Predigten
< Gottesleugnung - atheistische Argumente und die Gewöhnung an ein Leben ohne Gottesglauben
02.04.2013 00:00 Alter: 11 yrs
Kategorie: Predigten

Jesja 12, 1-6

Predigt am Sonntag Kantate in der Nordendgemeinde Berlin am 02.04.2013


Der Predigttext für den Sonntag Kantate steht im 12. Kapitel des Buches Jesaja. Wir hören daraus zunächst die Verse 1-3:

 An jenem Tag wirst du sagen: Herr ich preise dich! Du hast mir gezürnt! Möge dein Zorn sich wenden, dass du mich tröstest.

Siehe, Gott ist meine Rettung! Ich bin voll Vertrauen und habe keine Angst. Denn meine Stärke und meine Kraft ist der Herr. Er war meine Rettung.

(An jenem Tage also) werdet ihr mit Jubeln Wasser schöpfen aus den Quellen des Heils.

 Liebe Gemeinde,

ad fontes, sagten die alten Lateiner, auf deutsch: zurück zu den Quellen. Das ist ein Ruf, der sich von altersher bis heute durch unsere menschliche Geschichte zieht. Denn die Quelle ist in unserer Sprache ein viel verwendetes Bildwort für etwas Ursprüngliches und Unverdorbenes geworden. Aus einer Quelle sprudelt reines und klares Wasser. An ihr erquicken sich müde Wanderinnen und Wanderer, um aufzubrechen zu neuen Wegen. Wasser aus Quellen fließt noch nicht breit und träge dahin, wie die Flüsse, die sie speisen. Wasser aus Quellen sprudelt immer neu. Es ist noch nicht angefüllt mit Geröll, Schlamm und Gerümpel aus Nebenflüssen und schon gar nicht mit dem Gift, mit dem wir heutzutage unsere Flüsse versauen.

Zurück zu den Quellen – das ist also alles andere als eine Aufforderung an uns, in die Vergangenheit einzutauchen und uns in träge dahinfließen Gewässern treiben zu lassen. Zurück heißt hier: vorwärts! Es heißt: Neues sprudeln lassen, wo der breit dahin fließende Strom selbst die Erinnerung daran überschwemmt hat, dass er aus einer Quelle entsprungen ist und noch immer daraus entspringt.

Oder auch nicht? Quellen können leider auch versiegen, aufhören zu sprudeln und nur noch längst vergangener Ursprung eines trüben Gewässers von heute sein. „Denk‘ an die schöne Zeit zurück, die Liebe auf den ersten Blick“, hat Charles Asnavour in einem berühmten Chancon aus meiner Jugendzeit gesungen, um den Ausweg aus einer tot dahin fließenden Ehe zu weisen. Aber mit dieser Quelle von damals war es nichts mehr. Das Gegenlied ließ nicht lange auf sich warten, das dem Mann bescheinigte, selber das trübe Gewässer zu sein, das die Quelle der Liebe zugestopft hat.

Zu den Quellen zurück zu kehren, die sprudeln, heute sprudeln, ist es also gar nicht so einfach für die, die sich auf müde dahin fließenden Flüssen auf einem Hausboot eingerichtet haben. Zurück zu den Quellen – dieser Ruf öffnet Schleusen, die dem sprudelnden Wasser den Weg versperren wollen. Dieser Ruf pustet in die trägen Gewässer, so dass sie aufschäumen.

So war es damals in der DDR, als sich mutige Menschen auf die Quellen des Marxismus beriefen und dem DDR-Sozialismus im Namen des Reiches der Freiheit was gepustet haben. So war es auch, als ein Mädchen, von dem Birk Meinhard gerade in seinem Roman „Brüder und Schwestern“ eindrücklich erzählt, morgens um 7 Uhr das schönste und wahre Lied von Wolf Biermann an die Wandzeitung ihrer erweiterten Oberschule geheftet hat. Es gab der in den östlichen Landen verbreiteten Sehnsucht vieler Menschen nach quellendem Leben treffend Ausdruck. „Ich möchte liebsten weg sein“, hieß es, und, so endet dieses Gedicht „… bleibe am liebsten hier“. Das reichte, um Britta – so heißt dieses Mädchen – von der Schule zu werfen und ihr den Lebensweg zu verbauen.

Aus Quellen zu trinken, die sprudeln, während die großen Flüsse gerade noch gut genug sind, um die Hoffnung drin zu ertränken, ist also risikoreich. Die großen Flüsse sind stark und nehmen den Armen, die gegen den Strom zurück zu den Quellen kraulen, die Kraft. Davon zeugt leider auch die Geschichte unserer Kirchen im Übermaß. „Zurück zu den Quellen“, zu den Quellen der biblischen Botschaft nämlich, dieser Ruf durchzieht mehr oder minder aufsprudelnd auch die Geschichte unserer christlichen Kirchen bis heute.

