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08.02.2009 00:00 Alter: 15 yrs
Kategorie: Predigten

II Kor 6, 3-8: Wahrheit inmitten böser und guter Gerüchte

Predigt im Rahmen der Universitätsgottesdienste in der St. Marienkirche Berlin am 08.02.2009


Liebe Gemeinde,

Gerüchte spielen in unserem menschlichen Zusammenleben leider eine ziemlich große und einflussreiche Rolle. Da hat sich etwa an einen Professor das Gerücht geheftet, dass er besonders scharf prüft – und schon breiten sich Unsicherheit und Ängstlichkeit bei den Kandidatinnen und Kandidaten aus. Von einem anderen Professor sagt das Gerücht, dass er bei Prüfungen einschläft – und schon keimt die Hoffnung, dass Alles doch ganz leicht werden wird. Da erfahre ich durch Zufall, dass x zu y gesagt hat, er habe von z vernommen, dass ich irgendetwas Schlimmes angerichtet habe – und schon wurmt mich das einen ganzen Tag lang. Wenn ich dagegen mitbekomme, dass ein gutes Gerücht über mich im Umlauf ist, dann hebt das die Stimmung irgendwie – selbst wenn das Gerücht nicht ganz stimmt.

Es ist das Wesen von allen Gerüchten, dass sie nie ganz stimmen. Auf der einen Seite haben sie sicherlich irgendeinen Anhaltspunkt in der Realität. Ohne dass da einmal Professor wirklich scharf geprüft hat und der andere wirklich eingeschlafen ist, entstehen Gerüchte wie die geschilderten nicht. „Es wird schon was dran sein“, sagen wir deshalb, wenn wir ein Gerücht hören. Auf der anderen Seite plustert sich ein von Mund zu Munde gehendes Gerücht aber mit der Zeit auch zu einer Realität ganz eigener Art auf.

Schon das Wort „Gerücht“, das ja von „Geruch“ kommt, zeigt das an. Ein „Gerücht“ dringt uns nicht bloß in die Ohren. Es steigt uns in die Nase. Es lässt uns schnuppern, dass „etwas in der Luft“ liegt. Es verbreitet eine Atmosphäre, der wir nicht so leicht ausweichen können, weil sie uns erfreut oder beunruhigt, uns nachdenklich oder ängstlich werden lässt. Manchmal kommt es sogar zum Brodeln einer ganzen „Gerüchteküche“, die eine ganze Gesellschaft in Aufregung versetzen kann, wie wir das z.B. jetzt gerade wieder im Blick auf die Auswirkungen der weltweiten Finanzkrise erleben. Aber auch die Universitätsgottesdienste dieses Semesters standen unter einem Thema, das mindestens Merkmale trägt, die für eine Gerüchteküche typisch sind.

Ob die „Götter“ wiederkehren oder ob das nicht Fall ist, soll geklärt werden. Eng und streng genommen ist das für einen normalen Bürger aus Berlin-Pankow im Osten Berlins eigentlich eine unsinnige Frage. Kein Mensch bemerkt da den Aufmarsch von Göttern. Es werden keine Tempel gebaut und keine Altäre errichtet. Es werden keine Göttergeschichten erzählt und keine Praktiken geübt, um sich mit „Göttern“ zu verständigen. Dem durchschnittlichen Ossi in Pankow ist Alles, was irgendwie nach „Religion“ riecht, sowie so egal. Sei’s nun ein Gott oder viele Götter: Er schert sich nicht darum. Die „Wiederkehr der Götter“ ist für ihn darum irgendein jüngstes Gerücht, mit dem es nichts auf sich hat.

Da hat er allerdings nun auch nicht ganz recht. Denn ein Gerücht – so sagten wir – hat immer irgendeinen Anhalt an der Realität. So ist es auch mit der Rede von der „Wiederkehr der Götter“. Der eine Anhalt dafür ist schon hunderte Jahre alt und also überhaupt nicht neu. Der andere ist neu und stammt aus der Wissenschaft.

Was den ersten Anhalt für das Gerücht von der „Wiederkehr der Götter“ betrifft, so verdankt ihn die evangelische Christenheit Martin Luther. Er hat in seiner Erklärung des ersten Gebotes im Großen Katechismus nämlich lapidar dargelegt, dass die alten Götter aus Vorzeiten in verwandelter Gestalt unter den Menschen noch höchst lebendig sind. Da vertraut der eine auf Geld, Gut und Besitz wie auf einen Gott und für den Anderen haben Ehre, Macht und Ansehen die Qualität von Göttern. Da ist dem einen seine Familie sein und Alles und dem Anderen sein Beruf. Die Tendenz, höchst Weltliches wie etwas Göttliches zu verehren und sich davon abhängig zu machen, scheint in der Menschheit unausrottbar zu sein. Calvin, Luthers reformatorischer Kollege in Genf, dessen 500. Geburtstag wir in diesem Jahre feiern, hat uns Menschen darum regelrecht eine „Götzenfabrik“ genannt.

