Kategorie: Vorträge
Der Apfel des Anstoßes
Kindervorlesung am 16.11.2011, dem Tag der Konfirmanden in der Emmauskirche Berlin Kreuzberg
Liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen, das heißt auf deutsch: Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter – so redet ein Professor die Studierenden in der Universität an. So rede ich Euch heute also auch in der Kinderuni an. Ich bin ein Vertreter der Theologischen Fakultät. Theologie ist auch ein Fremdwort aus der griechischen Sprache. Es bedeutet: Nachdenken über Gott. Also will ich mit euch darüber nachzudenken, was der Glaube an Gott zu sagen hat. Heute wollen wir das tun, indem wir ein Thema behandeln, das für junge Leute wie euch auf den ersten Blick ziemlich weit weg ist. Es heißt: „Schuld und Tod“.
Der christliche Theologe geht, wenn er ein solches Thema beackert, folgendermaßen vor: Er guckt erst einmal in die Bibel. Da hat er sehr viel zu tun. Denn Schuld und Tod sind in diesem Buch ein Megathema. Überall ist davon die Rede. Aber was gleich an ihrem Anfang davon erzählt wird, das klingt echt krass. Wir sind selbst daran schuld, dass wir sterben müssen, will uns diese Erzählung scheinbar sagen.
Na hallo, werdet ihr da rufen. Ich kann doch überhaupt nichts dafür, dass ich einmal so alt sein werde wie meine Oma und mein Opa. So sind wir Menschen eben gestrickt. Wir werden alt und älter und müssen schließlich sterben. Da bleiben wir ganz cool. So ist das nun mal.
Das haben die Leute, die uns die krasse Geschichte von Schuld und Tod erzählen, natürlich auch gewusst. Die waren ja nicht endbescheuert. Aber die fanden, dass Sterben ganz und gar nicht cool ist. Sie fanden es im Gegenteil supermies. Es macht unser Leben kaputt. Und das geht nicht erst los, wenn wir alt und klapprig sind.
Wer sterblich ist, lebt nämlich immer gefährlich. Viren und Bazillen, Schweinegrippe und Ehec können über uns herfallen. Wir können stürzen, was auf’n Kopf kriegen und uns schlimm, schlimm, schlimm – nämlich tödlich – verletzen. Wir bekommen dolle Schmerzen, so dass uns Angst und bange wird. Andere Menschen tun uns weh. Ein blöder Kampfradler fährt uns um. Ein ausgeflippter Typ bedroht uns mit Schlägen. Und wenn wir erst an die Kriege denken! Seit Urzeiten bis heute killen sich Menschen massenweise.
Diesen ganzen schrecklichen Mist würde es nicht geben, wenn wir unsterblich wären. Da könnten die Viren und Bakterien liebe Haustierchen sein. Kein Sturz könnte uns zerbrechen. Krieg wäre völlig sinnlos. Denn Unsterbliche kann man nicht töten. Ihr kennt sicher Filme oder Comics, in denen unsterbliche Phantasie-Menschen die Hauptrolle spielen. Leider jedoch sind das meistens auch richtige Killer. Die ändern nichts daran, dass alle Anderen elend sterben müssen.
Unsere Geschichte vom Anfang der Bibel handelt auch von so einer Art Phantasie-Menschen. Die Leute, die sich diese Geschichte vor vielen 1000 Jahren ausgedacht haben, hielten sie für die ersten Menschen. Wie sie geschaffen wurden, ist ganz lustig. Gott hat einem Erdklumpen Leben eingehaucht und schwupps war ein Mann da. Adam bedeutet darum: Von Erde genommen. Wir können ihn ruhig einen Erdling nennen. Der lebte nun in einem wunderschönen Garten. Paradies wird der genannt. Aber die Sache hatte einen Haken. Adam langweilte sich fürchterlich. Er war nur mit den Tieren zusammen. Mit denen konnte er sich nicht richtig unterhalten und nichts zusammen unternehmen. Da Gott hat sich was überlegt. Er verpasste Adam eine Narkose. Dann nahm er ihm eine Rippe raus und formte daraus die Eva, das heißt auf deutsch: Die Belebte.
Jetzt war das Leben im Paradies wirklich prima. Adam und Eva spazieren nackend herum und freuen sich, welch zum Verlieben schöne Menschen sie sind. Sie vertragen sich mit den Tieren. Keines beißt sie. Der Garten ist voll köstlicher Früchte. Jede schmeckt besser als die andere. Arbeiten brauchen sie nicht. So lässt sich’s leben. So schön könnte eigentlich unser Leben sein, will uns diese alte story sagen.