Denn es ist kein Zweifel: Die  Quelle von Gottes Leben, aus der Israel und die Gemeinde Jesu Christi die Kraft zu einem Leben geschöpft haben, das Gott gefällt und uns froh macht, wurde auch träger Fluss, auch überschwemmt aus Nebenflüssen, angefüllt von dem, was bloß uns gefällt und Gott betrübt. Es wurde „Religion“, wie der Kanal heißt, in den wir das Sprudeln göttlichen Lebens in unser Leben und in die Gesellschaft eintakten und einbetten.

Gerade in diesen Tagen wird das unseren Kirchen ja wieder einmal vielstimmig aufs Butterbrot geschmiert. Anlass dazu hat der Papst Franziskus gegeben. Er hat in seinem goldstrotzenden Vatikan daran erinnert, dass eine christliche Kirche von ihren Quellen her eigentlich auf die Seite der Armen gehört. Nach den merkwürdigen Gesetzen, in denen uns die Medien ihre Themen verordnen, hat das in Deutschland eine Diskussion über die Kirchensteuer und über die durchaus begründeten Staatsleistungen für die Kirchen ausgelöst.

Und es ist ja richtig: Nirgendwo in der Bibel steht was von Kirchensteuern und Staatsleistungen für die christliche Religion. Die meisten Kirchen auf der Welt, ob sie nun lutherisch, reformiert oder römisch-katholisch sind, kennen so etwas gar nicht. Wir in Deutschland stellen da schon eine ziemliche Ausnahme dar. Sind die Quellen unseres Glaubens darum versiegt? Verbauen wir dadurch anderen Menschen den Zugang zu diesen Quellen? Machen wir uns unglaubwürdig?

Diese Fragen sind ernst zu nehmen. Sie haben zum Beispiel durchaus auch eine Rolle gespielt, als sich die Evangelischen Kirchen der DDR 1991 dem Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland gefügt haben. Die ererbte Struktur einer über das ganze Land verbreiteten Flächenkirche ließ kaum eine andere Wahl. Aber die bange Frage blieb natürlich, ob das Flussbett, das unserem Glauben in unserer Gesellschaft bereitet ist, Menschen nicht mehr abschreckt als sie unser Kraulen zu den Quellen anzieht. Mehr noch: Die bange Frage bleibt, ob es eigentlich Gott gefällt, wie wir in dem aus allen möglichen Gewässern gespeisten Kanal unserer kirchlichen Realität Menschen einzuladen versuchen, aus den „Quellen des Heils“ zu trinken.

Wenden wir uns mit dieser bangen Frage an unseren Text aus dem Propheten Jesaja, dann wird sie zunächst einmal in eine ganz merkwürdige Perspektive gerückt. Eigentlich ist dieser Text ja ein Lied, ein Loblied nämlich. „Ich preise dich“, setzt es ein und dann fährt es fort: „Du hast mir gezürnt“.

Wie das? Gott für seinen Zorn zu preisen, mutet uns doch ziemlich abseitig an. Ist der Zorn Gottes nicht etwas Fürchterliches, von dem wir nur hoffen können, dass er uns nicht trifft? Wo vom Zorn Gottes in der Bibel die Rede ist, handelt es sich fast immer um eine erschreckende Rede, die Menschen regelrecht Angst macht.

Der vom Zorn Gottes singende Prophet aber ruft frank und frei aus: „Ich habe keine Angst“. Und in der Tat: Hätte er Angst, dann würde er überhaupt nicht singen. Denn Angst macht stumm und jubiliert nicht. Vom Zorn Gottes zu singen, geht nur, wenn das Vertrauen dazu groß ist, dass er nichts als gut für uns ist. Und das ist er nach der Erfahrung unseres Propheten!

Der Zorn Gottes gehört nämlich auch zur Quelle von Gottes Leben in unserem Leben, weil Quellwasser reinigt und weil unser in alle möglichen Kanäle eingezwängtes Dasein immer der Reinigung bedürftig ist. Wir wissen es ja selber, indem wir bange fragen, ob unser Schwimmen in allzu weltlichen religiösen und sonstigen Gewässern eigentlich dem gerecht wird, was Gott von uns möchte. Bei Jesaja aber hört diese Frage auf, eine bange Frage, eine Angstfrage zu sein.

Das liegt daran, dass die Klarheit, in der Gott sein ewiges Leben für uns sprudeln lässt, hinweg spült, was uns Angst und Bange macht. Der singende Prophet bringt das noch einmal auf eine ganz überraschende und anrührende Weise zum Ausdruck. Er dankt Gott dafür, dass er ihn tröstet, wenn sein Paddeln auf den Gewässern der Religion mitsamt diesen Gewässern selbst den Bach runter geht.

