Kategorie: Predigten
Psalm 73, 28: Zum Glück
Predigt beim Barnimer Kreiskirchentag in Kloster Chorin am 07.09.2014
Liebe Gemeinde,
„Gott nahe zu sein ist mein Glück“ lautet die kirchliche Losung für dieses Jahr. Sie steht im 73. Psalm, Vers 28. Doch das ist nicht alles, was dort steht. In diesem Vers heißt es nämlich weiter: "Ich setze auf Gott, den Herren, mein Vertrauen. Ich will all deine Taten verkündigen". Das sollten wir im Ohr behalten, wenn wir danach fragen, inwiefern Gott nahe zu sein unser Glück ist.
Denn Glück ist ein vieldeutiges Wort. „Glück gehabt“, sagen wir, wenn wir einem Unfall entronnen sind. Auf das „Glück“ eines Treffers im Lotto warten wöchentlich Millionen Menschen. „Glück“ in der Liebe versprechen sogenannte Kontaktbörsen. „Glück“ ist ein Lieblingswort der Werbung. Glücklich werden wir demnach sein, wenn wir den neusten Staubsauger, die beste Kaffeemaschine, die perfekte Zahnbürste usw., usw. besitzen. „Glück“ verheißen heutzutage darüber hinaus eine Unzahl von sogenannten „Anbietern“. Sie versprechen uns, mit einer besonderen Art von Ernährung, mit allen möglichen Körperübungen, mit Meditationen oder einem ausgefallenem Training unseres Geruchssinns glücklich zu werden.
Was also ist „Glück“? Ein günstiger Umstand, der uns um Haaresbreite einem schlimmen Unheil entkommen lässt? „Schwein gehabt“, sagen wird dann. Manche sagen auch, „Massel“ gehabt. Das ist das hebräische Wort für Glück, das allerdings nicht in unserem Psalm steht. Oder ist Glück ein Zufallstreffer, der uns mit einem Haufen Geld in Hochstimmung versetzt? Ist es eine Traumfrau oder ein Traummann, den uns eine Firma für dergleichen aussucht? Ist es eine Lachnummer, wie die strahlenden Besitzerinnen und Besitzer von Staubsaugern, Kaffeemaschinen und Zahnbürsten? Ist es ein Programm fürs Leben, bei sich dem vor allem die glücklich schätzen, die dabei tüchtig verdienen?
Man könnte meinen, liebe Gemeinde, bei so vielem hohlen und oberflächlichen Schlabbern vom „Glück“ müsste uns eigentlich die Lust vergehen, überhaupt noch von Glück zu reden und dann ausgerechnet noch Gott ein Glück zu nennen. Doch das glatte Gegenteil ist der Fall. Vom Glück zu reden und zu träumen kann offenbar kein Mensch lassen, auch wenn dieses Wort noch so viel verballhornt wird.
Bei jeder sich bietenden Gelegenheit versenden wir deshalb selber Glückwünsche, auch Glück- und Segenswünsche im Namen Gottes. Und wir bekommen Glückwünsche: zum Geburtstag, zur Hochzeit natürlich, zum Berufseinstieg oder -wechsel, zum Einzug in die neue Wohnung usw. Was meinen wir, wenn wir solche Glückwünsche versenden und aussprechen? Was denken wir uns, wenn wir sie empfangen?
Ich vermute, bewusst oder unbewusst ist bei solchen Glückwünschen immer die Erfahrung im Spiele, dass wir unseren Lebensweg nicht gänzlich selbst in der Hand haben. Es kann so viel passieren, was die uns die Tage vermiest. Es können uns so viele Menschen über den Weg laufen, die unsere Absichten oder Planungen durchkreuzen. Es passiert tatsächlich und immer wieder so vieles in unserem Leben, was uns niedergeschlagen und traurig macht.
Wer einer anderen oder einem anderen Glück wünscht, der wünscht ihnen darum, dass ihnen das erspart bleibt. Der wünscht ihnen, die Umstände, die anderen Menschen und vor allem Gott mögen ein bisschen oder auch etwas doller daran mitwirken, dass es ihnen gut geht auf ihren Wegen und mit ihren Plänen. Denn dass wir so einfach ohne nach rechts oder zu sehen „unser Ding durchziehen“, wie die Leute sagen, ist kein Glück, sondern eine schweißtreibende Knochenarbeit.
