Gottes Liebe, im Herzen berührt hat. Aber ich habe das nicht als Widerspruch dazu empfunden, dass Gottes Gesetz mir auch ein bestimmtes Handeln gebietet. Ich tue gerne, was Gott von mir fordert, besonders weil alle seine Gebote, wie wir vorhin schon gesagt haben, in der Liebe zu unseren Nächsten ihre Pointe haben.

Krespos

Da kann ich dir nur zustimmen, ja da würde Paulus selbst dir lebhaft zustimmen. Wer an Jesus Christus glaubt, tut gerne und freiwillig, was Gottes Gebote von uns möchten.

Hannah

Genau hier liegt für mir Empfinden aber auch das Problem. Paulus meint mit dem Gesetz nur die 10 Gebote. Für uns Juden aber bedeutet es noch mehr. Es enthält eine Fülle Vorschriften für das Leben des erwählten Volkes Gottes. Ich habe dir ja schon erzählt, dass meine Eltern sie durchaus beachten. Paulus aber sagt, dass sie für jemand, der an Jesus Christus glaubt, nicht mehr verbindlich sind. Du selber, Krespos, richtest dich auch nicht mehr nach ihnen. Treibt das nicht eine Kluft zwischen die Judenchristen und die sogenannten Heidenchristen? Schlimmer noch, wird das nicht dazu führen, dass die immer größer werdende Zahl von Heidenchristen sich gegen die jüdische Herkunft unseres Glaubens wendet?

Krespos

Das wäre schrecklich. Ich bete zu Gott, die Christenheit möge niemals vergessen, dass Jesus ein Jude war und dass der Glaube an den Gott der Liebe durch ihn aus dem Volke Israel entsprungen ist. Wessen Herz nicht für Israel schlägt, dessen Herz kann auch nicht für Jesus Christus schlagen.

Aber du hast Recht. Dennoch besteht hier ein großes Problem. Erinnerst du dich an die Stelle, an der Paulus darauf zu sprechen kommt? Er, der selber ein Jude ist, drückt dort seine Trauer und seinen Schmerz aus, dass nun eine Spaltung in Gottes erwähltem Volk entstanden ist. Nicht alle Juden erkennen Jesus Christus als Messias an. So wie es aussieht, wird es in Zukunft ein Christentum neben dem Judentum geben.

Doch verzeih, wir müssen unser Gespräch jetzt unterbrechen. Der Gemeindevorsteher verteilt die Aufgaben, die unsere Gemeinde in der kommenden Woche für die Armen und Kranken wahrnehmen muss.

Musik

Hannah

Ich freue mich, dass ich morgen den alten Amos besuchen kann. Der kennt sehr viele Geschichten von Jesus; viel mehr und auch andere als die, die mir aus unseren Gottesdiensten vertraut sind. Und er kann sie wunderbar anschaulich erzählen. –

Aber ich will noch einmal auf den Schmerz über die Zertrennung unseres Volkes zurückkommen, von dem Paulus redet. Ich empfinde ihn genau so. Die Familie meines Onkels etwa lehnt den Glauben an Jesus Christus ab. Das macht die Beziehungen zwischen unseren Familien sehr schwierig. Doch da erweisen sich gerade die Vorschriften des jüdischen Gesetzes für unser Leben als ein wahrer Segen. Indem wir uns an diese Vorschriften halten und z.B. unsere Knaben beschneiden, zeigen wir unseren Verwandten, dass wir wie sie an den einen Gott Israels glauben. Ich finde es darum ausgesprochen empörend, dass Paulus gesagt haben soll, er halte die Beschneidung um Christi willen für Dreck. Schließlich war Jesus selbst doch auch beschnitten.

Krespos

Ich verstehe, dass eine solche Aussage auf jüdische Christen, die sich an die Vorschriften des Gesetzes für ihr Volk halten, schockierend wirken muss. Gerechterweise muss man aber sagen, dass Paulus im Brief an die Philipper, wo das steht, nicht von Anderen redet. Er hat hier nur seine eigene Vergangenheit als gesetzestreuer Jude im Blick.

Hannah

Dennoch hätte er eine solche Äußerung unterlassen sollen.

Krespos

Das sehe ich auch so. Denn er war ja gar nicht absolut gegen die Beschneidung. Er wollte nur nicht, dass sie zur Bedingung für das Christsein wird. Ich musste nicht erst Jude werden, um Christ zu werden. Aber ich erkenne ohne Weiteres an, dass die Vorschriften des Gesetzes für Judenchristen so wertvoll sind, wie du das geschildert hast. Wenn ich – versteh mich bitte nicht falsch – mit dir verheiratet wäre, hätte ich kein Problem damit, dass du dich an die Traditionen deines Volkes hältst.

