Kategorie: Theologiegeschichte des 20. Jh.
§ 8 Der Ernstfall für Theologie und Kirche seit 1933
1. Der „Kirchenkampf“ bis zur Spaltung der Bekennenden Kirche (1936)
Nach seiner „Machtergreifung“ im Januar 1933 versicherte Hitler in einer Regierungserklärung vom 23. März 1933, dass die „nationale Regierung […] in den beiden christlichen Konfessionen die wichtigsten Faktoren zur Erhaltung unseres Volkstums“ sehe und ihnen „den ihnen zukommenden Einfluss einräumen und sicherstellen werde“.
Trotz der Terrorakte, die sofort mit Hitlers Ernennung zum Reichskanzler einsetzten, protestierten die evangelischen Kirchen nicht, weil sie sich einen starken, deutsch-national geprägten Obrigkeitsstaat als Alternative zu der in Parteiauseinandersetzungen zerfasernden Weimarer Republik wünschten.
Bei der Eröffnung des Reichstages am „Tag von Potsdam“ am 31. März 1933 sagte Generalsuperintendent Otto Dibelius in seiner Predigt in der Nicolaikirche: „Wenn der Staat seines Amtes waltet gegen diejenigen, die die Grundlagen der staatlichen Ordnung untergraben, gegen die vor allem, die mit ätzendem und gemeinem Wort die Ehe zerstören, den Glauben verächtlich machen, den Tod fürs Vaterland begeifern – dann walte er seines Amtes in Gottes Namen“.
Er fügte jedoch auch hinzu: „Staatliches Amt darf sich nicht mit persönlicher Willkür vermengen, ist die Gerechtigkeit wiederhergestellt, so müssen Gerechtigkeit und Liebe wieder walten.“ Er hat in den Nazis tatsächlich Männer gesehen, „die aus Dank für Gottes Gnade ihr Leben heiligen in Zucht und Liebe“.
Der nationalsozialistische Staat jedoch zielte darauf, die Kirchen seiner totalen Beherrschung der Gesellschaft „gleichzuschalten“ und bediente sich dabei der „Deutschen Christen“, die einen „Reichsbischof“ für die nur in dem lockeren „Deutschen Evangelischen Kirchenbund“ verbundenen 28 Landeskirchen forderten.
Um das zu verhindern, wollten die Landeskirchen sich selbst zu einer „Deutschen Evangelischen Kirche“ (DEK) mit einem von ihnen bestimmten Reichsbischof zusammenschließen. Sie beriefen einen Ausschuss, der die dazu nötige Verfassung erarbeiten sollte. Sein Vorsitzender war Herrmann Kapler, Präsident des Evangelischen Oberkircvhenrates, der am 25. April 1933 auch von Hitler empfangen wurde.
Hitler ernannte daraufhin den Wehrkreispfarrer Ludwig Müller aus Königsberg zu seinem „persönlichen Bevollmächtigten in Kirchenfragen“, um auf die Entwicklung Einfluss zu nehmen. Er wurde als der favorisierte Mann des „Führers“ an der Arbeit des Verfassungsausschusses beteiligt.
In einem verhältnismäßig moderaten Papier über das „Ziel der Glaubensbewegung Deutsche Christen“ sicherte Müller die „völlige Wahrung des Bekenntnisstandes der Reformation“ zu allerdings „in scharfer Abwehr aller modernen Irrlehren, des Mammonismus, Bolschewismus und des unchristlichen Pazifismus“ (Schmidt, 143). Als Grundsatz sollte gelten: Die Kirche ist „christliche Kirche im deutschen Volk nur, wenn sie Kirche für das deutsche Volk ist, wenn sie dem deutschen Volk in selbstlosen Dienst dazu hilft, dass es dem ihm von Gott aufgetragenen Beruf erkennen und erfüllen kann.“
Als Alternative dazu trat am 9. Mai 1933 die „Jungreformatorische Bewegung“ auf den Plan. Sie forderte, bei „kommenden Entscheidungen einzig und allein aus dem Wesen der Kirche heraus“ zu handeln. Es wurde für die Ernennung eines Reichsbischofs votiert. Die „Ausschließung von Nichtariern aus der Kirche“ wurde abgelehnt. Doch sollte eine „Antwort des Evangeliums auf die Frage nach Rasse, Volk und Staat“ gegeben werden. In summa: „Wir fordern, daß die Evangelische Kirche in freudigem Ja zum neuen deutschen Staat den ihr von Gott gegebenen Auftrag in voller Freiheit von aller politischen Beeinflussung erfüllt und sich zugleich in unlöslichem Dienst an das deutsche Volk bindet“ (Schmidt, 146).
