Kategorie: Vorträge
Wie Gott sich mitteilt. Gottes Kommunikation über Grenzen und zwischenmenschliche Kommunikation
Vortrag zum 25-jährigen Jubiläum des Collegium Oecumenicum am 23.06.2012 in München
1. Von Gott bejahte Grenzen
Gibt es für Gott Grenzen? Auf den ersten Blick werden wir geneigt sein, diese Frage zu verneinen. Grenzen sind das Charakteristikum von uns Geschöpfen. Grenzen definieren geradezu alles Endliche, Irdische. Ohne Grenzen würde es uns Menschen, die begrenzt im Raum und in der Zeit sind, überhaupt nicht geben. Für Gott aber gilt seit alters her: Er ist unendlich und kann, weil es für ihn keine Grenzen gibt, allgegenwärtig sein. Das sind zwar keine genuin biblischen Aussagen von Gott. Sie stammen aus der philosophischen Tradition der Antike. Aber sie stimmen doch insofern mit dem biblischen Gotteszeugnis zusammen, als sie auch die Gotteserfahrung Israels und der Christenheit auf abstrakte Begriffe bringen. Gott hindern keine Grenzen der Natur, der Geschichte und des individuellen Lebens, gegenwärtig zu werden und zu wirken. Jedes Bittgebet geht davon aus. „Wohin soll ich soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin soll ich fliehen vor Deinem Angesicht“? fragt der Beter des 139. Psalms. Seine Antwort ist: „Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da“ (Psalm 139, 7f.). Im christlichen Glauben ist diese Erfahrung aufs äußerste konzentriert im Bekenntnis zur Auferweckung Jesu Christi. Was für alles Lebende auf der Erde die äußerste, unausweichliche Grenze darstellt, nämlich der Tod, ist für Gott keine Grenze. Er vermag selbst aus dem Tode Leben zu erwecken. Für ihn gibt es also keine Grenzen.
Es ist zweifellos so, dass diese Einsicht zum Rückgrat oder zum cantus firmus des biblischen Glaubens an den einen Gott gehört. Ein Gott, den Grenzen aufhalten, gegenwärtig zu sein und zu wirken, verdiente gar nicht „Gott“ zu heißen. Er wäre ein ridiculus Deus, ein lächerlicher Gott, hat Martin Luther in seiner Schrift „de servo arbitrio“ gesagt. Diese Schrift macht uns allerdings auch zugleich deutlich, dass Gottes Unabhängigkeit von allen Grenzen an und für sich durchaus kein Antrieb zur Glaubensgewissheit oder gar zur Freude an Gott ist. Ein Gott, der kraft seiner unbegrenzten Macht über alle Grenzen hinwegfegt, der „alles in allem wirkt“, auch das Leid und das Weh, das über uns begrenzte Menschen her fällt, jagt uns nur Angst und Schrecken ein, statt Glauben zu begründen. Luther hat diesen grenzenlosen Gott geradezu so charakterisiert, dass er uns zum „Teufel“ wird.
Von der dunklen Wucht solcher Gotteserfahrung ließ sich rund 350 Jahre später auch der europäische Atheismus die Segel blähen. „Dieser Gott musste sterben“, hat Friedrich Nietzsche in dem Aphorismus „Der hässlichste Mensch“ im vierten Buch von „Also sprach Zarathustra“ gesagt. Denn dieser Gott ist ein Angriff auf die Freiheit und Selbständigkeit des Menschen. Ohne Scham, überneugierig und überzudringlich kriecht er mit Augen, die alles sehen, in die „schmutzigsten Winkel“ eines Menschenlebens. Doch der seiner Lebenskraft bewusste „Mensch erträgt es nicht, dass solch ein Zeuge lebt“. Darum verkündete Nietzsche den „Tod“ dieses Gottes (vgl. Friedrich Nietzsche, Sämtliche Werke, Kritische Studienausgabe, Band 4, Berlin/New York 1980, 331).
