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16.12.2017 17:49 Alter: 6 yrs
Kategorie: Predigten

Der Wegbereiter (Matthäus 11, 2-6)

Predigt am 3. Advent 2017 in der Nordendgemeinde Berlin


Als aber Johannes im Gefängnis die Worte Christi hörte, sandte er seine Jünger und ließ ihn fragen: Bist Du es, der da kommen soll oder sollen wir auf einen anderen warten? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und den Armen wird das Evangelium gepredigt und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.

Liebe Gemeinde,

„Bist du, der kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten“? Diese Frage ist das letzte, was wir im Neuen Testament von Johannes, dem Täufer, selbst hören. Es ist die Frage eines Menschen, der gänzlich abgeschnitten ist vom Leben draußen. Er sitzt Gefängnis; also wahrscheinlich in einem dunklen, vergitterten Loch irgendwo im Keller der Festung Machärus. Diese Burg mit einem Palast hatte Herodes Antipas, ein von der römischen Besatzungsmacht Israels abhängiger Vasallenkönig, an der Grenze des römischen Herrschaftsgebietes in Israel östlich des Toten Meeres im heutigen Jordanien errichten lassen.

Er hat Johannes dort einsperren lassen, weil der die zweite Ehe von Herodes, die auf der Vertreibung seiner ersten Ehefrau beruhte, öffentlich angeprangert hatte. Aber es ging dabei um mehr als nur um diese Ehegeschichte. Denn Johannes war für die politische Optik von damals nicht irgendwer. Er war ein Bußprediger, der zur Beunruhigung der Römer und ihrer Kollaborateure Massen von Menschen in Bewegung gesetzt hat.

Sie pilgerten hinaus in die Wüste, wo dieser Asket, der sich von Heuschrecken und wildem Honig ernährte, das Weltende prophezeite. „Ihr Otterngezücht“, hat er die, die zu ihm kamen, angedonnert. „Wer hat euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet? […] Die Axt ist den Bäumen schon an die Wurzel gelegt. Jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen“. Es gebe nur einen Ausweg aus diesem drohenden Geschick. Und der heißt: Buße tun.

Diese seine Botschaft hat gezündet. Es entstand eine ziemlich bedeutende Bewegung von Anhängern des Johannes. Ihr Kennzeichen war, dass sie sich von ihm im Jordan taufen ließen, um ihre Sünden abzuwaschen. Denn Sünde, Sünde und immer wieder Sünde – das war vor allem das Thema seiner mit Gotteszorn geladenen Wüstenpredigten. Er hat jedem Einzelnen vorgehalten, wie sein Leben vor Gott in Wirklichkeit aussieht: eine einzige Schande, nur dessen wert, dass es von Gott verneint wird.

Da spielt‘s auch keine Rolle, ob man König oder Königin ist und seine Untaten mit schönem Glanz übertüncht. Johannes hat mit seiner Gerichts- und Bußpredigt vor den Mächtigen nicht Halt gemacht und das hat ihn ins Gefängnis gebracht. Er wurde weggesperrt ins finstere Loch. Man hat ihn schließlich dort ermordet.

Vermutlich ist es eine Legende, dass dieser Mord der Lohn für den Tanz der kleinen Salome, der Tochter der zweiten Frau von Herodes, der Herodias, gewesen sei. Aber auch ohne diese makabre Ausschmückung, welche die Verworfenheit dieser Königsfamilie zeigen soll, bleibt ein solcher Tod ein schreckliches Ende für diesen Propheten. Die Stimme des Predigers in der Wüste sollte zum Verstummen gebracht werden. Und auch seine letzte Frage, ob es nicht Jesus sei, der endlich eine Welt ohne Gottes- und Menschenverachtung herauf führen werde, sollte damit abgewürgt werden.

Sie wäre vermutlich auch tatsächlich in Vergessenheit geraten, wenn gerade dieser Jesus ihr nicht einen bleibenden Resonanzraum gegeben hätte. Denn die Jesusgeschichte, so wie sie die Evangelien überliefert und geformt haben, ist voll von Beziehungen auf diese für unser Empfinden ja doch einigermaßen bizarre Gestalt des Johannes.

Schon vor ihrer Geburt werden die Mütter von beiden, Maria und Elisabeth, durch den Weg „übers Gebirg“ miteinander in Kontakt gebracht. Davon handelt ja das schöne Adventslied „Übers Gebirg Maria geht zu ihrer Bas Elisabeth“, das sich leider für den Gemeindegesang nicht so recht eignet. Es bringt ganz schön die Darstellung des Neuen Testaments zur Geltung, dass Johannes der ist, der Jesus mit seiner Bußpredigt und seinem Taufen den Weg gebahnt hat.