Der Kandidat der „Jungreformatorischen Bewegung“ war Friedrich von Bodelschwingh, der Leiter der Betheler Anstalten. Am 26. Mai 1933 traten die Kirchenleitungen zusammen und wählten ihn und nicht Ludwig Müller mit knapper Mehrheit zum Reichsbischof. Hitler daraufhin ließ den ganzen Parteiapparat mobilisieren, um gegen Bodelschwingh zu protestieren. Der trat daraufhin entnervt vom Amt des Reichsbischofs zurück.
Kultusminister Bernhard Rust nutzte das entstandene Vakuum und setzte den Juristen August Jäger, zum „Kommissar für die preußischen Kirchenprovinzen“ ein. Dieser „Kommissar“ suspendierte kurzerhand alle leitenden Geistlichen – darunter Otto Dibelius – vom Dienst und besetzte kirchliche Schlüsselpositionen mit Anhängern der „Deutschen Christen“. Das löste einen solchen Proteststurm in Deutschland aus, so dass Reichspräsident Hindenburg Hitler veranlasste, die ganze Aktion wieder abzublasen.
Ende Juni 1933 erschien Karl Barths Schrift „Theologische Existenz heute“. Ihr Grundtenor war: Was der Kirche fehle, sei „Theologie und nur Theologie zu treiben“ – so wie der „Horengesang der Benediktiner in […] Maria Lach“ ununterbrochen weiter gehe. Theologie aber heiße, dass die Kirche alleine dem Worte Gottes zu dienen habe und nicht einem ihr von außen aufgezwungenen Anliegen: „Jede Kirchenreform muss aus dem Gehorsam gegen das Wort Gottes hervorgehen oder sie ist keine Kirchenreform“ (8).
Von daher kritisierte Barth 1) scharf, dass sich die deutschen Landeskirchen von den „Deutschen Christen“ das Anliegen der Installation eines Reichbischofs haben aufdrängen lassen. Er warf 2) der „Jungreformatorische Bewegung“ Kompromissbereitschaft mit dem Ungeist der „Deutschen Christen“ vor. Gebraucht werde ein „geistliches Widerstandszentrum“ und keine „Bewegung“: „Der Heilige Geist braucht keine ‚Bewegungen‘. Die allermeisten ‚Bewegungen‘ hat wahrscheinlich der Teufel erfunden“ (37).Über die Ideologie der „Deutschen Christen“ wird 3) geurteilt: Sie trägt „den Stempel der Verkehrtheit so deutlich auf der Stirn […], daß in einer gesunden Kirche schon ein Konfirmand hätte merken müssen, daß er da weder […] dabei sein und […] mittun könne“ (27).
Resümee : „Ich sage unbedingt […] Nein zum Geist und zum Buchstaben“ der Lehre der Deutschen Christen. „Ich halte dafür, dass das Ende der evangelischen Kirche gekommen wäre, wenn diese Lehre […] in ihr zur Alleinherrschaft kommen würde. Ich halte dafür, daß die evangelische Kirche lieber zu einem kleinsten Häuflein werden und in die Katakomben gehen sollte, als dass sie mit dieser Lehre auch nur von Ferne Frieden schlösse“ (23). Barth rief darum die deutsche Theologenschaft zum Aufwachen auf. Sie habe „die schlichte, aber entscheidende Frage nach der christlichen Wahrheit“ zu stellen.
Barths Schrift fand eine rasante Verbreitung. Der Cheftheologe der „Deutschen Christen“ Emanuel Hirsch, antwortete mit der Gegenschrift „Das kirchliche Wollen der Deutschen Christen“. Er sprach Barth das Recht ab, überhaupt in deutschen Dingen mitzusprechen, weil er nicht „von der Wurzel bis zum Wipfel“ ein Deutscher sei (7).
Hitler persönlich ordnete für 23. Juli 1933 Kirchenwahlen an und warb am Vorabend der Wahlen in einer Rundfunkrede selbst für die Liste der „Deutschen Christen“. Sie errangen einen überwältigenden Sieg. Nur in den lutherischen Landeskirchen Bayern, Hannover, Württemberg und in der preußischen Provinzialkirche Westfalen gelang das nicht. Sie galten als „intakte Kirchen“.