Trösten heißt, Menschen beistehen, wenn sie ein schweres Geschick zu tragen haben. Trösten nimmt die Gewichte weg, die auf einem Menschen lasten können, wenn ihn Versagen oder Schuld niederdrücken. Dass Gott uns tröstet, dass er uns beisteht, indem er hinweg spült, wie wir die Quelle seines Lebens in unserem kirchlichen und sonstigen Leben verschmutzen, ist deshalb gerade in unseren Tagen eine wichtige Erfahrung. Denn wir kennen auch das Gegenteil. Im Willen zur Vernichtung von Menschen, die sich etwas zu Schulden haben kommen lassen, wetteifern unsere Medien derzeit, wo immer sich ein „schwarzes Schaf“ findet. Gott macht das nicht. Er tröstet, wo er „Nein“ sagen muss. Er erquickt mit klarem Wasser, wo wir uns mit schmutzigem Wasser den Magen verdorben haben.

Das aber ruft in Israel und in der Christenheit eine ganz spontane Reaktion hervor, die zum Glauben an Gott gehört, wie der Fisch ins Wasser. Sie besteht darin, dass Menschen, die aus Gottes reinigenden Quellen trinken, anfangen zu singen.  Ohne Lieder, ohne Psalmen und Hymnen würde  der biblische Glaube an Gott sicherlich etwas ziemlich anders sein, als mit den Tönen, die unsere Worte zum Gesang werden lassen. Denn Singen hebt und treibt unsere Worte über das hinaus, was wir feststellen und gar wortgewaltig festklopfen. Singen lässt unsere Worte hinein schwingen in Räume des Geheimnisses Gottes, der Quelle unseres Lebens.

Martin Luther hat das – wie so oft bei seiner Übersetzung der Bibel ins Deutsche – mit geistlichem Spürsinn eigentlich wunderbar erfasst. „Der Herr ist mein Psalm“, er ist mein Lied, hat er den Vers 2 des 12. Kapitels des Jesajabuches übersetzt. Auf vielen christlichen Spruchkarten ist es auch so zu lesen – obwohl es ein Übersetzungsfehler ist. „Der Herr ist meine Kraft“ muss dieser Vers wortgetreu eigentlich heißen. Aber der singende Prophet macht uns trotzdem ein gutes Gewissen, wenn er uns zu einem Singen auffordert und ermutigt, das ganz und gar auf den Ton der Freude an Gott und seines Lobes gestimmt ist.

Denn so geht das Lied des Propheten in den Versen 4-6 unseres Textes nämlich überschwänglich weiter:

„Danket dem Herrn! Ruft seinen Namen aus, macht seine Taten bekannt bei den Völkern! Verkündigt, dass sein Name erhaben ist. Singet dem Herrn. Denn er hat Großes getan. Das soll aller Welt bekannt werden.Jauchze und juble, Du Tochter Zion! Denn groß ist in Deiner Mitte der Heilige Israels.

Liebe Gemeinde, wo so gesungen wird, da sind wir an der Quelle. So können wir nur singen, wo Gottes Reinigen und Trösten mit dem klaren Wasser seines göttlichen Lebens auch mitten in den Kanälen unserer christlichen Religion hervorbricht. So sollen wir singen, wenn uns beim Kraulen zu den Quellen der biblischen Botschaft die Arme lahm werden. Denn im Lobgesang Gottes entspannt sich all unser Verkrampfen bei der Aufgabe, wirklich als Christinnen und Christen zu leben und Menschen zum Glauben an Gott einzuladen. Im Lobgesang Gottes fließt uns vielmehr Mut zu, neue Flussbetten für unser Leben und unser Zeugnis von Gott zu bahnen, wo die alten uns allzu viel weltliches und religiöses Gerümpel in die kirchlichen Kanäle gespült haben und immer wieder spülen.

Die singende christliche Gemeinde buddelt sich angesichts dessen nicht auf irgendwelchen Inseln ein, auf denen sie traurig oder auch meckernd beklagt, wie die Quelle göttlichen Lebens in den Kanälen, welche unsere Gesellschaft der Religion bietet, bis zur Unkenntlichkeit verwässert wird. Die singende christliche Gemeinde greift – um noch einmal mit Jesaja zu reden – vielmehr auf „jenen Tag“ in der Ewigkeit vor, an dem nichts als der Lobgesang Gottes alles, was ist, erfüllen wird.

„Kantate“, singt! – das ist also beileibe nicht eine Aufforderung, die irgendeinen schönen Schnörkel zu unserem Glauben an Gott hinzufügt. Im Singen wohnt unser Glaube vielmehr an der Quelle, die unser Leben und das Leben aller Menschen mit Gottes Ewigkeit vereint. Amen.         


Nach oben