Ob Jesus selbst einmal richtiggehend zu den Johannesjüngern gezählt hat, darüber streiten sich die Gelehrten. Unzweifelhaft ist aber, dass er sich selbst von Johannes zur Vergebung der Sünden taufen ließ. Ja, wir alle tragen als Christenmenschen das Johanneszeichen! Das ist die Taufe mit Wasser zur Vergebung der Sünden. Es ist sicherlich darum zum Zeichen des Beginns eines christlichen Lebens geworden, weil es im Leben Jesu selbst eine so grundlegende Rolle gespielt hat. 

Wer an Jesus Christus glaubt, hat es also zugleich auch immer mit Johannes, dem Täufer, zu tun. Er ist der Mann vor Jesus, den Jesus selbst offenkundig hoch geschätzt hat. Er ist zudem der Prophet, der ein Standbein unseresGlaubens tief in die Geschichte Israels hineinsetzt: der zu Christus Gehörende, der doch kein Christ ist.

Er ist der Mann, der ja auch Recht hat, wenn er uns über die Zeiten hinweg andonnert mit seiner Bußpredigt ohne Wenn und Aber. Nichts ist hier mit schöner Rumdeutelei an der menschlichen Religion, die sich einen Gottesglauben, der gut und zeitgemäß funktioniert, zurecht schwatzt.

Der Täufer ist der Religionskritiker schlechthin, der die Schliche der Christenheit, sich Gott zu entziehen, im Voraus kennt. Er ist unser reinigendes Gewitter, liebe Gemeinde, das wir brauchen, wenn der Qualm unserer weihnachtlichen Rauchopfer uns bloß gefühlsduselig statt wach für Gott selbst macht. Er ist der Signalton, der anzeigt, wie wir vor Gott und unter den Menschen ungeschminkt und unverstellt dastehen. 

Die von mir mit heraus gegebene Kirchenzeitung hatte dagegen leider den problematischen Einfall, uns geradezu als Summe des Reformationsjubiläums zu empfehlen, aufzuhören, von der Sünde zu reden. Dahinter steckt die Ansicht, dass Menschen so schlecht nicht sind, dass sie der  Buße, der Umkehr täglich bedürfen. Johannes und mit ihm Jesus, der sich zur Vergebung der Sünden taufen ließ, stehen deshalb im Verdacht, uns bloß schlecht machen zu wollen. 

Was Johannes betrifft, so können wir diesen Verdacht sicherlich auch verstehen. Als „Otterngezücht“ möchten wir nicht angeredet sein. Es fröstelt uns richtiggehend ein bisschen bei seinen Donnerworten. Darum ist Johannes eigentlich niemand, in dessen frostiger Atmosphäre man verweilen möchte. Sie lädt uns nicht ein. Sie pufft uns bloß an und erzeugt Abwehrreaktionen wie die in der Kirchenzeitung. 

Wenn wir die Geschichte des Lebens Jesu kennen, verstehen wir deshalb auch, warum er nicht Jünger in des Täufers frostiger Atmosphäre geworden oder geblieben ist. Unser Evangeliumstext sagt es ja im Grunde auch. Johannes wollte wissen, ob mit Jesus nun endlich der große Krach des Strafgerichts über die sündige Welt losgeht. Jesus aber sagt den Johannes-Jüngern, sie sollen ihrem gefangenen Meister einfach nur erzählen, was sie dort sehen und hören, wo Jesus ist. 

Mitten in einer zerrissenen, mit Krankheit, Tod und Armut geplagten Welt gibt es schon Heilsein. Mitten in dieser Welt ist der Tod schon nicht mehr die absolute Grenze für Menschen. Mitten in dieser Welt erscheint auf den Gesichtern der Armen schon ein Lächeln. Jesus hat nicht mehr mit Johannes gewartet, bis einer kommt, der es mit großem Bums diesen elenden Sündern allesamt heimzahlen wird. Er hat mit dem Gottesreich der Liebe einfach angefangen.

Denn Gott hat ihm ein Herz gegeben wie seins, das niemand verloren gibt, dem die absurde Zerstörungsmacht des Bösen den Leib und die Seele, die Seele und den Leib zerfrisst. „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“, so endet das 11. Kapitel des Matthäusevangeliums, das mit der Täuferfrage begonnen hatte. Es ist eigentlich die Antwort, die Jesus gegeben hat, als er die Johannes-Jünger bat, doch hin zusehen, was in seiner Nähe geschieht und die Atmosphäre des Friedens des Gottesreiches zu spüren, die er bringt. 