Die Generalsynode der Altpreußischen Union wählte am 6. September 1933 Ludwig Müller zum Landesbischof. Sie beschloss die Einführung des Arierparagraphen, wonach Nichtarier nicht Beamte werden durften. Sie forderte die rückhaltlose Bejahung des nationalsozialistischen Staates. Der Protest dagegen wurde auf dieser „braunen Synode“ niedergeschrien.
Die „jungreformatorische Bewegung“ aber hatte schon im August Hermann Sasse (Erlangen) und Dietrich Bonhoeffer – Studentenpfarrer an der Technischen Universität und Privatdozent an der Kaiser-Wilhelm-Universität – beauftragt, ein Bekenntnis zu erarbeiten, das deutlich zur Theologie der „Deutschen Christen“ Stellung beziehen sollte.
Sasse war ein entschiedener Gegner der Nationalsozialisten. Bonhoeffer aber hatte schon im Juni 1933 im Aufsatz „Die Kirche vor der Judenfrage“ gegen die Verfolgung der Juden Stellung bezogen. Er schärfte die Verpflichtung der Kirche ein, den Opfern beizustehen und Judenchristen als Glieder der christlichen Gemeinde anzusehen.
Im „Betheler Bekenntnis“, heißt es in diesem Sinne: „Die Gemeinschaft der zur Kirche Gehörigen wird nicht durch Blut und […] nicht durch die Rasse, sondern durch den Heiligen Geist und die Taufe bestimmt Wir verwerfen jeden Versuch, die geschichtliche Sendung irgendeines Volkes mit dem heilsgeschichtlichen Auftrags Israels […] zu verwechseln. Es kann nie und nimmer der Auftrag eines Volkes sein, an den Juden den Mord von Golgatha zu rächen. […] Wir wenden uns gegen das Unternehmen, die deutsche evangelische Kirche umzuwandeln in eine Reichskirche der Christen arischer Rasse.“ (DBW 12, 404).
Das Betheler Bekenntnis wurde in der Endredaktion allerdings so abgeschwächt, dass Bonhoeffer seine Mitarbeit daran aufkündigte. Es wurde in dieser Form aber von Martin Niemöller zum Jahreswechsel 1933/34 veröffentlicht.
Am 21. September 1933 (dem Tag, an dem Ludwig Müller in Wittenberg bei der Nationalsynode zum Reichsbischof gewählt wurde) wurde von Martin Niemöller zusammen mit 20 weiteren Theologen – unter ihnen Dietrich Bonhoeffer – der Pfarrernotbund gegründet. Er rief die Pfarrer auf, gegen die Verletzung des kirchlichen Bekenntnisses Widerstand zu leisten, den durch die NS-Gesetze Betroffenen Hilfe zu leisten und den Arierparagraphen abzulehnen.
Das fand ein großes Echo. Auf Anhieb traten 2000 Pfarrer bei, am Jahresende waren es 6000. Damit war der Grundstein für eine Bekennende Kirche gelegt. Im Oktober wurde ein „Bruderrat“ gewählt, dessen Aufgabe es war, diese Kirche zu konstituieren.
Unterdessen aber wurden die „Deutschen Christen“ in eine nachhaltige Krise gestürzt. Am 13. November 1933 hielt der Gymnasiallehrer Reinhold Krause aus Pankow-Niederschönhausen bei einer Massenveranstaltung des „Gaues Berlin“ im Berliner Sportpalast eine Rede, die sich der Vorstellung einer germanischen Religion bzw. einer „Deutschreligion“ annäherte.
In der „Confessio germanica (dem „Deutschapostolikum“) heißt es z.B.: „Ich glaube an den Gott der Deutschreligion, der in der Natur, im hohen Menschengeist und in der Kraft seines Volkes wirkt. Und an den Nothelfer Krist, der um die Edelkeit der Menschenseele kämpft. Und an Deutschland, das Bildungsland der neuen Menschheit (Schmid, 131).
