Predigten
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25.12.2009 00:00 Alter: 14 yrs
Kategorie: Predigten

Ochs und Esel, Jesaja 1, 3 / Lukas 2

Predigt in der St. Matthäuskirche Berlin am 25.12.2009


Liebe Gemeinde,

von einer Krippe ist in der Bibel an zwei Stellen die Rede und beide sollen im Zentrum dieser Predigt stehen. Die eine Stelle haben wir an diesem Tage alle aus der Weihnachtsgeschichte des 2. Kapitels des Lukasevangeliums im Ohr: ... und Maria „gebar ihren ersten Sohn, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge“. In dieser Krippe treffen die Hirten, wie ihnen verheißen wurde, den neugeborenen Jesus im Stall von Bethlehem denn auch an. Die zweite Stelle aber steht im Alten Testament im 1. Kapitel des Jesaja-Buches. Dort heißt es im dritten Vers: „Ein Ochse kennt seinen Besitzer und ein Esel die Krippe seines Herrn. (Aber) Israel hat nichts erkannt, uneinsichtig ist mein Volk“.

Unsere Kirche hat diese alttestamentliche Stelle seit langen Zeiten mit der Weihnachtsgeschichte in Beziehung gesetzt. Schon die phantasiereichen Evangelien, die nicht in das Neue Testament gekommen sind, haben damit angefangen und die alten Kirchenväter sind ihnen darin gefolgt. Das hat Wirkung gezeitigt. Ochse und Esel, von denen die Weihnachtsgeschichte nichts weiß, sind im Laufe der Geschichte der Christenheit unwiderruflich in den Stall von Bethlehem einwandert.

Auf nahezu jeder Darstellung der Krippenszene blicken sie mit Maria und Joseph, mit den Hirten und häufig auch mit ihren Schafen andächtig auf das Jesuskind. (Wir sehen das hier auf diesem Wandteppich aus unserer Zeit ebenso wie auf dem wunderschönen Bild aus dem Jahre 1480, das die Titelseite unseres Gemeindebriefes ziert). Ohne Ochse und Esel ist jede Weihnachtskrippe, die das christliche Kunstgewerbe auf die Weihnachtsmärkte und in die Wohnzimmer bringt, unvollständig. Warum aber – mag sich ein bibelkundiger Christenmensch fragen – haben sich Ochse und Esel gegen den Text bei Lukas so erfolgreich im Stall von Bethlehem fest setzen können?

Noch verwunderter mögen das die fragen, die von der Bibel keine Ahnung haben. Denn Ochsen und Esel gelten in unserer Sprache und Vorstellungswelt nicht gerade als Symbole für etwas Edles und Erstrebenswertes. Der „blöde Ochse“ und der „dumme Esel“ sind im Gegenteil vielmehr regelrecht Spitzenreiter unter unseren Schimpfworten. In diesem 20. Jahr nach dem Fall der Berliner Mauer ist z.B. mehrfach daran erinnert worden, dass Erich Honecker kurz vor seiner Absetzung in diesem Sinne auch den Ochsen und den Esel bemüht hat. Am 6. Oktober 1989 hat er am Vorabend des 40. Jahrestages der DDR der staunenden Weltöffentlichkeit verkündet: „Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf“.

Viele Kommentatoren dieses merkwürdigen Ausspruchs haben damals gemeint, der alte Honecker sei am Ende seiner real-sozialistischen Regierungszeit wohl nicht mehr ganz bei Troste gewesen. Angesichts eines bankrotten Staatswesen die Menschen als Ochsen und Esel zu beschimpfen, die auf eine Erneuerung der Gesellschaft drängten, erschien ihnen als Ausdruck von Altersstarrsinn dieses einstmals mächtigsten Mannes in der DDR. Das war es wohl auch, aber zugleich war es doch auch noch mehr; nämlich eine Jugenderinnerung.

Denn Honecker hat hinzugefügt, es handele sich bei dem Spruch vom Lauf des Sozialismus, den Ochs und Esel nicht aufhalten können, um eine „alte Erkenntnis der deutschen Arbeiterbewegung“. Und in der Tat: Es ist belegt, dass die Aktivisten der SPD am 1. Mai 1890 am Müggelturm ein großes Plakat anbrachten, auf dem dieser Spruch stand.