Er unterscheidet sich mit dieser Konsequenz von Hiob, der im biblischen Gotteszeugnis die für uns Menschen dunkle Seite des grenzenlosen Gottes verankert hat. „Wann endlich blickst du weg von mir? Kannst du mich nicht in Ruhe meinen Speichel schlucken lassen?“ (Hiob 7, 19) – das sind Nietzsches Fragen mitten in der Bibel. Aber sie führen hier nicht zur Gottesleugnung. Hiob hört mit diesen Fragen nicht auf, Gott zu fragen und nicht Menschen in Gestalt seiner fabelhaften Freunde zu vertrauen. Und Gott will so gefragt werden, wie am Ende herauskommt und wie es die Gotteserfahrungen, in welche das Buch „Hiob“ in der ganzen Bibel eingebettet ist, in immer neuen Zuspitzungen und Variationen zum Ausdruck bringen. Es sind zwei fundamentale Glaubenserfahrungen, welche die Grenzenlosigkeit Gottes in das Licht einer Wohltat und nicht eines Schreckens für uns begrenzte Menschen rücken. Es sind zwei Glaubenserfahrungen zumal, welche den Satz „Es gibt für Gott keine Grenzen“ erheblich einschränken bzw. präzisieren.
Die eine Glaubenserfahrung besteht darin, dass Gott selber die Grenzen gewollt hat und respektiert, in denen wir endlichen Wesen auf dieser Erde unser Dasein haben. Indem er die Welt und damit uns als ihr Schöpfer ins Werden rief, hat er sich gewissermaßen selbst begrenzt. Die jüdisch-kabbalistische Spekulation vom zimzum erfreut sich deshalb in den christlichen Schöpfungslehren der Gegenwart nicht geringer Beliebtheit. Jene Spekulation besagt, dass Gott sich als allein Seiender einschränken musste, als er sich entschloss, neben sich die Welt und uns Menschen ins Dasein zu rufen. Er hat es nun mit Geschöpfen zu tun, zu denen er sich auch in seinen unendlichen Möglichkeiten nur in Beziehung setzen kann, indem er ihre Grenzen bejaht und respektiert. Andernfalls würde er sein eigenes Werk negieren – eine Möglichkeit, die in der biblischen Sintflutgeschichte immerhin in Betracht gezogen, aber schließlich ausgeschlossen wird. Gott, der Schöpfer, steht zu seiner Schöpfung. Das bedeutet aber: Er lässt für sein Handeln die Grenzen gelten, die er selbst der endlichen Welt gesetzt hat. Relationsloses Hinwegfahren über diese Grenzen widerspricht dem Wesen des Schöpfergottes.
Die andere Glaubenserfahrung speist sich aus dem Erleben dessen, wie Gott tatsächlich mit seiner in Raum und Zeit begrenzten Geschöpfwelt umgeht. Er lässt sich auf die Grenzen ein, in denen sich das Leben seiner Geschöpfe abspielt. Er weist Wege in diesen Grenzen in der Geschichte Israels. Er eignet sich diese Grenzen an, indem er im Menschen Jesus Christus selbst ein begrenzter Mensch wird. Die Art und Weise, in welcher er das tut, ist für den christlichen Glauben die Matrix – manche sagen heute: „Die Grammatik“ – für alles Verstehen von Gottes Kommunizieren mit uns Geschöpfen. In sie ist eine dreifach gegliederte Wahrheit eingezeichnet, die alles Kommunizieren Gottes mit uns charakterisiert. Wir müssen sie uns deshalb etwas genauer vor Augen führen.
2. Gottes Grenzverkehr
2.1. Notwendige Grenzen und die Sünde
Wahrheit, zu der wir auf hebräisch „Amen“ sagen, ist im biblischen Verständnis nicht irgendeine Richtigkeit, die wir in der Welt der Objekte wahrnehmen und definieren. Richtigkeiten dieser Art haben im Irdischen zwar ihren angemessenen Platz. Sie orientieren uns in der irdischen Welt und ihren Gesetzen. „Wahrheit“ im biblischen Verständnis aber ist etwas anderes. Ämät, alätheia ist hier vielmehr das unverfügbare, freie Ereignis der Treue und Verlässlichkeit Gottes, auf das Menschen sich unbedingt verlassen können, wenn sie in Not und Gefahr geraten, ja sogar, wenn sie – wie Gottes Volk – Gott selber untreu werden. Gottes „Wahrheit ist Schirm und Schild“, gilt da, so „dass du nicht erschrecken musst vor dem Grauen der Nacht, vor den Pfeilen, die des Tages fliegen, vor der Pest, die im Finstern schleicht, vor der Seuche, die am Mittag Verderben bringt“. Gottesbezeichnungen wie „Fels, Burg, Erretter, Hort, Schutz“ (Ps 18, 3) sind darum gleich bedeutende Ausdrücke für Gottes Wahrheit. Wahrheit ist diesem Sinne zeichnet auf ganz besondere Weise auch die Gegenwart Gottes im Leben und Sterben Jesu Christi, in den Grenzen des Fleisches, aus, in denen „die Klarheit Gottes in seiner Gnade und Wahrheit“ Ereignis ist (Johannes 1,14).