In der „Kundgebung“ von „Sportpalast-Krause“ wird u.a. gesagt: „Wir sind als nationalsozialistische Kämpfer gewohnt, das Ringen um die Gestaltung einer großen Idee nicht mit einem faulen Frieden abzubrechen. […] Dauerhafter Frieden kann nur geschaffen werden durch Versetzung oder Amtsenthebung aller Pfarrer, die entweder nicht willens oder nicht fähig sind, bei der religiösen Erneuerung unseres Volkes und der Vollendung der deutschen Reformation aus dem Geist des Nationalsozialismus führend mitzuwirken.“
„Wir erwarten, dass unsere Landeskirche […] sich frei macht von allem Undeutschen in Gottesdienst und Bekenntnis, insbesondere vom Alten Testament und seiner jüdischen Lohnmoral.“ „Wir fordern, daß eine deutsche Volkskirche Ernst macht mit der Verkündigung der von aller orientalischen Entstellung gereinigten schlichten Frohbotschaft und einer heldischen Jesus-Gestalt als Grundlage eines artgemäßen Christentums, indem an die Stelle der zerbrochenen Knechtsseele der stolze Mensch tritt, der sich als Gotteskind dem Göttlichen in sich und in seinem Volke verpflichtet fühlt.“ „Wir bekennen, dass der einzige wirkliche Gottesdienst für uns der Dienst an unseren Volksgenossen ist“ (134).
Der Effekt dieser Kundgebung war, dass es zu einer Austrittswelle aus der Glaubensbewegung der „Deutschen Christen“ kam. Diese Art „kontextueller Theologie“ war vielen „Deutschen Christen“, die sich mit der Berufung auf das „Volkstum“ volksmissionarische Erfolge erhofften, suspekt, weil hier staatliche Gewalt und christlicher Glaube in einen Topf geworfen wurden und Pfarrern, die sich dem nicht fügten, die Amtsenthebung drohte. Eigentlich war die „Glaubensbewegung“ damit am Ende. Aber der Reichsbischof, den sie in den Sattel gebracht hatten, war mit seinen Machtbefugnissen noch da.
Er versuchte nun, durch Verordnungen und Erlassen auch in den „intakten“ Landeskirchen seine Linie durchzusetzen. Der sogenannte „Maulkorberlass“ vom Januar 1934 verbot Pfarrern, sich kritisch zur Politik des Reichsbischofs und des NS-Staates zu äußern. Doch er konnte nicht verhindern, dass sich in allen „zerstörten“ Landeskirchen Gruppierungen größeren und kleineren Ausmaßes bildeten, die sich gegen die Reichskirche positionierten.
Als Müller versuchte, die Württembergische Landeskirche „gleichzuschalten“, kam es zum Schulterschluss der „intakten“ Landeskirchen mit den Vertretern der Opposition in den zerstörten Landeskirchen. Es konstituierte sich eine „Bekenntnisfront“, die am 22. April 1934 im Ulmer Münster eine vom bayrischen Bischof Hans Meiser verlesene Erklärung abgab. Darin wurden die „versammelten Vertreter der Württembergischen und Bayrischen Landeskirchen, der freien Synoden im Rheinland, in Westfalen und Brandenburg, sowie vieler bekennender Gemeinden und Christen in ganz Deutschland“ zur rechtmäßigen Evangelischen Kirche in Deutschland erklärt. Ein „Reichbruderrat“ wurde ermächtigt, eine Synode einzuberufen.
Für diese Synode erarbeiteten Karl Barth, der Altonaer Pfarrer Hans Asmussen und der Münchener Oberkirchenrat Thomas Breit im „Baseler Hof“ in Frankfurt/M. am 16. Mai 1934 eine „Theologische Erklärung“. Am Vormittag diskutierten und ergänzten sie den von Barth mitgebrachten Text. Dann zogen sich die beiden Lutheraner zu einem „dreistündigen Mittagsschlaf“ zurück, während Barth „mit einem starken Kaffee und 1-2 Brasilzigarren versehen den Text der 6 Sätze redigiert(e).“ Barth hat das launig so kommentiert: „Die lutherische Kirche hat geschlafen und die reformierte Kirche hat gewacht“ (Texte, 222).
Auf der Barmer Bekenntnissynode vom 29.-31. Mai 1934 wurde diese Erklärung einstimmig verabschiedet. Die Synodalen sind, als das feststand, wie ein Mann – inclusive der einen Frau von Mackensen – aufgesprungen ist und haben „Nun danket alle Gott“ angestimmt.
Die 2. Bekenntnissynode in Berlin-Dahlem vom 19.-20. Oktober 1934 verabschiedete ein „kirchliches Notrecht“. Sie setzte den „Rat der DEK“ ein, der auf Initiative der Bischöfe der „intakten“ Landeskirchen nach einem Empfang bei Hitler, welcher August Jäger fallen ließ, aber durch eine „Vorläufige Kirchenleitung“ ersetzt wurde. Barth, Niemöller und andere traten daraufhin aus diesem Rat aus. Die 3. Bekenntnissynode (04.-06. Juni 1935) bestätigte die „Vorläufige Kirchenleitung“.
