Kategorie: Vorträge
Vier Vorträge zum Problem des Atheismus bei einem Absolventenkurs des Kirchlichen Fernunterrichts
am 08./09.04.2011 in Neudietendorf
Gottesvergessenheit als selbstverständliche Lebenshaltung und „Neuer Atheismus“ I. Atheismus als gesellschaftliches Milieu Der Atheismus ist ohne Zweifel das größte Problem und die größte Herausforderung für die Kirchen des Ostens Deutschlands. Das gilt zunächst in einem äußerlichen Sinne für unsere Kirchen, welche die Struktur einer über das ganze Land verbreiteten Institution haben. Wenn drei Viertel der Bevölkerung nicht der Kirche angehören, , dann steht in Frage, ob die Kirche ihre Präsenz an jedem Ort wird halten können. Es gibt besonders im ländlichen Bereich heute schon mehr oder weniger weiße Flecken auf der kirchlichen Landkarte, wo kaum noch Christinnen und Christen wohnen und kaum noch christliches Leben stattfindet. In den Städten merkt man das nicht so. In Wahrheit sieht es da noch dramatischer aus. In Ost-Berlin gehören nur 9,1 % der Bevölkerung der Evangelischen Kirche an; in manchen Stadtteilen sind es gerade einmal 2 %. Andererseits stellt der Massenatheismus der Bevölkerung die Existenz und die Botschaft der Kirche aber auch nachhaltig innerlich in Frage. Die sog. „Konfessionslosen“ im Osten Deutschlands führen vor Augen, dass Menschen auch ganz gut ohne den Glauben an Gott leben können und dass das, was die Kirche sagt, lebt und ihnen anbietet, für sie überflüssig und wertlos ist. Daran ändert auch nichts ihre hin wieder zu beobachtende Bereitschaft, sich für die Erhaltung von Kirchengebäuden, die das Gesicht der Städte und Dörfer prägen, einzusetzen. Eine innere Beziehung zum Gottesglauben und zur Kirche entsteht da nur in Ausnahmefällen. In den über zwanzig Jahren nach dem Ende des „real existierenden Sozialismus“ hat sich an den atheistischen Grundeinstellungen der großen Mehrheit der Bevölkerung des Osten Deutschlands so gut wie nichts geändert. Das ist in Deutschland auch gesamtgesellschaftlich akzeptiert. Denn einerseits ist die Freiheit, keine Religion zu haben, in dieser pluralistischen Gesellschaft garantiert. Über 20 % der Bevölkerung in den alten Bundesländern macht von dieser Freiheit auch Gebrauch. Andererseits reichen atheistische Überzeugungen auch bis in die „volkskirchliche“ Wirklichkeit hinein, so dass die „christlichen“ Verwandten aus dem Westen z.B. kein Problem damit haben, mit östlichen Familien die Jugendweihe zu feiern. Diese Feier ist – obwohl sie ohne religiöse oder religionsähnliche Elemente nicht auskommt – aber keineswegs Ausdruck einer „Wiederkehr der Religion“ oder der „Respiritualisierung“ der Gesellschaft, wie sie in Westeuropa und anderen Teilen der Welt beobachtet wird. Es handelt sich vielmehr um einen Passageritus aus der DDR-Zeit, der zwar ideologisch entrümpelt und verflacht ist, aber immer noch eine atheistische Grundierung hat. Wer seine Kinder zur Jugendweihe schickt, gibt zu erkennen, dass er mit „Religion“ nichts zu tun haben will. In diesem Sinne ist die Jugendweihe Ausdruck einer verfestigten spezifisch östlich-atheistischen Lebensweise. Die Erwartung, dass sich die Menschen nach dem Zusammenbruch einer vierzigjährigen atheistischen Weltanschauungsdiktatur wieder den Kirchen oder sonst einer religiösen Lebensorientierung zuwenden werden, hat deshalb getrogen. Selbst Sekten fassen hier keinen Fuß, wie anfänglich befürchtet. Der Osten Deutschlands ist ein religiös dürres Land geworden. Während sich die sogenannten „Errungenschaften des Sozialismus“ im Eiltempo verflüchtigt haben, ist der Atheismus des überwiegenden Teils der Bevölkerung seine gewissermaßen erfolgreichste Hinterlassenheit. Er hat regelrecht ein gesellschaftliches Klima geschaffen, in dem das Leben ohne die Kirche und ohne den Glauben zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Der größte Teil der Bevölkerung hat sich auf die Dauer an das Leben ohne den Glauben an Gott einfach gewöhnt. Diese Gewöhnung hat im geistigen Haushalt wie in der Lebensführung der Menschen zu einem tief greifenden Traditionsabbruch der christlichen Überlieferungen und Lebensorientierungen und zur Entfremdung von den kulturellen Prägungen der Gesellschaft durch das Christentum geführt. Christlicher Glaube oder christliche Frömmigkeit kommen in den Familien nicht mehr vor. Schon die Großeltern, vielleicht sogar die Urgroßeltern, waren nicht in der Kirche; die Nachbarn, Freunde und Arbeitskollegen sind es auch nicht. So ist ein gesellschaftliches Milieu entstanden, das Alles, was ausdrücklich mit „Religion“ zu tun hat, von sich abweist. Dieses Milieu regeneriert sich seit dem Umbruch der Gesellschaft in den Jahren 1989/90 beständig selbst. Unterstützt wird das bei der heranwachsenden Generation heute in nicht geringem Maße durch die Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen, von denen die große Mehrheit nach der „Wende“ weitermachen konnte. Sie sind aus alter Gewohnheit selbstverständlich Trägerinnen und Träger atheistischer Überzeugungen. Das Urteil z.B., dass Religion „unwissenschaftlich“ sei und einer vergangenen Zeit angehöre, findet hier immer neue Belebung. Es ist darum schwierig, den in der Verfassung Deutschlands garantierten Religionsunterricht überall an den Schulen zu etablieren. In Berlin wird er zur Zeit durch das obligatorische Pflichtfach „Ethik“ an den Rand gedrängt. Das geht, weil Lehrer und Eltern weitaus überwiegend der Meinung sind, dass „Religion“ nicht an die Schule gehört. Es wäre jedoch verkehrt, angesichts des Widerstandes, der sich hier gegen die Bildungsaufgabe der Kirchen im öffentlichen Raum zeigt, die Glaubensferne der konfessionslosen Bevölkerung mit einer kämpferischen Wendung gegen den Glauben gleichzusetzen. Vom Freiheits- und Emanzipationspathos des europäischen Atheismus ist der Gewohnheitsatheismus, von dem wir hier reden, ziemlich weit entfernt. Die Konfessionslosigkeit im Osten Deutschlands aber hat im Ganzen keine Aufklärungsinteressen. Sie zeichnet sich vielmehr durch eine gänzliche Gleichgültigkeit gegenüber dem Gottesglauben aus. Es ist darum die Frage, ob die Bezeichnung „Atheismus“ für diese Art von Konfessionslosigkeit überhaupt richtig ist. Ich rede lieber von Gottesvergessenheit, die so tief ist, dass die Menschen sogar schon vergessen haben, dass sie Gott vergessen haben. Man merkt das daran, dass sich die Allermeisten gar nicht mehr die Mühe machen, an die Frage der Widerlegung des Gottesglaubens oder die Begründung des Atheismus noch irgendwelchen Schweiß zu verschwenden. Für sie ist der Glaube an Gott unter die Schwelle der Konfliktfähigkeit gesunken. Sie kennen gar nicht mehr, was sie faktisch-praktisch verneinen. Charakteristisch ist die Äußerung von Jugendlichen bei einer Befragung auf dem Leipziger Hauptbahnhof. Auf die Frage, ob sie sich „eher christlich oder eher atheistisch“ verstehen, haben sie geantwortet: „Weder noch, normal halt“ (vgl. Monika Wohlrab-Sahr, Religionslosigkeit als Thema der Religionssoziologie, Pastoraltheologie 90, 2000, 152). Nur, was ist „normal“? Diese Frage muss die Kirchen und Gemeinden interessieren, wenn sie in Kontakt zu Menschen aus dem gottesvergessen-konfessionslosen Milieu kommen bzw. das Gespräch mit ihnen suchen. Denn die Frage, welche Grundüberzeugungen im konfessionslosen Milieu als „normal“ gelten, ist wichtig, wenn man verstehen will, was diese Menschen umtreibt, welche Fragen sie haben und worauf einzugehen ist, wenn auf den christlichen Glauben die Rede kommt. Doch trotz etlicher Umfragen in der konfessionslosen Bevölkerung und einigen Erfahrungswerten ist es nicht ganz einfach, das „Normale“ von Lebenseinstellungen ohne Gott, aber auch ohne ein explizit atheistisches Bewusstsein zu erfassen. Dennoch können wir einige Eckpunkte benennen, zwischen denen sich das Leben abspielt, in dem Gott vergessen und der Atheismus als solcher uninteressant ist. 2. Zum Profil der Gottesvergessenheit Drei Beobachtungen können wir sicher verallgemeinern, wenn wir das Phänomen des geschilderten Gewohnheitsatheismus charakterisieren wollen: 1) Keine bedeutende Rolle spielt die Weltanschauung des dialektischen und historischen Materialismus mehr, welche den Menschen in sozialistischen Zeiten einmal den Glauben ausgetrieben hat. Das komplizierte Konstrukt einer Weltanschauung, nach der „die Materie“ sich in „dialektischen Sprüngen“ bis auf das Niveau des menschlichen Bewusstseins entwickelt hat und zugleich den gesetzmäßigen Verlauf der Geschichte in „Klassenkämpfen“ vorzeichnet, lebt heute nur noch in der Köpfen von ein paar alten Parteikadern. Aus den Diskursen unserer Zeit über die Grundbedingungen unseres Daseins auf der Erde ist dieses Konstrukt mit Recht fast gänzlich verschwunden. Auch die sogenannten „Neuen Atheisten“, von denen gleich die Rede sein wird, bedienen sich dieser Ideologie nicht; sie nehmen jedoch einige Versatzstücke aus der europäischen atheistischen Religionskritik auf, derer sich auch der Marxismus-Leninismus bediente. Wenn Menschen aus dem konfessionslos-atheistischen Milieu zu argumentieren beginnen, dann greifen sie gewöhnlich zu Argumenten, welcher sich die „Neuen Atheisten“ heute lautstark bedienen. 2) Das „Normale“, von dem unsere Jugendlichen in Leipzig geredet haben, ist zum Anderen nicht die gänzliche Verneinung aller überkommenen Werte, der Nihilismus. Zwar gibt es im konfessionslosen Milieu vor allem bei jungen Menschen einige Besorgnis erregende Phänomene von ethischer Verwahrlosung, die sich der Erfahrung der Sinnleere des eigenen Lebens verdanken. Vereinzelte Regungen von Rechtsextremismus im Osten Deutschlands gehören hierher. Aber wir können sicher sein, dass die überwiegend konfessionslose Bevölkerung damit nichts zu tun haben möchte, weil „Antifaschismus“ für sie zur sozialistischen Sozialisation gehörte. Die atheistische Konfessionslosigkeit ist darüber hinaus weitaus überwiegend von so etwas wie vom Geist einer verträglichen Menschlichkeit gekennzeichnet, der alle Extreme zuwider sind. 3) Diese „verträgliche Menschlichkeit“ ist darin begründet, dass der Sozialismus, wie er in der DDR herrschte, bei den Menschen, die sich ihm anpassten, vor allem zur Verinnerlichung von Werten der Gemeinschaftspflege bzw. des „Kollektivs“ geführt hat. Dazu gehören Hilfsbereitschaft und Solidarität, die Hochschätzung des Wertes der Geborgenheit in der Gesellschaft, aber auch ein Sinn für Gerechtigkeit, so dass das konfessionslose Milieu durchaus den gesellschaftlichen Frieden stabilisiert. Woran es diesem Milieu dagegen nach wie vor mangelt, ist die Hochschätzung der Möglichkeiten gesellschaftlicher Freiheit in einer demokratischen, pluralistischen Gesellschaft. Das eigene, freie Engagement für Ziele, die mit ganzheitlichen Perspektiven den eigenen Lebensumkreis überschreiten, wird eher nicht geschätzt. Da schwingt auch über 20 Jahre nach dem Ende des Sozialismus noch der Frust mit, einer totalitären Weltanschauung vertraut zu haben, die nicht gehalten hat, was sie versprach. Institutionen, die weltanschauliche Überzeugungen vertreten, haben es darum schwer, Mitglieder zu finden. Die Parteien und Gewerkschaften leiden darunter in vergleichbarer Weise wie die Kirchen. Aber auch eine programmatisch atheistische Vereinigung wie der „humanistische Verband“ hat nur die Größe einer Splittergruppe, obwohl dieser Verband den Anspruch erhebt, die ganze atheistisch-konfessionslose Bevölkerung zu vertreten. Im konfessionslosen Milieu können wir aus den genannten Gründen so etwas eine Erschlaffung im Hinblick auf Fragen antreffen, welche die großen Herausforderungen des Menschseins im Globalen, aber auch in individueller Tiefe betreffen. Das passt mit dem zusammen, was eine repräsentative Studie der „Identity Foundation“ über die spezifische „Spiritualität in Deutschland“ heraus gefunden hat. Nach dieser Studie, die weitgehend mit den Erhebungen des „Religionsmonitors“ der Bertelsmann-Stiftung zusammenstimmt, sind 40 % der deutschen Bevölkerung als „unbekümmerte Alltags-Pragmatiker“ zu bezeichnen. Die Zahl weist aus, dass wir es hier mit einem Phänomen zu tun haben, das beileibe nicht auf den Osten Deutschlands beschränkt ist. Hier jedoch tritt es in großer Breite auf. Menschen verstehen sich demnach als Produkt der Naturgesetze. Ihr Lebenssinn es ist, aus ihrem begrenzten Dasein, bis es nicht mehr geht, das Beste für sich, aber auch für die Kinder, zu machen und dann möglichst schmerzlos aus dieser Welt zu verschwinden. Ob es freilich richtig ist, die Pragmatik einer Lebensweise, die sich auf derartige Weise mit den Grenzen des irdischen Daseins zufrieden gibt und sich darin auch erschöpft, „unbekümmert“ zu nennen, kann man fragen. Denn natürlich „bekümmern“ ein solches Leben auch die Probleme, denen eine gemäßigt hedonistische Lebensauffassung, um die es sich hier letztlich handelt, schwerlich standhalten kann. Das Scheitern in Beruf und Gesellschaft, der Verlust gesellschaftlicher Anerkennung, das Erleben menschlicher Bosheit, das Zerbrechen menschlicher Beziehungen, die Erfahrungen von Krankheiten des Leibes und der Seele und letztlich des Sterbens setzen auch dem konfessionslosen Milieu zu. Derartige Erfahrungen rufen mindestens nach einer Ethik, die mit dem Allen in einer die Menschlichkeit von Menschen vertiefenden Weise umzugehen lehrt, statt es so lange wie möglich zu verdrängen und dann vor einem Scherbenhaufen zu stehen. Doch solche Ethik gibt es im konfessionslosen Milieu allenfalls als respektable Lebensweisheit von Einzelnen. Die Pluralisierung und Individualisierung weltanschaulicher Positionen, die in der pluralistischen Gesellschaft auch in das konfessionslose Milieu hinein wirkt, macht dieses Milieu zu einem Chor diffuser Stimmen. Eines eint allerdings den östlichen konfessionslosen Chor. Gott oder die institutionalisierte Religion werden zur Bewältigung der Fundamentalprobleme des Menschseins nicht gebraucht. Das Hauptproblem für die Kirche im konfessionslos-gottesvergessenen Umfeld ist darum: Wie ist – wenn es den zur Begegnung und zum Gespräch kommt – von Gott zu reden und was ist von Gott zu sagen, damit sich Ressentiments und