Das ist jedoch alles andere als selbstverständlich. Denn die Grenzen, die Gott uns gesetzt hat, als er uns ins Dasein rief, bleiben nicht, was sie waren, wenn wir beginnen, in ihnen unser Leben zu führen. Gemeint waren sie ja als Grenzen mit offenen Toren, durch die Gottes Geist das Leben seiner Geschöpfe durchweht und bestimmt und die darum auch durchlässig für Menschen sind, um zu Gott in Beziehung zu treten. Die Grenzen, die Gott uns gesetzt hat, sind keine abweisenden Mauern. Sie laden Menschen mit den Hinweisschildern von Gottes Geboten ein, ihre Tore zu durchschreiten, damit sie sich als endliche Wesen der Gemeinschaft mit dem ewigen Gott in ihrem begrenzten Leben freuen können und Gott ihrerseits Freude mit einem Leben machen, das von Dankbarkeit für die Gabe des Lebens durchwaltet ist. Unser irdisches, sterbliches, begrenztes Leben ist nicht abgekoppelt von Gott, nicht „geworfen ins Dasein“, um darin zu verkümmern wie eine Pflanze ohne Wasser und ohne Licht von oben. Die Grenzen, die Gott uns gesetzt hat, sind für den Grenzverkehr zwischen uns und Gott gedacht und nicht als Spaltung der Wirklichkeit in feindlich-abweisende Zonen. Doch genau dazu werden sie von Menschen gemacht, wie Genesis 3 es schildert und wie es die Fortsetzungsgeschichten des 3. Kapitels der Bibel bis in unsere Zeit hinein bestätigen.
In diesen Geschichten wiederholt sich immer wieder das Gleiche. Menschen möchten „wie Gott“ selbst Herrinnen und Herren über die Grenzen sein, die ihnen gesetzt sind. Was dabei herauskommt, demonstrieren uns Adam und Eva exemplarisch für alle Menschen. Sie wollen die ihnen von Gott gesetzten Grenzen selbst verschieben oder überspringen. Dazu verführt sie eine Fähigkeit, mit der Gott seine Geschöpfe begabt hat, damit sie den weiten Raum, der ihnen im Irdischen gegeben ist, zu gestalten vermögen. Das ist die Fähigkeit der Ebenbilder Gottes, selber Grenzen setzen zu können. Die Menschheit ist nur lebensfähig, indem sie von dieser Gabe Gebrauch macht. Um auf der Erde einwohnen zu können, muss sie den Einfluss der Natur auf ihr Dasein regulieren. Um gemeinsam leben zu können, braucht sie eine Kultur und ein Ethos, das die Freiheit der Einzelnen zugunsten des Wohls der Gemeinschaft einschränkt. Um ein eigenes Leben zu führen, muss jeder Mensch die Fülle seiner Möglichkeiten auf eine Auswahl von Möglichkeiten konzentrieren.
Grenzen setzen zu können, gehört in diesem Sinne zur Auszeichnung und Würde von Gottes Geschöpfen. Die Adams und Evas, welche wir alle sind, aber wollen sich nicht damit begnügen, dass die Grenzen, die sie setzen sollen und dürfen, nur relative, grundsätzlich verschiebbare und veränderbare Grenzen sein können. Indem sie die Grenze ignorieren, die Gott ihrem Dasein gegeben hat, fangen sie an, ihre eigentlich gute menschliche Fähigkeit, Grenzen zu setzen, entweder maßlos zu übertreiben oder ebenso maßlos verlottern zu lassen. Sie traktieren die Natur, die Mitwelt und sich selbst mit absoluten Begrenzungen oder lassen sich in ein grenzenloses Ausnutzen von eigenem Lebensgenuss auf Kosten der Natur, der Mitwelt und ihrer Identität als Gottes Ebenbilder treiben. Indem sie sich nicht damit begnügen, innerhalb der ihnen von Gott gegebenen Grenzen Grenzen zu setzen, die einem bejahbaren Leben auf dieser Erde dienen, zerrütten sie die Welt mit Mauern, mit Schranken, mit Barrikaden der Selbstbehauptung.