Hitler richtete unterdessen ein „Kirchenministerium“, das einen „Reichskirchenausschuss“ mit landeskirchlichen Dependancen einsetzte, zu dessen Chef der pensionierte Generalsuperintendenten Wilhelm Zöllner berufen wurde. Mit diesem Instrument sollten Teile der „Bekennenden Kirche“ nach und nach in die Reichkirche zu integriert werden.
Dieses Bemühen zeitigte Früchte. Es führte auf der 4. Bekenntnissynode in Bad Oyenhausen (04.- 06.02.1936) zur Spaltung der Bekennenden Kirche. Die intakten Landeskirchen bildeten den „Lutherrat“, während sich „Dahlemiten“ unter einer 2. Vorläufigen Kirchenleitung zusammen schlossen.
Diese Spaltung der Bekennenden Kirche hatte zur Folge, dass sie in den zerstörten Landeskirchen als „illegale“ Organisation galt, aber auch viele Gemeinden und Pfarrer in den intakten Kirchen, die zu Barmen standen, schwersten Repressionen und Verfolgungen ausgesetzt waren. Die Geschichte der Bekennenden Kirche wird trotzdem keine Heldengeschichte werden. Sie hat auf ihrem Weg viel erleiden müssen, ist ihn aber auch mit viel Ängsten, Versagen und Fragwürdigkeiten gegangen.
Karl Barth, der wegen der Verweigerung des Beamteneides auf den „Führer“ in Bonn entlassen worden war und ab 1935 den Kirchenkampf nur von Basel aus verfolgen konnte, hat 1949 rückblickend gesagt: Der deutsche Kirchenkampf „war kein totaler Widerstand gegen den totalen Nationalsozialismus. Er beschränkte sich auf die Zurückweisung des nationalsozialistischen Übergriffs auf das Bekenntnis, den Gottesdienst, die Ordnung der Kirche als solcher.“ Es wurde „in diesem […] schmalen Sektor wenigstens teilweise […] gekämpft und die Substanz der Kirche […] gerettet: wäre überall […] so viel geschehen, als damals in der Kirche geschehen ist, so hätte der Nationalsozialismus in Deutschland schon von Anfang an weniger gute Tage gehabt. Hat die Kirche im Verhältnis zu ihrer Aufgabe Anlaß genug, sich zu schämen, daß sie damals nicht mehr getan hat, so hat sie im Verhältnis zu jenen anderen Kreisen und Institutionen (nämlich der Universitäten und Schulen, der Rechtsprechung, Wirtschaft, des Theaters, der Kunst, der Armee und der Gewerkschaften) keinen Anlaß, sich zu schämen. Sie hat vielmehr mehr gearbeitet als sie alle“ (Eine Schweizer Stimme 1938-1945, Zollikon-Zürich 1948, 5).
2. Die „Umformung“ des „Christlichen“ in der NS-Zeit
Gegen die Barmer Theologische Erklärung ging ein starker Widerstand von der „lutherischen Theologie“ aus, welche die „intakten“ Kirchen prägte. Paul Althaus nannte den Text der Erklärung in einem Brief an Bischof Meiser eine „elende Kreatur von Thesen“. „Keiner 'Lutherischen' Interpretation dieser Thesen wird es gelingen, sie als im Einklange mit der Schrift (!) und dem lutherischen Bekenntnis zu erweisen“, hat er in seiner Dogmatik sein Urteil über Barmen abschließend auch noch nach 1945 zusammengefasst (Christliche Wahrheit, 60). Werner Elert entwarf ein Gegenbekenntnis, den „Ansbacher Ratschlag“.
Dieser Ratschlag hob hervor, dass uns Gottes Wille „in der Gesamtwirklichkeit unseres Lebens, wie sie durch die Offenbarung Gottes ins Licht gesetzt wird“, begegnet. Von da aus gesehen bindet uns Gottes Gesetz an den „Stand“, in den wir von Gott berufen sind, nämlich an die „natürlichen Ordnungen [...] wie Familie, Volk, Rasse (d.h. Blutzusammenhang)“ und an einen „bestimmten Moment“ in der Geschichte. In diesem Sinne wird dem „Führer als 'frommen und getreuen Oberherrn'„ gedankt. Gott habe uns diesen Oberherrn geschenkt und wolle durch ihn „in der nationalsozialistischen Staatsordnung“ ein 'gut Regiment' [...] mit 'Zucht und Ehre' bereiten.“
Der „Ansbacher Ratschlag“ wurde von den „Deutschen Christen“ als der „Standpunkt“ begrüßt, den sie „stets eingenommen“ haben (Niemöller, 159).