Aber wie kommt es, dass für die Nachkommen von Adam und Eva, für uns, das Leben gar nicht so schön ist? Weshalb müssen wir sterben? Weshalb spukt der supermiese Tod überall in unserem Leben rum? Darauf will unsere Geschichte eine Antwort geben. Sie lautet: Das ist so, weil Adam und Eva noch was Besseres haben wollten als das Paradies.
Gott hatte nämlich eine Bedingung für das Leben im wunderschönen Garten gestellt. Sie sollten nicht vom „Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen“ essen. „Wenn ihr davon esst, werdet ihr sterben“, hat er sie gewarnt. Ihr ahnt schon, wie es weiter geht. Sie essen trotzdem davon. Es war zwar kein Apfel. Aber das ist egal. Die Beiden wollen nicht kapieren, dass es auch für das Paradies Regeln gibt. Werden sie gebrochen, ist es auch mit dem schönen Leben vorbei.
Unsere alten Geschichtenerzähler wälzen lang und breit aus, wie es dazu gekommen ist. Ein sprechende Schlange tritt auf. Sie flüstert der Eva ein, dass die Frucht vom Baume der Erkenntnis gar nicht tödlich ist. „Ihr werdet sein wie Gott“, wispert sie, „ewig und allmächtig“. Eva verklickert das ihrem Mann. Der rafft das sofort und ist begeistert. Er kann jetzt selber Gott sein und nicht bloß ein Erdling. Sie pflücken also die verbotene Frucht und beißen zu. Und mit einem Schlag ist alles anders.
Erst einmal schämen sich Adam und Eva voreinander. Sie bedecken sich mit Feigenblättern. Dann verstecken sie sich vor Gott. Dann schieben sie sich gegenseitig die Schuld zu. Ein richtiger Ehekrach geht los. Ihr merkt es: Der Tod, der supermiese Zerstörer, zieht ein ins Leben. Eigentlich braucht Gott gar nichts mehr zu sagen. Es ist klar. Das Paradies ist futsch. Wir Menschen müssen mit dem Tod leben.
Schlimmer noch: Fern von Gott werden Menschen zu Komplizen des Todes. Die erst fröhliche und dann traurige Geschichte von Adam und Eva wird immer trauriger. Die Kinder von Adam und Eva gehen sich an die Gurgel. Kain schlägt seinen Bruder Abel aus lauter idiotischer Eifersucht auf dem Felde tot.
Es ist, wie gesagt, eine uralte Geschichte, die uns die Bibel da erzählt. Wissenschaftlich ist sie nicht. Adam und Eva sind Erfindungen. Aber vielleicht könnt ihr was damit anfangen, wenn ich sage: In diesen Erfindungen begegnet uns so etwas wie Weisheit. Weisheit zieht die richtigen Schlüsse aus Erfahrungen, die wir machen. Jemand, der das nicht kann, den nennen wir dumm. Er lernt nichts aus seinen Erfahrungen. Er macht darum immer wieder dieselben Fehler.
Menschen, liebe Kommilitonnen und Kommilitonen, machen mit ihrem Leben aber tatsächlich immer wieder denselben Fehler. Solange es sie gibt, holen sie den Tod selber mitten in ihr Leben hinein. Sie sind größenwahnsinnig und dumm. Sie halten sich für was Besseres als Gott und ihre Mitmenschen. Darum sind sie gierig und hochmütig. Darum lügen und stehlen sie. Darum säen sie Hass. Darum ist die Menschengeschichte auch eine Killer-Geschichte von Mord und Totschlag.
"Macht nicht denselben Fehler wie Adam und Eva“, wollen uns die alten, weisen Geschichtenerzähler zurufen. Ihr müsst sterben. Das ist wahr. Alle Erdlinge müssen sterben. Ich weiß nicht, ob ihr schon einmal bei einer Beerdigung ward. Da sagt die Pfarrerin oder der Pfarrer am Grabe: „Von Erde bist du genommen. Zur Erde sollst du wieder werden“. Aber bevor es so weit ist, bietet uns das Leben eine einmalige Gelegenheit zum Freuen und zum Lieben, zu Staunen und Entdecken. „Erntet die schönsten Früchte dieses Lebens“, sagen uns die alten Weisen. „Aber lasst das Gift des Todes nicht eindringen. Es träufelt gerade dann ins Leben, wenn Menschen sich einbilden, sie seien unsterblich. Da werden sie richtig dumm.“
Wir sollen weise sein und nicht dumm. „Herr lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf das wir klug werden“, heißt es darum in einem Lied der Bibel. Das ist ein Spruch, den ihr Jungen euch eigentlich auch schon übers Bette hängen könnt.