Vorurteile gegenüber dem Gottesglauben abbauen können? Wie ist der Glaube an Gott im Leben und Verhalten der Christenheit darzustellen, damit Menschen, die Gott längst vergessen haben und dennoch keine richtigen Atheisten sind, neu auf Gott, den Glauben und Möglichkeiten eines christlichen Lebens aufmerksam werden können? Wie haben wir uns auf Menschen einzulassen, die durchaus humanistische Werte respektieren und dennoch „Alltagspragmatiker“ sind, welche sich vielfältig und diffus mit den Problemen ihres Daseins herummühen? Wie kann es also möglich werden, dass solche Menschen, die leidlich mit sich zufrieden sind, vom Geist Gottes bemerken? Auf diese Fragen wollen wir versuchen, ansatzweise eine Antwort zu finden. Das setzt aber voraus, dass wir dabei in der Lage sein müssen, auf atheistische Positionen einzugehen und mit atheistischen Argumentationen umzugehen. In dieser Hinsicht können uns die sogenannten „Neuen Atheisten“ den Dienst leisten, unsere Gesprächfähigkeit mit Menschen zu stärken, die sich in der beschriebenen Weise als Atheisten verstehen. Denn selbst wenn sie ihren Atheismus nicht artikulieren, müssen Christinnen und Christen in der Lage sein, darzulegen, warum sie keine Atheistinnen und Atheisten sind. 3. Das Bild vom Christentum in der neoatheistischen Kritik Die Bezeichnung „neu“ verdient der Atheismus, von dem wir jetzt reden, allenfalls darum, weil er nicht aus unserer mitteleuropäischen Gegend stammt. Dieser Atheismus ist ein Import. Er kommt aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum und ist hier durch Übersetzungen auf den Markt. Doch Autoren wie Richard Dawkins, Sam Harris oder Christopher Hitchens haben von dem unter sozialistischen Verhältnissen entstandenen Atheismus keine Ahnung. Sie fertigen den Marxismus-Leninismus kurzerhand damit ab, dass es sich hier auch um eine Religion gehandelt habe. Auch die theologische und philosophische Literatur, die in Deutschland und Europa zum Thema „Atheismus“ erschienen ist, spielt bei ihnen keine Rolle. Der dominierende Kontext, auf den sich dieser Atheismus bezieht, ist vielmehr die religiöse Situation in den USA und dort vor allem der weit verbreitete christliche Fundamentalismus, der auch auf die Politik einen starken Einfluss nimmt. Dieser Fundamentalismus versteht alle biblischen Zeugnisse von Gott, der Welt und den Menschen in gleicher Weise als zeitlos gültige Offenbarungen Gottes. Er verteidigt darum die biblischen Vorstellungen von der Entstehung der Welt und des menschlichen Lebens gegen die Astrophysik und gegen die Theorie von der Evolution des Lebens aus dem Tierreich. Er zeichnet sich durch eine Ethik aus, die z.B. Homosexualität für gottwidrig hält und auch sonst die ethischen Vorstellungen der Bibel von Staat und Gesellschaft, Ehe und Familie, direkt in unsere Zeit überträgt. Dieses Christentum zu bekämpfen, hat der „Neue Atheismus“ sich vorgenommen. Er macht das so, dass er alles Christentum auf der Welt und alle Religionen mit diesem Fundamentalismus in einen Topf wirft. Christen müssen so sein, dass sie glauben, die Welt sei vor sechstausend Jahren erschaffen und Adam mit seiner Eva seien historische Figuren. Sie müssen alle Anweisungen aus der Bibel befolgen wie z. B. den im Alten Testament geschilderten Heiligen Krieg gegen Menschen anderer Religionen. Ja mehr noch: Alle Religionen der Welt werden so beurteilt, dass sie längst veraltete, menschenfeindliche und vernunftwidrige, durch die Wissenschaft widerlegte, absurde Vorstellungen von der Welt und vom Menschen hegen. Man kann also schon auf den ersten Blick merken, das hier ein Christentum aufs Korn genommen wird, das es in dieser Weise höchstens an den Rändern unserer Kirche gibt. Allerdings ist ein Merkmal seiner Argumentation für allen Atheismus charakteristisch, wenn er zum offenen Angriff auf das Christentum und die Religion übergeht. Er braucht ein düsteres, von Unwissenheit, Unvernunft und Menschenfeindschaft geprägtes Bild von der Religion und vom Christentum. Er verweigert sich darum der Wahrnahme eines Christentums, welches schon längst selber kritisiert, was ihm von atheistischer Seite vorgehalten wird. Die deutschen „Neuen Atheisten“, die sich in der Giordano-Bruno-Stiftung sammeln, verfahren da nicht anders. Michael Schmidt-Salomon, der sog. „Chefatheist“ von Deutschland, hat z.B. zwei illustrierte Kinderbücher verfasst. In dem einen werden ein Rabbi, ein Bischof und ein Mullah als dumme, hasserfüllte Schreckensgestalten vorgeführt („Wo bitte geht’s zu Gott, fragte das kleine Ferkel“?). Das andere Kinderbuch („Susi neunmalklug erklärt die Evolution“), diskreditiert – offenkundig gegen besseres Wissen – den Religionsunterricht, indem es einen blöden Religionslehrer lächerlich macht, der die Kinder kreationistisch unterrichtet. Der „Humanistische Verband“, der zunächst mit der Giordano Bruno Stiftung verbandelt war, hat sich darum schleunigst von dieser Stiftung und ihrem „Humanistischen Pressedienst“ getrennt, um sich seine Reputation an den Berliner Schulen nicht zu verderben. Wir aber haben aus der Verzerrung, in der das hier bei uns real existierende Christentum angegriffen wird, zu lernen, das wir uns im atheistischen Umfeld nachhaltig als eine aufgeklärte Religion darzustellen haben. D.h. dass wir zwischen den zeitbedingten Vorstelllungen der Bibel und ihrem immer noch aktuellen Sinn zu unterscheiden vermögen. Sind Christinnen und Christen dazu nicht fähig, dann bestärken sie geradezu das atheistische Ressentiment gegenüber der Kirche und dem Gottesglauben. Mich wundert darum sehr, dass die Befähigung der Gemeinden und ihrer Glieder zu solchem Unterscheiden in dem sog. „Reformprozess“ unserer Kirche unter dem Titel „Kirche der Freiheit“ zu gut wie keine Rolle spielt. Rennt die Kritik am Fundamentalismus bei einem zeitgemäßen Kirche- und Christsein hierzulande offene Türen ein, so gilt das noch mehr in Hinblick auf die andere wesentliche Stoßrichtung des „Neuen Atheismus“, nämlich der Kritik des Zusammenhangs von Religion Gewalt. Auslöser des „Neuen Atheismus“ war nämlich der islamistische Anschlag auf der World-Trade-Center in New York im Jahre 2001. Er hat das Thema „Religion und Gewalt“ auf die Tagesordnung einer weltweiten Diskussion gesetzt. Für die „Neuen Atheisten“ ist es ein Zentralthema. Alle Religion tendiert demnach notwendig zur Gewalt gegenüber Menschen mit einem anderen Glauben oder einer anderen Weltanschauung – lautet der Vorwurf. Er geht viel weiter als z.B. Jan Assmanns hinreichend widerlegte Theorie, nur der Monotheismus sei im Unterschied zum Polytheismus aggressiv und intolerant, weil er im Glauben an nur einen Gott alle anderen Götter und deren Anhängerschaft verneine. Der Grund für die religiöse Aggressivität sei vielmehr – so die „Neuen Atheisten“ – die Unwissenheit. Religiöser Glaube erfindet, weil Menschen es nicht besser wissen, absurde Vorstellungen über die Welt, die Menschen und die Vorgänge in Natur, Geschichte und individuellem Leben. Weil er seine unbeweisbaren Erfindungen für die allein richtigen hält, ist er unfähig, sie zu korrigieren. „Dummheit, gekoppelt mit [...] Überheblichkeit“ ist nach Christopher Hitchens das Wesen der Religion. Darum verbindet sich nach seiner Ansicht religiöser Glaube immer mit Hass und Vernichtungswut gegen andere Menschen, die ebenso unbeweisbare religiöse oder weltanschauliche Vorstellungen hegen. Wo keine Argumente sind, sprechen eben die Fäuste. Nur der Atheismus garantiere eine wesenhaft friedliche Welt, behauptet Sam Harris allen Ernstes (wobei er Hitler, Stalin und Pol Pot ausklammert bzw. sie als Vertreter einer Religion versteht). Die Christinnen und Christen, die 1989 gemeinsamen mit ihren atheistischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern die Losung „keine Gewalt“ auf die Straßen getragen haben, können wie unsere ganze von der Friedensbotschaft Jesu Christi bewegte Kirche derartig pauschale Behauptungen einfach nur abseitig finden. Denn die Gewaltgeschichte des Christentums und aller anderen Religionen wird von ihnen nicht geleugnet, sondern vielmehr intensiv kritisch reflektiert. Schon längst vor den „Neuen Atheisten“ ist in Kirche und Theologie der Verbindung von christlicher Botschaft und Gewaltausübung eine eindeutige Absage erteilt worden. Nur sine vi, sed verbo (CA 28) kann diese Botschaft zu den Menschen getragen werden. Das ist heute unstrittig. Selbst ein halbwegs ehrlicher Atheist kann hier und heute nicht aus Erfahrung bestätigen, dass das Christentum gewalttätig ist. Ein aktueller Anlass, Atheist zu werden, ist diese Behauptung jedenfalls nicht. Viel eher dürfte die Verständigung darüber, dass weltanschauliche und religiöse Überzeugungen niemals mit Gewalt vertreten werden dürfen, die einfachste Ebene der Verständigung zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden darstellen. Ja, das ist sie im alltäglichen Leben faktisch schon längst. Der „neue“ und „alte“ Atheismus stellt sich nach dem Gesagten also als eine Angelegenheit dar, die selber darüber aufzuklären ist, dass sich das Christentum weder auf den Fundamentalismus noch auf eine wesenhafte Tendenz zur Gewalt festlegen lässt. Daraus ist aber nicht zu folgern, er bringe keine ernsthaften Anfragen an den christlichen Glauben, wie er heute verantwortet werden muss, zustande. Diese Anfragen ergeben sich fast alle aus der Berufung atheistischer Positionen auf die Naturwissenschaften. Auch die „Neuen Atheisten“ betrachten als ihr stärkstes Argument die Tatsache, dass die methodisch-atheistische wissenschaftliche Forschung mit ihren Mitteln Gott nicht „beweisen“ kann. Darum haben sie auch an den durch Deutschland tourenden „Atheismus-Bus“ den komplizierten Satz geschrieben: „Gott existiert mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht“. Das ist ein fast wörtliches Zitat von Richard Dawkins. Es bedient ein Wirklichkeits- und Wahrheitsverständnis, das Wirklichkeit und Wahrheit nur der objektivierbaren Realität zuspricht bzw. sie auf sie zurück führt. Er füttert das Vorurteil, Religion sei „unwissenschaftlich“, in dem sich besonders die ostdeutsche Gottesvergessenheit eingerichtet hat. Darum müssen wir diesem atheistischen Haupt- und Staatsargument etwas intensiver auf den Zahn fühlen. 4. Der Streitfall: Naturwissenschaft und Gottesglaube Ich orientiere mich im Folgenden vor allem an dem „erfolgreichsten“ Buch der „Neuen Atheisten“. Das ist das Buch „Der Gotteswahn“ von Richard Dawkins. Ich lasse dabei unberücksichtigt, dass dieses Buch zu nicht geringen Teilen aus wüsten Polemiken gegen das Christentum besteht, die an die finstersten Zeiten des Stalinismus erinnern. Man kann es nur der Unkenntnis darüber zugute schreiben, dass in der Sowjetunion unzählige Christinnen und Christen, Priester, Popen und Mönche in psychiatrischen Kliniken gequält wurden, um die in diesem Buch vertretene Ansicht auszuhalten, religiöse Menschen seien „wahnsinnig“. Michael Schmidt-Salomon hat diese Ansicht in seinem jüngsten Buch „Jenseits von gut und böse“ sogar als noch viel zu „harmlos“ bezeichnet, aber nicht näher präzisiert, welchen Aufenthaltsort nach der Irrenanstalt er für Christinnen und Christen empfehlenswert hält. Ich lasse das auf sich beruhen, wobei ich allerdings froh bin, dass dergleichen atheistische Hasspredigt nicht das Leben in unserer demokratischen Gesellschaft zu prägen vermag. Berechtigt zu solchen Ausfällen wissen sich die Neoatheisten jedenfalls dadurch, dass die Naturwissenschaften – insbesondere die Kosmologie, die Astrophysik und die Biologie – keinen Beweis für die Existenz Gottes, für einen übernatürlichen „Gestalter“ der Welt, liefern können. Sie vermögen im Gegenteil das Werden des Universums und des Lebens ohne eine „Gotteshypothese“ zu erklären. Darum gilt mit über 50% Wahrscheinlichkeit, dass Gott nicht existiert, wie es der Atheismus-Bus denn auch verkündet. Gott sei Dank, können wir da im Glauben an Gott nur sagen, ist Gott keine Wirklichkeit, die man in Naturgesetzen verorten oder errechnen und auf diese Weise Gottes Herrlichkeit vielleicht auch noch technisch verwerten kann wie die Atomkraft. „Einen Gott“, – so können wir im Anschluss an Dietrich Bonhoeffer sagen – „den es gibt (wie es die Menschen, die Dinge, die Sterne und Galaxien gibt) gibt es nicht“. Zu Gottes unsichtbarer, geistiger, jenseitiger Wirklichkeit gibt es nämlich nur einen Zugang und das ist der Glaube. Glaube im christlichen Sinne aber ist nicht ein Für-wahr-halten von irgendwelchen Vorstellungen über das Werden der Natur, obwohl sich solche Vorstellungen in aller Relativität mit ihm verbinden können. Glaube ist das Vertrauen zu Gott als dem tragenden Geheimnis unseres Daseins, das in geschichtlichen, existenziellen Zusammenhängen, in Lebenszusammenhängen entsteht. Glaube ist diejenige menschliche Fähigkeit, mit der wir uns dessen vergewissern, worüber wir nicht verfügen können. So glauben wir z.B. an die Treue eines Menschen oder an seine Wahrhaftigkeit. Wir vertrauen der Freundschaft einer Freundin oder einer Freundes, obwohl wir gar nicht wissen können, dass diese Freundschaft auch in Zukunft Bestand hat. In entsprechender Weise glauben wir auch an Gott. Natürlich ist da auch ein Unterschied zu dem Vertrauen, das wir einem Menschen gegenüber hegen. Dass dieser Mensch in Raum und Zeit existiert, ist selbstverständlich. Gottes Existenz aber spricht die Fähigkeit unseres Bewusstsein an, über alle raum-zeitlichen Grenzen hinaus Wirklichkeit wahrzunehmen. Sie erschließt sich uns durch bestimmte, alles Irdische transzendierende Erfahrungen, die wir in unserem Leben und in der Geschichte machen. Im Falle des christlichen Glaubens sind das die Erfahrungen, die Menschen mit Jesus Christus machen. Sie wecken in uns das Vertrauen zu Gott als unverfügbaren Grund und Sinn unseres Leben, ja der Welt. „Gott und Glaube gehören zuhaufe“, gehören zusammen, hat Martin Luther in seinem „Großen Katechismus“ diese Einsicht kurz und bündig auf den Punkt gebracht. Dawkins und seine neoatheistischen Kollegen operieren nun an diesem Gottesglauben herum und entwurzeln ihn aus dem Zusammenhang geschichtlicher, existenzieller