Kategorie: Theologiegeschichte des 20. Jh.
§ 15 Prozesstheologische Konzeptionen
1. Der Gott-Welt-Prozess nach Wolfhart Pannenberg
Das Programm „Offenbarung als Geschichte“ verstand sich als Alternative zur Theologie des Wortes Gottes. Ihr wurde vorgeworfen, sie verhindere den Zugang von Menschen zu Gott, weil sie auf bloß subjektiven Glaubensüberzeugungen und autoritären Versicherungen beruhe. Sie leiste dem Atheismus Vorschub, weil sie darlegen könne, inwiefern Gott eine Macht sei, die in der Geschichte waltet und dort auch ohne den Glauben wahrgenommen werden kann.
Pannenberg geht beim Entwurf seines Programms von der Auferstehung Jesu Christi aus. Sie muss als eschatologisches, endzeitliches Ereignis verstanden werden. Das bedeutet: Hier hat sich das Ende der Geschichte schon ereignet. Dieses Geschehen stellt vor das Problem der Universalgeschichte, weil in ihm die Zukunft der Welt ereignete. Es nötigt dazu, aufzuweisen, inwiefern alle Geschichte etwas mit dem Eschaton und insofern mit Gott zu tun hat.
Die Einbeziehung der Geschichte Israels in das Verständnis der Auferstehung Jesu Christi muss als der erste Schritt des christlichen Glaubens in die Universal- und Weltgeschichte hineinverstanden werden. Diese Geschichte lehrt: Gottes Offenbarungen vollziehen sich in Geschichtstaten. Sie sind aber nie endgültig. Vielmehr wird die Gott „erweisende Geschichte“ immer mehr ausgeweitet auf die „Gesamtheit alles Geschehens überhaupt“ (Offenbarung, 97). Der Gott der Väter wurde über die Landnahme, geschichtliche Ereignisse, Katastrophen und die Geschichtsschau der Apokalyptik zum Gott, der sich erst am Ende der Gesamtgeschichte als der offenbart, der er ist.
Gottes Geschichtsoffenbarungen haben demnach nur den indirekten Charakter eines Verweises auf das Ende der Universalgeschichte. Man kann von ihnen her aber auf Gott selbst am Ende der Geschichte schließen. Die Geschichte ist selbst eine Art Gotteserweis, weshalb Wert darauf gelegt wird, dass Gottes Geschichtstaten historisch verifizierbar sein müssen: Die „Theologie der Geschichte“ will „prinzipiell historisch verifizierbar sein.“ (Heilsgeschehen als Geschichte, 76). „Die Geschichtsoffenbarung“ ist „jedem, der Augen hat zu sehen, offen“ (Offenbarung, 98).
Bei der Geschichtstat Gottes im Geschick und in der Auferstehung gibt es allerdings einen gewichtigen Unterschied zu den Geschichtstaten Gottes in Israel. Während diese auf das Ende der Geschichte bloß verweisen, hat sich in Jesus Christus „das Ende alles Geschehens vorweg ereignet“ (103). Es ist die Prolepse dieses Endes. „Denn an ihm ist mit der Auferweckung von den Toten bereits geschehen was allen Menschen noch bevorsteht“ (104).
Die Geschichtsereignisse, die nach Jesus Christus kommen, können darum nichts mehr grundsätzlich Neues über Gott sagen. Sie weisen letztlich alle auf Jesus Christus hin, indem sie auf das Ganze der Geschichte hinweisen. Wer heute sachgerecht von Gott reden will, der muss die weltgeschichtliche „Verknüpfung aller übrigen Gegebenheiten mit diesem Geschehen [...] entdecken [...], um so die Universalität des Gottes Israels und seiner in Jesus Christus ereigneten Offenbarung als bewährt zu erkennen“ (Heilsgeschichte, 77).
