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30.08.2012 00:00 Alter: 12 yrs
Kategorie: Vorträge

Einmischen. Verantwortung von Gläubigen in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts

Vortrag beim Thementag des Amtes für Kirchliche Dienste am 30.08. 2012 in Berlin


 „Einmischen“ ist ein Wort, das in der jüngeren Zeit sowohl im kirchlichen wie im gesellschaftlichen Sprachgebrauch einen eigenartigen Bedeutungswandel erfahren hat. Von Hause aus drückt es eigentlich nichts Positives aus. „Einmischen“ – das klingt nach Eindringen von Menschen in Sachverhalte, von denen sie eigentlich nichts verstehen, oder in Vorgänge, in welchen sie nichts zu suchen haben. Im politischen Felde ist „Einmischung in die inneren Angelegenheiten“ eines Staates immer noch ein völkerrechtlich abgestütztes Argument, mit dem Staaten ihre Souveränität verteidigen. Mit ihm verwahrt sich heute z.B. etwa die Volksrepublik China dagegen, dass ihr Umgang mit den Menschenrechten von anderen Ländern angeprangert wird. Mit ihm wehrt sich aber auch die demokratische Schweiz, wenn andere Länder ihren Umgang mit dem Bankgeheimnis als Beförderung von Kriminalität kritisieren.

„Einmischung“ gilt aber auch im privaten Bereich als etwas durchaus Fragwürdiges. Wir verbitten es uns, wenn sich z.B. jemand in unser Familienleben oder gar in unsere Ehen aus irgendwelchen Gründen „einmischt“ und in unsere persönlichsten, ja intimsten Lebensvollzüge hinein zu reden trachtet, ja in sie hinein regieren will. „Misch dich nicht ein;  das geht dich nichts an“, pflegen Menschen da zu sagen. Wenn das „Einmischen“ dann sogar die Form scheinheilig moralisierenden Herumschnüffelns der Medien im Privatleben von Menschen  annimmt, wird das „Einmischen“ vollends diskreditiert. Es verletzt das Menschenrecht der individuellen Selbstbestimmung des Lebens der einzelnen Menschen und den Schutz der Privatsphäre.

Wir könnten die Beispiele, die „Einmischen“ als ein unzulässig grenzüberschreitendes Verhalten von Menschen erscheinen lassen, beliebig vermehren. Den schlimmsten Fall haben wir ja in der DDR erlebt, als die Stasi sich in das Leben von Menschen in zersetzender Absicht „einmischte“. Wie kommt es darum, dass dieser Begriff heute nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Kirche zur Annonce eines positiven Verhaltens von Menschen geworden ist? Ein Fürbittengebet, das ich neulich in einem Gottesdienst mitgebetet habe, kann uns da auf die Spur helfen. „Gib, dass viele Menschen sich einmischen“, wurde da gebetet, „wo die Menschenwürde mit Füßen getreten wird und Menschen die Lebenschancen genommen werden“.  Hier ist „Einmischen“ das Gegenteil von teilnahmslosem Zusehen, wenn Menschen, mit denen wir auf der Erde, in der Weltgemeinschaft und in einer bestimmten Gesellschaft leben, vernichtender Gewalt ausgesetzt sind, unterdrückt werden, hungern müssen, an Armut leben, keine Bildung erfahren, unter Unrecht leiden. Christinnen und Christen, die so beten, geben zu erkennen, dass sie ihr eigenes Leben nicht führen können, ohne das schlimme Ergehen anderer Menschen zu ihrem eigenen Lebensanliegen zu machen. Sie sind, indem sie an Gott glauben, von Hause aus dafür verantwortlich, dass ihre Mitmenschen, die alle Geschöpfe Gottes sind, ein menschenwürdiges Leben führen können. Mehr noch: Sie wollen in Wort und Tat daran mitwirken, dass menschenunwürdiges Leben auf der Erde ein Ende hat. Sie sind nicht der Meinung, dass sie sowieso nichts machen können und dass sich andere um das Weltelend kümmern sollen wie die Politikerinnen und Politiker, die Hilfsorganisationen und gesellschaftlichen Institutionen. Sie kennen keine Bereiche und Regionen, die sie nichts angehen, wenn Menschen dort leiden müssen. Sie können ihre Verantwortung für andere Menschen im Glauben an Gott nicht anders wahrnehmen als so, dass sie sich „einmischen“. Und darum ist Einmischen heute zu einem positiv konnotierten Wort geworden, das die aktive, tätige Form der Verantwortung für andere Menschen anzeigt, ohne die der Glaube an Gott nicht sein kann.