Erfahrung. Sie verlagern ihn auf eine andere Ebene. Er wird als eine quasi-wissenschaftliche Aussage über die Entstehung der Welt und des Lebens, als „wissenschaftliche Hypothese“ oder einfach als Phantasievorstellung verstanden, die auf einer Linie mit dem Glauben an den Weihnachtsmann, an Feen und an Rumpelstilzchen liegt. Was das Verständnis des Glaubens als „wissenschaftliche Hypothese“ betrifft, so wird man jedoch gerechterweise zugeben müssen, dass die christliche Tradition, aber auch die Religionsphilosophie nicht nur im englischsprachigen Raum heute zu diesem Missverständnis auch einigen Anlass gegeben hat und gibt. Wie der Papst in seiner berühmten Regensburger Rede erinnert hat, war das Christentum immer bemüht, den Glauben an Gott zugleich als das vernünftigste Erklärungsprinzip der Welt zu interpretieren. Es hat sich darum um vernünftige „Gottesbeweise“ bemüht, die Gott als ersten Urheber der Welt einsehbar machen sollten. In den Spuren dieser Tradition wandelt heute z.B. auch der englische Religionsphilosoph Richard Swinburne, der mit dem Computer auszurechnen versucht, dass doch mehr als 50% Wahrscheinlichkeit für die Existenz eines göttlichen Urhebers der Welt sprechen. Doch dieser Versuch ist ebenso abseitig wie der umgekehrte der „Neuen Atheisten“. Die Naturwissenschaften können mit ihrem Streben nach objektivierbaren Sachverhalten existenzielle Glaubensüberzeugungen weder begründen noch widerlegen. Sie sind methodisch-atheistisch. Was sie als Gott zu errechnen oder nachzuweisen vermöchten, wäre mit Sicherheit nicht Gott, sondern nur ein Teil oder eine Dimension der Welt, also theologisch gesprochen: ein Götze, ein Produkt des Aberglaubens. Die Naturwissenschaften müssen sich darum mit dem Wissen begnügen und sollen vom Glauben wie vom Unglauben die Finger lassen. Das tun die „Neuen Atheisten“ denn auch in gewisser Weise, weil sie merken, dass die leicht über 50 % liegenden Wahrscheinlichkeitsrechnungen nicht gerade ein starkes Argument für die Nichtexistenz Gottes sind. Theoretisch bliebe in diesem ganzen abstrusen Gotteskalkül immer noch die Möglichkeit, dass Gott in von uns nicht erkannten Dimensionen des Universum existiert bzw. hypothetisch als sein „Gestalter“ angenommen werden kann. Dawkins zieht sich deshalb ganz trickreich aus der von ihm selbst gelegten Schlinge, indem er sagt: Dass etwas nicht existiert, braucht auch gar nicht bewiesen zu werden. Wenn z.B. jemand behauptet, im Weltraum fliege eine Teekanne oder ein Spaghettimonster herum, dann ist es an dem, der das behauptet, dafür den Beweis anzutreten und nicht an dem, der das bestreitet. Er begibt sich mit diesem Argument offenkundig auf das Niveau des ersten Weltraumfahrers Juri Gagarin, der auch verkündet hatte, dass er Gott bei seinem Schnupper-Weltraumflug nicht angetroffen hat. „Der Sputnik und der liebe Gott“ war ein massenweise in der DDR verbreitetes atheistisches Propaganda-Pamphlet. Es suggerierte, dass die Christinnen und Christen glauben würden, Gott sei ein im Weltraum herumschwebendes Ding – eben wie eine Teekanne oder Ähnliches. Wer dergleichen für Gott hält, gibt damit zu verstehen, dass er von Gott überhaupt nichts versteht bzw. keine existenzielle Glaubenserfahrung gemacht hat, die verstehen lehrt, wer Gott ist. Dawkins redet also schlicht ein Nicht-Glaubender, der die Nicht-Existenz Gottes immer schon voraus setzt und nun versucht, das Vorurteil seines Nicht-Glaubens mit naturwissenschaftlichen Methoden zu begründen. Dabei macht er aus der Naturwissenschaft, die sich in Glaubensfragen nur der Stimme enthalten kann, eine antireligiöse Ideologie. Der christliche Glaube wird sich hüten, dem mit einer religiösen Ideologie von der Welt- und Lebensentstehung Paroli bieten zu wollen. Sicherlich beurteilt und deutet er das, was wir wissenschaftlich auf methodisch-atheistische Weise wissen können, im Lichte seiner Gotteserfahrung. In seiner Perspektive verdankt sich die Welt und wir selbst dem Geheimnis Gottes und nichts spricht aus dem Raum der Naturwissenschaft gegenwärtig dagegen, dass er das tut. Aber das ist dennoch ein Glaubensbekenntnis und kein unserem Wissen vom Werden des Universums und des Lebens mühsam abgezwirbelter Satz. Was jenes Wissen betrifft, aber so kann und soll uns die naturwissenschaftliche Forschung davon so viel wie möglich besorgen. Je mehr wir wissen können, desto mehr wird uns das wunderbare, atemberaubend großartige, aber noch in so vielen Rätseln verschlüsselte Werk des Schöpfers gegenwärtig. Darum ist der Glaube ein Freund der Naturwissenschaften. Er wird sich aber dessen enthalten, der Wissenschaft Vorschriften zu machen, wie das etwa der atheistische Marxismus getan hat, als er in den 50er Jahren die falsche Lamarckistische Theorie Mitschurins von der Vererbung erworbener Eigenschaften zur Staatsdoktrin erhob und Menschen, die diese Doktrin mit Gründen bestritten, verfolgte. (Die sog. „Jarowisation“, nämlich die Vorkeimung des Getreides unter ungünstigen Wetterbedingungen, um das Getreide widerstandsfähig zu machen, hat der Sowjetunion riesige Missernten beschert). Ihre Unschuld als Anwältin freier Wissenschaft hat die atheistische Gesinnung in den sozialistischen Zeiten ohnehin gründlich verloren, wie kürzlich aus Anlass des 200jährigen Jubiläum der Humboldt-Universität in erschreckendem Ausmaß dokumentiert wurde. Dass die „Neuen Atheisten“ dabei sind, jene Unschuld zu bewahren, aber kann man angesichts ihres Bemühens, die Naturwissenschaft mit dem Vorurteil der Gottlosigkeit in einem Leben von Menschen ohne Transzendenz zu funktionalisieren, beim besten Willen nicht behaupten. 5. Atheismus als Religionskritik Auch die „Neuen Atheisten“ bemerken natürlich, dass ihre Bemühungen um den abseitigen „Beweis“ oder „Nichtbeweis“ Gottes mit Argumenten, die den Naturwissenschaften entlehnt sind, ausgeht, wie das Hornberger Schießen. Darum schwenken sie nicht zufällig auf die gute, alte atheistische Schiene um, statt Gott die Glaubenden oder „die Religion“ ins Visier zu nehmen. Sie können ja nicht ignorieren, dass der bei weitem überwiegende Teil der Menschheit – inclusive der Wissenschaftler – religiös ist. Nur in unserer Ecke der Welt, die sich mit ihrem Atheismus der Massen der Bevölkerung auf der religiös-weltanschaulichen Landkarte wie eine Absonderlichkeit ausnimmt, ist Religionslosigkeit zur Gewohnheit geworden. Wie kommt das, müssen sich deshalb auch die „Neuen Atheisten“ fragen, dass die Religion weltweit beileibe nicht „abstirbt“, sondern aufblüht, obwohl die wissenschaftlich-technische Welt ihr doch den „Sinn und Geschmack“ fürs Religiöse abzugewöhnen scheint? Soziologen wie Ulrich Beck, der Vf. der viel beachteten Studien über die „Risikogesellschaft“, antworten auf diese Frage: Das kommt daher, weil die Risiken des Lebens, welche die wissenschaftlich-technische Entwicklung in der globalisierten Welt verschärft, Menschen nach einem Halt in ihrem Leben suchen lässt, der ihrem grundmenschlichen Transzendierungsvermögen aller weltlichen Vorgänge entspricht und gerecht wird. Die sog. „Säkularisierungstheorie“, die einmal als Bastion atheistischer Gesellschaftsdeutung galt, ist falsch. Der Fortschritt von Wissenschaft und Technik führt gerade nicht zu einer völligen Verweltlichung des Lebens von Menschen, in der Religion überflüssig und funktionslos wird. Der ambivalente Fortschritt provoziert vielmehr das Aufleben von Religiosität. Die sog. „Säkularisierung“, sagt Beck, legt in Wahrheit „den Grund für die Revitalisierung der Religiosität und Spiritualität im 21. Jahrhundert“. Davon wollen die „Neuen Atheisten“ aber nun überhaupt nichts wissen. Sie begeben sich deshalb auf das Spielfeld, auf dem sich schon die alten Atheisten in der Geschichte der atheistischen Tradition in Europa getummelt haben. D.h. sie konstruieren eine Theorie vom Entstehen der Religion, die begründen soll, warum Religion eine verkehrte Art ist, in der Menschen von ihrem, alles Gegebene überschreitenden Bewusstsein auf überflüssige und verderbliche Weise Gebrauch machen. Für Ludwig Feuerbach, dem Karl Marx sich verpflichtet wusste, war das die illusorische Projektion menschlicher Wünsche an den Himmel. Bei Friedrich Nietzsche handelte es sich um das Werk einer mächtigen Priesterkaste, welche die starken Kräfte der menschlicher Lebensentfaltung durch den Gottesglauben zu schwächen trachtete. Sigmund Freud verstand Religion als eine aus dem Vaterkonflikt entstandene Neurose. Mir ist nicht bekannt, dass sich die atheistische Literatur je auf eine dieser Theorien geeinigt hat. Jedenfalls fügen die „Neuen Atheisten“ dem Markt der Möglichkeiten in dieser Hinsicht noch ein weiteres Angebot hinzu. Richard Dawkins behauptet: Dass Menschen beginnen, an Gott zu glauben, sei auf eine „Fehlfunktion“ der Evolution des menschlichen Lebens zurück zu führen. Unter „Fehlfunktion“ wird dabei ein verkehrter Gebrauch einer eigentlichen nützlichen genetischen Anlage unserer Gattung verstanden. Das Beispiel von Dawkins dafür ist die Motte. Sie ist genetisch darauf programmiert, sich am Mondlicht zu orientieren. Diese Programmierung verführt sie, sich mit tödlicher Konsequenz ins Kerzenlicht zu stürzen. Dementsprechend gilt: Wir sind genetisch darauf programmiert, unseren Eltern zu vertrauen und also zu glauben. Das verführt uns dazu, das Ziel unseres Vertrauens zu verselbständigen. Wir stilisieren dieses Ziel zu einer für sich existierenden „Überwelt“ Gottes. Durch sog. von Dawkins erfundene „Meme“ (Gedächtniseinheiten, die sich angeblich so vererben wie das Leben) soll sich dieser Glaube dann wie ein Virus fortpflanzen. Die Widersprüchlichkeit dieser Art von Religionskritik mit Händen zu greifen. Erst wird uns erklärt, die wissenschaftliche Erkenntnis und damit auch die Einsicht in die Evolution des Lebens treibe uns den Gottesglauben aus. Dann aber wird behauptet, gerade diese Evolution veranlasse uns zu religiösen „Fehlfunktionen“. Doch wer entscheidet hier, was richtige Funktion von uns menschlichen Wesen und was „Fehlfunktion“ ist? Wenn wir einmal evolutionsbiologisch reden wollen, dann hat uns dieser naturgesetzliche Vorgang doch in die Freiheit gesetzt, das aufgrund unserer Erfahrungen mit unserem Leben und der Berührung unseres Geistes von der Transzendenz, die wir Gott nennen, selbst zu entscheiden. Zu den Möglichkeiten dieser Freiheit gehört, Unverfügbares in Existenz und Geschichte in einer alles Objektivierbare überschreitenden Weise als Wirklichkeit wahrzunehmen. Unsere Wirklichkeitserfahrung, ja unser Leben, unterläge auch abgesehen von der Gotteserfahrung einer unsäglichen Verarmung, wenn sie auf die Wahrnehmung von Objektivierbarem und Messbarem reduziert würde. Was aber unsere Fähigkeit betrifft, einem uns entzogenen Grunde und guten Geheimnis unseres Daseins zu vertrauen, so ist das geradezu die Grundbedingung unseres Lebens. Ohne das Grundvertrauen dazu, dass unser Dasein bejaht und getragen ist, in einen sinnvollen Zusammenhang gehört und einen Horizont von weither hat, versinkt unser Leben nach aller Erfahrung in Verunsicherung und Sinnlosigkeit. Menschen sind darum unausweichlich religiös, auch die, welche sich der Gotteserfahrung verweigern. In die Stelle Gottes rückt dann, wenn sie das tun, irgendetwas Weltliches ein. Es entsteht allerlei Ersatz- und Pseudoreligiosität, in der Menschen rein Irdischem vertrauen wie einem Gott. Der Marxismus war in seinem Glauben an die Materie und das allmächtige Gesetz der Geschichte penetrant religiös und hat das in seinen Weihefeiern auch zum Ausdruck gebracht. Auch der Wissenschaftsglaube, den wir bei Dawkins finden, ist nicht zu Unrecht eine Religion genannt worden. Sam Harris und auch Schmidt-Salomon verkünden im Unterschied dazu eine Art Buddhismus light, der auf dem Prinzip des Eigennutzes beruht und für meine atheistisch-konfessionslosen Nachbarn in Berlin-Pankow ist schließlich der Schrebergarten oder der Fußball ihr „Gottchen“, wie die Berliner sagen. Doch auf die Ratschläge, welche wir heute von neo-atheistischer Seite für unsere Lebensführung erhalten, will ich jetzt nicht mehr eingehen. Uns kam es zunächst darauf an, zu fragen, was aus der Auseinandersetzung mit diesem Atheismus, der ganz andere Wurzeln hat, als der in unseren Landen verbreitete, für Selbstdarstellung der Christenheit im gottesvergessenen Milieu zu lernen ist. Angesichts der Geschichte des Christentums werden wir uns auf alle Fälle als eine selbstkritische Religion darstellen. Das gilt in Hinblick auf alle Beförderung und Inanspruchnahme von Gewalt durch die Kirche und das damit verbundene Streben nach weltlicher Macht. Das gilt auch für die Fehlentwicklungen, die es im Verhältnis von Kirche und Naturwissenschaft gegeben hat. Wir werden uns auf die Bibel nicht in fundamentalistischer Weise berufen. Denn das löst den Atheismus geradezu aus oder bestärkt ihn. Wir werden uns weiter als eine in den Entwicklungen der Naturwissenschaften kundige Religion darstellen, die in der Lage ist, den Segen und die Grenzen dieser Wissenschaften zu reflektieren. Damit nun aber niemand denkt, es ginge im gottvergessen-atheistischen Umfeld der Kirche vorgängig um einen intellektuellen Disput, ist hinzuzufügen: Alles, was die atheistische Religionskritik gegen den christlichen Glauben vorzubringen hat, ist durch das Leben der Christen und Gemeinden und ihrer einzelnen Glieder praktisch zu entkräften. Nicht sich selbst entfremdete oder gar neurotisierte Menschen, sondern in ihrer Menschlichkeit beeindruckende Menschen, die frei sind, ohne Illusionen die Wirklichkeit wahrzunehmen, wie sie ist, können mehr für den christlichen Glauben sprechen als alle Dispute. Nicht am Eigennutz orientierte, sondern für die Nöte und Probleme der Anderen offene Menschen sind nötig, um Vorurteile und Ressentiments gegen ein Leben aus Glauben abzubauen. Denn nicht als Vertreterinnen und Vertreter eine religiösen Ideologie, sondern als Menschen mit einem weiten Horizont, die sich mit ihrem Glauben an Gott auf den Sinn und die Tiefe des Lebens verstehen, sollten Christinnen und Christen ihren gottesvergessenen Mitmenschen begegnen.