Allerdings wird die „Sprache der Tatsachen“ nur „im Kontext des Überlieferungs- und Erwartungszusammenhanges hörbar, in den hinein die Begebenheiten sich ereignen“ (Offenbarung, 112). Sie wird vernommen und verstehbar, weil sie in den worthaften Bericht von vergangener Geschichte eingebettet ist. Die Überlieferungsgeschichte von Israel und Jesus Christus stellt den Schlüssel zur universal-geschichtlichen Deutung aller Geschichte bereit, so dass die Weltgeschichte in diesem Lichte in ihrer Offenbarungsqualität wahrgenommen werden kann. Genau darum hat sich die Offenbarung nur „proleptisch“ ereignet. Der eine Gott aller Menschen soll nicht nur den Juden, sondern der Völkerwelt offenbar sein (Offenbarung, 105)
„Der eschatologische Charakter des Christusgeschehens als Vorwegnahme des Endes aller Dinge begründet es [...], daß nunmehr […] auch Nichtjuden den Gott Israels als den einen wahren Gott erkennen können, nach dem die griechische Philosophie fragte und der allein seitdem noch Gott heißen kann. Diese Anerkennung und damit Ratifizierung der universalen Offenbarung im Geschick Jesu ist selbst weltgeschichtliche Tatsache geworden durch das Aufgehen der antiken Welt in der Alten Kirche“ (ebd).
In diesem Sinne ist die Auferstehung Jesu als Prolepse des Endes der Geschichte die Intensivierung des Geschichtsprozesses auf sein Ende hin zu verstehen. Sie betrifft auch die Natur. Denn die Zukunft „war die Zukunft schon Julius Cäsars, die der vorgeschichtlichen Saurier wie auch der ersten physikalischen Prozesse vor etwa 10 Milliarden Jahren (Eschatologie und Schöpfung, 19). Alle Wirklichkeit ist aus der Zukunft entlassen ist und so auf die Zukunft bezogen. „Mit dem Eintreten jedes Ereignisses trennt sich die unendliche Zukunft von den endlichen Gegebenheiten, die bis dahin in dieser Zukunft verborgen lagen, aber nun in das Dasein losgelassen und freigesetzt werden“ (15). So kann „die Wirklichkeit im Ganzen mit Einschluß der Natur als Prozeß einer Geschichte Gottes mit seinen Geschöpfen“ gedacht werden (Kontingenz und Naturgesetz, 72)
Zu dieser Geschichte gehört auch, dass Menschen notwendig einen Gottesgedanken fassen, den die Theologie ans Licht hebt. Nach Pannenbergs „Systematischer Theologie“ ist der Gedanke der Unendlichkeit. Indem Menschen sich mit ihrem Bewusstsein transzendieren, erfahren oder ahnen sie die Unendlichkeit, die das Endliche trägt. Wenn die Bibel vom Handeln Gottes redet, ist eine Dynamik der Unendlichkeit gemeint, der sich die Immanenz verdankt und welche sie durchwaltet. Wir können Gottes Wesen in diesem Sinne analog zur Vorstellung eines universalen Kraftfeldes (M. Faraday) denken (Syst. Theol. I, 414f.).
Ausgehend von der im Christusgeschehen beschlossenen Notwendigkeit des trinitarischen Denkens ist Gottes Wesen in sich selbst so zu verstehen, dass es sich als dynamische Kraft in den drei trinitarischen Personen manifestiert (415). Vater, Sohn und Geist sind „Daseinsmomente“ „selbständige“ Aktzentren (374) oder drei Subjekte, die das Kraftfeld in gegenseitiger Relativierung und Relationalität konstituiert. Damit ist der Vorzug des Vaters, wie er in der klassischen Trinitätslehre gedacht wurde, ausgeschaltet. Auch er empfängt seine Vaterschaft von daher, dass der Sohn Sohn ist, so wie der Sohn seine göttliche Sohnschaft vom Vater hat und beide ihre Einheit nur im Geist haben.
Der Geist hat einen gewissen Vorzug gegenüber Vater und Sohn, weil sich in ihm das göttliche Wesen (jenes Kraftfeld) personalisiert. Es sorgt dafür, dass Vater und Sohn in reiner Gegenseitigkeit aufeinander bezogen sind. Deshalb kann man das Wesen Gottes – jenes Kraftfeld – als Liebe identifizieren. Gott ist die Liebe in dem Sinne, dass sie die „ewige Macht und Gottheit ist, die in den Liebenden und über sie in ihrer Zuwendung zueinander mächtig wird und sie als 'Feuer' durchglüht. Nicht die Personen sind der Liebe mächtig, sondern die Liebe hebt die Personen über sich selbst hinaus und konstituiert sie dadurch in ihrem Selbstsein“ (460). In diesem Geschehen empfängt sich jede der Personen von den anderen. Gott muss in diesem Sinne ein dreipersönlicher Gott genannt werden (354).