Diesen Standpunkt hat am entschiedensten Emanuel Hirsch – Mitglied der NSDAP und förderndes Mitglied der SS – vertreten. Er gilt heute in Teilen der evangelischen Theologie erstaunlicherweise als einer der „bedeutendsten Theologen“ des 20. Jahrhunderts. Dafür sprächen seine großen historischen Kenntnisse der Reformationszeit, des Deutschen Idealismus, Kierkegaards und sein großes nach 1945 verfasstes 5-bändiges Werk über die „Geschichte der neueren evangelischen Theologie“, das allerdings das 20. Jahrhundert ausspart.
In diesem Buch wird die Anschauung expliziert, die 1939 so lautete: „Das Christliche muß sich rechtfertigen vor dem Forum der zum Bewußtsein ihrer selbst erwachten europäischen Menschlichkeit […] Das Christentum muß also entweder sterben oder sich in eine Geistes- und Lebensgestalt umformen, in der es dieser Rechenschaft gewachsen ist“ (Wesen des Christentums, 32). Diese „Umformung“ sah in den dreißiger Jahren folgendermaßen aus:
Menschen als religiöse Wesen werden in ihrem Gewissen von Gott immer in Gesetz und Evangelium betroffen: in „Verwundung“ des Gewissens und in „segnender Entbindung“ (Offenbarfungsglaube, 10). Nur die, die Gott durch das Gesetz „verwundet“ hat, können auch das Evangelium existentiell erfahren.
Das menschliche Leben unter dem Gesetz ist bestimmt von einer „über uns verhängten Ordnung, die unmittelbar als Gesetz der uns umfangenden Gemeinschaft“ erfahren wird. In ihm begegnet uns der Deus absconditus, der uns im Geschick des Volkes trifft. „Was mit dem deutschen Erfahren des verborgenen Gottes gemeint ist, versteht jeder, der die Erdbebenjahre von 1914 bis 1933 wirklich erlebt [...] hat: die Jahre, da eine ganze Gestalt deutschen Lebens und Denkens [...] unter uns zum Grunde ging, da jeder Deutsche sich so oder so sich nackt ausgezogen und dem unfassbaren Rätsel in allem Leben […] preisgegeben fand. [...] Und doch ist kein Zweifel für uns gewesen: in dem allen war Gott“ (Der Weg der Theologie, 12).
Denn es wurde der Segen „heiliger Bindung“ bewusst, die ein „unverbrüchliches Gesetz in allen Gesetzen und Rächerin wider alle Gesetzlosigkeit ist. Sie ging uns auf im Glauben an Deutschland“ (13) und in „Gottesstunden“, in denen wir „Gottes zu uns kommende Güte ahnend erkennen“ (Offenbarungsglaube, 55). „Gottesstunden, sie kommen als Licht in Lebensverdunklung, als Neugefundenwerden vom Schöpfer und Erhalter in der Meereswüste schicksalhafter Sinnwidrigkeit; nur weil es vom deutschen Erleben 1933 doppelt und dreifach gilt, dass ein Licht aufging in der Nacht, nur darum dürfen wir es wagen, hier von Gottesstunde zu reden“ (56).
Gott kommt uns hier nahe im „echten Gesetze des Lebens miteinander im Volke“, „in der heiligen Bindung von Blut und Boden, von Rasse und Vererbung, von Ehre und Gemeinschaft, von wahrem Sozialismus, von Opfer und Pflicht“ (Weg, 13), in der nationalsozialistischen Führung und im Führer. Dieses Erlebnis „zerbricht die Selbstsucht des Individuums, das sich selbst zum höchsten Wert macht. Es überwindet die Klassenzerscheidung, die zügellose sexuelle Willkür und andere Mächte der Auflösung“ (Christliche Freiheit und politische Bindung, Hamburg 1935,50).
Weil das Volk der eigentliche Souverän des Staates ist, kann sein Selbsterhaltungswille den Staat ermächtigen, gegen Menschen vorzugehen, welche diesem Willen entgegenstehen. Darum konnte Hirsch, den Terror der Nazis gutheißen und bejahen. Nehmen Menschen an dem heilig an Gott gebundenen Volkstum kämpfend teil, dann erst lässt die Offenbarung des Evangeliums „Gottes Wunderkind“ in uns geboren werden, nämlich den Glauben, „daß Gottes Liebe uns gegenwärtig ist“ (Offenbarungsglaube, 38). Das Leben in „ständiger Krise und Anfechtung“ (44) wird so zur „Wegbereitung“ für den Glauben (Weg, 13). Die „Evangeliumsoffenbarung“ stellt Menschen darum „unter die anfechtend-entbindende Tiefe zwischen Gesetzes- und Evangeliumsoffenbarung“ (Freiheit, 79).