Gott ist kein Lückenbüßer – Wie können wir die „Mündigkeit“ der Welt ernst nehmen? Impulse von Dietrich Bonhoeffer 1. Dietrich Bonhoeffers Frage „Wir gehen einer völlig religionslosen Zeit entgegen; die Menschen können einfach, so wie sie nun einmal sind, nicht mehr religiös sein“ (DBW 8, 403). Mehr noch: „Es zeigt sich, dass alles auch ohne 'Gott' geht und zwar ebensogut wie vorher. Ebenso wie auf wissenschaftlichem Gebiet wird im allgemeinen menschlichen Bereich 'Gott' immer weiter aus dem Leben zurückgedrängt, er verliert an Boden“ (DBW 8, 477). Diese Sätze stehen am Anfang von Dietrich Bonhoeffers Überlegungen zur „nichtreligiösen Interpretation biblischer Begriffe“ oder auch zu einem „religionslosen Christentum“ in seinen Briefen aus dem Gefängnis. Es sind in den letzten Jahrzehnten lang und heiß diskutierte, umstrittene Sätze gewesen. Sie beschreiben im Jahre 1943 die Situation, in der sich die Kirche nach Bonhoeffers Meinung in einer religionslosen Umwelt befunden hat und sich auch weiterhin befinden wird. „Religiös sein“, so meinte er, ist für die meisten Menschen im 20. Jahrhundert keine Option mehr, mit der sie die Probleme ihres Lebens bewältigen. Wenn wir das ostdeutsche Phänomen der massenhaften Gottesvergessenheit der Bevölkerung vor Augen haben, dann werden wir ohne Zweifel sagen: Ja, Bonhoeffer hat mit dieser Beschreibung durchaus das atheistisch konfessionslose Milieu getroffen. Die Menschen, die in ihm leben, brauchen keine Religion, wie sie die Kirche darstellt. Sie sind der Meinung, es lebe sich ohne Religion besser. Mit dieser Anschauung werden sie in ihrer Milieuverschlossenheit noch lange Zeit das Leben der Gesellschaft im Osten Deutschlands prägen. Die Kirchen aber sind mehr oder weniger hilflos, wie sie mit ihrer Botschaft Menschen aus diesem Milieu erreichen können. Schauen wir jedoch in den kirchlichen und theologischen, aber auch in den säkularen Blätterwald von heute, dann treffen wir auf eine ganz andere Einschätzung jener Sätze Bonhoeffers. Seine Diagnose und Prognose stimmen nicht, hören wir da. Bonhoeffer hat sich geirrt. Denn wir leben am Anfang des 21. Jahrhunderts in einer Zeit der „Wiederkehr“, ja der „Renaissance der Religion“. „Religion hat – trotz verbleibender Rudimente eines Gewohnheitsatheismus – Konjunktur“, heißt es z.B. in einer Münchener Dogmatik (vgl. Gunther Wenz, Religion. Studium Systematischer Theologie, Band 1, Göttingen 2005, 4). Die Erwartung ist hier deshalb, dass die ostdeutsche und auch die westdeutsche Religionslosigkeit unter dem Eindruck der „Respiritualisierung“ der Gesellschaft von alleine verschwinden werden. Religiös zu sein, wird sich als stärker erweisen, als ein Leben ohne Religion. Auch im Osten wird das Bedürfnis nach Heiligem, Spirituellem, Esoterischem, Irrationalem, Mystischen, emotionell über alles Fassbare hinaus Bewegendem, psychologisch Tiefenschichtlichem, Ganzheitlichem erwachen, das der christlichen Mission zu gute kommen wird. Wer so redet, hat natürlich keinen Anlass, sich um ein Verstehen der „Religionslosigkeit“ und ihrer Motive zu bemühen. Er hat erst Recht keinen Anlass zu fragen, wie sich Kirche und Theologie zu dieser Religionslosigkeit in Beziehung setzen können. Das war bei Bonhoeffer aufgrund der Erfahrungen, die er mit den Menschen seiner Zeit gemacht hat, anders. Er hat nicht mit einer Selbstauflösung der Religionslosigkeit der Menschen gerechnet. Für ihn war die Perspektive vielmehr, dass die Christenheit in Zukunft zusammen mit den religionslosen Menschen wird leben müssen. Aus diesem Grunde hat das Nachdenken über seine theologische Bewertung der Religionslosigkeit in der Kirche und der Theologie der DDR auch eine große Bedeutung gehabt. Hier wurde die Realität, mit der wir es als Christinnen und Christen zu tun haben, ernst genommen. Hier war das Bemühen spürbar, dieser Realität theologisch stand zu halten. Dieses Ernstnehmen beginnt mit einer ungewöhnlichen Frage. Sie lautet: „Wie kann Christus der Herr auch der Religionslosen werden“ (DBW 8, 404) ? Gemeint ist mit dieser Frage nicht: Wie werden die Religionslosen religiös? Gemeint ist: Was hat Christus mit ihnen als religionslosen, sprich: als nicht an Gott glaubenden Menschen zu tun? Lässt sich zeigen, dass sie der Herrschaft Christi mit ihrer Religions- bzw. Gottlosigkeit beleibe nicht entkommen sind, dass sie zu Christus gehören, dann führt das aber notwendig zu der Frage, ob es auch so etwas wie ein „religionsloses Christentum“ geben kann, das in Solidarität mit den religionslosen Menschen existiert. Wir müssen jetzt kurz inne halten und eine Begriffsklärung vornehmen, die zum Verständnis der Diskussion verhilft, die Bonhoeffer ausgelöst hat. Denn Bonhoeffers Meinung in den Gefängnisbriefen war, dass Religion nur ein „Gewand“ (DBW 8, 404), eine geschichtlich gewordene Form oder Gestalt des Christentums sei. Sie – diese Religion – ist durch drei Merkmale charakterisiert: 1) Metaphysik. Bonhoeffer versteht darunter den Versuch, Gott an den Grenzen des menschlichen Daseins als Grund des Menschseins und als Lösung der Probleme des menschlichen Lebens zur Geltung zu bringen. Gott wird so zum „Lückenbüßer“ im Leben, zu einer „Arbeitshypothese“ in der Wissenschaft (DBW 8, 557). Die ist im Zeitalter der Wissenschaft und der Selbstbestimmung des Menschen schlicht überflüssig geworden ist. 2) Innerlichkeit; Gott wird zur individuellen Erfahrung des Lebens, die des Menschen Privatangelegenheit ist. Dass er der Herr der Welt ist, gerät in Vergessenheit. „Religion ist Privatsache“, heißt es heute. Für die Gesellschaft hat sie keine Bedeutung. 3) Partialität; Religion versucht sich einen Teil der Welt zu sichern, der nicht von menschlicher Erkenntnis erfasst werden kann, um in diesem Teil ihre Wirksamkeit anzusiedeln, wie z.B. in den Abgründen der Seele, in der Unergründlichkeiten und Katastrophen der Natur usw. Gott wird zum Deus machina – zum Gott aus der Maschine. Wenn wir dieses Religionsverständnis im Auge haben, verstehen wir Bonhoeffers Satz, dass die Zeit der Religion vorbei ist. Die Wissenschaft braucht Gott als Hypothese nicht. Die Menschen bewältigen ihr Leben ohne auf das Wunder des Eingreifens Gottes bei Krankheiten und sonstigen Problemen ihres Lebens zu warten. Der christliche Glaube muss sich darum von dieser Art von Religion lösen und insofern „religionslos“ werden. Es gibt aber Interpreten Bonhoeffers, die diese Beschreibung von „Religion“ und die Folgerungen daraus für verfehlt halten. So hat z.B. Wolfgang Huber als Einer von Vielen gesagt: „Religion bleibt eine notwendige Gestalt des christlichen Glaubens. Es erweist sich als vermessen, den Glauben ohne diese religiöse Gestalt haben zu wollen“ (Das Vermächtnis Dietrich Bonhoeffers und die Wiederkehr der Religion“ – Vorlesung in Stettin: www .ekd.de/ vorträge/ huber/ 051006 _huber_stettin.html). Huber meint mit diesem Urteil: Menschen überschreiten mit ihrem Bewusstsein Alles Irdische. Sie können nicht leben, ohne sich für uns entzogene Wirklichkeitsdimensionen zu öffnen und sich von ihnen berühren zu lassen. Sie sind bereit zur Verehrung von Heiligem und Irrationalem. Kurz: Sie sind unausweichlich religiöse Wesen, auch wenn sie nicht an Gott glauben und sich, wie die gottesvergessenen „Konfessionslosen“, selbst nicht so verstehen. Das strukturelle Geöffnetsein für Entzogenes, Unobjektivierbares, Geheimnisvolles gehört zum Menschsein, auch wenn es sich in allerlei Pseudo- und Aberglauben äußert. Es kommt nur darauf an, diese religiöse Fähigkeit von uns Menschen für den christlichen Glauben in Anspruch zu nehmen und zu prägen. Bonhoeffers Überlegungen sind dagegen überhaupt nicht „missionarisch“ in dem Sinne, dass die „Religionslosen“ von ihrer „Religionslosigkeit“ abgebracht werden sollen. An keiner Stelle in den Gefängnisbriefen werden methodische Überlegungen darüber angestellt, wie das aussehen soll, wenn sich ein Religionsloser zum Glauben an Christus, an Gott bekehrt. Bonhoeffers Meinung war vielmehr, dass die „religionslose Welt“, indem sie Gott nicht als „Lückenbüßer“ versteht und ihn nicht als Problemlöser für einen Teil der Welt verinnerlicht, auf die Seite Jesu Christi gehört, weil sie ein wesentliches Anliegen seines Kommens in die Welt realisiert. Das ist die Befreiung von uns Menschen zu echter Weltlichkeit, d.h. zur mündigen, selbst verantwortlichen Gestaltung des Lebens auf der Erde. Wie Bonhoeffer zu diesem Lob der „Religionslosigkeit“ gekommen ist, müssen wir uns etwas näher ansehen. 2. Die Realität und das Motiv der Religionslosigkeit Im Hintergrund von Bonhoeffers Frage steht ein bestimmtes Bild von der Neuzeit im Unterschied zum Mittelalter. Im Mittelalter erschien es notwendig, Gott in Anspruch zu nehmen, um das Universum und die Erde zu erklären. Diese Inanspruchnahme ist durch das Aufblühen der Naturwissenschaften überflüssig geworden. Die Welt kann in ihrem Werden und in ihren Strukturen mit den Naturgesetzen hinreichend erklärt werden. Entsprechendes vollzog sich in der Existenz von Menschen. Sie fühlen sich nicht mehr abhängig von einem Lenker ihres Lebens, der mit Wundern und auf übernatürliche Weise in ihr Leben eingreift. Sie bestimmen ihr Freiheit ihr Leben selbst. Sie sind autonom und mündig (vgl. DBW 8, 476ff.). Sie gestalten ihr Leben und die Welt verantwortlich selbst. Darum brauchen sie die Religion mit Gott als „Lückenbüßer“ und „Problemlöser“ für unerledigte Fragen nicht mehr. Darum ist die Neuzeit mit der Ausbreitung der Religionslosigkeit verbunden. Bonhoeffer ging es nun darum, dass die Christenheit die so verstandene mündige Welt und damit auch ihre „Religionslosigkeit“ einfach anerkennt. Sie soll nicht versuchen, diese mündige Welt „madig“ zu machen, in ihren Schwächen herum zu bohren, um so Gott doch wieder an irgendeiner Stelle, an der diese Welt versagt, hineinzuschmuggeln. Wir aber fragen uns nicht erst angesichts der Ruine von Fukushima, ob Bonhoeffer nicht einer gewaltigen Illusion aufgesessen ist, als er die „Mündigkeit“ der Welt so verstand, dass sie Gottes nicht mehr bedürfe. Wir fragen weiter: Ist Religionslosigkeit tatsächlich ein Ausdruck solcher Mündigkeit? Stimmt die Säkularisationstheorie, nach der die wissenschaftlich-technische Entwicklung der Religion den Boden entzieht, überhaupt? Ist es nicht vielmehr so, dass angesichts der Risiken und Unwägbarkeiten einer von Wirtschaft und Technik bestimmten Welt das Bedürfnis nach Halt und Vergewisserung im Transzendenten, das die Religion zu befriedigen versucht, wieder wächst? Kann das, was in der globalisierten Welt von heute angerichtet wird, als Ausdruck von Mündigkeit gewertet werden? Hat Bonhoeffer die sog. „Mündigkeit“ und damit auch die „Religionslosigkeit“ also nicht einfach schön geredet? Das war sicherlich nicht der Fall. Über das faktische Erscheinungsbild der Religionslosigkeit hat er sich keine Illusionen gemacht. Das war bloß bei einer bestimmten staats- und stasigesteuerten Bonhoeffer-Rezeption in der DDR der Fall war, die den marxistisch-leninistischen Atheismus per se verklärt hat. Bonhoeffer dagegen wusste nur zu gut, dass ein Leben ohne Gott durchaus so etwas werden kann, wie der Absturz ins Nichts, in die Sinnlosigkeit, in die völlige Leere. „Uns ist die Welt entgöttert, wir beten nichts mehr an“, schreibt er in seiner Auslegung der „zehn Worte“, die zur gleichen Zeit entstanden ist, wie Überlegungen zur Möglichkeit eines religionslosen Christentums. „Wir haben die Hinfälligkeit und Nichtigkeit aller Dinge, aller Menschen und unsrer selbst zu deutlich erlebt, als dass wir sie noch zu vergöttern vermöchten. Wir sind am ganzen Dasein zu irre geworden, als dass wir noch fähig wären, Götter zu haben und anzubeten. Wenn wir noch einen Götzen haben, so ist es vielleicht das Nichts, das Auslöschen, die Sinnlosigkeit“ (DBW 16, 664). „Darin sind wir wirklich Nihilisten“, kommentiert er das in dem Gefängnisbrief vom 27.6.1944 (DBW 8, 499). Das Leben ohne Gott im Ignorieren dieser Realität zu verklären, war deshalb ganz gewiss nicht die Intension seiner Einsicht der Inanspruchnahme der religionslosen Welt durch Christus. Wir dürfen zudem ja nicht vergessen, dass er das Alles angesichts der menschenmörderischen Exzesse der Nazis geschrieben hat, die mit ihrer ins Religiöse überhöhten Religionslosigkeit nichts als die Verleugnung Christi entsetzlich ins Werk setzten. Dass Religionslosigkeit jederzeit selber in eine totalitäre Pseudoreligion umschlagen kann, hat er in dem Ethikfragment „Erbe und Verfall“ aus dem Jahre 1940 eindrücklich dargestellt. Er hätte dieses Profil der Religionslosigkeit, das weithin zu ihrem realen Erscheinungsbild gehört, also durchaus zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen machen können. Wir können in ihm Vieles bei unseren „Konfessionslosen“ von heute wieder erkennen, was er da zu seiner Zeit wahrgenommen hat. Wo Gott geleugnet wird und die Totalitarismen verblassen, greift eine eigentümliche Geschichtslosigkeit Platz. Es gibt dann „keine Zukunft und keine Vergangenheit“ mehr. „Es gibt nur noch den aus dem Nichts geretteten Augenblick und das Erhaschenwollen des nächsten Augenblicks. [...] Nichts haftet und nichts behaftet. [...] Ereignisse von weltgeschichtlicher Bedeutung ebenso wie unerhörteste Verbrechen hinterlassen in der vergesslichen Seele keine Spur. Mit der Zukunft wird gespielt. [...] Es gibt kein persönliches Schicksal und darum keine persönliche Würde. [...] An die Stelle der ‚großen Überzeugungen’ und des Suchens des eigenen Weges tritt das leichtfertige Segeln mit dem Wind. [...] Weil es kein Vertrauen zur Wahrheit gibt, darum tritt an ihre Stelle die sophistische Propaganda. [...] Auf die Frage, was bleibt, gibt es nur die eine Antwort: die Angst vor dem Nichts“8DBW 6, 120f.). In der DDR hat die Zensur verhindert, dass dieser Text Bonhoeffers erscheinen durfte. Im theologischen und kirchlichen Lob der Religionslosigkeit wollten sich die mächtigen Protagonisten der Gottlosigkeit wohl sonnen. Dass die Religionslosigkeit auch in ein bodenloses und nichtiges Unterfangen abgleiten kann, aber wollten sie nicht wissen. Bonhoeffer wusste das. Er hat es ja über alle theologische Erkenntnis hinaus an Leib und Seele erlitten. Umso erstaunlicher ist, dass er sich gerade in dieser Situation nicht auf das fixiert hat, was das Leben ohne Gott Übles und Böses ausspeit, was es der Christenheit antut, wie es in sich hochmütig-dumm verschlossen ist. Christus bringt für ihn, als er sich im Gefängnis noch einmal darauf besinnt, eine Differenz in das die Christenheit bedrängende Phänomen des Lebens ohne Gott um sie her. Er bringt die beste Seite der Religionslosigkeit zum Leuchten, ihren Ursprung im Anliegen eines Leben in mündiger Verantwortlichkeit für diese Welt. Er lehrt die Christenheit, die Religionslosigkeit besser zu verstehen, als sie sich selbst versteht, kann Bonhoeffer sagen. Wie Bonhoeffer das begründet hat, wollen wir uns Kürze an dem wichtigsten Text ansehen, den er zu seinem theologischen Verständnis der Mündigkeit der religionslosen Welt geschrieben hat. 3. Die Mündigkeit der Welt und die „Kirche für Andere“ Theologisch auffällig ist, dass Bonhoeffer die mündige Weltverantwortung nicht mit der Schöpfungstheologie begründet. Dahin gehört dieses Thema nämlich eigentlich, indem Gottes Geschöpfe von Gott zu dieser Verantwortung aufgerufen werden. Bonhoeffer dagegen, der ja über die Mündigkeit der Welt nachdachte, wie sie ohne den Glauben der Menschen an Gott verstanden werden muss, argumentiert christologisch. Seine entscheidenden Einsichten hat er mit einer Auslegung des Kreuzesschreis Jesu „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen“? zu gewinnen versucht (Markus 15,34). Sie steht in einem Brief vom 16.7.1944, wo er von der Christenheit angesichts der Religionslosigkeit „letzte Redlichkeit“ verlangt. Dort heißt es: „Wir können nicht redlich sein, ohne zu erkennen, dass wir in der Welt leben müssen – 'etsi Deus non daretur'. Und eben dies erkennen wir – vor Gott! Gott selbst zwingt uns zu dieser Erkenntnis. So führt uns unser Mündigwerden zu einer wahrhaftigeren Erkenntnis unserer Lage vor Gott. Gott gibt uns zu wissen, dass wir leben müssen als solche, die mit dem Leben ohne Gott fertig werden. Der Gott, der mit uns ist, ist der Gott, der uns verlässt (Markus 15,34)! Der Gott, der uns in der Welt leben läßt ohne die Arbeitshypothese Gott, ist der Gott, vor dem wir dauernd stehen. Vor und mit Gott leben wir ohne Gott. Gott läßt sich aus der Welt herausdrängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns. Es ist Matth.8, 17 (Fürwahr er trug unsere Krankheit...) ganz deutlich, dass Christus nicht hilft kraft seiner Allmacht, sondern kraft seiner Schwachheit, seines Leidens!“ (DBW 8, 533f.).