In der Logik dieses trinitarischen Denkens liegt es, dass das göttliche Kraftfeld bzw. das Feuer der Liebe das eigentlich Göttliche ist. Wenn wir der Person des Vaters durch den Rückschluss von der Schöpfung her oder der Person des Sohnes in der Christusgeschichte oder des Geistes in Kirche und Welt begegnen, begegnen wir nur einem Daseinsmoment Gottes, das uns zu den anderen Daseinsmomenten und letztlich auf das Kraftfeld verweist. Wir erfahren Gott nur so, dass wir in eine Geschichte der Beziehungen Gottes hineingenommen werden, die immer noch einmal über sich selbst hinaus verweist und „offen“ ist.
Pannenberg redet von der Trinität deshalb als von einem offenen Gott-Welt-Prozess, in dem Gott die Welt in die Liebe hinein verwandeln will. In keiner Erfahrung der trinitarischen Personen ist die Geschichte Gottes mit der Welt zu Ende. Vielmehr wird die Welt so gedacht, dass sie durch das Wirken der trinitarischen Personen in einen Prozess auf das Ende der Geschichte zu hinein gezogen wird, in der das, was Gottes Wesen ist, endgültig für Menschen offenbar sein wird.
Mit diesem Gottesverständnis soll erreicht werden, dass die christliche Theologie und Verkündigung ihr autoritäres Reden von Gott aufgeben und von Gott nur im Sinne eines offenen dynamischen Prozesses reden. Die Anstößigkeit dessen, dass Gott „Person“ ist, wird durch das Reden von den drei Subjekten, die in einem Neutrum – dem Kraftfeld, dem Feuer der Liebe, der Dynamik – gründen, relativiert.
Das soll Menschen von heute den Zugang zum Gottesgedanken erleichtern. Gott ist nicht eine abstrakte Transzendenz, sondern er vermittelt sich der Immanenz durch den Sohn und den Geist und zieht damit die Geschichte der Welt hinein in seine eigene Geschichte. Ohne trinitarisch von Gott zu reden, kann die christliche Kirche demnach nicht von Gottes Sein und Handeln reden. Der trinitarisch ausgelegte Gottesgedanke aber ermöglicht es, Gott im „Prozess“ seiner „Selbstoffenbarung […] in Schöpfung, Versöhnung und Vollendung der Welt“ Menschen heute verstehbar werden zu lassen. An Gott glauben, heißt, sich auf die Zukunft seiner Offenbarung ausrichten. Erst „in der eschatologischen Zukunft der Welt, wird dieser Prozeß seinen Abschluß finden durch die endgültige Offenbarung der Herrlichkeit Gottes im Erweis seiner Gottheit“ (Syst. Theologie, III, 678f.).
Doch sind Aussagen der Hoffnung, die alle weltlichen Zusammenhänge transzendieren. Deshalb bleibt in Pannenbergs Eschatologie auch unklar, ob das für jeden, der seinen Verstand in der Wahrnehmung der Geschichte gebraucht, evident ist. Das kann bezweifelt werden. Denn aller „Fortschritt“ in der Geschichte ist mit Leid, Verbrechen und Schmerzen verbunden. Kants Frage, ob die Weltgeschichte „im beständigen Fortschreiten zum Besseren begriffen sei“, wird kaum mit Pannenbergs Verständnis des Gott-Welt-Prozesses zu beantworten sein.
Jürgen Moltmann hat darum kritisiert, das bei Pannenberg die christliche Hoffnung zu einer Weltanschauung verarbeitet wird, die in der Gefahr ist, das eschatologisch Neue, welches die Bibel bezeugt, mit den „proleptischen Strukturen des Seins“ zu verwechseln (Der Weg Jesu Christi, 258). Dieses Neue ist die Befreiung aus dem Elend, mit dem Menschen Gottes Schöpfung verderben. Moltmann hat darum ein anderes prozess-theologisches Denken entwickelt, das die Befreiung von diesem Elend als Sinn des Prozesses Gottes mit der Welt heraus stellt.