Und natürlich arbeitet diese Götzenfabrik auch in Pankow und anderswo. Die Faszination von Geld und Erfolg, die Hingabe, mit der Sportskanonen und Figuren aus der Unterhaltungsindustrie wie Götter verehrt werden, hat natürlich etwas Religiöses. Jeder hat da irgendein „Gottchen“, wie die Berliner sagen. Insofern kann von einer „Wiederkehr der Götter“ eigentlich keine Rede sein. Sie sind schon immer da und waren übrigens auf penetrante Weise auch in den Zeiten da, als in der DDR der Atheismus eine Staatsdoktrin war.

Doch da ist ja noch ein zweiter Anker in der Realität für das Gerücht von der „Wiederkehr der Götter“. Er wird vom Schreibtisch bestimmter Religionswissenschaftler aus in den Glauben der Christenheit, des Judentums und des Islam an nur einen Gott hinein geworfen. Es soll ein Anker der Friedlichkeit sein, die angeblich vom Vielgötterglauben ausgeht. Die Götter vertragen sich miteinander – lautet das Gerücht –aber der Glaube an nur einen Gott stiftet Religionshass und Unfrieden. Er muss den vielen Göttern und den Menschen, die sie verehren, den Kampf ansagen. Unzählige Belege aus der Geschichte der Kirche (Stichwort: „Kreuzzüge“) und des Islam bestätigen das. Nur ein Gott macht aggressiv. Viele „eigene Götter“ zu haben, verheißt dagegen eine friedliche Welt.

Das stimmt in dieser Allgemeinheit zwar überhaupt nicht. Man muss sich ja nur einmal die großen Weltreiche der Antike ansehen. Diese Reiche hatten alle viele Götter und sind nur durch die aggressive Unterjochung anderer Völker mit anderen Göttern zu Stande gekommen. Der durch die Römer zerstörte Tempel in Jerusalem ist bis heute ein steinernes Zeugnis dafür, dass auch dem Glauben an einen Gott der Garaus gemacht werden sollte. Aber wie das so mit Gerüchten ist, liebe Gemeinde: „Es wird schon was dran sein“, sagen sich Viele, denen ein solches Gerücht zu Ohren kommt.

Seit dem 11. September 2001, dem religiös begründeten islamistischen Anschlag auf das World trade Center in New York, hat dieses Gerücht vom wesenhaft aggressiven Ein-Gott-Glauben zudem neue Nahrung bekommen. Es ist aber mehr als zweifelhaft, dass es der „Wiederkehr der Götter“ und also einem wirklichen Vielgötterglauben einen neuen Schwung gibt. Eher ist das Gegenteil der Fall. Für die sog. „neuen Atheisten“, die in jüngster Zeit lautstark von sich reden machen, ist jener New Yorker Auswuchs religiösen Hasses nur ein weiterer Beweis dafür, dass alle Religionen ein Gemisch von Dummheit und Gewalt sind. Weil sie alle absurde Vorstellungen von der Welt haben, können sie miteinander nur so umgehen, dass sie sich gegenseitig die Köpfe einschlagen – lautet hier das Gerücht.

Aber wie immer die Gerüchteküche in Bezug auf Gott und die Götter nun auch brodelt: Gute Gerüchte für das Gedeihen des christlichen Glaubens an Gott in unserer Gesellschaft sind es eigentlich nicht. Dass die „Wiederkehr der Götter“ die Götzenfabrik anheizt und diesen Glauben unter den Verdacht der Gewalttätigkeit stellt, ist nicht gerade eine Empfehlung für die Christenheit, jene Wiederkehr mit ausgebreiteten Armen zu empfangen. Darum verwundert es schon, dass im Raume der Kirche geradezu freudigen Tones von der „Wiederkehr der Götter“ geredet werden kann. Da ist aber allerdings ein Trick dabei. Es wird diesem Schlagwort ein anderer Sinn untergelegt. Bei der „Wiederkehr der Götter“ gehe es eigentlich um die „Wiederkehr der Religion“.