Das ist in der Tat ein höchst dichter Text. Bonhoeffer war selbst mit ihm nicht zufrieden und empfand ihn viel zu „schwerfällig“. Versuchen wir, ihn aufzuschlüsseln! Der Grundgedanke ist: Indem sich Gott am Kreuze Christi mit dem Leiden und Sterben des Menschen Jesu eins gemacht hat, hat er die Selbstständigkeit der Welt bestätigt. Sie muss leben ohne seine machtvollen Eingriffe. Hier verlässt uns Gott als deus ex machina. Wir müssen auf der Erde leben, ohne die Macht eines Gottes für unsere weltlichen Probleme in Anspruch zu nehmen. Wir müssen mit einem weltlich ohnmächtigen Gott leben. Das heißt aber nicht, dass wir damit Gott als solchen los sind. Gerade so, als Menschen, die etsi deus nondaretur leben müssen, stehen wir vor Gott. In seiner weltlichen Ohnmacht ist er bei uns und so stehen wir vor ihm. Aber was heißt jetzt: „er hilft uns“? Die Antwort wird im folgenden Brief vom 18.7.1944 gegeben: Sie lautet: Gott hilft uns, indem er uns an seinem Leiden an einer Welt teilnehmen lässt, welche ihre Autonomie dazu benutzt, diese Welt zugrunde zu richten, Menschen zu kreuzigen und zu quälen. Er befreit die, die auf ihn bezogen sind, zu echter Weltlichkeit und nicht zu einer solchen, wie sie etwa Nazis praktizierten. Er befreit sie zum Dasein für die, die unter dieser Welt leiden, zum „Dasein für Andere“. Das ist ihre religionslose Existenz, die nicht darauf wartet, dass ein selbst ausgedachter mächtiger Gott eingreift. Die Kirche Jesu Christi lebt unter den religionslosen Menschen dementsprechend so, als ob es Gott nicht gäbe (Hugo Grotius). Gott befähigt sie zu solchem Leben, indem er ihnen am Kreuz Christi zu verstehen gibt, dass er selbst kein Gott der Macht ist. In seiner Ohnmacht, in der er sich aus der Welt heraus drängen lässt, hilft er denen, die ihn glauben, vielmehr so, dass er sie auf einen Weg in dieser Welt schickt, auf dem sie „helfend und dienend an den weltlichen Aufgaben des menschlichen Gemeinschaftslebens“ teilnehmen (DBW 8, 560). Nur wenn die Kirche in dieser Weise ohne alle religiösen Machtansprüche solidarisch mit den religionslosen Menschen lebt, werden ihre Worte wieder „Nachdruck und Kraft“ (DBW 8, 561) gewinnen. Existiert sie nicht so, dann soll sie lieber gar nichts sagen, weil sie damit nur wieder den Eindruck erweckt, den religiösen „Gott aus der Maschine“ zu verkündigen“. Sie muss dann eben das Geheimnis des Glaubens im Verborgenen – im Arkanum – bewahren bis eine Situation kommt, in der sie aufgrund ihrer religionslosen Existenz für Andere eine neue Sprache gewinnt. Eine Sprache, sagt Bonhoeffer, „vielleicht ganz unreligiös, aber befreiend und erlösend wie die Sprache Jesu, dass sich die Menschen über sie entsetzen, aber doch von ihrer Gewalt überwunden werden, die Sprache einer neuen Gerechtigkeit und Wahrheit“ (DBW 8, 436). Dietrich Bonhoeffer war ein Theologe, der keine halben Sachen gemacht hat. Er ist mit dem, was er als wahr erkannte, immer aufs Ganze gegangen. Das merken wir auch hier. Denn er hat sich die „Kirche für Andere“, die in den Spuren Christi auf alle Machtausübung verzichtet, so vorgestellt, dass sie „alles Eigentum den Notleidenden schenkt. Die Pfarrer müssen ausschließlich von den freiwilligen Gaben der Gemeinde leben, eventuell einen weltlichen Beruf ausüben“ (DBW 8, 560). Diese Forderung hat sich bisher keiner niemand zu eigen gemacht, der sich auf Dietrich Bonhoeffer berufen hat. Auch der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR, der sich „Kirche für Andere“ nannte, hat das nur in einem ganz abgeschatteten Sinne getan. Denn was Bonhoeffer hier forderte, war ja nicht weniger, als dass die Kirche sich gänzlich ungesichert an einen neuen Anfang stellen muss, um der Mündigkeit von Menschen gerecht zu werden, die religionslos leben. So ernst vermag auch heute unsere nach Parochialprinzip über das ganze Land verbreitete Kirche die Mündigkeit der Welt nicht zu nehmen, dass sie sich – worauf Bonhoeffers Überlegungen letztlich hinauslaufen – auf den Weg zu einer Freikirche zu geben vermöchte, in der sich nur Christinnen und Christen sammeln, die bereit sind, in der geschilderten Weise am „Leiden Gottes“ teilzunehmen. Eine Rückkehr zum Urchristentum, wo die Menschen sich spontan in den Häusern oder in den Katakomben versammelten, wird es bei einer Organisation, die Aufgaben für Millionen Menschen wahrzunehmen hat, nicht geben. Auch sonst bleiben viele Fragen offen, die an Bonhoeffers Überlegungen und Forderungen zu stellen sind. Ob die Kirche z.B. ihre Verkündigung eine zeitlang einstellen soll, um ein freies Feld für eine neue Sprache für Gott zu gewinnen, ist in einem Kontext, der sich im Vergessen Gottes übt, mehr als fraglich. Dass Bonhoeffers Verständnis von „Religion“ ausreicht, um die Christenheit selbst bei intensivster Teilnahme an mündiger Weltverantwortung für Andere als „religionslos“ zu profilieren, darf bezweifelt werden. Wo an Gott geglaubt wird, ist der Begriff der „Religion“, der in seinem ursprünglichen Sinne die Gottesverehrung meint, doch gar nicht fern zu halten. Bonhoeffers eigene intensive Frömmigkeit kann in diesem Sinne ohne Zweifel „Religion“ genannt werden. Sie war von der starken Gewissheit getragen, dass Gott in seiner Unsichtbarkeit da ist und glaubende Menschen auf einem Wege führt. Nur deshalb kann die Kirche in Bonhoeffers Sinne ja auch die Kraft haben, sich auf die Religionslosigkeit einzulassen, ohne in ihr zu versinken. Es hat in meiner Studentenzeit einmal eine theologische Richtung gegeben, die sich unter Berufung auf Bonhoeffer „Theologie nach dem Tode Gottes“ nannte. Dorothee Sölle war in Deutschland die bekannteste Vertreterin dieser Richtung. Sie hat Bonhoeffers Erwägungen in den Gefängnisbriefen auf den Punkt gebracht, dass wir nach dem Tode Gottes als „Lückenbüßer“ nun selber stellvertretend für Gott eintreten hätten, da Gott sich sozusagen verausgabt habe. Bonhoeffer aber hat gemeint, dass gerade der am Kreuz ohnmächtige Gott uns „hilft“ und ermächtigt, den Weg einer „Kirche für Andere“ in einer mündigen Welt zu gehen. Die Konzentration auf Gott im Gebet war darum für ihn eine ganz starke Stütze, diesen Weg gegen zu können. Beten aber ist ohne Zweifel ein religiöser Akt, so dass es nicht geraten erscheint, die Breite christlichen Lebens in Bonhoeffers spezifischen Begriff der „Religionslosigkeit“ zu pressen. Doch trotz dieser Anfragen bleiben die Impulse, die von Bonhoeffer für unser kirchliches und christliches Leben in einer gottesvergessen-atheistischen Umwelt ausgehen, wichtig. Ich summiere sie abschließend in Kürze, wobei ich allerdings angesichts der Situation, in der wir heute sind, jeweils einen Schritt über Bonhoeffer hinaus gehe. 4. Impulse Bonhoeffers für das Leben der Gemeinde inmitten „religionsloser“ Menschen 1) Bonhoeffer ermutigt uns, die Menschen, die sich in einer gottesvergessenen Religionslosigkeit eingerichtet haben, trotz ihrer Ablehnung Gottes nicht als gott-feindliche oder gottlose Menschen anzusehen, die für den Glauben und die Kirche verloren sind. Auch in noch so fragwürdiger Gestalt stehen sie für ein von Gott selbst bejahtes Anliegen gut: für die ihnen zu eigener Erkenntnis und Verantwortung frei gegebene Welt und für ein selbst verantwortetes Leben. Die Christenheit weiß sich Namen Jesu Christi mit ihnen verbunden und ist mit ihnen solidarisch, weil Christus mit ihnen verbunden und solidarisch ist. In der Begegnung mit ihnen kann und muss darum deutlich werden, dass sie mit ihrer Religionslosigkeit ein Anliegen wahrnehmen, das von der Kirche verstanden, ja geschätzt wird. Wir sehen diese Menschen in Jesus Christus an und nehmen die Gründe ernst, die sie „religionslos“ im beschriebenen Sinne sein lassen. 2) Kirchen und Gemeinden, die sich hauptsächlich oder ausschließlich mit sich selbst beschäftigen, wie es z.B. in den letzten 20 Jahren der Fall gewesen ist, versäumen ihren Auftrag. Es gibt erklärbare Gründe für diese Selbstbeschäftigung, wie sie etwa in dem sog. Prozess, der unter dem Titel „Kirche der Freiheit“ von der EKD angestoßen wurde, betrieben wird. Die Kirchen müssen sich angesichts ihres Schrumpfens, das in ganz Deutschland durch den „demographischen Faktor“ mehr befördert wird als durch den Atheismus, neu sortieren und strukturieren. Wenn dieses Sortieren und Strukturieren aber nicht dazu führt, dass erkennbar wird, wie sich Kirchen und Gemeinden auf die religionslosen Menschen einlassen, dann führt das dazu, dass sie sich neben ihnen in einer Sonderwelt einrichten. Das widerspricht nach Bonhoeffer ihrem Verpflichtetsein durch den gekreuzigten Jesus Christus, der mitten unter den religionslosen Menschen für sie da ist. 3) Ohne über das Gottesverständnis aufzuklären, kann unsere Kirche kein Verstehen ihrer Botschaft im religionslosen Milieu erwarten. Die Aufklärung, welche vor allem von Nöten ist, besteht darin, dass der Glaube an Gott immer auch die weltliche Abwesenheit Gottes und damit die am Kreuz Jesu Christi sichtbare Ohnmacht Gottes bejaht und das nicht als einen Mangel empfindet. Der Gott des christlichen Glaubens kann nicht im Zeichen der Demonstration göttlicher Übermacht bezeugt werden. Bonhoeffer lehrt uns verstehen, dass dies nicht etwas Negatives ist. Indem Gott sich mit dem Erweise einer Macht, die Andere überfährt und zwingt, zurück hält, schafft er Raum für eine ihm gegenüber freie, mündige Welt. Er verbrennt sie nicht mit seinem göttlichen Glanze. Er geht die Welt und also uns Menschen vorsichtig an, können wir auch sagen. Er bleibt unsichtbar und verborgen. Die religionslosen Menschen nehmen das zum Anlass, a-theistisch, gott-los, zu werden. Sie vermissen Gottes Machterweise, während sie doch in der Sicht des Glaubens gerade denen Raum einnehmen, den Gott ihnen gewährt. Gott kann darum auch für sie zu Orientierung rechter Wahrnahme mündiger Weltverantwortung und autonomer Lebensgestaltung werden. Ihre Religionslosigkeit, die darin begründet ist, dass Gott nicht als Lückenbüßer auftritt, ist kein hinreichender Grund, Gott zu vergessen und ohne Gott zu leben. 4) Im Glauben an die Anwesenheit Gottes in der Kraft seines Geistes wird sich die Kirche mit ihren Gemeinden und ihren Gliedern unter den religionslosen Menschen so darstellen, dass sie ihre eigenen Grundlagen ernst nimmt. Sie werden so von Gott reden, dass er die andauernde und durchhaltende Inspiration zu einem wahrhaft menschlichen, verantwortlichen Leben ist. Denn er bleibt auch in seiner weltlichen Ohnmacht Gott, ewige, dauernde Wirklichkeit. Wo er ist und im Glauben wahrgenommen wird, perspektiviert er darum das Leben von Menschen, das Dasein der Welt, das Leben der Glaubenden. Bonhoeffer hat diese Perspektivierung Führung genannt. Es ist eine Führung, die uns vor Unheil und Übel nicht auf eine zauberische Weise bewahrt. Sie lässt uns teilnehmen am Leiden Gottes in dem Leid, dass Menschen sich zufügen, indem sie die Freiheit missbrauchen, die der vorsichtige Gott ihnen einräumt. Gott macht uns nicht nur das Gute, das wir erfahren dürfen, sondern auch das Leiden zu Stationen auf einem Wege, auf dem er uns an seinem gewaltlosen Eintreten für seine Geschöpfe beteiligt. Menschen, die nur locker zur Kirche gehören und sich bestenfalls als passive Nutznießer ihrer religiösen Angebote verstehen, werden zu einem solchen „Teilnehmen am Leiden Gottes“ schwerlich bereit sein. Insofern muss man den Trend des gegenwärtigen „Reformprozesses“ der deutschen Landeskirchen, vor allem die sog. Kultur- oder Privatchristen zu bedienen, sehr kritisch sehen. Christinnen und Christen, deren Leben nur ein paar religiöse Schnörkel aufweist, die sich aber nicht wirklich mit auf dem Wege mit Gott befinden, demonstrieren unter religionslosen Menschen die Überflüssigkeit des christlichen Glaubens. Denn religiöse Schnörkel kann man dem Leben auch ohne diesen Glauben verpassen. Wächst dagegen die Fähigkeit der Gemeinde und Glieder in der Intension Bonhoeffers von Gott reden, dann besteht zweifellos die Chance, dass Menschen, die Gott schon längst vergessen haben, merken, wie dass Wort Gott die Stärken ihres weltlichen Daseins ans Licht hebt und ihr ganzes Leben in einen Zusammenhang stellt, der es zu einem Weg macht und nicht bloß zu einem Ablauf. Alle Christinnen und Christen sollten sich jedenfalls der großen Verantwortung bewusst werden, die sie dafür haben, was das Wort Gott bei Menschen auslöst. Denn wo er gänzlich unbekannt ist, kommt es mehr als anderswo darauf an, wie wir mit ihm bekannt machen. Wenn Dietrich Bonhoeffer dabei unser Gesprächspartner ist, sind wir für die Aufgabe, auch wenn wir ihm da und dort widersprechen müssen, gut gerüstet. Lassen sie uns schließen, indem wir noch einmal Bonhoeffers Stimme selbst hören. Am selben Tage, nämlich am 08.06.1944, an dem der große Brief über „Christus und die mündig gewordene Welt“ geschrieben ist, den wir hier vor allem im Auge hatten, „flossen“ Bonhoeffer (wie er sagt) in Auslegung von 1.Petr 3,9 folgende Worte „in die Feder“: „Das war“, sagt er da, „die Antwort Gottes auf die Welt, die Christus ans Kreuz schlug: Segen ... Segnen, das heißt die Hand auf etwas legen und sagen: du gehörst trotz allem Gott. So tun wir es mit der Welt, die uns solches Leiden zufügt. Wir verlassen sie nicht, wir verwerfen, verachten, verdammen sie nicht, sondern wir rufen sie zu Gott, wir geben ihr Hoffnung, wir legen die Hand auf sie und sagen: Gottes Segen komme über dich“ (DBW 8, 675).