2. Der Zukunftsprozess der Gerechtigkeit nach Jürgen Moltmann
Auch Jürgen Moltmanns „Theologie der Hoffnung“ von 1964 wollte eine Alternative zur Wort-Gottes-Theologie sein. Sie versteht alle Aussagen des christlichen Glaubens als Hoffnungsaussagen: „Es gibt nur ein wirkliches Problem der christlichen Theologie: […] Das Problem der Zukunft“ (12). Denn Gott ist nach dem biblischen Zeugnis „ein Gott mit ‚Futurum als Seinsbeschaffenheit‘ (E.Bloch)“ (ebd.). Sein Name ist „ein Wegname, ein Verheißungsname“ (25).Von ihm kann nur „Hoffnungssätze(n) und Zukunftsverheißungen“ geredet werden (13).
Begründet wird das mit dem biblischen Verständnis der Offenbarung Gottes in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi. Es handelt sich hier um ein „Verheißungsgeschehen“, das einen Prozess der Überwindung von Ungerechtigkeit, Leiden und Tod für diese Welt eröffnet (76). Christus ist auferstanden „in den noch unausgemachten Vorraum der Zukunft“ (192). Deshalb geht von ihm, dessen Auferstehung ein Widerspruch gegen das Kreuz ist, eine neue Dynamik des Reiches Gottes im Widerspruch gegen das Weltelend aus
Das schenkt Menschen Hoffnung und lässt sie in der Kraft der Hoffnung an einem Prozess der Veränderung der Welt in Gerechtigkeit teilnehmen. „Frieden mit Gott bedeutet Unfrieden mit der Welt, denn der Stachel der verheißenen Zukunft wühlt unerbittlich im Fleisch jeder unerfüllten Gegenwart“ (17). Christliche Theologie muss deshalb als „Tendenzkunde der Auferstehung und Zukunft Jesu Christi“ verstanden werden (177). Sie hält Ausschau nach der Erfüllung der Gerechtigkeit, der Auferstehung der Toten und der Erlösung aller Welt.
In seinem Buch „Der gekreuzigte Gott“ (1972) hat Moltmann hervor gehoben, dass Gott, der die Zukunft selbst ist, am Kreuz Christi mit an dem Elend dieser Welt leidet, um dieses Elend auf Zukunft hin zu wenden. „Das kommende Reich [...] hat durch Christus Kreuzesgestalt in einer entfremdeten Welt angenommen“ (173). „Der Gekreuzigte ist die Inkarnation des Auferstandenen“. Das heißt, Gott leidet mit am Elend dieser Welt, um dieses Elend auf Zukunft hin zu wenden. Jeder, der in der Hoffnung an der Zukunft Anteil bekommt, wird so hineingezogen in einen Prozess der Überwindung des Leidens.
In seiner Schöpfungslehre versteht Moltmann schon die Erschaffung der Welt als Beginn dieses Prozesses (ZimZum). Denn Gott hat die Welt aus dem Nichts, das sie bedroht, ins Dasein gerufen. Sie ist darum „nicht perfekt, sondern perfektibel, denn sie offen für die Geschichte von Heil und Unheil und offen für Vernichtung und Vollendung“ (Zukunft der Schöpfung, 127). Aus Liebe zu seinen Geschöpfen nimmt Gott von Anfang an „an dem Schicksal seiner eigenen Schöpfung teil. Durch den Geist leidet er die Leiden seiner Geschöpfe mit. An seinem Geist erfährt er ihre Vernichtungen. In seinem Geist seufzt er […] nach Erlösung und Freiheit“ (108). In diesem Sinne wird die Schöpfung durch den weltimmanenten Geist fortgesetzt (214), indem Gott „mit und aus dem geschöpflichen Wirken“ wirkt. Moltmann bekennt sich zum Panentheismus. Gott ist in allem, weil er als Geist in aller Dynamik der Welt gegen ihre Vernichtung wirkt.
Im Sohn intensiviert er diese leidende Teilnahme an der menschlichen Geschichte, so dass der „Auferweckungsprozeß, der mit Christi Auferweckung begonnen hat und in der Erfahrung des gegenwärtig wirksamen Geistes der Auferweckung weitergeht [...] mit der Auferweckung aller Toten und der Vernichtung des Todes enden“ wird (Das Kommen Gottes 363).