Das bis heute gebräuchliche Sprichwort der alten Römer, jeder sei „seines eigenen Glückes Schmied“, ist deshalb nur halb wahr. Es ist zwar schon richtig, dass es ohne Anstrengung in unserem Leben nicht voran geht. Doch würden wir dieses Leben nur damit verbringen, es – wie in einer Schmiede schwitzend – passend zurecht zu hämmern, wären wir am Ende nur müde und schlapp. Der Aberglaube, dass Hufeisen Glück bringen, hat dieses Sprichwort denn auch auf eine freilich abenteuerliche Weise korrigiert.
Was wir „Glück“ nennen – das können wir aber auch abgesehen von jenem Aberglauben sagen – das ist etwas, wofür wir bei aller Anstrengung selbst letztlich nichts können. Es ist im Unterschied zum geschmiedeten sogenannten Glück etwas Leichteres, froh Stimmendes. Es fällt uns zu und macht das Leben unbeschwert.
Der häufigste Glückwunsch, den wir zum Geburtstag bekommen, bestätigt das auf seine Weise. Er lautet: „Alles Gute und vor allen Dingen Gesundheit“. Denn selbst wenn wir noch so vernünftig essen, nicht ausschweifend und vorsichtig leben, ist niemand davor gefeit, zu stolpern und sich das Bein zu brechen, sich einen Virus einzufangen oder sonstwie krank zu werden. Doch nehmen wir an, dass alles passiert nicht und wir bleiben gesund: Sind wir dann glücklich?
Diese Frage macht das viel beschlabberte, aber auch ernsthaft gemeinte Reden vom Glück, für das wir nichts können, noch einmal in einer anderen Hinsicht kompliziert. Glück haben und glücklich sein, ist, liebe Gemeinde, offenkundig nicht dasselbe. Glück haben wir ohne Zweifel jeden Tag, indem wir gesund sind, indem andere Menschen uns mögen, indem wir Anerkennung für unsere Arbeit finden, indem unsere Kinder und Enkel gedeihen. Aber sind wir auch glücklich, wenn wir mehr oder weniger mit unserem Leben zufrieden sind?
Ich weiß nicht, liebe Schwestern und Brüder, wie Sie für sich selbst diese Frage beantworten würden. Aber vermutlich geht es Ihnen wie allen Menschen in dieser Hinsicht. Zufriedenheit kann auch furchtbar langweilig sein. Glücklich sein aber ist ein ganz besonderes Gefühl. Es stellt sich bloß in bestimmten, außerordentlichen Situationen bei uns ein. Es ist ein Gefühl, dass uns über den zufriedenen Trott durch’s alltägliche Leben hinweg schwingen lässt.
Von Menschen, die sich glücklich fühlen, sagen wir deshalb mit Recht, sie seien „außer sich vor Glück“. Die Liebe zu einem anderen Menschen, die den Plus höher schlagen lässt, die Empfindung der Schönheit einer Landschaft oder das Genießen eines Kunstwerks führt uns seelisch hinaus über die schweißtreibenden Schmiedewerkstätten unseres Lebens. Während dort schwere Hämmer wuchten, die müde und matt machen, stellt sich hier ein leichtes, schönes Einverstandensein mit unserem Dasein, ja eine Begeisterung dafür ein, wie gut es ist, auf dieser Erde zu leben.
Doch solche Gefühle des Glücklichseins, bei denen wir „außer uns sind vor Glück“ sind, halten leider nicht lange vor. Es sind bloß „Glücksmomente“, die – auch wenn sie manchmal etwas länger dauern – vergehen. „Glück und Glas, wie leicht bricht das“, hat der Volksmund diese Erfahrung mit Augenblicken, in denen wir uns glücklich fühlen, auf den Punkt gebracht.