In dieser Welt wird Gott in Jesus Christus Mensch. Er teilt hier nicht nur mit uns die gegebenen Grenzen des Irdischen. Er bekommt es vielmehr mit Grenzen zu tun, die ihn feindlich abweisen und ihm Leiden und Tod einbringen. Die Kommunikation, die er mit uns in einer solchen Welt sucht, kann deshalb nicht „über“ diese Grenzen „hinweg“ erfolgen. Denn dann würden sie ja stehen bleiben. Im Leben und Sterben Jesu Christi werden vielmehr die Fundamente der Selbstbehauptung und der Selbstsucht, der Hybris und der Angst, der Verlotterung und der Dummheit, auf denen diese Grenzen errichtet wurden und werden, destruiert. Sie finden in diesem Leben und Sterben keinen Baugrund. Sie sind bloß noch Relikte der Vergangenheit. Wem Gott sich mitteilt, indem er das Leben und Sterben Jesu Christi im Gegensatz zur Lebenslüge Adams und Evas zur Ausgangsbasis seines Lebens macht, für den bricht Netzwerk der Grenzen, welches die Sünden von uns Menschen in die Schöpfung einmauern, auseinander.
2.2. Das Urgeschehen der Kommunikation Gottes
Die alte Dogmatik hat auf der Grundlage des christologischen Dogmas das Verhältnis von Gott und Mensch im Dasein des Sohnes Gottes mit Recht als communio, ja sogar als communicatio – als gegenseitige Mitteilung der Eigentümlichkeiten des Göttlichen und des Menschlichen bei Wahrung der Identität und Integrität des Göttlichen und des Menschlichen – beschrieben. Nur sind die metaphysischen Begriffe und Denkweisen, welcher sich jene Dogmatik mit einer Jahrhunderte alten Tradition bediente, für unser heutiges Verständnis denkbar ungeeignet, das Geschehen einer lebendigen, geschichtlich vollzogenen Gemeinschaft zur Geltung bringen. Alle Studierenden stöhnen, wenn sie im Examen nach der communicatio idiomatum der zwei Naturen der Hypostase des Logos gefragt werden, weil sie sich da in eine Art religiöse Geometrie versetzt fühlen, bei der unser Vorstellungsvermögen ziemlich aussetzt.
Dennoch hat jene heute zu überholende Christologie mit dem Stichwort „communio“ die richtige Überschrift über das gesetzt, was wir im Anschluss an Johannes 1, 14 die „Menschwerdung“ Gottes nennen. Es geht hier nicht darum, dass der alte Adam einmal wieder danach greift, Gott zu sein. Die Geschichte von der Versuchung Jesu schließt das definitiv aus. Es geht auch nicht darum, dass Gott in seiner göttlichen Übermacht in den Menschen Jesus eindringt und sein irdisches Dasein mit überirdischen Qualitäten ausstattet. Sofern die lutherische Lehre vom genus maiestaticum – von der Mitteilung der Majestätseigenschaften Gottes an den Menschen Jesus – dazu tendiert, ist sie mit der reformierten Tradition und der Leuenberger Konkordie sicherlich zu kritisieren. Gott unterminiert das Menschsein Jesu nicht mit einer die Grenzen des Menschlichen sprengenden göttlichen Dynamis. Er bringt vielmehr einen wahren Menschen zu Ehren, indem er sich in seiner unsichtbaren göttlichen Geisteskraft in unlöslicher Gemeinschaft mit ihm verbindet.