Moltmann hat diesen Grundgedanken trinitarisch vom Kreuzesgeschehen her begründet. Dieses Geschehen erhellt, wie sich Vater, Sohn und Geist sich in ihrem Verhältnis zueinander konstituieren (Gekreuzigter Gott, 232). Der Sohn konstituiert sich hier als einer, der die Situation des gottverlassenen und gottlosen Menschen teilt. Der Vater konstituiert sich so, dass er seinen Sohn am Kreuz dahingibt, „um der Dahingegebenen Vater zu werden“ (230). Und indem der Vater den Sohn dahingibt, erleidet der Vater mit dem Sohn den Schmerz des Sohnes. Im Schmerz des Kreuzes sind beide „aufs tiefste getrennt, aber im Mitleiden der Liebe aufs innigste eins. Und was aus diesem Geschehen zwischen Vater und Sohn hervorgeht, ist der Geist, der Gottlose rechtfertigt, Verlassene mit Liebe erfüllt und selbst die Toten lebendig machen wird (231)
Innertrinitarisch wird dieses Gottesverständnis mit den Beziehungen begründet, die schon von Ewigkeit zu Ewigkeit in Gott walten, und die es nicht erlauben, Gott als absolutes Subjekt zu verstehen, das die Welt bloß von oben dirigiert. Unter Aufnahme der alten Perichoresen-Vorstellung (der „Benachbarung“ der trinitarischen Personen) muss vielmehr gelten: „In dem dreieinigen Gott findet ein ewiger Lebensprozess durch den Austausch der Energien statt. Der Vater existiert im Sohn, der Sohn im Vater und beide im Geist, so wie der Geist in beiden existiert. Sie leben so ineinander und wohnen so ineinander kraft der ewigen Liebe, dass sie eins sind (Trinität und Reich Gottes, 191).
Weil sie das sind, kann der Vater den Sohn und den Geist in die Welt senden und offen für die Veränderungen sein, die ihm dabei selbst widerfahren. Der trinitarische Gott geht insofern seiner eigenen Vollendung erst entgegen. Der Geist, die Liebe, ist zukunftsoffen für die ganze verlassene Menschheit. Damit ist auch das Verhältnis des Sohnes zum Vater hinsichtlich der Funktion des Sohnes in der Welt „noch unabgeschlossen“ (Gekreuzigter Gott, 242).
Gott ist demnach ein Geschehen, ein Prozess, der sich eschatologisch so erfüllen wird, dass alles Leiden in der Welt ausgeräumt ist. Jetzt aber muss noch gelten: Gott ist gespalten und tendiert in der Liebe, die der Geist vermittelt, auf seine Zukunft und damit auf die Zukunft der Menschen zu. So ist Gott ein Geschehen, in dem er „als Vater transzendent, als Sohn immanent und als Geist zukunftsöffnend“ ist (ebd.). Er beteiligt die Menschen an diesem Geschehen seines eigenen Seins, indem er ihnen aus dem Leiden, an welchem er selber als Sohn teilnimmt, Zukunft schafft.
Im Eschaton hört diese Funktion des Sohnes auf. Sie vollendet sich in der Übergabe des Reiches an den Vater, ebenso wie sich die Vaterschaft des Vaters vollendet. Gott verherrlicht sich an diesem eschatologischen Ziel durch den Geist selbst und wird durch die neue Schöpfung mitverherrlicht.
Weil es bei dieser Vollendung um diese irdische Welt geht, hat Moltmann in seiner Eschatologie die alte apokalyptische Vorstellung eines 1000-jährigen Reiches ungebrochener Christusherrschaft vor Einbruch des Reiches Gottes ausdrücklich bejaht (vgl. Apokalypse 7; 20. 4). Diese Vorstellung sei ein „Gegenbild der Hoffnung gegen die antichristliche Weltzerstörung im Feuersturm“ (Kommen Gottes 226). „Christliche, d.h. messianische, heilende und errettende Eschatologie“ sei „chiliastische Eschatologie des Übergangs“ (227).