Die konkreten Herausforderungen für die Rede von Gott im atheistischen Umfeld 1. Schwierigkeiten mit der Mission. Nach Lage der Dinge und nach menschlichem Ermessen wird es in absehbarer Zeit im Osten Deutschlands keinen „Megatrend“ der Hinwendung der konfessionslosen Bevölkerung zum Glauben und zur Kirche geben. Wir müssen damit rechnen, dass für die Generationen der konfessionslosen Bevölkerung, die wir überblicken können, das Leben ohne Glaube und Kirche endgültig ist. Ob es auch für künftige Generationen beim verfestigten Klima oder Milieu der atheistischen Konfessionslosigkeit bleibt, kann man allerdings bezweifeln. Denn dieser Konfessionslosigkeit, sofern sie sich vor allem in Gleichgültigkeit gegenüber Glaube und Kirche äußert, ist als solcher nur wenig gesammelte geistige oder kulturelle Kraft zur Zukunftsgestaltung eigen. Sie ist als solche ja nur eine Negation. Sie braucht ethische und kulturelle Anleihen von anderswo, um sich als zukunftsorientiert empfehlen zu können. Demgegenüber repräsentiert die Minderheit der christlichen Gemeinden ein beachtliches religiöses, geistiges und kulturelles Potenzial mit einem Vorsprung an gesammelter menschlicher Erfahrung mit Tiefgang, der schon heute gar nicht zu unterschätzen ist. Dieses Land sähe völlig anders aus, wenn es die Kirche nicht gäbe. In diesem Sinne hat das östliche Impulspapier von 1995 mit den Überschrift „Minderheit mit Zukunft“ nicht nur den Glaubenssatz wiederholt, dass eine heilige Kirche beständig ist und bleibt (CA 7). Es hat auch im Hinblick auf die faktische Situation deutlich gemacht, dass die Kirche längeren Atem für die Zukunft hat, als die unbekümmerte Alltagspragmatik oder gar die Hingabe an irgendeine Pseudo- und Ersatzreligiosität. Insofern besteht kein Grund zur Resignation, weil das Erinnern an Gott nur so langsam voran kommt. Die christlichen Kirchen sind im Osten Deutschlands zwar zur gesellschaftlichen Minderheit geworden. Aber ein Viertel der Bevölkerung, das auf den Reichtum von Gottes Menschlichkeit konzentriert ist, hat gegenüber dem diffusen Erscheinungsbild des konfessionslosen Milieus einen im Grunde uneinholbaren Vorsprung. Im Vertrauen darauf können unsere Kirchen und Gemeinden versuchen, Schwerpunkte zu setzen, die dem Vertrautmachen mit dem Glauben an Gott in der gottesvergessen-konfessionslosen Bevölkerung des Ostens Deutschlands dienlich sind. Allerdings halten nicht wenige in der Kirche die Forderung, die Mission unter der atheistisch-konfessionslosen Bevölkerung in den Mittelpunkt des kirchlichen und gemeindlichen Dienstes zu stellen, für eine Illusion im Gewande einer abstrakt-theologischen Richtigkeit. Denn die Realität sieht so aus, dass die Kirchen und Gemeinden als Teil einer über das ganze Land verbreiteten Institution mit den dazu gehörenden Gebäuden und Einrichtungen alle Hände voll zu tun haben, um sich selbst zu erhalten. Mission aber bedeutet seit den Zeiten der Urchristenheit, dass die Verkündigung Gottes durch das Gehen der Apostel der Christenheit zu den Nichtglaubenden geschieht, dass die Christenheit in ihrer Lebenswelt einwohnt. Genau das müsste angesichts der Atmosphäre der Religionslosigkeit des Ostens geschehen. Denn nach meiner Meinung kann sich der Glaube an Gott nur durch die persönliche Begegnung mit Menschen, die glauben, bilden. Von außen lässt sich die Atmosphäre der Glaubensferne nämlich nicht auflösen, auch nicht mit religiöser Medienbeschallung. Das prallt ab. Den typischen ostdeutschen konfessionslosen Menschen bestätigen die medialen Nachrichten aus der Welt der Religion und der Religionen vielmehr darin, dass es sich hier um etwas Absurdes handelt. Wenn mich jemand aus der konfessionslosen Bevölkerung nach der Religion fragt, dann tritt da selbst unter Gebildeten eine erstaunliche Ahnungslosigkeit und vor allem ein Fehlen von Differenzierungsvermögen zu Tage. Alles wird in einen Topf geworfen: Die angeblichen Wunder des verstorbenen Papstes, der Islamismus in Gestalt der Selbstmordattentäter, die zu Tode Getrampelten vor der Kaaba, der Glaube an die Seelenwanderung, der Dalai Lama, die Jesus-Freaks auf dem Kurfürstendamm, die Blutorgien der Passion Christi a la Mel Gibson, Da Vinci Code usw. Die vielen Menschen im Osten Deutschlands brauchen darum Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner, um sich durch dieses religiöse Gewirr hindurch zu finden und zu bewerten, was echter Gottesglaube und was religiöser Irrsinn ist. Diese Gesprächspartnerinnen und Gesprächpartner sind die Glieder der evangelischen Kirchen im Osten Deutschlands faktisch aber nur auf eingeschränkte Weise. Denn auch hier sieht die kirchliche und gemeindliche Wirklichkeit so aus, wie auch weiter westlich. Die Gemeinde stellt sich so dar, dass es einen kleinen, engagierten Kern von Christinnen und Christen gibt, die Meisten aber gehören nur locker zur Kirche und betrachten sie als eine religiöse Versorgungsinstitution und nicht als Sache ihrer eigenen Verantwortung. Die hauptamtlichen Trägerinnen und Träger der Gemeindearbeit aber können kaum leisten, was im konfessionslosen Umfeld der Gemeinde eigentlich nötig wäre. Sie sind voll und ganz damit ausgelastet, das Gemeindeleben aufrecht zu halten, wobei sie obendrein Funktionen in der Verwaltung, in Finanz- und Baufragen zu übernehmen haben, die eigentlich gar nicht ihres Amtes sind. Hinzu kommt, dass die Gemeinden viel größer sein müssen als in der DDR-Zeit, um eine Pfarrstelle zu tragen. Die hauptberuflichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – nicht nur die Pfarrerinnen und Pfarrer – aber werden immer weniger. Eine ähnliche Entwicklung gibt es in ganz Deutschland. Aber im Osten vollzieht sie sich auf einem Niveau, das den Auftrag der Kirche im Hinblick auf alle Menschen in diesem Landes tangiert. Vielerorts kann gerade so das Nötige getan werden, um das Leben der Gemeinde aufrecht zu erhalten. Von einer gezielten Zuwendung zu den Menschen im konfessionslosen Milieu, die auf persönliche Begegnung mit ihnen aus ist, kann da in einer bemerkenswerten Breite nicht die Rede sein. Diese Zuwendung ist aber nötig. Denn die Menschen sind unserer Kirche zwar in der DDR-Zeit massenhaft verloren gegangen. Sie werden aber nur alle einzeln wieder gewonnen. Darauf muss sich unsere Kirche einstellen. Im Moment sieht es jedoch so aus, dass Menschen aus dem konfessionslosen Milieu nur zufällig mit einer christlichen Gemeinde Kontakt bekommen – bei Amtshandlungen z.B. oder wenn Konfirmandinnen und Konfirmanden ihre Freundinnen und Freunde zum Unterricht mit bringen. Ein wirklicher missionarischer Faktor sind auch die auch Kulturangebote der Kirchen nicht. Solche musikalischen und anderen Angebote werden wie Theater-Vorführungen mitgenommen, ohne dass sie zu etwas verpflichten. Kurz und gut: Die Möglichkeiten unserer organisierten Kirchen, missionarisch im konfessionslos-atheistischen Milieu wirksam zu werden, sind gegenwärtig sehr begrenzt. Das hat vielerorts dazu geführt, dass solche Mission gar nicht als zu gestaltender Auftrag der Gemeinden in Angriff genommen wird. Das hängt sicherlich auch mit Erfahrungen zusammen, die mit der Hartwandigkeit des atheistischen Milieus gemacht wurden. Besuchsdienste von Tür zu Tür werden aufgegeben, weil das Erlebnis, dass man wie irgendein Vertreter andauernd die Türe vor der Nase zugeknallt bekommt, schwer auf die Dauer zumutbar ist. In einer Hinsicht aber können die Gemeinden jedoch wirklich etwas tun, um über die zufälligen Begegnungen der atheistisch-konfessionslosen Menschen mit Glaube und Kirche hinaus etwas für die Überwindung der antireligiösen Ressentiments und Vorurteile im atheistische Milieu zu tun. 2. Die Verantwortung aller Glaubenden: Atmosphären für Gott schaffen Angesichts dessen, dass der kirchliche Auftrag alleine durch die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – vor allem durch die Pfarrerinnen und Pfarrer – nicht mehr erfüllt werden kann, ist es zu verstärkten Beförderung des sog. „Ehrenamtes“ in der Kirche gekommen. Es ist auch ganz erfreulich, wie viele Gemeindeglieder dazu bereit sind, obwohl das nicht Wenigen angesichts der Belastungen in Beruf und Familie auf die Dauer auch zu viel zu werden droht. Wir sollten aber im Bewusstsein halten, dass „Ehrenamt“ eigentlich eine Kategorie aus dem Vereinswesen ist und dem internen Florieren des Vereins dient. Die reformatorische Grundeinsicht vom „Priestertum aller Glaubenden“ aber bedeutet, dass alle Glaubenden sich für die Verkündigung des Evangeliums verantwortlich wissen und in der Lage sind, ihren Glauben in ihrer Lebenswelt, die sie mit Nichtglaubenden teilen, zu artikulieren und zu ihm zu stehen. Weil es an dieser Fähigkeit mangelte, genügte in der DDR schon verhältnismäßig geringer Druck von Seiten des Staates, um die Kirchengliedschaft fahren zu lassen. Die Gemeinden sollten deshalb Alles daran setzen, ein Verständnis des Christseins zu befördern, zu dem das Eintreten für den Glauben außerhalb des kirchlichen Raums in der Berufs-, Freizeit- und Privatwelt fundamental hinzu gehört. Es ist im Osten Deutschlands wesentlich, dass der Glaube auf diese Weise an den Orten des Lebensvollzuges der kirchenfernen Menschen vorkommt. Schon bei der Taufe, bei der Christenlehre und im Konfirmandenunterricht und möglichst auch im Religionsunterricht sollte zu diesem aktiven Verständnis des Christseins ermutigt und befähigt werden. Der lässig-passive Nutznießer eines religiösen Angebots der institutionalisieren Kirche, der unfähig ist, seinen Glauben angesichts des Atheismus seiner Mitmenschen zu artikulieren, bringt die Kirche im konfessionslos-atheistischen Milieu dagegen nicht voran. Was sich die EKD z.B. gerade beim Ausrufen des „Jahres der Taufe“ leistet, ist nur zu kritisieren. Hier tritt fast völlig in den Hintergrund, dass die Taufe auch der Beginn eines selbst verantworteten christlichen Lebens in der Nachfolge Jesu Christi ist. Vonnöten ist aber im atheistisch-konfessionslosen Umfeld eine Kirche, in der immer mehr Menschen fähig werden, selbst die Wahrheit des christlichen Glaubens zu verantworten. Ich unterstreiche das mit folgendem Hinweis, der auf den ersten Blick vielleicht ein wenig abstrakt wirkt. Die Sprache, mit der wir Menschen kommunizieren, hat die Eigentümlichkeit, dass sie Atmosphären schafft, Räume, in denen Stimmungen herrschen, die uns angenehm oder unangenehm berühren. Wenn ich die Gottesvergessenheit ein „Milieu“ genannt habe, dann meinte ich in der Tat auch: Hier herrscht eine bestimmte Atmosphäre, in welcher das Wort „Gott“ keinen Platz hat. Auf der anderen Seite schafft auch das Reden von Gott einen solchen atmosphärischen Raum. Im Neuen Testament wird das Sein der Glaubenden als ein Sein „in Christus“ (vgl. Röm 8, 1. 39; I Kor 1,30; Phil 2,5 u. ö.) und Sein „im Geist“(vgl. Gal 5, 16. 25) beschrieben, das Raum gegenüber dem „Sein im Fleisch“ (vgl. Gal 3,3) gewinnt. Die christliche Gemeinde ist darum zweifellos auch ein Raum, dessen Atmosphäre durch den Geist Christi bestimmt ist. In diesem Raum ist es selbstverständlich, von Gott Bestimmtes zu sagen. Das Fatale ist allerdings, dass dergleichen atmosphärisch vertraute Räume es an sich haben, sich vor fremden Räumen abzuschotten, ja zu immunisieren. Sie haben eine Tendenz, „dickwandig“ zu werden, sagt Peter Sloterdijk. Das Verhältnis des konfessionslosen Milieus zur Kirche ist ein gutes Beispiel dafür. Eine abgeschlossene und verriegelte Atmosphäre aber tut keinem Menschen in dieser facettenreichen, vielfältigen Welt gut. Menschen mit Erfahrungen der Atmosphäre „hinter der Mauer“ wissen davon ein Lied zu singen. Ohne dass Anderes in einen atmosphärischen Raum einsickert, ohne Zufuhr von außen erstarrt er in Leblosigkeiten. In den alltäglichen Kommunikationen von Menschen untereinander aber werden alle Atmosphären „dünnwandig“. Es fließen andere raumbildende Klimata in sie ein, welche die dicken Wände durchlässig werden lassen. So etwas geschieht nicht durch Totalkonfrontation. Es findet aber statt, wenn sich Menschen aus verschiedenen Atmosphären unmittelbar begegnen. Und damit wären wir wieder an dem Punkt, an welchem das „allgemeine Priestertum aller Glaubenden“ nicht als Vereinskategorie, sondern als Lebensweise von Christinnen und Christen Bedeutung gewinnt. Indem sie in der Lebenswelt, in der sie arbeiten, ihre Freizeit wahrnehmen und auch sonst in vielfältigen Beziehungen zu ihren gottesvergessenen Mitmenschen den Glauben an Gott zu artikulieren vermögen, entstehen gewissermaßen Blasen in einer hartwandigen Atmosphäre, die sie aufzulockern vermögen. Das sind kleine Räume, die Menschen mit einem anderen Wirklichkeitserleben berühren, als es im atmosphärischen Raum der Gottesvergessenheit und Gottesgleichgültigkeit zur Gewohnheit geworden ist. Denn „Artikulieren“ heißt auf dieser Ebene ja nicht, Formeln gebrauchen und etwas dem Sprechenden selbst Fremdes ausdrücken. Artikulieren heißt: Das eigene Leben mit dem Wort „Gott“ aussprechen. Christsein ist in diesem Sinne ein Artikulationsort für Gott, der in den alltäglichen Kommunikationen der Verfestigung des Klimas der Gottesvergessenheit entgegen wirken kann. Angesichts des faktischen Christseins, wie es überwiegend existiert wird, klingt das freilich ziemlich wohlgemut. Denn mit der Fähigkeit, den eigenen Glauben artikulieren zu können, ist es in der volkskirchlich orientierten kirchlichen Realität schlecht bestellt. Es herrscht das Bewusstsein, für das Reden von Gott seien hauptsächlich die Pfarrerinnen und Pfarrer, die Religionslehrerinnen und Religionslehrer und Alle, die hauptberuflich oder „ehrenamtlich“ im Dienst der Kirche stehen, zuständig. Dieses Gefälle zwischen der redenden und der schweigenden Kirche lässt Atmosphären, in denen geglaubt und vom Glauben geredet wird, nur im Umkreis kirchlicher Räume zu. Sicherlich kann es immer wieder gelingen, dass Menschen, die mit dem Glauben an Gott sonst gar nichts zu tun haben, sich vom Ausstrahlen einer solchen Atmosphäre angezogen fühlen und in ihr heimisch werden. Das Gemeindeleben so zu gestalten, das es Menschen, die aus einer anderen Lebenswelt dazu kommen, nicht abschreckt, sondern im Gegenteil einlädt, ist eine Aufgabe, an welche die Gemeinde viel Aufmerksamkeit und Phantasie wenden müssen. Oft geschieht das nicht, so dass die verkirchlichte Glaubensatmosphäre „Außenstehende“ abschreckt und befremdet, weil ihnen hier ein Verhalten und Reden begegnet, das sonst in ihrer Lebenswelt nicht vorkommt. Ist es jedoch richtig, dass Atmosphären „die erste und entscheidende Wirklichkeit“ sind (vgl. G. Böhme, Aisthetik. Vorlesungen über Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre, München 2001. 56f.), die wir als wirklich wahrnehmen, dann muss theologisch ernst genommen werden, wie andere Menschen die Atmosphären wahrnehmen, in denen das Reden von Gott selbstverständlich ist. Das bedeutet, es muss gefragt werden, wo und wie es zu Berührungen des Wahrnehmens von Wirklichkeit zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden kommt. Da diese Berührungen sich natürlicherweise im Alltagsleben ereignen, besteht eine wesentliche Aufgabe des Pfarrdienstes und der anderen Dienste in der Kirche darin, die Verantwortlichkeit aller Christinnen und Christen für ihr Wahrgenommenwerden durch Menschen, die nicht glauben, zu wecken und zu stärken. Sie sind wesentlich verantwortlich dafür, welche Vorstellungen und Empfindungen sich bei Menschen einstellen, wenn sie die Worte „Kirche“, „Glaube“ und „Gott“ hören. Fällt das Bewusstsein und das Ausprobieren einer solchen Verantwortlichkeit aus, dann fehlen die Räume, welche die Dickwandigkeit der institutionalisierten Kirche sozusagen von der anderen Seite her durchlässig machen. 