Doch wie richtig und wünschenswert das als allgemeine Beschreibung eines christlichen Lebens auch sein mag: Von der tatsächlichen Existenz der Christenheit in unserem Lande ist diese Beschreibung nicht gedeckt. Es gibt zwar hin und wieder eine Sternstunde verantwortlichen Einmischens von Kirche und Glaubenden in die gesellschaftliche und politische Wirklichkeit. Die friedliche Revolution in der DDR von 1989 gehört in jüngerer Zeit an erster Stelle dazu. Ihrem Geiste ordnen sich viele Aktivitäten von Gemeinden und Einzelnen heute zu. Doch im Ganzen scheint das Reden von der allumfassenden gesellschaftlichen Verantwortung, die aus dem Glauben entspringt, doch eine Überforderung derjenigen zu sein, die unserer Kirche angehören.

Ich will jetzt gar nicht davon reden, dass die von den Reformprogrammen unserer Kirche so geschätzten „Privat- und Kulturchristen“ ohnehin ein schwaches Verhältnis zu den Lebensimpulsen des Glaubens an Gott zu haben pflegen. Sie picken sich aus der Religion heraus, was für sie selbst von Nutzen zu sein scheint, wollen aber mit der Verantwortung, in die sie der christliche Glaube stellt, besser nichts zu tun haben. Aber nehmen wir an, Christinnen und Christen erleben die Freiheit, zu der sie Jesus Christus befreit hat, tatsächlich nicht anders denn als Freiheit zur Verantwortung für ein menschenwürdiges Leben ihrer Mitmenschen, dann stellt sich sofort ein unlösbares Problem. Sie können sich gar nicht überall einmischen, selbst wenn sie es wollten. Die Verantwortungsfelder sind so vielfältig und die Herausforderungen zur Verantwortung in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts so unabsehbar, dass sie den Mut zum konkreten Wahrnehmen von Verantwortung lähmen können. Es gibt deshalb in den ethischen Diskursen unserer Zeit durchaus Stimmen, die meinen, die ständigen Aufrufe in Kirche und Gesellschaft zur Verantwortung würden geradezu das Gegenteil von dem bewirken, was sie intendieren. Indem Alle für Alles irgendwie verantwortlich sein sollen, fühlen sie sich letztlich für nichts verantwortlich und überlassen das „Einmischen“ lieber Anderen.

Doch es ist ein Missverständnis, die Verantwortung für Andere, zu der es die Freiheit des Glaubens drängt, wie eine Zentnerlast auf den Schultern von Einzelnen zu verstehen.  Stammt sie aus der Erfahrung von Freiheit, nämlich aus der Freiheit der egoistischen Konzentration unseres Sinnes und Trachtens auf uns selbst und unseren Eigennutz, dann wird sie gerne und mit Freuden wahrgenommen. Zwanghaftes Dasein für Andere wird in seiner Freudlosigkeit auch für Andere letztlich zur Last, wie bestimmte Formen sogenannter „christlicher Wohltätigkeit“ in der Vergangenheit und die sogenannten „Wutbürger“ in der Gegenwart zeigen. Gerne aber kann etwas nur tun, wenn man seine Möglichkeiten nüchtern und realistisch einzuschätzen weiß.  Keine Einzelne und kein Einzelner muss ein „unglückseliger Atlas“ sein, der die ganze Welt zu tragen hat. Tätige Verantwortung von Einzelnen für das Dransein und die Würde von Anderen kann immer nur begrenzt sein und zwar sowohl im eignen engeren gesellschaftlichen Umfeld wie in der Praxis einer Fernstenliebe, die sich für die Lösung konkreter Notstände in armen und unterentwickelten Regionen in der Welt einsetzt. Je mehr es solche begrenzte, tätige Verantwortung von Einzelnen gibt, die im Blick auf das Ganze nur zeichenhaft sein kann, umso besser! Derartiges „Einmischen“ ist einer Atmosphäre, einem Klima in der Gesellschaft dienlich, das von Menschlichkeit und nicht von Selbstsucht und Eigennutz geprägt ist.