Hannah

Das sagst du jetzt. Doch die Praxis der Ehen zwischen Juden- und Heidenchristen, die ich kenne, sieht anders aus. Da bestimmt der Mann, was eine Frau zu tun und zu lassen hat. In diesem Punkt kritisiere auch ich unsere Tradition. Jesus ist uns Frauen mit derselben Achtung begegnet wie den Männern. In seiner Nachfolge waren wir ganz gleich berechtigt. Davon ist heute in unserer Gemeinde wenig zu spüren. Auch Paulus soll hier völlig konservativ sein, Stimmt es, dass er den Frauen zumutet, sich zu verschleiern und im Gottesdienst zu schweigen?

Krespos

Das hat er in der Tat gefordert. Aber ich glaube nicht, dass er sich damit auf die Dauer durchsetzen wird. In Korinth tragen die meisten Christinnen keinen Schleier und auch kein Kopftuch. Ich vermute, dass ihr Frauen hier in Rom auch nicht damit anfangen werdet, bloß weil Paulus kommt. Wir müssen mit ihm vielmehr darüber reden, was sein schöner Satz, in Christus gebe es weder Mann noch Frau für die Christinnen konkret bedeutet. Ich glaube, hier stehen uns noch einige Entwicklungen bevor.

Hannah

Das wäre gut. Doch ich fürchte, dass zu diesen Entwicklungen auch das langsame Verschwinden der judenchristlichen Gemeinden gehören wird, welche sich an die Vorschriften des Gesetzes halten. Wenn immer mehr Nicht-Juden wie du das Gemeindeleben bestimmen, dann werden neue Regeln für unser Leben entstehen. Schon jetzt hat sich z.B. die Feier Sabbats in unserer Gemeinde auf den Sonntag, den Tag der Auferstehung des Herrn, verlagert.

Krespos

Es ist eben etwas ganz Neues im Entstehen: Die eine Gemeinde aus Juden und Menschen aus allen Völkern der Erde. Mich beeindruckt an Paulus vor allem, dass er dafür gerade als Jude überall auf der Welt eintritt. Er mutet damit auch den Menschen, die eine andere Religion haben, ganz schön etwas zu. Den Riss in der Familie, von dem du sprichst, den kenne ich auch. Mein Bruder will, weil ich Christ bin, nichts mehr mit mir zu tun haben. Er redet das dümmste Zeug über unseren Glauben an Jesus Christus, um mich lächerlich zu machen und zu beschämen.

Hannah

Ob Paulus, der solche Erfahrungen bei seiner Mission auch gemacht hat, deshalb den Kreuzestod Jesu so stark betont? Gott zeigt uns seine Liebe gerade in einem gedemütigen und der Gewalt ausgelieferten Menschen. Wir brauchen uns dessen aber, wie er am Anfang des Briefes an uns schreibt, nicht zu schämen, weil die Kraft der Liebe stärker ist als der Tod.

Krespos

Ich denke schon, dass es Paulus darauf vor allem ankommt. Der Tod Jesu hat die Botschaft Jesu von der Liebe Gottes nicht durchstreichen können. Dafür steht der Name des gekreuzigten Jesus Christus gut, der sich auch nach seinem Tode lebendig erwiesen hat. Er redet für immer davon, dass Gott selber sogar mit uns Menschen leidet, damit die Liebe unser aller Zukunft bleibt.

Hannah

Ich würde gerne wissen, wie die christlichen Gemeinden, die jetzt überall entstehen, diese Botschaft glaubwürdig in die Welt hinaus tragen werden. In ihr sind Menschen mit vielen Traditionen zusammen, die in Konflikt miteinander geraten können. Sie werden in den Ländern, in denen sie leben, auch von den gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Verhältnissen beeinflusst werden. Mir wird ganz schwindlig, wenn ich mir vorstelle, vor welchen Herausforderungen die Gemeinde aus Juden und den Völkern der Welt da in Zukunft steht.

Krespos

Ja, das wissen wir nicht. Wir können nur hoffen, dass sie Jesus treu bleiben und ihnen die Botschaft des Apostels Paulus dabei nach Kräften hilft.

Musik

Sprecher

Heute gibt es etwa zwei Milliarden Christinnen und Christen auf der Welt. Über ihre Geschichte gäbe es viel zu sagen, was weder mit Jesus noch mit dem Apostel Paulus etwas zu tun hat. Sie stehen darum heute nicht weniger als in den Anfangszeiten der Gemeinde vor der Aufgabe, sich über den Grund und die Konsequenzen des Glaubens an Jesus Christus für ihr Leben zu verständigen. Jesus und Paulus sind zwei Eckpfeiler dieser Verständigung. Es ist darum jederzeit nötig, dass die Christenheit das Gespräch über Jesus und Paulus fortführt, bei dem wir eine Christin und einen Christen im Jahre 57 in Rom angetroffen haben.


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