Das bedeutet an erster Stelle: Er ist da, er ist gegenwärtig in diesem Menschen, so dass wir ihn ohne diese Gemeinschaft Gottes mit ihm gar nicht mehr wahrnehmen können. „Wahrnehmen“ bedeutet hier jedoch nicht: sinnlich objektivieren. Gott bleibt in der Gemeinschaft mit Jesus unsichtbar. Er ist nicht so da, dass wir ihn hier als Gott gleichsam zu fassen bekommen wie die Götzen der Welt. Seine Anwesenheit ruft nach Glauben und kann von uns nur im Glauben wahrgenommen werden, der durch die Auferstehung Jesu Christi vergewissert wird. In ihrem Lichte wird erkennbar, warum die Gemeinschaft Gottes mit Jesus unseren Augen verborgen bleibt. Gott tritt vor diesem Menschen nämlich gewissermaßen einen Schritt zurück, um ihm als wahren Menschen Raum und Zeit eines wirklich menschlichen Lebens zu gewähren, um mit dem wirklich Anderen Gemeinschaft zu haben.
Dafür gibt es in menschlicher Gemeinschaft ja durchaus Analogien. Auch wir müssen vor anderen Menschen einen Schritt zurück treten, mit denen wir in der Andersheit und im Geheimnis ihres besonderen Daseins Gemeinschaft suchen, wenn Gemeinschaft gelingen soll. Unter machtvoll bloß von einer Seite mediatisierten Menschen gibt es keine wahrhafte Gemeinschaft. Denn nur unter freien Partnern kann Gemeinschaft gedeihen. Die „sozialistische Menschengemeinschaft“, die z.B. der schreckliche Stalinist Walter Ulbricht zu DDR-Zeiten propagierte, war bloß eine Zwangsjacke für unfreie Menschen.
Die Gemeinschaft Gottes mit dem Menschen Jesus, dem Menschenbruder von uns allen ist das Urgeschehen aller wahrhaften Gemeinschaft, indem sie auf den Grundton der Freiheit gestimmt ist. Hier ist ein Mensch, der in seinen von Gott gegebenen Grenzen von seiner Freiheit den rechten Gebrauch macht und ist hier Gott, der zu diesem Menschen sagt: „Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe“. Die Antwort des ganzen Lebens Jesu darauf aber lautet: „Geheiligt werde dein Name“.
Die vollkommene Gemeinschaft von Gott und Mensch im Dasein Jesu Christi – „der geglückteste Fall“ solcher Gemeinschaft, hat Karl Rahner etwas lässig gesagt – bedeutet allerdings nicht, dass ihr Vollzug ein gleichsam paradiesisches Geschehen sein konnte. Dafür haben die Menschen gesorgt, die auch diesen Menschen in ihre Grenzen zwängen wollten und ihm am Ende die schlimmste aller Grenzen, den Tod zugefügt haben. Die Vorsicht, in der Gott ohne Gebrauch seiner Übermacht die Gemeinschaft mit diesem Menschen mitten unter Menschen vollzieht, die dazu fähig sind, hat diesen Menschen wehrlos gegenüber der Gewalt gemacht, die sich seiner bemächtigte. Doch in dieser Wehrlosigkeit verbarg sich in der Gemeinschaft mit Gott in Wahrheit seine exousia, seine Vollmacht. Sie bestand nicht darin, mit dem Schwert, das seine Anhänger im tollem Missverständnis seiner Sendung im Garten von Gethsemane gezückt haben, einen neuen Anfang in der Welt der tödlichen Grenzen zu machen. Seine Stärke beruhte nicht auf Engellegionen. Er war dazu auf der Erde, um dem tödlichen Begrenzen, mit der Gottes Geschöpfe die Schöpfung verderben, von innen heraus das Wasser abzugraben. d.h. es in seiner ganzen Sinnlosigkeit offenbar zu machen und ad absurdum zu führen. Positiv ausgedrückt: Das Teilnehmen an Jesu Christi Gemeinschaft mit Gott ist von nun an die Zukunft aller Menschen. Ja wir müssen sogar noch einen Schritt weitergehen und den Satz wagen, dass in der Gemeinschaft, die Gott selbst auszeichnet, unser aller Zukunft liegt.