Es wäre nun aber völlig zu kurz gegriffen, wollten wir die Verantwortung für andere Menschen, die aus der Freiheit des Glaubens kommt, nur als Angelegenheit von Einzelnen, wenn nicht gar als Privatsache ansehen. Christin und Christ wird und ist man niemals in der Vereinzelung. Christin und Christ ist man – paulinisch gesprochen – als Glied des Leibes Christi. Das ist etwas anderes, als Mitglied in einem Verein zu sein, in dem man sich mit Mühe und Not ein „Ehrenamt“ aufschwatzen lässt. Ein Leib ist ein Organismus, dessen Glieder verschiedene Funktionen haben. Wer Glied der christlichen Kirche ist, weiß sich als Teil eines solchen Organismus, ist Teil dieses Organismus. Das hat auch wesentliche Bedeutung für das Verständnis der gesellschaftlichen Verantwortung. Was Einzelne tun, ist dem, was die Gemeinden tun, was die Kirche als Institution tut, zugeordnet. Es entlastet die Einzelnen davon, ihr einzelnes Tun zu gering zu schätzen und in Resignation zu versinken, weil es so vereinzelt ist. Es ermutigt sie dazu, ihr einzelnes Engagement in Beziehung zur gesellschaftlichen Verantwortung der Kirche im Ganzen und der Gemeinden in Breite zu verstehen.

Dabei sind die verschiedenen Ebenen und Dimensionen, in denen die Kirche und die Gemeinden ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden versuchen, als zum Leben der einzelnen Christinnen und Christen gehörig anzusehen. Es ist ein Missstand, wenn Christinnen und Christen so von der Kirche reden, als seien sie selbst nicht die Kirche. Wer sich als Einzelne oder Einzelner oder vielleicht auch als Gruppe gesellschaftlich einmischt, muss brennend daran interessiert sein, vom gesellschaftlichen Engagement der ganzen Kirche zu profitieren und es umgekehrt mit den Erfahrungen seines Engagements zu prägen. Es gibt in Deutschland im Grunde nur eine Plattform, auf denen die Vermittlung der verschiedenen Ebenen und Dimensionen gesellschaftlicher Verantwortung in der Kirche gut sichtbar wird. Das ist der Kirchentag. Der Regelfall aber ist eher, das die gesellschaftliche Verantwortung der Gesamtkirche in Gestalt der Kirchenleitungen und ihrer Zusammenschlüsse und die der Christinnen und Christen vor Ort nebeneinander her laufen.