„Ochs und Esel“ fallen einem jedoch beim besten Willen nicht ein, wenn man sich mitten im Frühling an einem 1. Mai aufmacht, um gegen die Verelendung der Arbeiterschaft zu protestieren. „Ochs und Esel“ sind in diesem Spruch vielmehr eindeutig unsere in die Weihnachtsgeschichte eingewanderten lieben Tiere. Man kann sogar auch erklären, warum sie in der Arbeiterbewegung vor über 100 Jahren in den schlechten Ruf gekommen sind, Hemmschuhe, wenn nicht gar Feinde des Sozialismus zu sein. Das hängt nämlich merkwürdigerweise mit der Entstehung der spezifisch deutschen Art, Weihnachten am Heiligabend zu feiern, zusammen.

An sich sind ja Christenmetten zur Mitternacht eine alte christliche Tradition. In Deutschland wurden sie jedoch im 18. Jahrhundert verboten. Denn es war in der Bevölkerung üblich geworden, aus diesem Anlass ausschweifende Saufgelage zu veranstalten und auf den Straßen (ähnlich wie heute zu Silvester) herum zu krakelen. Die Folge des Verbotes dessen war, dass sich die Feier des Heiligen Abends in die Familien verlagerte, allerdings vor allem in die begüterten bürgerlichen Familien. Thomas Mann hat in den „Buddenbroks“ auf köstliche Weise geschildert, wie man sich eine solche Feier vorzustellen hat.

Die weitgehend verarmte Arbeiterschaft aber konnte sich dergleichen nicht leisten. Deshalb begannen viele Gemeinden, Weihnachtsfeiern für die Familien, die kein Weihnachten feiern konnten, in den Kirchen auszurichten. Sie versetzten zu diesem Zwecke den Christbaum und die Krippe mit Ochs und Esel aus der Wohnstube in die Kirche. Dieses erste Modell eines „Familiengottesdienstes“ ist dann im Laufe der Zeit zur religiös erfolgreichsten gottesdienstlichen Feier in Deutschland geworden. Volle Kirchen am Heiligen Abend prägen das Bild des 24. Dezember in Deutschland, während der eigentliche Weihnachtsfeiertag, der 25. Dezember, zu einer Art besinnlicher Nachfeier für die „normale“ Gottesdienstgemeinde geworden ist.

Am Ende des 19. Jahrhunderts jedoch wurde das kirchliche Bemühen um Heiligabendfamiliengottesdienste noch zusätzlich durch eine antireligiöse Konkurrenz angetrieben. Die SPD und andere „freisinnige“, atheistische Vereine hatten nämlich begonnen, ihrerseits am 24. Dezember Weihnachtsfeiern mit Bescherungen für Kinder armer Eltern zu veranstalten. Dabei wurden die christlichen Weihnachtsfeiern scharf als Verdummung des unterdrückten Volkes angegriffen.

„Blick auf, ein Stern in hellem Scheine, der Sozialismus winkt dir zu und der Erlöser der bist du“, heißt es z.B. in der sog. „Weihnachtsmarseillaise“, die bei solchen Feiern gesungen wurde. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass die „alte Erkenntnis der Arbeiterbewegung“, Ochs und Esel könnten den Sozialismus nicht aufhalten, in solchen Feiern ihren Ursprung hat. Diese „Erkenntnis“ meint eigentlich: Die Religion ist der Hemmschuh des sozialen Fortschritts der Menschheit. Der „blöde Ochse“ und der „dumme Esel“ sind ihr Markenzeichen.

Nun gäbe es einiges dazu zu sagen, wie viel unsere Kirche trotz der just in jener Zeit ins Leben gerufenen „inneren Mission“ damals an sozialem Engagement versäumt hat. Die Entfremdung der Arbeiterschaft von der Kirche ist – besonders im Osten Deutschlands – eine der Wurzeln der massenweisen „Konfessionslosigkeit“ der Menschen von heute. Aber „Ochs und Esel“ möchte ich doch gerne vor der Anschuldigung in Schutz nehmen, mit ihnen sei die Tumbheit für die sozialen Grunderfordernisse des menschlichen Lebens in die Weihnachtsgeschichte und damit auch in die Christenheit eingewandert.

Wie im Alten Testament so oft werden nämlich in unserem Jesajatext die Tiere als Vorbild für ein verständiges und lebenskluges Verhalten von Menschen herangezogen. Ochse und Esel wissen, wo sie hingehören. Das ist die Erkenntnis, die man nach Jesaja bei der Beobachtung ihres Verhaltens gewinnen kann. Sie kennen ihren Besitzer und wissen, in welcher Krippe sie Futter finden. Gottes Volk aber hat vergessen, zu wem es gehört und woher es Kraft für sein Leben empfängt. Zwar feiert es die religiösen Feste. Aber das bleibt kultisches Brimborium, wenn „Recht und Gerechtigkeit“ in diesem Volk mit Füßen getreten werden. Der Prophet Jesaja startet darum nach dem Hinweis auf Ochs und Esel seine Botschaft mit einer schneidenden Gerichtspredigt, die sich auf jeder kommunistischen Weihnachtsfeier sehen lassen kann.