2.3. Die Kommunikation des dreieinigen Gottes
Unsere Eingangsfrage, ob es für Gott Grenzen gibt, tritt durch die Glaubenserkenntnis der besonderen, unlöslichen Gemeinschaft Gottes mit dem Menschen Jesus noch einmal in ein neues Licht. Denn diese Gemeinschaft ist die Gemeinschaft mit dem Sohne Gottes, der mit dem Menschen Jesus gemeinsam auf Erden anwesend war und der den Tod erlitten hat. Ihn unterscheidet das Neue Testament deutlich von Gott dem Vater, der den mit dem Menschen Jesus verbundenen Sohn vom Tode erweckte und vom Heiligen Geist, durch den Gott heute bei uns Glauben erweckend gegenwärtig wird.
Wir können jetzt nicht die Wege nachzeichnen, welche die christliche Kirche und ihre Theologien von da aus gegangen sind und bis heute gehen, um ihr Bekenntnis zu Gott im Bekenntnis zum dreieinigen Gott, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist münden zu lassen. Erst Recht ist hier nicht der Ort, eine unserem heutigen Verstehen zugängliche trinitarische Begrifflichkeit in Auseinandersetzung mit der kirchlichen Tradition einzuüben. In einem stimmen jedenfalls alle Auslegungen des trinitarischen Bekenntnisses heute überein: Gott, wie er in Jesus Christus begegnet, offenbart sich in Beziehungen, die für ihn selbst schon von Ewigkeit zu Ewigkeit charakteristisch sind. Er wird nicht erst Vater, Sohn und Heiliger Geist, indem er die Welt schöpferisch gründet, sich ihrer in Jesus Christus annimmt und uns als Heiliger Geist berührt. Er ist in den Beziehungen von Vater, Sohn und Heiligem Geist Gott und darum kann er sich auch auf verschiedene Weise seiner Schöpfung zuwenden.
Wo aber Beziehungen sind, da sind auch Grenzen. Das ist es vor allem, was den Kirchenvätern Probleme bereitet hat und der Theologie bis heute Probleme bereitet. Ein Gott mit Grenzen? Richtet eine solche Gottesvorstellung nicht alles zugrunde, was Menschen sich als „göttlich“ vorstellen? In der Tat: Es fordert heraus, allerhand religiöse Vorstellungen von Gott über Bord zu werfen, z.B. dass irgendeine numinose Macht über der Welt waltet oder dass irgendeine Transzendenz wie ein Leichentuch über ihr hängt. Gott, wie er in Jesus Christus begegnet, ist vielmehr von Hause aus ein zur Beziehung, ein zur Geschichte mit Anderem fähiger Gott, indem er Vater, Sohn und Heiliger Geist ist. Weil er darum auch Beziehungen zu nicht-göttlicher Wirklichkeit aufnehmen kann, ist er „schon im Voraus der unsrige“, hat Karl Barth in einer überaus glücklichen Formulierung gesagt. In Gott sind die Grenzen zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist tatsächlich Tore, durch die der Eine Einlass findet im Sein des Anderen und umgekehrt. Der Gemeinschaftsverkehr im Leben des dreieinigen Gottes, den die alte Dogmatik mit dem Begriff der „Perichorese“, der Benachbarung, zum Ausdruck zu bringen trachtete, erfüllt das Leben Gottes in der Wahrnehmung des Glaubens an Jesus Christus mit einer Kommunikationskraft, die geradezu überquillt oder überströmt auf alle, die Gott begegnen.
In einem großen ökumenischen Konsensus, der leider viel zu wenig Früchte zwischen den entzweiten Kirchen trägt, wird die Kommunikation, die den lebendigen Gott auszeichnet und die über ihn hinaus strahlt, so verstanden, dass er die Liebe selber ist. Das bedeutet: Gott liebt nicht nur. Sein Leben ist erfüllt vom unerschöpflichen Reichtum der Liebe, der gleichsam überströmt und ihn Gottes Geschöpfen zu Gute kommen lässt. Die Liebe zwischen Vater und Sohn strahlt im Heiligen Geist auf uns aus, so dass wir im Glauben an ihr Anteil gewinnen. Wir werden einbezogen eine Geschichte der Liebe, in welcher der ewige Gott ein lebendiger Gott ist.