3. Gott und die Wahrheit Was ich mit dem Reden von Atmosphären für Gott gesagt habe, kann ganz gut an der Wendezeit im Jahre 1989 illustriert werden. Dort kamen Menschen in die Kirche, die eigentlich mit dem von der Staatsdoktrin eingetrichterten Ressentiment lebten, die Religion mache sich Illusionen über die Wirklichkeit. Nun kamen sie in Berührung mit Menschen, die glaubten, und die doch alles andere als Illusionisten waren. Das ermutigte, in eine Atmosphäre auch kirchlich institutionalisierten Redens von Gott einzutreten. Hier wurde darauf bestanden, das Lügennetz, das der „real existierende Sozialismus“ über die Wirklichkeit gezogen hatte, nicht zu akzeptieren und der Wahrheit die Ehre geben. Mit dem Reden von Gott wurde also die Situation, wie sie sich in der Wahrnehmung Aller darstellte, artikulierbar. Alle konnten verstehen: Wo es um Gott geht, geht es um Wahrheit, um das Offenbarwerden dessen, was wir sind. Wo von Gott die Rede ist, wird auf unverstellter Wirklichkeitswahrnahme bestanden. Wo Glaubende sind, tritt man in eine Atmosphäre der Wahrhaftigkeit ein. Warum diese Erfahrung nicht zum Nährboden einer neuen Unvorgenommenheit gegenüber dem Glauben an Gott geworden ist, stellt ein Kapitel für sich dar. Die von niemand erwarteten, schnellen und grundstürzenden Folgen des geschilderten Vorgangs haben es nicht zu seiner Vertiefung im Wirklichkeitserleben kommen lassen, die nachdrücklich im allgemeinen, privaten und öffentlichen Bewusstsein haftete. Dennoch wäre es kurzsichtig, das Alles mit dem Resümee ad acta zu legen, hier habe sich die Kirche nur für ein politisches Anliegen funktionalisieren lassen. Mit dem Ende dieser Funktion sei sie darum wieder sang- und klanglos in ihre frühere Funktionslosigkeit für die Menschen ohne den Glauben an Gott zurück gesunken. Denn Das Bestehen auf Wahrheit bleibt ja da das Kennzeichen der Kirche, der Gemeinden und aller einzelnen Christinnen und Christen auch unter den fundamental gewandelten gesellschaftlichen Verhältnissen. Es bricht beständig mit dem Vorurteil, der Glaube an Gott sei die Flucht in eine fabelhafte Überwelt oder ein Gegensatz zu dem, was wir von der Wirklichkeit wissen können. Zwar redet er aus einer uns unverfügbaren Dimension der Wirklichkeit heraus. Aber diese Dimension öffnet unverstellt den Blick auf das, was Menschen in Wahrheit sind. Sie überfliegt nicht das tatsächliche Leben. Aber sie überwindet den „Weisheitsdünkel mit Maulwurfsaugen“ (I. Kant), der fast immer auf dem Plan ist, wenn die Relativitäten der Welt zu absoluten Beurteilungsgründen der menschlichen Wirklichkeit erhoben werden. Wo Christinnen und Christen sind, kann sich deshalb eine Atmosphäre der Wahrheit bilden. In ihr ist Wahrhaftigkeit im Wahrnehmen und Aussprechen von Wirklichkeit selbstverständlich. Aber Wahrheit bedeutet ja noch mehr. Wo von Wahrheit im biblischen Sinne die Rede ist, da geht es um das, worauf Menschen sich in den Unwägbarkeiten ihres Lebens schlechterdings verlassen können.[1] Wahrheit verleiht unserem Leben Beständigkeit. Wird das Wort Gott durch das Reden und Verhalten von Menschen Raum bildend mit dem Wort Wahrheit präzisiert, dann ruft es die Erfahrungen auf, die Menschen mit Beständigem und Unbeständigem in ihrem Leben gemacht haben. Es weckt die Fragen nach dem, was durchhält und bleibt und dem, was mit Recht vergeht. Es redet also von Gott als von einer unser Leben ausdauernd wahr machenden Wirklichkeit. Wo die Gottesrede Raum gewinnt, wird klar, dass Menschen nicht dazu da sind, ihr Leben in lauter Schein zu verbringen und sich auf das zu verlassen, worauf kein Verlass ist. Mit dem Worte Gott als dem intensivsten Anwalt eines in Wahrheit menschlichen Lebens werden Menschen also eingeladen, im Aussprechen des Wortes Gott sich selber auszusprechen. Sie können die Entdeckung zu machen, wie gut es ist, in einem Raum zu leben, in dem das Sich-offenbar-werden nichts Beschämendes hat, sondern unser Wirklichkeitsempfinden steigert. 4. Der Gott aller Menschen Setzen wir den Fall, es gelingt uns hin und wieder Atmosphären entstehen zu lassen, in denen ohne Befremdung oder Peinlichkeit von Gott geredet werden kann, dann wird die Frage wichtig, was denn von Gott zu sagen ist. Da aber stehen wir geradezu vor uferlosen Möglichkeiten. Von Gott wird auf unserer Erde in einer unübersehbaren Vielfalt geredet. Das ist an sich wunderbar. Denn es weist darauf hin, wie unerschöpflich Gott für unsere menschliche Erfahrung und damit auch für unsere Sprache ist. Seine geheimnisvolle, unsichtbare Wirklichkeit ist offenkundig so reich, dass der ganze Reichtum unser Sprache ausgeschöpft werden muss, wenn wir sagen wollen, wer und was er ist. Er begegnet Menschen in immer neuen Zusammenhängen ihres Lebens und ihrer Geschichte. Was er für sie bedeutet, ruft darum nach immer neuen Worten und Aussagen. Wollten wir eine Liste der Charakterisierungen Gottes zusammenstellen, die es nicht nur heute, sondern auch in der Vergangenheit, nicht nur im Christentum, sondern auch in den anderen Religionen gegeben hat und gibt – wir würden wahrscheinlich niemals ans Ende kommen. Doch diese auf den ersten Blick schöne und bunte Vielfalt der menschlichen Gottesrede ist zugleich auch ihr Problem. Denn Gott ist ja nicht irgendeine Wirklichkeit, die wir nach Belieben mit Worten schmücken und uns darüber wie über einen schönen, farbigen Kranz freuen können. Wo von Gott die Rede ist, geht es darum, was unser Dasein gründet und unser Leben entscheidet. Es geht also darum, worauf wir uns schlechterdings verlassen können, weil davon unser Leben abhängt. Letztlich geht es um Leben und Tod. Denn an Gott glauben, bedeutet immer, sich an einer Wirklichkeit orientieren, die dem Tode standhält. Menschen hätten niemals angefangen, das Wort „Gott“ auch nur in den Mund zu nehmen, wenn es hier bloß um ein Ornament ihres vergänglichen Lebens ginge. Wenn Gott in Spiel kommt, geht es um das, was aus dem Tode errettet. Ob Gott das ist oder sein kann, wird jedoch fraglich, je mehr Menschen von ihm mit den unterschiedlichsten Vorstellungen, Worten und Begriffen reden. Eine Macht, die den Tod besiegt, muss eindeutig und klar sein, wenn wir ihr vertrauen sollen. Wird Gottes Wirklichkeit in unserer Rede und im Spiegel des Handelns und Verhaltens von Glaubenden dagegen undeutlich und verschwommen, dann sinkt das Zutrauen zu ihr. Wird sie in unserer pluralistischen Gesellschaft noch dazu in den vielfältigsten religiösen Gestalten präsentiert, dann relativiert sich für die Fernsehkonsumenten von heute die für Gott zuständige Religion in einem merkwürdigen Mischmasch, das mehr Zweifel als Gewissheit auslöst. Es entsteht der Eindruck, dass dem Reden von Gott eine nebelhafte Wirklichkeit zu Grunde liegt, von der man im Grunde gar nichts sagen und zu der man darum eigentlich auch kein Verhältnis haben kann. Wenn jedoch keine Worte mehr zu Verfügung stehen, um auszudrücken, wer oder was Gott ist, wird das Schweigen von Gott praktisch zur Verneinung Gottes. Es gibt zwar ein sozusagen frommes Schweigen, das vor Gott andächtig verharrt. „Gott ist gegenwärtig: Alles in uns schweige“, singen wir im Kirchenliede. Dieses Schweigen aber führt zu intensiviertem Reden von Gott. Ein Schweigen jedoch, das sich der Ungewissheit verdankt, ob unsere Worte von Gott überhaupt etwas besagen, ist für den Glauben an Gott tödlich. Mit den Worten für Gott kommt für die Wahrnehmung von Menschen auch seine Wirklichkeit in Wegfall. „So lernt ich traurig den Verzicht, kein Ding sei, wo das Wort gebricht“, sagt Stephan George. Ein Schweigen von Gott, das auf die Verneinung Gottes hinaus läuft, ist darum, weil die Worte für Gott fehlen, ist darum nicht nur in der gottesvergessenen Atmosphäre des Ostens, sondern in der ganzen westlich-europäischen Welt verbreitet. Demgegenüber können sich die Kirchen und Gemeinden nicht auf den Standpunkt zurückziehen, der Glaube an Gott und das Reden von ihm sei nun einmal nicht jedermanns Sache. In einer demokratischen, pluralistischen Gesellschaft könnten es eben alle damit halten, wie sie möchten. Eine solche Einstellung zum Phänomen der massenhaften Gottesvergessenheit- und Gottesgleichgültigkeit verträgt sich nicht mit dem Wesen des christlichen Glaubens. Denn Gott, wie ihn dieser Glaube versteht, ist keine Privatgottheit oder ein nach Belieben zu deutendes oder abzulehnendes Jenseits. Schon der Begriff „Gott“ verliert seinen Sinn, wenn er nicht die Ansage einer Wirklichkeit ist, die alle Menschen unausweichlich angeht. Ein „bisschen Gott“ für ein paar dazu besonders begabte Menschen ist gar nicht Gott. Dass er auch die Menschen ganz angeht, die ihn vergessen haben, ist eine selbstverständliche Implikation des Glaubens an den Schöpfer und Versöhner aller Menschen. In seiner unsichtbaren Gegenwart leben alle. Mit ihm, wie er sich in der Geschichte Jesu Christi und Israels der Menschenwelt zugewandt hat, bekannt und vertraut zu machen, ist der Auftrag der christlichen Gemeinde. Ohne diesen Auftrag könnte die Gemeinde auch ein religiöser Verein sein, der selbstgenugsam seine besonderen Interessen in einer besonderen Atmosphäre pflegt. Die apostolische, in der Nachfolge der Zeugen Jesu Christi lebende Gemeinde ist im Unterschied dazu von Hause aus die zu anderen Menschen redende Gemeinde, die sich mit der Gottesvergessenheit und dem Verlust der Sprache für Gott niemals abfinden kann. Sie muss reden, wenn sie nicht selbst in den Sog tödlichen Schweigens gezogen werden soll. Aber eben: Was soll sie reden, wenn ihre Worte auf Menschen treffen, die zu hören verlernt haben, was ihnen da entgegen schallt? Was soll sie reden, damit ihre Stimme in einer pluralistisch religiösen und zugleich gottesvergessenen Situation nicht als eine unter anderen verhallt?
Welches Gottesverständnis möchten wir atheistisch gesinnten Menschen nahe bringen? 1. Gott „entpersonalisieren“? Natürlich gibt es keinen Königsweg für uns, wie der Glaube an Gott bei nicht-glaubenden Menschen geweckt werden kann. Die christliche Theologie und Kirche sind mit Recht immer davon ausgegangen, dass die Erweckung des Glaubens überhaupt kein Menschenwerk ist, sondern Werk des Heiligen Geistes. Wir können unser Reden von Gott deshalb nur als Wegbereitung (Dietrich Bonhoeffer) für das verstehen, was nur Gott alleine tun kann. Solche Wegbereitung ist für das Entstehen des christlichen Glaubens an Gott aber unerlässlich. Denn wer Gott ist, erschließt sich für diesen Glauben nur, wie er laut des biblischen Zeugnisses begegnet ist und begegnet. Christliches Reden von Gott muss Gott gewissermaßen den Dienst leisten, von der Geschichte zu erzählen, in der er unserer Menschenwelt nahe gekommen ist, in der Menschen ihn kennen lernen. Deshalb ist der christliche Glaube von Hause aus redender Glaube. „Ich glaube, darum rede ich“, sagt der Apostel Paulus mit einem Zitat aus dem Alten Testament (2. Kor. 4,13). Die Frage, welches Gottesverständnis wir unseren atheistisch gesinnten Mitmenschen nahe bringen sollen, ist deshalb auf den ersten Blick ganz einfach und unkompliziert zu beantworten. Es ist das Gottesverständnis der Bibel. Doch so einfach und unkompliziert ist das leider nicht. Denn es gibt in der Kirche wie in der Theologie eine ziemlich weit verbreitete Ansicht, nach der es die Berufung auf das Gottesverständnis der Bibel geradezu verhindert, dass Menschen es sich angehen lassen können. Denn zum einen – so sagt man – leuchtet es einem Menschen im 21. Jahrhundert überhaupt nicht ein, dass Gott sich vor mehr als 2000 Jahren in einer so besonderen Geschichte offenbart haben soll, wie es die Geschichte Jesu Christi und die Israels ist. Zum anderen aber sei das Reden der Bibel von Gott, der wie eine Person handelt und redet, mit dem Wirklichkeitsverständnis von Menschen in unserer Zeit ganz unvereinbar. Es sei vielleicht vorstellbar, dass irgendeine göttliche Kraft hinter der Evolution des Universums und der Menschheit steht und dass solche Kraft in mystisch-religiöser Vertiefung auch gespürt werden kann. Das personale Gottesverständnis aber müsse die Kirche überwinden, wenn sie Menschen unserer Zeit erreichen will. Das hat z.B. der Hamburger Kirchen- und Theologiegeschichtler Matthias Kroeger (exemplarisch für Viele) gefordert (vgl. Im religiösen Umbruch der Welt. Der fällige Ruck in den Köpfen der Kirche, Hamburg 2004, 25). Das theistische Bild von Gott müsse von einer „non-theististischen (trans-theistisch) mystischen Spiritualität“ überwunden werden, welche „Gott“ mit Paul Tillich als die „unbedingte Qualität und Dimension aller Dinge“ versteht. Ähnlich sagt es der ehemalige Berliner Praktische Theologe Klaus-Peter Jörns in seinem weit verbreiteten Buch „Notwendige Abschiede“ (Gütersloh 22005). Er erhebt dabei sogar den Anspruch, die überwiegende Einstellung der evangelischen Pfarrerschaft zur Geltung zu bringen. Gott trägt im Christentum nur eine „theistische Maske“ (a.a.O, 235f.), „auf personale Kategorien“ sei er letztlich nicht festzulegen. Ich führe jetzt keine Auseinandersetzung mit dieser religiösen Variante des Atheismus, welche das Gottesverständnis entpersonalisieren möchte. In unserem Zusammenhang ist aber wichtig, dass dieses Konzept ziemlich genau den Geist bedient, der mit der „Wiederkehr der Religion“ verbunden ist. Die Religiosität, die sich hier äußert, ist auf unmittelbare Berührung mit als „göttlich“ empfundenen Kräften aus. Sie sucht religiöse Praktiken, die durch psychische, ästhetische, aber auch natur- und körperbetonte Techniken Zugang zum irgendwie Göttlichen, zu höheren Mächten oder einer höheren Macht versprechen. Solche Praktiken wie religiöse Tänze, Steinheilungen und anderes „Esoterisches“ wandern in den Städten auch in die Kirchen ein. Für die atheistische Gottesvergessenheit, die wir im Blick haben, aber gehört dergleichen zum irrationalen Unfug der Religion. Da dürfen wir uns keine Illusionen machen. Esoterische Praktiken werden in einer gottesvergessen-atheistischen Atmosphäre mindestens ebenso befremdlich wirken wie der kritisierte Theismus oder das Evangelium vom Mensch gewordenen Gott. Insofern ändert die Entpersonalisierung des Gottesverständnisses nichts an der Grundsituation, in der allererst begonnen werden muss, inmitten gottesvergessener Menschen von Gott zu reden. Das ist der Situation der Begegnung mit der Gottesrede, durch die Menschen mit einer Wirklichkeit vertraut gemacht werden müssen, die ihnen fremd ist. Es handelt sich also strukturell um eine Offenbarungssituation. Doch ein entpersonalisiertes Gottesverständnis an sich selbst hat eigentlich gar nichts zu offenbaren. Es verweist auf keinen Gott, von dem man reden kann, sondern allenfalls auf ein dunkles Geheimnis, mit dem religiös herum zu experimentieren ist. Wer Gott ist, vermag man unter der Leitung eines solchen Gottesverständnisses nicht zu sagen; bzw. wenn es gesagt wird, dann geschieht das doch mit Anleihen bei geschichtlich konkreter Gotteserfahrung. Jörns z.B. behauptet, Gott sei letztlich die Liebe. Das entlehnt er dem Neuen Testament. Doch was soll das für eine Liebe sein, die kein Subjekt hat, das liebt? Eine unendliche Liebesmaschine? In der DDR-Zeit waren wir wahrscheinlich nicht ganz zu Unrecht der Meinung, dass uns der staatlich-gewaltsam beförderte Atheismus auf die eigentlichen essentials des Glaubens zurück wirft. Diesen Dienst leistet uns der in vieler Hinsicht zu beklagende Gewohnheitsatheismus auch noch heute, während die uns die Anpassung an eine frei flottierende Religiosität in Sphären führt, in den denen der christliche Glaube an Gott kaum noch wieder zu erkennen ist. Wir sollten deshalb von der Möglichkeiten und Chancen Gebrauch machen, die im Herzen des christlichen Glaubens an Gott vorhanden, um mit Gott vertraut zu machen, statt durch das Zugrunderichten dieses Glaubens im religiösen Felde zu versuchen, Boden zu gewinnen. 