Gemeint ist damit, dass die Menschen – enttäuscht von der kalten wissenschaftlich-technischen Welt und vom Atheismus – wieder Interesse für Jenseitiges, für Spirituelles, Magisches und Mystisches zeigen. Umfragen, die aber sicherlich nicht Pankow gemacht wurden, bestätigen das. Die Gleichgültigkeit gegenüber der Religion schwindet, wird gleich auf der ersten Seite des Impulspapiers „Kirche der Freiheit“ der Evangelischen Kirche in Deutschland von 2006 verkündet. Das macht Hoffnung, die „Wiederkehr der Religion“ werde auch der Kirche zu Gute kommen. Insofern haben wir hier nun endlich einmal ein gutes Gerücht.

Können wir ihm trauen? Immerhin werden zur „Wiederkehr der Religion“ ja auch solche Sachen gerechnet wie der Glaube an Geister, Engel, Feen und Trolle, wie spiritistische Sitzungen und Wellnessmassagen. Diese „Wiederkehr“ drängt durchaus nicht in die Kirche. Sollen wir uns anstrengen, sie herein zu holen? Was fangen wir überhaupt mit der ganzen Religions- und Göttergerüchteküche an, welche die Kirche in unseren Tagen umgibt?

Wir fragen am Besten bei einem nach, liebe Gemeinde, der sich auf diese Situation in der Vielgötterwelt der Antike sehr gut verstanden hat, nämlich beim Apostel Paulus. Er schreibt über seinen Dienst in dieser Welt im 2. Korintherbrief, Kapitel 6, Vers 3-8:

3 Wir geben in nichts irgendeinen Anstoß,
damit nicht unser Amt verlästert werde,
4 sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes:
in großer Geduld, in Trübsalen, in Nöten, in Ängsten,
5 in Schlägen, in Gefängnissen, in Verfolgungen,
im Mühen, im Wachen, im Fasten,
6 in Lauterkeit, in Erkenntnis, in Langmut,
in Freundlichkeit, im Heiligen Geist, in ungefärbter Liebe,
7 in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes,
mit Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken,
8 in Ehre und Schande,
in bösen Gerüchten und guten Gerüchten,
als Verführer und doch wahrhaftig.

Da haben wir also, liebe Gemeinde, eine gewissermaßen atemberaubende Schilderung der Existenz eines Apostels, eines Gesendeten Jesu Christi, vor uns. Diese Schilderung geht sogar noch weiter. Aber was wir gehört haben, reicht schon mehr als genug, um uns in der religiösen Gerüchteküche von heute ein paar klare Orientierungen zu geben.

Dabei können wir es hier auf sich beruhen lassen, wie die antike Welt des Vielgötterglaubens den Verkündiger des einen Gottes im Namen Jesu Christi in Wirklichkeit empfangen hat. „Nöte und Ängste“, „Schläge, Gefängnisse und Verfolgungen“ sprechen nicht gerade dafür, dass der christliche Glaube auf eine religiös tolerante Welt getroffen ist. Dass die Götter, die hier das Sagen hatten, nicht wiederkehren mögen, ist jedenfalls ausgesprochen wünschenswert.

Aber wichtiger ist das Positive. Und das ist die nun wirklich strahlend gewaltfreie Art und Weise, die der Apostel beschreibt, um sich als „Diener Gottes“ auszuweisen. Geduld, Langmut, Freundlichkeit und Liebe sind die Merkzeichen eines Menschen, dessen Auftrag es ist, die Botschaft von Gott in Jesus Christus in die Welt hinaus zu tragen. Wenn das in „Gottes Kraft“ geschieht, dann geschieht’s in der Geisteskraft der Liebe und nicht mit Muskelkraft.

Es klingt zwar ziemlich militärisch, wenn Paulus von „Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken“ redet, die er einsetzt. Denn das ruft die Vorstellung wach, dass ein Krieger in der rechten Hand das Schwert schwingt und sich mit der linken mit Hilfe eines Schildes verteidigt. Die Verkündigung des einen Gottes der Liebe war ja in der Tat ein Angriff auf die antike Götterwelt und sie musste sich in der Tat des Gegenangriffs dieser Götterwelt erwehren. Aber die „Waffen der Gerechtigkeit“ waren dabei alles andere als Totschlaginstrumente. Derartige Instrumente hatten mit Gerechtigkeit noch nie etwas zu tun.