Die Anführer des Volkes werden als „Mörder, Abtrünnige und Diebesgesellen“ angeklagt. Sie trachten nicht nach Gerechtigkeit, sondern nach Unterdrückung der Armen. Sie schaffen den „Waisen“ nicht Recht und nehmen sich nicht der Witwen an. Ihre Hände sind voll Blut. Sie müssen „schamrot“ da stehen, nicht nur vor Gott und den Menschen, sondern auch vor Ochs und Esel. Es gibt kein größeres Missverständnis der beiden, als sie zu Wappentieren einer Religion der Unterdrückung und Verdummung armer, leidender Menschen zu machen. Der Ochse, den Jesaja hier meint, veranlasst zum Brüllen und der Esel zum Schreien, wenn Recht und Gerechtigkeit mit Füßen getreten werden.

Im Stall von Bethlehem, liebe Gemeinde, aber haben Ochs und Esel allerdings keinen Grund, sich als Protestochse und -esel zu präsentieren. Da sind sie ganz friedlich hinein genommen in eine neue Welt der Gerechtigkeit und des Friedens, die von dem Kinde ausstrahlt, das in der Krippe liegt. Diese Krippe ist nun nicht mehr bloß ein Futtertrog. Sie, die doch eigentlich bloß für das Leben von Tieren nötig ist, hat sich durch dieses Kind zur Lichtquelle einer befriedeten Welt für die ganze Schöpfung gewandelt.

Wir können es deshalb schon verstehen, warum die frühe Christenheit dem Ochsen und dem Esel die Tür zum Stall von Bethlehem geöffnet hat, die beim Evangelisten Lukas noch geschlossen ist. Sie hat das getan, weil sie die Zeugen nicht missen wollte, die für die wundersame Wandlung des Fresstroges von Ochsen und Eseln zur Heimstatt Gottes auf unserer Erde gut stehen. Sie hat damit auch dem Alten Testament, sie hat Israel seinen Platz an der Seite des Jesuskindes behauptet.

Es zählt allerdings zu den weniger glücklichen Einfällen der Kirchenväter, dass sie Ochse und Esel dann noch einmal auseinander dividiert haben. In ihrem Bemühen, allen biblischen Worten eine tiefere Bedeutung abzuschnuppern, haben sie gemeint, der unter seinem Joch ächzende Ochse sei das Sinnbild Israels und der Lastesel das der Heiden. Das können wir getrost auf sich beruhen lassen.

Aber die Geschichte der Verheißung, die durch Ochse und Esel im Stall von Bethlehem gegenwärtig ist, die bleibt auch für uns eine Weihnachtsbotschaft von großer Dynamik. Sie setzt mit Ochs und Esel an ihrer Krippe ein. Sie folgt dem Wege der Menschen bis heute, die durchs Finstere menschlicher Gottlosigkeit und menschlichen Unrechts wandeln. Aber sie sieht am Ende ein großes Licht, in dessen Scheine es heißt: „Denn es ist uns ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben“ und in ihm „wird des Friedens kein Ende sein“.

Indem Ochse und Esel an der Krippe stehen, in der dieser Sohn liegt, machen sie die Beständigkeit und Unwiderruflichkeit von Gottes Verheißung sinnenfällig: Gott wird nicht davon lassen, für seine Geschöpfe, für uns, eine Welt des Friedens und der Gerechtigkeit zu bereiten. Im Stall von Bethlehem ist sie schon Wirklichkeit. Da erledigt der sich der schlechte Ruf, in den Ochs und Esel von einem ideologisch verzerrten Blick auf Weihnachten gebracht werden sollten, von alleine.

Über den von Honecker so geschätzten Ochs- und Eselspruch können wir deshalb wirklich nur kichern. Im Unterschied dazu werden wir die beiden echten Einwanderer in den Stall von Bethlehem mit Freuden begrüßen. Denn sie sind mit ihrem biblischen Tiefgang und Horizont unentbehrliche Gehilfen unserer biblisch verankerten Weihnachtsfreude. Mehr noch: Sie sind – „sozialistisch“ gesprochen – unsere liebenGenossen auf dem Wege des Friedens und der Gerechtigkeit, den uns Gott in Israel und im Stall von Bethlehem gebahnt hat. Amen.


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