Ob Johannes das überzeugt hat, was seine Jünger ihm dann davon berichtet haben? Die Möglichkeit, dass er zu denen gehört haben könnte, die sich an ihm ärgern, besteht immerhin. Von denen gibt es ja bis heute genug. Religion ist Opium fürs Volk, bringen so und so viele Lehrinnen und Lehrer in den Schulen noch heute unseren Kindern bei. Denn was ist das denn schon: Diese paar gesund Gemachten, diese paar aufgerichteten Armen, das bisschen  Friedensatmosphäre. Was ist das schon: die Engelchen und Schwippbögen überall in den Fenstern, wenn wir uns das große Elend ansehen, das nach wie vor die Erde mit Jammer und Not, mit Terror und Krieg überzieht? 

Wir wissen es alle: Der Anfang mit dem Gottesreich, den Jesus gemacht hat, ist damals wie heute wieder und wieder zertreten und verhöhnt worden. Niemand hat die Menschen gezählt, die angesichts dessen heutzutage mit leeren Augen auf überhaupt nichts mehr warten. 

Und doch, liebe Schwestern und Brüder, wäre unsere Welt unendlich arm, wenn es diesen Anfang nicht gegeben hätte; wenn unsere Erde diesen Samen nicht empfangen hätte, den Jesus mit göttlicher Unwiderruflichkeit in sie gesenkt hat. Denn es ist ein Anfang voller überquellender Menschenfreundlichkeit, die keine verlorenen und abgeschriebenen Fälle kennt. In seine Atmosphäre können alle jederzeit einkehren und erleben wie das ist, wenn sie sich als menschliche Menschen aufrichten können. Das setzt all unser Bemühen ins Recht, schon den Anfang des Lebens Jesu, schon seine Geburt als ein Großereignis der Menschenwürde zu feiern. 

Ob die Johannes-Jünger in der Lage waren, die Wärme der Botschaft Jesu ins finstere Loch zu tragen, wissen nicht. Aber wir dürfen wohl annehmen, dass sie in Jesu Sinne auch den Täufer wie uns wärmen und umfangen wollte. Darum steht er für uns nun doch nicht bloß als kaltes Signal in der Wüste herum, das Stop für das „Otterngezücht“ ruft. Matthias Grünewald hat ihn auf dem Isenheimer Altar mit einem überlangen Zeigefinger gemalt, mit dem er auf Jesus zeigt. Aus dem Mann mit der abweisenden Atmosphäre ist ein Einladender geworden, weil Jesus Christus ihn nicht losgelassen hat. 

Auf diese Weise werden wir, liebe Gemeinde, die wir das Johanneszeichen tragen, am Ende dann aber auch selber noch zu Weggefährten des Täufers. Denn seine Funktion als Rufer in der Wüste hat sich noch längst nicht erschöpft, weil die Wüste um uns her und auch in uns noch da ist. 

Wir sind als Christinnen und Christen heutzutage ja selber so etwas wie Ruferinnen und Rufer in der Wüste von Gottesverachtung und Menschenhass. Aber wir sind es nicht im Donnerton des Johannes, dem die kirchlichen Verlautbarungen über das Weltelend von heute oft nur allzu ähneln. Wir sind es so, wie Jesus die schroffen Wüstenpredigten des Täufers in‘s werbende Einladen für das Gottesreich der Liebe umgewandelt hat.

„Wie soll ich dich empfangen“? werden wir mit Paul Gerhardts wunderschönem Lied gleich singen. Bei genauem Hinsehen geben uns die 10 Strophen dieses Liedes allerdings nur in der 2. Strophe eine Antwort: Wir ermuntern uns mit Psalmen unseren Sinn und dienen dem Namen Christi mit Lob und Preis. Alle anderen Strophen aber reden dagegen davon, was wir von Jesus Christus empfangen haben. 

Das ist auch richtig und gut. Am 3. Advent, der an Johannes, den Täufer, erinnert, aber könnten wir durchaus noch  eine 11. Strophe hinzufügen. Sie hätte davon zu singen und zu sagen, dass Jesus in uns Christinnen und Christen auf Menschen, trifft, welche – die Taufe weist es aus – Weggenossinnen und Genossen Johannes des Täufers sind. Diese Strophe hätte also davon zu singen und zu sagen, dass wir durch den Wegbereiter Jesu schon wach gerüttelt sind; wachgerüttelt nämlich, um Jesu Botschaft vom Reich des Friedens und der Barmherzigkeit mit offenen Herzen und tatkräftigen Händen entgegen zu gehen. Amen.


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