„Gerechtigkeit“ im Sprachgebrauch des Paulus aber bedeutet, wie Gott in der Kraft der Liebe für eine Welt des Friedens und der heilen Verhältnisse unter uns Menschen eintreten. Die „Waffen der Gerechtigkeit“ sind darum die Verabschiedung der Waffen aus Eisen. Diese Waffen aus Eisen wurden zwar leider dann doch wieder hervor geholt, als das Christentum zur Weltreligion wurde. Aber dass dies dem Herzen des christlichen Glaubens an den einen Gott der Liebe entsprang und entspringt, werden wir nicht zugeben können. Das ist ein Gerücht, das heute auf Grund der Geschichte des Christentums zusammen gebraut wird. Doch es hat keinen Anhalt am ursprünglichen Quell des Christusglaubens.

Wo vom Neuen Testament inspirierter christlicher Glaube ist, da ist vielmehr auch die durchgreifende Kritik an der Art von Religion auf dem Plan, die sich mit der Gewalt verbündet. Aber nicht nur das. Wo christlicher Glaube ist, da ist auch ein Widerstand dagegen vorhanden, dass Menschen anfangen, sich selber allzu weltliche Götter zu erwählen und damit ihr Leben zu vertun. Auch wenn sich daran noch so viele gute Gerüchte hängen, wie das von der „Wiederkehr der Religion“, redet der Apostel Paulus da mit einem Wort dazwischen, das Gift für jedes Gerücht ist. Es heißt: „Wort der Wahrheit“.

Von diesem Wort halten all die Gerüchte, die sich um die Behauptung der „Wiederkehr der Götter“ ranken, offenkundig nicht allzu viel. Wahrheit in religiösen Dingen mache unduldsam, sagen wiederum die Einen. Wahrheit sei überhaupt bloß eine Angelegenheit relativer Bedeutung, sagen die Anderen. Jeder verstehe darunter in einer Gesellschaft, in welcher die Religion zur Privatsache geworden ist, etwas Verschiedenes. Darum sei es am Besten, das Reden von einer Wahrheit überhaupt aufzugeben.

Wenn man unter „Wahrheit“ irgendeine verbohrte Behauptung versteht, dann kann man für diesen Vorschlag durchaus Verständnis haben. Einzelne oder Gruppen, die sich darauf versteifen, die eine Wahrheit zu besitzen, sind nach aller Erfahrung nicht gerade erfreuliche, unduldsame Zeitgenossen. Ihnen fehlt die Geduld, die Langmut, die Freundlichkeit, das Mühen um Erkenntnis, das den Apostel Paulus auszeichnet, wenn er im „Wort der Wahrheit“ seinen Dienst tut. Da kommt wirklich nicht Einer daher, der beansprucht, die Wahrheit zu besitzen. Da begegnet vielmehr Einer, von dem eine ganz unverfügbare Wahrheit – die Klarheit der Liebe Gottes – Besitz ergriffen hat, so dass sein ganzes Leben von dieser Wahrheit umgetrieben und in Bewegung gesetzt ist.

Als Apostel der Liebe Gottes kann er nur darum werben, dass Menschen ihr Herz für diese Wahrheit öffnen. Man ahnt, auf welche Gespräche und Auseinandersetzungen mit seinen göttergläubigen Zeitgenossen er sich einlassen musste, wenn er sich regelrecht einen „Verführer“ nennt. Aber Alles, was er da im Dienste Jesu Christi tut, wäre völlig unsinnig, wenn es unter der Vorsetzung stünde, dass Gottes in Christus aufstrahlende Wahrheit vielleicht auch nicht wahr sein könnte. Wahrheit ist in der Bibel das Ereignis der Liebe und Treue Gottes, auf das wir uns unbedingt verlassen können, auch wenn wir niemals über sie zu verfügen vermögen.

Sie ist darum auch das Licht, das uns davor bewahrt, in der religiösen Gerüchteküche von heute herum zu irren wie aufgescheuchte Hühner. Wir werden vielmehr mit seiner Hilfe in Geduld, in Langmut, in Lauterkeit, in Freundlichkeit, im Mühen um Erkenntnis prüfen können, was es mit der sogenannten „Wiederkehr der Götter“ auf sich hat. Weil diese „Wiederkehr“ ein so schillerndes Gesicht trägt, werden da kritische Fragen bestimmt nicht ausbleiben. Auf der anderen Seite können wir aber auch in großer Freiheit offen dafür sein, dass sich hier ein echtes Betroffensein von dem Gott meldet, der in seiner Liebe jedem Menschen gegenwärtig ist. Amen.


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