Von daher hat Hirsch die Zucht „einer auf den Gottesglauben sich gründenden deutschen Weltanschauung“ gefordert (Weg 23). Er hat die „Ursprünglichkeit und Rücksichtslosigkeit“ gepriesen, mit der sich der „Selbsterhaltungswille“ des deutschen Volkes Raum brach. Er hat die Rasseneideologie und die Ariergesetzgebung bejaht: Denn: „Der Blutbund unseres Volkes war am Verderben“. Verdirbt aber „das Blut, so geht auch der Geist zugrunde“ (Das kirchliche Wollen, 11). Es ehre die „Gutherzigkeit unseres Volks“, dass es so viele Juden unter sich aufnahm. Die Aufgabe der Kirche aber sei es, „das Geheimnis der mit dem Blute empfangenen Kraft und Art heilig zu halten“. Sie habe die Verpflichtung, die Zurückgabe des Bluterbes dem deutschen Volke „einzubrennen“. Sie darf „Mischheiraten“ und dem „Überwuchern der Minderwertigen“ nicht tatenlos zusehen. Es dürfen keine „Halbdeutschen“ die kirchlichen Ämter überschwemmen (vgl. 11-17).
Hirschs Antisemitismus schlägt sich in der Abwertung des Alten Testaments nieder. Es wird mit ein paar Ausnahmen, die den Juden weggenommen werden, als Gesetzesbuch abgetan. Jesus hat das Judentum zu einer uns fremden Religion gemacht. In diesem Sinne hat Hirsch die Evangelien gesäubert (Jesus. Wort und Geschichte Jesu in den drei ersten Evangelien, Bremen 1939), indem die grundlegenden Bezüge auf das Alte Testament herausgestrichen wurden. Er hat in einer absurden Beweisführung, die er an das „Wesen des Christentums“ angehängt hat, nachzuweisen versucht, dass Jesus kein Jude war.
Von der Kirche aber wird eine „echte wagende Führung“ gefordert, „die auch durchgreift“ und den Pastoren „innere Straffheit“ im „Lebenskampfe“ beibringt. Es muß in ihr zugehen, wie bei einem „unter Führung und Befehl stehenden Offizierskorps“ und dafür biete der Kreiswehrpfarrer Müller als Reichsbischof die beste Gewähr (Das kirchliche Wollen, 15f.).
Es dürfte schwer fallen, aus dem allen so etwas wie ein berechtigtes Anliegen heraus zu lesen. Die ungeheuerlichsten Verletzungen der Menschenwürde und des Rechts, die Verfolgung der Juden, jede Art von Gewalt werden hier mit einem theologischen Glorienschein umgeben, der in den Grundlagen von Hirschs Denkens verwurzelt ist. Er ist der heraus ragende Vertreter der „Verwüstung der Kirche“, von der Barmen spricht.
Der Widerspruch, der dagegen in Barmen erhoben wurde, musste angesichts dessen weiter gehen als es nur die Negation der konkreten Anwendung dieser Lehre vom Wirken Gottes in der Geschichte gewesen wäre. Sie musste den Grundsatz dieser ganzen Denkweise in Frage stellen, welche die „Umformung“ des „Christlichen“ in Mörderische münden ließ.
3. Die christologische Konzentration der Theologie Karl Barths
Karl Barth hat auf die Barmer Theologische Erkläring mit der „christologischen Konzentration“ seiner ganzen Theologie Einfluss genommen. Bei der Interpretation von Anselm von Canterburys „Proslogion“ (vgl. Fides quaerens intellectum. Anselms Beweis der Existenz Gottes im Zusammenhang seines theologischen Programms) wurde ihm klar, dass alle Theologie nur den Stellenwert eines dem Glauben an Gott in Christus folgenden Unternehmens haben kann. Credo ut intelligam! Ich glaube, um zu verstehen. Die menschliche Vernunft kann dem nur nachdenken, was geglaubt wird und inwiefern Gott Gott ist. Sie hat aber nicht abseits vom Glauben zu beweisen, ob und wie Gott ist.