Wo das geschieht, passiert gerade nicht, was Nietzsche so gefürchtet hat; nämlich dass Gott wie ein Eindringling in das menschliche Leben erscheint, der die Freiheit und Selbständigkeit von Menschen kränkt. Es ist geradezu das Gegenteil der Fall. Denn die Liebe, die Gott ist, bejaht und bestätigt die, denen sie gilt, in ihrer eigenen Freiheit und ihrer eigenen Würde. Sie verletzt und verschiebt die Grenzen nicht, in welcher wir Menschen unser Leben haben. Sie überschreitet unsere Grenzen, um uns mit Freude darüber zu erfüllen, dass wir da sein dürfen und des göttlichen Liebens gewürdigt werden. Aber nicht nur das.
Liebe, an der Gott uns Anteil gibt, ist ja ein wechselseitiges Geschehen zwischen Vater und Sohn. Dementsprechend entzündet der Heilige Geist Menschen das Herz, mit ihrer Liebe auf Gottes Liebe zu antworten. Denn so, wie er ihnen in seiner Liebe begegnet, ist er für sie eine schlechthin anziehende und sie erfreuende Wirklichkeit. Es ist für sie nichts als gut, dass er da ist und dass sie mit ihm zusammen ihr Leben führen dürfen. Sie können sich nicht mehr vorstellen, wie es ist, ohne ihn zu sein. Deshalb können sie sich nicht zurückhalten, das mit ihren Lebensäußerungen auch auszudrücken.
Die erste Reaktion auf Gottes Kommunizieren mit uns ist unsere Kommunikation mit ihm. Das Beten, Loben und Danken, das Innewerden Gottes in der Stille und mitten in der Tätigkeit des Lebens wird die Wege derer begleiten, die gewiss sind, dass der Gott der Liebe schon immer in den Grenzen ihres Lebens gegenwärtig ist.
3. Kommunikation unter Menschen als Auftrag
Die Frage, was Gottes Kommunizieren mit uns für das Kommunizieren von Menschen untereinander bedeutet, ist nach dem Gesagten im Allgemeinen eigentlich ganz einfach zu beantworten. So wie Gott uns liebend zu Ehren bringt und von uns liebend geehrt sein will, werden sich seine Ebenbilder in Gedanken, Worten und Werken gegenseitig zu Ehren bringen. Sie werden das Persongeheimnis jedes anderen Menschen, des nahen und des fernen Menschen, achten und die Grenzen seines Daseins nicht verletzen. Sie werden seine Grenzen nur in Erweisen dieser Achtung – in der personalen Dimension: in Erweisen der Liebe – überschreiten. Sie werden sich gegenseitig einladen, gemeinsam Grenzen zu setzen, innerhalb derer sie sich fortschreitend ihres begrenzten Lebens zu erfreuen vermögen, bis sie Gott heimholt in sein Reich.
Doch diese Grundprägung unseres Kommunizierens, die dem Urgeschehen der Kommunikation Gottes mit uns Menschen in Jesus Christus entspringt, ist in dieser Allgemeinheit natürlich viel zu abstrakt beschrieben. Denn die Kommunikation von uns Menschen vollzieht sich in concreto immer in einer schier unabsehbaren Fülle von Dimensionen unserer Wirklichkeit, in denen wir es miteinander zu tun haben. Da ist die Dimension des persönlichen Lebens, in denen Mann und Frau, Eltern und Kinder, Freunde und Freundinnen, Junge und Alte miteinander kommunizieren. Das ist die Dimension der Berufs- und Arbeitswelt, die Kommunikation unter Effizienzgesichtspunkten erforderlich macht. Da ist die Freizeit mit ihrem Unterhaltungsangebot, mit der Musik, mit dem Sport, mit der Mode und vielem anderen mehr, was Menschen um eines besonderen Lustgewinns willen zusammen führt. Da ist das gesellschaftliche Leben, in dem Kommunikation ebenso wie in der Politik auf eine institutionelle Ebene gehoben wird. Da ist in der globalen Welt die Herausforderung der Kommunikation von Völkern und Kulturen. Und da ist schließlich das uns derzeit ziemlich beunruhigende Phänomen der medialen Kommunikation.