2. Die Chancen konkreter Rede von Gott Die Möglichkeiten konkreten Redens von Gott liegen für die Erfahrung des Glaubens darin, dass Gott sich in seiner Göttlichkeit durch eine menschliche Geschichte füruns präzisiert hat. Das geschah in der Geschichte Jesu Christi, die aus der Geschichte Israels nicht zu lösen ist. In ihr hat Gott Menschen ermächtigt, in bestimmter Weise von im zu reden. Durch sie können auch in einem Klima des Schweigens von Gott Atmosphären entstehen, in welchen das Vertrautwerden mit Gott und ein Verstehen seiner Göttlichkeit zu erwachen und zu wachsen vermag. Denn das Besondere der christlichen Gotteserfahrung ist, dass hier nicht von einem in seiner Unendlichkeit und Unermesslichkeit gefangenen Gott die Rede ist, zu dem wir uns mit großer religiöser Mühe aufschwingen müssen. Indem Gott uns in einer menschlichen Geschichte und verbunden mit einer menschlichen Geschichte nahe kommt, wird zugleich Grundmenschliches thematisch. Das bedeutet aber: Die Atmosphäre des Reden von Gott ist zugleich eine Atmosphäre der Kommunikation über Grundmenschliches: Über alles, was im Vollzug des Lebens für einen Menschen wichtig ist, über seine Möglichkeiten und Grenzen, über seine Erlebnisse und Erfahrungen, seine Zweifel und Fragen. Es ist deshalb ein Zerrbild, wenn dem Rückbezug des christlichen Redens von Gott auf Gottes geschichtliche Offenbarung vorgeworfen wird, das verführe die, die von Gott reden, dazu, Menschen die christliche Botschaft in ihrer jeweiligen Situation zuzuschleudern wie einen „Stein“ (so P. Tillich). In den atmosphärischen Räumen, in welchen das christliche Reden von Gott zugleich die Offenheit für alles Menschliche atmet, geschieht dergleichen nicht. Da gibt es vielmehr selbstverständlich Grade des Berührtseins, Etappen der Wahrnehmung und Stufen des Vertrautwerdens mit Gott. Insofern ist Gottes Offenbarung in der Konkretion einer menschlichen Geschichte, an die sich die christliche Rede von Gott anschließt, ein Segen für die kommunikative Gottesrede und kein peinlicher Umstand. Sie ermöglicht die Eindeutigkeit und die Kommunikationsfähigkeit unseres Redens von Gott. Wir können wir das Grundmuster solchen Redens im neutestamentlichen Zeugnis sehr gut an Joh 1, 14 erkennen: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine Doxa, voller Gnade und Wahrheit“. Doxa, Kabod ist neben der Heiligkeit die dominierende biblische Aussage für die Göttlichkeit Gottes. Sie wird meistens mit „Herrlichkeit“, aber auch mit „Glanz“ übersetzt. Luther hat sie an einigen neutestamentlichen Stellen mit „Klarheit“ wiedergegeben, was leider in unserer revidierten Lutherbibel – bis auf eine Ausnahme – getilgt worden ist. Das Bildwort, mit der Doxa auch ausgedrückt werden kann, ist Licht. Damit ist schon etwas Wesentliches vom biblischen Gott gesagt. Seine Wirklichkeit ist Ausstrahlen. Joh 1, 14 sagt in diesem Sinne: Durch Jesus Christus im Fleisch (d.h. im irdischen Leben) bekommt das Strahlen der Klarheit Gottes die konkrete Gestalt von Gnade und Wahrheit. Durch ihn erleben wir, wie Gott uns nahe kommt. Er gibt uns die menschlichen Worte, mit denen wir aussprechen können, worauf es ankommt, wenn Gott Menschen begegnet. Johannes fasst das mit den beiden Worten „Gnade und Wahrheit“ zusammen. Das ist es, was sich von seiner Sicht auf die Geschichte Jesu Christi her vor allem aufdrängt, wenn von wir von Gott zu reden haben. Ob Gnade das Wort ist, welches wir heute in unserer Situation vor allem hervor zu heben haben, wenn wir von Gott reden, werden wir zu prüfen haben. Denn dieses Wort ist von den „gnädigen Damen und Herren“ des feudalen Zeitalters stark belastet. Solche Prüfung ist legitim. Denn das Neue Testament legt uns nicht bloß auf diese Präzision dessen fest, wer und was Gott ist und wie er handelt. Aus anderen neutestamentlichen Perspektiven drängt sich anderes auf, z.B. die Gerechtigkeit bei Paulus oder die heute in Verkündigung und Theologie so beliebte Liebe der Johannesbriefe. Alle diese Gottesprädikationen zeichnen sich dadurch aus, dass sie unter dem Eindruck der Geschichte Jesu, der als Messias bekannt wird, artikuliert worden sind. Sie sind, wie I. U. Dalferth gesagt hat, „Kurzfassungen“ der Geschichte Jesu Christi (vgl. Religiöse Rede von Gott, München 1981, 676). Daraus folgt einerseits, dass diese „Kurzfassungen“ sich Alle in die ausgeführten Geschichten vom Leben und Sterben Jesu Christi auseinanderlegen lassen. Sie nötigen geradezu davon zu erzählen, wie sich Gottes Gnade oder seine Gerechtigkeit oder seine Liebe konkret gezeigt hat und was das für Menschen bedeutete. Daraus folgt aber auch andererseits, dass sich von diesen Geschichten her Räume für neue Artikulationen der Wirklichkeit Gottes öffnen werden, in welche unsere Geschichte von heute einbezogen werden kann. Was von Gott zu sagen ist, steht also nicht zeitlos fest. Es verschiebt sich entsprechend den Zeiten und Situationen, in denen bestimmte wörtliche Ausstrahlungen der Doxa erhellender, das Leben klarmachender erscheinen als andere. Der Versuch, hier mehr oder weniger vollständige Listen von Gottesprädikationen aufstellen zu wollen, wie es die traditionelle Lehre von den „Eigenschaften“ Gottes versucht hat, greift darum daneben. Was von Gott gesagt werden muss, entscheidet sich daran, wie die erzählte Geschichte Jesu Christi in unsere Geschichte einfließt und wie umgekehrt unsere Geschichte mit der Geschichte Jesu Christi verschränkt wird. Unsere Geschichte als Christinnen und Christen ist heute angefochten vom Verstummen des Redens von Gott im atheistisch-konfessionslosen Milieu. Wir kehren darum mit der Frage, wovon heute besonders geredet werden muss, damit hier wieder Räume der Gottesartikulation entstehen können, in die Texte der Bibel ein. Wir fragen, wie das Ausstrahlen der Klarheit Gottes durch solche Artikulationen das Leben von Menschen klarer zu machen vermag, als es ohne die Beziehung von Menschen auf Gott ist. Wir überlegen, welches Reden von Gott für unsere Mitmenschen, die Gott nicht kennen, abschreckend oder missverständlich wirken muss und welches dagegen anziehend und interessant sein könnte. Wir gewichten also unser Reden von Gott mit einer gewissen Einseitigkeit, welche die Menschen vor Augen hat, die Gott vergessen haben. Diese Einseitigkeit kann nicht absolut sein. In anderen Gegenden Europas und der Welt sind andere Einseitigkeiten von Nöten. Diese Einseitigkeit kann auch nicht abstrakt-zeitlos sein. Das Leben und die Geschichte von Menschen verändern sich ständig. Wir können heute nicht mehr so reden wie zu DDR-Zeiten, sondern müssen auf die Fragen, Probleme und sogar Stimmungen Bezug nehmen, die heute im Schwange sind. Einseitigkeit meint auch nicht Eintönigkeit. Es geht vielmehr darum, zu befördern, was den Menschen zuerst in den Sinn kommen sollte, wenn sie das Wort „Gott“ hören. Im atheistisch-konfessionslosen Felde ist das, wie wir uns klar gemacht haben, z.B.: Illusion, Unwissenschaftlichkeit, vergangene Zeit, Bedeutungslosigkeit für das Leben. Demgegenüber möchten wir, dass dieses Wort an erster Stelle die Assoziation wach ruft: Hier geht es um das unverstellte Wahrnehmen unseres Lebens. Hier wird die Vernunft hoch geschätzt. Hier wird intensiv an der Gegenwart teil genommen. Hier geht es um das, was in unserem Leben eigentlich Bedeutung hat. „Assoziation“ klingt schwach, ist aber im unserem Kontext ein notwendiger Anfang des Vertrautwerdens mit Gott. 3. Konzentriertes Reden von Gott im gottesvergessen-atheistischen Milieu In einer Situation, die von dem Eindruck bestimmt ist, dass Gott eine gänzlich ferne, nebelhafte, letztlich illusorische Wirklichkeit sei, muss es darauf ankommen, Gott als sich uns zuwendende Wirklichkeit in Erinnerung zu bringen, zu der wir eine Beziehung haben können. Es bleibt zwar dabei, dass Gott in seinem göttlichen Sein für uns immer Geheimnis bleibt, das wir niemals aufzuschlüsseln vermögen. Das gilt aber im Grunde auch von menschlichen Personen. Der gläserne Mensch ist keine Person mehr. Menschsein heißt: Ein Recht auf das eigene, ganz persönliche Geheimnis zu haben. Das gilt in noch viel intensiverem Sinne für Gott. Die christliche Theologie und Kirche haben Gott darum immer auch mit Kategorien beschrieben, die ihn in seiner unendlichen und unermesslichen Erhabenheit charakterisieren, vor der wir kleinen Erdenmenschen nur in Bedeutungslosigkeit versinken können. Der verborgene Gott wurde in der lutherischen Tradition sogar als ein schrecklicher Gott verstanden, der unverstehbar und willkürlich über uns waltet. Wir sollen uns um diesen Gott nicht kümmern, den man wahrlich nicht verkündigen kann, hat Martin Luther gemeint. Wir sollen uns vielmehr zu dem offenbaren Gott „flüchten“, der in seiner Zuwendung zu uns Gott ist, der uns in Jesus Christus sein Geheimnis als gutes, erfreuliches Geheimnis erschließt. Genau das müssen wir auch in unserer Situation tun. Es ist darum nahe liegend, dass wir die Liebe Gottes als die eigentlich zu bevorzugende Klarheit verstehen, von der wir zu reden haben, wenn wir von Gott reden. Liebe heißt, in der Beziehung auf einen Anderen und eine Andere zu sein. Liebe heißt, die oder den Anderen um seiner selbst willen zu bejahen und zu fördern. Im Falle Gottes heißt das, dass er selbst die, die ihn nicht lieben, als geliebte, bejahte und geschätzte Menschen ansieht; mehr noch, dass er sie zu Liebenden macht, die den Sinn ihres Lebens darin sehen, sich grundlos lieben zu lassen und selbst im Eintreten für ihre Nächsten in der Nähe und in der Ferne zu lieben. Weil die Liebe Gott in seiner Zuwendung zu uns Menschen so tief greifend und umfassend charakterisiert, ist es in Theologie und Kirche üblich geworden, in ihr das eigentliche Wesen Gottes zu sehen, aus dem alles Andere abzuleiten ist, was von ihm zu sagen ist. Ich bezweifle, ob das biblisch ist. Außerdem unterliegt die Rückführung Alles dessen, was von Gott zu sagen ist, der Kritik, hier werde Gott zu einem harmlosen „Kuschelgott“ gemacht, dessen Majestät und Hoheit verharmlost würde. Die Gefahr besteht zweifellos: Sie kann aber nicht so gebannt werden, dass stattdessen ein unberechenbarer, sogar Gewalt rechtfertigender Gott zum Kontrapunkt des liebenden Gottes gemacht wird. Wo Gott in solcher Weise in der in der Bibel bezeugt wird, ist dieses Zeugnis vielmehr vom biblischen Zentrum der Zuwendung Gottes zu uns Menschen her kritisch zu behandeln. Das Anliegen aber, beim Reden von Gottes Liebe nicht in die Banalisierung und Trivialisierung abzugleiten, kann wahrgenommen werden, wenn die Klarheiten, die auch Gottes Unterschiedensein von uns Menschen zum Ausdruck bringen, bevorzugt werden. Das ist z.B. einerseits Gottes Ewigkeit und andererseits Gottes Macht. Ohne von Gottes Ewigkeit zu reden, kann schwer verstanden werden, warum Gott eine unserem Leben vorangehende und sie begrenzende Wirklichkeit ist. Ich kann jetzt nicht ausführen, was alles zum Verständnis der Ewigkeit gehört. Es meint im biblischen Sinne nicht unendliche Dauer und auch nicht Zeitlosigkeit im Unterschied zum zeitlichen, vergänglichen Sein des Irdischen. Gottes Ewigkeit ist vielmehr im Unterschied zur irdischen ablaufenden Zeit die Einheit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und sofern die Erfüllung der Zeit. Für alles atheistische Selbstverständnis aber ist das Dasein von Menschen letztlich sinnlos und nichtig. Es kann nur als solches ausgeschöpft und für kommende Generationen bewahrt werden. Dass es in einen großen Zusammenhang gehört, in der es selbst als sinnvoll erfahren wird, kann dagegen erlebbar werden, wenn es in der Beziehung zum ewigen, sich uns zuwendenden Gott erfahren wird. In Augenblicken erfüllten Lebens, in denen der Zeitablauf unwichtig wird, können Menschen solche Erfahrung schon in ihrem zeitlichen Leben machen. Die Hoffnung auf den uns verewigenden Gott hat darum nichts mit einer „Flucht ins Jenseits“ zu tun. Sie intensiviert unser Leben. Sie lässt die Kraft der Ewigkeit Gottes eine Quelle erfüllten Lebens auf allen Lebensetappen sein, selbst wenn wir durchs „finstere Tal“ gehen müssen. Darüber hinaus wird auch das Reden Gottes Macht notwendig sein. Denn das Vergessen Gottes hängt sehr eng damit zusammen, dass Menschen Gottes Macht in ihren unmittelbaren Lebenszusammenhängen nicht wahrzunehmen vermögen. In dieser Hinsicht ist der Unterschied von Macht und Gewalt einzuüben. Gewalt überfährt Menschen mit Übermacht, entmündigt sie und vernichtet sie schlimmstenfalls. Wir aber hatten uns schon klar gemacht: Gott übt seine Macht vorsichtig aus. Er tut das so, dass er die Geschöpfe ermächtigt, in Selbständigkeit und Freiheit für ihre Geschöpfwelt Verantwortung zu übernehmen. Er ist lieber ohnmächtig und schwach in der Welt als sich dem Gesetz von Gewalt und Gegengewalt zu unterwerfen. Sie Macht ist Versöhnungs- und Friedensmacht, die Menschen inspiriert, an ihrem Ort in der Gesellschaft selber Versöhnung und Frieden zu wagen. Nehmen wir dazu, was wir schon über die Wahrheit als verlässlichen Grund eines Lebens ohne Lügen und Illusionen gesagt haben, dann ist die Konzentration des Redens von Gott auf seine Wahrheit, Liebe, Ewigkeit und Macht der richtige Weg, ein anderes Gottesverständnis zu befördern als es die haben, die Gott verneinen oder denen er gleichgültig ist. Dass damit nicht alles gesagt ist, was von Gott zu sagen ist, wird damit nicht bestritten. Aber alles, was wir von Gott und damit auch von uns sagen, sollte sich damit reimen, dass gottesvergessene Menschen es hier mit der Wahrheit, mit der Liebe, mit der Ewigkeit und mit der Macht Gottes zu tun bekommen. Vom Geist der Wahrheit, der Liebe, der Ewigkeit und der Ermächtigung zum Leben bestimmt zu werden, heißt glauben. Sich auf Wahrheit, Liebe, Macht und Ewigkeit in ihrem eigenen Leben zu verstehen, sollte das Kennzeichen von Menschen sein, die Andere zum Glauben an Gott einladen. Diese Einladung zielt darauf, dass jeder Mensch sich seinem Dasein in seiner Größe und in seinen Grenzen zu stellen vermag. Gottes Wahrheit befähigt dazu, alles Wirkliche ohne die Verzerrung durch Illusionen, Ideologien oder einfach Lügen wahrnehmen. Gottes Liebe macht uns selbst zu Liebenden, die allem Hass, aller Selbstsucht, Trägheit und Hybris immer wieder voraus sein können. Gottes Macht, die er an seiner Schöpfung vorsichtig ausübt, so dass sie neben ihm bestehen kann, ermächtigt uns, mit seiner Schöpfung so umzugehen, dass sie ein guter Ort für alles Leben zu bleiben vermag. Und Gottes Ewigkeit schließlich schafft die Konzentration und Intensivierung des menschlichen Leben, in der es aufhört, ein verschwindendes Moment im Zeitablauf zu sein. Es wäre es für die Kirchen, für die Gemeinden und ihre Glieder gut, wenn sie mit solcher konzentrierten Gottesrede entschlossen anzufangen würden, sich im gottesvergessenen Milieu bemerkbar zu machen. Die Sorge, eine derartig konzentrierte Einseitigkeit könne zu einer Verengung der vielen Möglichkeiten der Gottesrede führen, ist unbegründet. Es geht vielmehr um eine Pointierung, die Menschen, welche Gott vergessen haben, überhaupt erst in die Lage versetzt, die vielen Möglichkeiten des Redens von Gott und des Lebens mit Gott zu entdecken. | |||