         Werfen wir kurz einen Blick auf die wichtigsten Ebenen, mit denen die gesellschaftliche Verantwortung von einzelnen Christinnen und Christen, Projektgruppen und Initiativen in den Gemeinden Kontakt halten sollte. Da ist zunächst die Ebene der Kirchenleitungen und ihrer Zusammenschlüsse, welche im Auftrag der Synoden in der Öffentlichkeit agieren. Wenn die „Stimme der Kirche“ zu gesellschaftlichen Vorgängen und Problemen nationalen und globalen Ausmaßes in Politik und Gesellschaft wahrgenommen wird, dann ist es die Kirche auf dieser Ebene. Sie ist da in der Regel mit dem Wort präsent. Sie greift mit diesem Wort orientierend in gesellschaftliche, politische und wissenschaftliche Debatten ein und beansprucht damit, das Anliegen aller Christinnen und Christen orientierend in gesellschaftliche Prozesse einzubringen. Dieser Anspruch kann natürlich niemals zur Zufriedenheit Aller eingelöst werden. Ich weiß, indem ich selbst an allen möglichen „Handreichungen“ der EKD und EKU/UEK mitgearbeitet habe, ein Lied davon zu singen. Aber im Grundsatz ist es unentbehrlich, dass die Kirche im Ganzen sich aus Grundmotiven des christlichen Glaubens heraus mit ihrer öffentlichen Stimme in die Problematiken, mit denen er unsere Gesellschaft zu tun hat, einmischt. Es wäre mehr als wünschenswert, dass die einzelnen Christinnen und Christen, Gruppen, Initiativen und Gemeinden davon profitieren.

         Die Kirche kann sich mit ihrer Stimme im 21. Jahrhundert nicht in die brennendsten Probleme unserer Gesellschaft und der Weltgemeinschaft einmischen, ohne auf Fachberatung angewiesen zu sein. Sie kann nicht ahnungslos-fromm in diesen Problemen herum stochern. Das gilt für alle Probleme, vor welche uns die wissenschaftliche und technische Entwicklung stellt. Denken Sie nur an  die Herausforderungen durch die Gentechnik im menschlichen und landwirtschaftlichen Bereich, durch die ethischen Probleme, welche die moderne Medizin schafft, durch die Technisierung der Arbeitswelt, die ganze Berufszweige kappt, durch die Notwendigkeit einer umweltverträglichen Energieversorgung usw. Ernsthaft Gehör kann sich die Kirche hier nur verschaffen, indem sie fachlich einwandfrei beraten ist. Das Gleiche gilt für die Probleme der Globalisierung, die kraft der Marktgesetze in der Verarmung von immer mehr Menschen auf unserer Erde, im Klimawandel und in immer mehr kriegerischen Auseinandersetzungen ihren schärfsten Ausdruck finden. Die Mächte, die hier gebändigt werden müssen, sind so groß und die Wege, die aus diesem Elend führen, so undeutlich, dass von einem ökumenischen Konzil für „ Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“, auf das wir in der DDR so große Hoffnung gesetzt  hatten, schon gar nicht mehr die Rede ist. Umso mehr kommt es darauf an, dass aus der Kirche heraus nicht nur hier, sondern weltweit fach- und sachkundige Wege in Gespräch  gebracht werden, die Wege in die Zukunft der kommenden Generationen eröffnen, denen Gott Leben auf dieser Erde schenkt. 

         Noch auf eine dritte Ebene möchte ich hinweisen, die sich mit der Aufgabe verantwortlichen Einmischens in unsere Gesellschaft aufs engste berührt. Das ist die Ebene der Diakonie. Sie wird als ein „Werk der Evangelischen Kirche“ bezeichnet, was aber für alle Kundigen nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass es sich dabei auch um eine Art selbständiges Wirtschaftsunternehmen handelt, das Vielen – weithin mit Unrecht – nicht gerade im Herzen von Kirchen und Gemeinden angesiedelt erscheint. Ich möchte dem aus Erfahrung widersprechen. Die Diakonie steht in ihrer alltäglichen Praxis dafür gut, dass der Glaube an Gott dazu frei macht, Menschen tatkräftig zur Seite zu stehen, die Hilfe nötig haben. Problematisch wird es eher dann, wenn Christinnen und Christen sich – weil es ja die Diakonie gibt – von ihrem eigenen Eintreten für Menschen, die Hilfe nötig haben, dispensiert wissen. Diakonie heißt ja Dienen. Diakonie will uns davon nicht dispensieren, sondern uns mit dem Apostel Paulus ermutigen, die christliche Freiheit so zu praktizieren, dass Eine und Einer durch die Liebe dem Anderen dient.


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