In allen diesen unvollständig aufgezählten Dimensionen bedeutet Kommunikation etwas anderes und stellt besondere Anforderungen an Menschen, damit sie gelingt. Wie die allgemeine Grundprägung menschlicher Kommunikation durch die Gotteserfahrung hier konkret orientierend und wirksam fruchtbar werden kann, können wir in dieser Stunde unmöglich ausloten. Uns bleibt heute in dieser Hinsicht nur, unserer Sehnsucht Ausdruck zu geben, die Christenheit auf der ganzen Welt möchte geisteskräftig genug sein, ihren Teil dazu beizutragen, das das Urgeschehen von Gottes Kommunikation mit uns Menschen alle diesen Dimensionen menschlicher Kommunikation mit dem Geiste der Liebe Gottes grundiert.
Einen kleinen Ausschnitt aus dem großen Felde, auf dem wir Menschen zum Kommunizieren aufgerufen sind, aber dürfen wir uns aus Anlass des 25.-jährigen Jubiläums des Collegium oecumenicum in München doch wohl etwas genauer zu betrachten getrauen. Hier kommen Menschen, junge Menschen aus aller Welt zusammen, denen Gott das Herz entzündet hat, ihr Leben dem Urgeschehen von Gottes Kommunikation mit uns zu widmen. Sie sind sich zunächst einmal fremd, indem sie hier zusammen kommen. Vielleicht beherrschen sie Sprache noch nicht einmal gut, in der man sich hier verständigt. Vielleicht kommt ihnen das Essen merkwürdig vor, das ihnen hier in Bayern vorgesetzt wird. Vielleicht enttäuscht sie auch die Frömmigkeit, die sie hier antreffen. Es gibt viele Gründe, die uns Menschen den Weg zueinander verbauen, selbst wenn wir guten Willens sind, Gemeinschaft zu suchen. Die von Menschen gesetzten Grenzen verschiedener Kulturen und Gewohnheiten, die wir alle mit uns herum tragen, können „gemeinsames Leben“ kräftig bremsen.
Wie gut ist es da, wenn über dem Kleinkram besonderer Grenzen, die jeder Mensch mit sich herum schleppt, ein Horizont da ist, in dessen Licht diese Grenzen zu Toren werden, die zum Verstehen des Anderen und zur Solidarität mit ihm einladen. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat, um ihren Bestand zu sichern, u.a. zur „Mitgliederpflege“ eines sogenannten „Privatchristentums“ aufgerufen, das sich irgendeinen Gottesglauben zusammenbastelt“ (Ulrich Beck), der sich um die communio der Glaubenden nicht schert.
Im Glauben an den Gott der Liebe aber gibt es kein legitimes Privatchristentum. Dieser Gott führt Menschen zusammen und drückt sie nicht in irgendeine selbst erwählte religiöse Ecke. Der dreieinige Gott zumal – der Schöpfer, der jeden für diese Erde verantwortlich macht, der Versöhner, der das Eingraben von Menschen hinter Mauern unterbricht, der Heilige Geist, der Menschen in Liebe vereinigt – der dreieinige Gott also, macht uns unbändige Lust, die Gemeinschaft mit den anderen Menschen zu suchen und zu pflegen, die er zu Partnerinnen und Partnern seine Liebe erwählt hat.
Und das ist noch nicht Alles. Gemeinschaft für sich als solche kann auch zum Klüngel werden, die andere ausschließt und abstößt. Nicht wenige christliche Gemeinden sind leider verdächtig, solche Klüngel zu sein. Alles, was nicht in ihre religiösen Gewohnheiten passt, besorgen sie argwöhnisch und stoßen es ab, statt zu fragen, ob es nicht den Gott der Liebe in unseren menschlichen Kommunikationen klarer Geltung verschafft. Ich bin ziemlich sicher, dass derartige religiöse Klüngelei an einem collegium oecumenicum keinen Nährboden findet. Denn die Offenheit, ja die Neugier, den Glauben an Gott in einer Gemeinschaft zu leben, die in unterschiedlichen und zunächst fremden Glaubensformen begegnet, ist hier nicht in irgendeinem diffusem Gemeinschaftsgefühl gleich Gesinnter verwurzelt. Wer hier ist, der hat Gottes klare, grenzüberschreitende Liebe als Auftrag an uns Menschen verstanden, unsere Füße in die Fußspuren Jesu Christi zu setzen.