Denn der „Gegenstand“ – Gott – , mit dem es die Theologie zu tun hat, versetzt uns Menschen in den „Stand eines grundsätzlichen [...] Nachhers“ (KD II/1, 21). Das bedeutet keine Abqualifizierung, sondern im Gegenteil eine besondere Auszeichnung von uns Menschen. Wir bekommen Anteil an Gottes eigener Erkenntnis seiner selbst. Die ontische Necessität und Rationalität Gottes geht der noetischen Necessität und Rationalität von Menschen schlechthin voran und beflügelt sie zugleich. Die Logik des Glaubensgegenstandes (ratio essendi) ist dem menschlichen Erkennen (der ratio cognossendi) vorgeordnet und ermächtigt sie, ihr zu entsprechen.
Die Analogie wird deshalb zu einer wichtigen Denkform von Barths Theologie. Gott selbst schafft sich, indem er sich offenbart, durch den Glauben von Menschen eine Entsprechung, eine Analogie, im Erkennen von Menschen, aufgrund derer sie von Gott selbst zu reden vermögen. Er öffnet durch die Offenbarung die menschliche Subjektivität für sich selbst. In der analogia fidei gründet dementsprechend alles menschliche Reden von Gott und damit alle Theologie.
Dieses Reden und damit die Theologie gehören an einen bestimmten Ort in der Welt. Das ist die Kirche, die Jesus Christus zum Reden von Gott beauftragt und bevollmächtigt hat. Darum wird aus der „Christlichen Dogmatik“ Barths von 1927 die „Kirchliche Dogmatik“ von 1932. Gleich im ersten Satz dieser Dogmatik wird Theologie definiert als die „wissenschaftliche Selbstprüfung der christlichen Kirche hinsichtlich des Inhalts der ihr eigentümlichen Rede von Gott“ (KD I/1, 1). Theologie nimmt demnach eine Funktion der Kirche wahr. Sie ist die kritische Verantwortung des Auftrags der Kirche, Gott in seiner Offenbarung aller Welt und jedem Menschen zu bezeugen.
Literatur:
Althaus, Paul: Die christliche Wahrheit. Lehrbuch der Dogmatik, Gütersloh 19626
Ders., Bedenken zur Theologischen Erklärung der Barmer Bekenntnissynode, Lutherische Kirche 16 1934, 118ff.
Ders., Politisches Christentum. Ein Wort über die Thüringer "Deutschen Christen", Leipzig 19352
Assel, Heinrich, Der andere Aufbruch, Die Lutherrenaissance – Ursprünge, Aporien und Wege: Karl Holl, Emanuel Hirsch, Rudlof Herrmann (1910-1935), Göttingen 1994
Barth, Karl, Fides quaerens intellectum. Anselms Beweis der Existenz Gottes im Zusammenhang seines theologischen Programms, GA II/13, Zürich 1981
Ders., Theologische Existenz heute, München 1933
Ders., Bekennende Kirche in Deutschland, in: Karl Barth zum Kirchenkampf. Beteiligung Mahnung Zuspruch, ThExh NF 49, München 1956
Elert, Werner, Confessio Barmensis, ELKZ 67/1934, 603ff.
Ders., Bekenntnis, Blut und Boden, Leipzig 1934
Ders., Der christliche Glaube. Grundlinien der lutherischen Dogmatik, Hamburg 19564
Hirsch, Emanuel, Das Kirchliche Wollen der Deutschen Christen, Berlin 1933
Ders., Der Offenbarungsglaube, in: Hammer und Nagel. Theologische Lehrschriften Heft 2, Bordesholm 1934, daraus: Die Offenbarung und das menschlich-geschichtliche Leben. Überschau über das Fragmal in acht Artikeln, S.26ff
Ders., Das Wesen des Christentums, Weimar 1939
Nicolaisen, Carsten Der Weg nach Barmen, Die Entehungsgeschichte der Theologischen Erklärung von 1934, Neukirchen 1985
Niemöller, Wilhelm, Kampf und Zeugnis der Bekennenden Kirche,Bielefeld 1948
Hauschild, W.-D. / Kretschmar (Hg), Die lutherischen Kirchen und die Bekenntnissynode von Barmen, Göttingen 1984
Schmidt, Kurt-Dietrich (Hg.), Die Bekenntnisse und grundsätzlichen Äußerungen zur Kirchenfrage des Jahres 1933, Göttingen 1934
Scholder, Klaus, die Kirchen und das Dritte Reich, Band 1, Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1918-1934, Frankfurt/M 1986