.Moltmann spannt das trinitarische Denken in die Vorstellung von einer Befreiungsgeschichte von aller Knechtschaft ein, in die sich Gott selbst als dynamische Kraft hineinbegeben hat, um unser Emanzipationspartner im Sohn und im Geist zu werden. Sie ist Antwort auf die Theodizeefrage zu verstehen. Indem Gott eine unvollkommene, nicht perfekte Welt geschaffen hat, stellt sich die Frage überhaupt nicht, wie sich diese Welt mit dem Handeln eines guten und gerechten Gottes verträgt. Gut und gerecht ist Gott so, dass er in der Beteiligung am Gut- und Gerechtwerden der Welt selber noch offen ist für seine eigene Vollendung.
Moltmanns Theologie bricht allerdings mit der Glaubenseinsicht, dass Gott die Welt gut geschaffen habe. Sie führt das Böse und die Sünde auf einen notwendigen Konstruktionsfehler der aus dem Nichts erschaffenen Welt zurück und macht darum Gott selbst für das Entstehen der zerstörenden Kräfte in der Welt verantwortlich. Für das Verständnis Gottes, der von Anfang an der Welt mit seinem Schöpfergeist einwohnt, bedeutet das, dass er gewissermaßen selbst erlösungsbedürftig wird und wie die tragischen Götterfiguren der Mythologie in menschliche Geschicke verwickelt ist und bleibt, bis er das Eschaton heraufführt.
Da Gott in Moltmanns Denkweise selbst an der Spaltung und Entzweiung der Welt partizipiert und der Prozess zwischen ihm und der Welt für ihn selbst noch offen ist, begründet dieses Konzept eigentlich keine starke, gewisse Hoffnung im Vertrauen auf Gott. Die eschatologische, phantasievolle Ausschweifung in das chiliastische Denken lässt diese Hoffnung eher wie ein menschliches Wünschen erscheinen.
Sowohl Moltmann wie auch Pannenberg gebührt dennoch das Verdienst, die Trinitätslehre, die in dem Ruch eines abstrakten Dogmas steht, zu einem spannenden Lehrstück gemacht zu haben. Insbesondere Moltmanns Fassung des trinitarischen Prozesses findet bis heute aufgrund ihrer befreiungstheologischen Absicht und Pointe große ökumenische Aufmerksamkeit – größere als in Deutschland. Theologisch aber stellt sie vor die Frage, wie die Probleme, welche das Prozessdenken im Verständnis Gottes und im Verständnis der Welt bereitet, überwunden werden können.
Literatur:
Pannenberg, Wolfhart (Hg), Offenbarung als Geschichte, in Verbindung mit Rolf Rendtorff, Ulrich Wilckens, Trutz Rendtorff, KuD Beiheft 1, Göttingen 41970
ders., Eschaton, Gott und Schöpfung, in: Theologie und Reich Gottes, Gütersloh 1971, 9ff.
ders., Kontingenz und Naturgesetz, in: A.M.Klaus Müller/W.Pannenberg, Erwägungen zu einer Theologie der Natur, Gütersloh 1970, 33ff.
ders., Heilsgeschehen und Geschichte, in: Grundfragen systematischer Theologie, Ges.Aufs.1, Göttingen 21970, 22ff.
ders., Wissenschaftstheorie und Theologie, Frankfurt 1987
ders., Systematische Theologie, Band 1-3, Göttingen 1988-1993
Moltmann, Jürgen, Theologie der Hoffnung. Untersuchungen zur Begründung und zu Konsequenzen einer christlichen Eschatologie, München 1964
ders., Der gekreuzigte Gott. Das Kreuz Christi als Grund und Kritik christlicher Theologie, München 1972
ders., Kirche in der Kraft des Geistes. Ein Beitrag zur messianischen Ekklesiologie, München 1975
ders.; Die Zukunft der Schöpfung. Gesammelte Aufsätze, München 1977
ders.; Trinität und Reich Gottes. Zur Gotteslehre, München 1980
ders.; Gott in der Schöpfung. Ökologische Schöpfungslehre, München 1985
ders.; Der Weg Jesu Christi. Christologie in messianischen Dimensionen, München 1989
ders.; Der Geist des Lebens. Eine ganzheitliche Pneumatologie, München991
ders.; Das Kommen Gottes. Christliche Eschatologie, Gütersloh, Gütersloh 1995