Wir aber sind nach dem kleinen Durchgang durch die Bedeutungen des Wortes „Glück“ an den Punkt gelangt, an dem wir uns wohl fragen müssen, wie Gott und Glück gemäß unserer Jahreslosung eigentlich zusammen passen. Für uns evangelische Christinnen und Christen ist es nämlich eine ziemlich neue Botschaft, dass Gott nahe zu sein, unser „Glück“ ist. Wer seine Lutherbibel kennt, hat den 28. Vers des 73. Psalms nämlich ganz anders im Ohr. Denn dort steht:
„Das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte und meine Zuversicht setze auf Gott, den Herrn, dass ich verkündige all dein Tun“. Auch das ist freilich keine ganz genaue Übersetzung. Wörtlich muss es viel nüchterner heißen: „Gott nahe zu sein, ist gut für mich.“ Weil das aber viel zu nüchtern klingt, hat die Einheitsübersetzung der Bibel für alle christlichen Kirchen, aus der die Jahreslosung stammt, das Wort „Glück“ gewählt.
Diese Wahl hängt damit zusammen, dass der ganze 73. Psalm, an dessen Ende unsere Losung steht, tatsächlich vom Glück redet – allerdings vom Glück ganz anderer Leute als von dem derer, die sich Gott nahe wissen. Lang und breit wird da geschildert, wie gut es den Menschen geht, die gar nichts mit Gott zu tun haben wollen. „Sie sind glücklich in der Welt und werden reich“, heißt es in Vers 12. Ja, sie halten sich sogar noch viel darauf zu Gute, dass Gott in ihrem Leben keine Rolle spielt.
Was der 73. Psalm hier schildert, klingt darum fast so, wie Rita Kuczynski im vorigen Jahr unsere atheistischen, konfessionslosen Mitmenschen beschrieben hat. Sie hat sie befragt, was sie eigentlich glauben. Dabei kam raus: Sie „brauchen für ihre persönliche Sinnfindung keinen Gott, brauchen nichts Übersinnliches. […] Sie leben im Hier und Jetzt und sehen am Himmel nur Vögel, Flugzeuge und Wolken. Und: Ihnen fehlt nichts“, jedenfalls meinen sie, dass ihnen nichts fehlt.
Wir wollen jetzt gar nicht weiter nachprüfen, ob das stimmt. Zweifel sind erlaubt, ob jemand nichts fehlt, der von der wunderbaren Möglichkeit von uns Menschen, das Geheimnis Gottes zu berühren, keinen Gebrauch macht. Tatsache ist jedenfalls, dass Menschen mit einer solchen für Gott verschlossenen Lebenseinstellung in unserem Lande, in unserem Kirchenkreis Barnim gegenüber uns Christinnen und Christen zur großen Mehrheit geworden sind. In manchen Gegenden kann man schon von Glück sagen, überhaupt Christinnen und Christen anzutreffen. Viele beklagen das und jammern darüber. Doch das sollten sie nicht tun.
Denn mit dem 73. Psalm können wir unsere Situation auch anders einschätzen und sagen: „Ein Glück, dass wir von dem Sog des Vergessens Gottes in unserer Gesellschaft nicht erfasst worden sind. Es könnte ja auch sein, dass unsere Eltern (wie so viele andere Eltern) uns mit dem Glauben an Gott nicht vertraut gemacht hätten. Es könnte ja auch sein, dass wir nie einem Menschen begegnet wären, der uns diesen Glauben an Gott lieb und teuer gemacht hat.“
Es ist tatsächlich ein Glück, dass wir Eltern hatten und Menschen begegnet sind, die uns geholfen haben, einen Lebensweg in der Nähe Gottes zu finden. Gott ist in seiner unsichtbaren Geisteskraft zwar allen Menschen gegenwärtig. Aber nicht alle Menschen nehmen diese Gegenwart wahr, weil sie das Tor nicht kennen, durch das Gottes Nähe in unser Leben einströmt. Christinnen und Christen sind Menschen, bei denen dieses Tor geöffnet ist. Sie lassen in ihr Leben hinein, was ihnen aus der Bibel an Gotteskraft im Zeichen einer Liebe für uns aus der Ewigkeit Gottes zufließt.
Ja, liebe Gemeinde, wir Christinnen und Christen sind ohne Zweifel ganz besondere Menschen unter so vielen, welche sich mit Ideologien aller Art, mit prima Staubsaugern und Zahnbürsten durch‘s Leben wurschteln. Wir haben das Glück, Repräsentantinnen und Respräsentanten der Nähe des ewigen Gottes in unserer Gesellschaft zu sein. Sicherlich können wir ohne allen Hochmut sogar stolz darauf sein, dass unser Leben zum Tor für andere Menschen werden kann, Gottes ewiges Leben in unser irdisches Leben einströmen zu lassen. Sie erinnern sich: „Ich will all deine Taten verkündigen“ ist die Pointe des 28. Verses des 73. Psalms
Die Frage, ob wir selber glücklich sind oder werden, wenn wir das Glück annehmen, Gottes Nähe anderen Menschen nahe zu bringen, ist damit freilich noch nicht beantwortet. Sie ist schwierig – diese Frage. Denn sie hat zwei Seiten. Da sind auf der einen Seite diese Augenblicke, die Sie sicherlich, liebe Schwestern und Brüder, alle kennen. Das sind Augenblicke, in denen wir beim Beten, beim Singen, beim Vertiefen in ein Jesuswort oder in einen Psalm, beim Hineinsinnen in Gott, alles loslassen, was uns in die Praktiken der Lebensbewältigung von Menschen verstrickt. Glücksgefühl stellt sich ein, wenn alle „Zweifel, alle Kämpfe schweigen“ im Empfinden der Nähe Gottes.
Um dieses Glück zu genießen, sind Menschen in früheren Zeiten ins Kloster gegangen, so wie das etwa hier in Chorin der Fall war. Auch heute suchen Menschen mit Recht die Stille, die den geschäftigen, hektischen Alltag unterbricht, um die Nähe Gottes zu spüren und daraus Kraft für ein Leben aus dieser Nähe zu schöpfen. Diese Kraft ist nötig. Denn wer in der Nähe Gottes glücklich ist, will – und das ist die andere Seite der Sache – fortan nicht mehr bloß für sich allein glücklich sein.
Unsere Jahreslosung darf deshalb nicht so verstanden werden, als ginge es, wenn es um Gott geht, bloß um mein Glück, bloß um meine private Frömmigkeit, bloß um die Gefühle, die sich bei mir einstellen, wenn Gottes Nähe mich glücklich macht. Gott, dessen Nähe ein Mensch erfährt, aber ist der Gott aller Menschen. Mein Glück kann er nur sein, indem mir das Glück auch anderer Menschen am Herzen liegt.
„Das Glück ist das einzige, das sich verdoppelt, wenn man es teilt“, hat Albert Schweitzer gesagt. Wir tun das an diesem Kreiskirchentag, indem wir uns aneinander freuen und uns dabei mitteilen, wie gut es ist, in der Nähe Gottes zu leben. Aber wir wissen auch, dass es viel zu viele Menschen gibt, mit denen wir unser Glück gar nicht teilen können, weil sie nicht mit uns zusammen leben.
Täglich erreichen uns Nachrichten davon, wie Menschen sich in unserer Gesellschaft gegenseitig schinden und ins Unglück stürzen. Die Bilder von vertriebenen und misshandelten Menschen im Nahen Osten, in der Ukraine, in Afrika stehen uns gerade in diesen Tagen überdeutlich vor Augen. Wir können wir da glücklich sein, ohne zu trauern, ohne zu weinen, ohne uns zu empören?
Die Antwort darauf ist: Wir können das nicht. Ein Glück von uns Christinnen und Christen, welches das Leid anderer Menschen vergisst und verdrängt, ist kein wahres, beständiges, geerdetes Glück. Es kann nur „Glück“ heißen, wenn es auch zum Glück für andere wird, wenn im Barnim, in Eberswalde und sonstwo ein Anfang mit dem Eintreten für ein gutes, von Gott bejahtes Leben anderer Menschen, die Unglück leiden müssen, gemacht wird. In der Nähe Gottes gilt nicht, dass man in dieser Hinsicht nichts machen kann. Denn ein noch so kleiner Anfang ist da besser als gar kein Anfang. Er ist wie eine Quelle, die sich beständig mit Wellen der Menschlichkeit in einem See von Gleichgültigkeit gegenüber dem Elend von Gottes Geschöpfen ausbreitet.
Solcher Anfang, den wir heute auch wieder an diesem Kreiskirchentag machen, hilft, dem Hass, in dem sich Menschen gegen Menschen versündigen, innerlich das Wasser abzugraben. Denn Zukunft hat in dieser Welt niemals die Zerstörungswut. Zukunft hat, was Menschen, wo immer sie sind, in der Nähe Gottes zusammen bringt. Wenn Gott nahe zu sein, ihr Glück wird, dann kann es auch ganz ungeschmälert unser Glück sein. Amen.