Kategorie: Predigten
1. Korinther 9, 24-27
Predigt in der Nordendgemeinde Berlin am 31.01.2010
1. Korinther 9, 24-27
Liebe Gemeinde,
die Epistel aus dem 1. Korintherbrief des Apostels Paulus, die wir vorhin gehört haben, ist in einer Hinsicht einzigartig. Es handelt sich nämlich um die einzige Stelle in der Bibel, in welcher vom Sport die Rede ist. „Na und...?“, werden da vielleicht nicht Wenige von ihnen sagen, die mit Sport aller Art nicht viel am Hut haben, „dass der Sport nur einmal in der Bibel vorkommt, zeigt doch nur, wie unwichtig diese Sache für das Leben ist. Gott sei Dank (!) kommt der Sport, für den sich heute sinnloserweise Millionen und aber Millionen Menschen weltweit begeistern, nur einmal in der Bibel vor“.
Aber nun gibt es ja in unseren christlichen Gemeinden auch eine ganze Menge Menschen, die dem Sport nicht so reserviert gegenüber stehen. Sei es, dass sie selbst irgendeinen Sport betreiben, sei es, dass sie „Fans“ irgendeines Sportvereins oder einer sportlichen Größe sind: Sie werden sicherlich angenehm berührt sein, dass der Sport seinen – (quantitativ gesehen) zugegeben bescheidenen Ort – auch in der Bibel gefunden hat.
Was die Qualität betrifft, so erweist sich dieser Ort bei näherem Zusehen allerdings als ziemlich gewichtig. Zwar kann man sich den Apostel Paulus – ausweislich seiner Briefe – nur schwer als einen „Fan“ des Sports vorstellen. Aber er ist bei seiner Missionierung Griechenlands auf eine massenweise Sportbegeisterung der griechischen Bevölkerung gestoßen, die er sich in unserer Epistel für sein missionarisches Anliegen zunutze macht.
In Korinth, wo er eine christliche Gemeinde gegründet hat, waren es nicht die olympischen, sondern die Isthmischen Spiele, die alle zwei Jahre die Bewohner des Isthmos in ihren Bann zogen. „Isthmos“ – so heißt die Landenge zwischen dem griechischen Festland und der Halbinsel Pelepones, an der die Stadt Korinth liegt. Die Spiele, die dort also stattfanden, waren so eine Art Mischung von Sport und Kultur. Es fanden Lauf- und Wurfwettbewerbe, Box- und Ringkämpfe, Pferde- und Wagenrennen, aber auch ein Sänger- und Theaterwettstreit statt. Diejenigen unter uns, die in der Schule noch Friedrich Schillers ellenlanges Gedicht „Die Kraniche des Ibykus“ lernen mussten, haben das im Ohr: „Zum Kampf der Wagen und Gesänge/ die auf Korinthos Landesenge/ der Griechen Stämme froh vereint/ zog Ibykus, der Götterfreund“.
In unserem Falle ist es der Apostel Paulus, der mit seiner christlichen Botschaft in die Sportstadt Korinth einzieht. Ich will angesichts seiner Kenntnisse vom Sport vermuten, dass er auch schon einmal im Stadion von Korinth gewesen ist. Vielleicht haben ihn seine neben ihm sitzenden Nachbarn mit ihrer Begeisterung auch irgendwie angesteckt und er hat den hoch trainierten Athleten, die da um den Sieg sprinteten, mit zugejubelt. Jedenfalls war der Eindruck von ihren Leistungen nachhaltig genug, dass er der aufblühenden christlichen Gemeinde in Korinth diese Athleten im übertragenen Sinne als ein Vorbild für ihr christliches Leben gerühmt hat. Auch Christen – sagt er in unserer Epistel – sind in ihrer Weise Sprinter, ja sogar – was mir persönlich gar nicht so sehr gefällt – Boxer.
Wie er das gemeint hat, kommt allerdings in Martin Luthers Übersetzung dieser Epistel, die wir vorhin gehört haben, nicht ganz so gut heraus. Man kann Luther das auch nicht verdenken. Denn im Wittenberg des 16. Jahrhunderts spielte der Sport, wie ihn der Apostel Paulus vor Augen hatte, ganz gewiss keine Rolle, so dass Luther hier dem Volk nicht „aufs Maul schauen“ konnte, was er das sonst bei seiner Übertragung der Bibel in Deutsche getan hat. Ich übersetze unsere Epistel deshalb noch einmal neu, wobei ich mir die Freiheit nehme, einige Erläuterungen einzufügen, die uns den Geist dieses Textes vielleicht etwas näher bringen. Für mein Verständnis klingt unser Paulus-Brief also so:
Ihr sportbegeisterten Korinther, die ihr bei den Isthmischen Spielen in Massen in euer schönes Stadion strömt!
Ihr wisst, wie es dort bei den Sprint- und Laufwettkämpfen zugeht. Da treten viele an, aber nur einer kann gewinnen und erhält den Siegespreis.
Nehmt euch diese Sportler zum Vorbild für euer christliches Leben. Lauft, damit ihr den Siegespreis des Glaubens erlangt.
Mit lockerem Jogging, bei dem man nicht aus Puste kommt, werdet ihr allerdings nichts gewinnen. Jeder Sportler muss hart trainieren und auf viele Annehmlichkeiten des Lebens verzichten, wenn er eine Chance haben will, der Erste zu sein.
Er macht das, damit er einen vergänglichen Kranz aus Kiefernzweigen auf den Kopf gesetzt bekommt. Wir Christen aber trainieren fürs ewige Leben, damit wir einen unvergänglichen Kranz erhalten.
Ich selber irre deshalb bei meinem Lauf im Dienste Jesu Christi nicht irgendwie planlos in der Gegend herum. Ich boxe auch nicht wie einer, der in die Luft schlägt.
Vielmehr verpasse ich – um es etwas drastisch auszudrücken – meinen trägen Leib ein paar kräftige, gezielte Schläge und mache ihn mir so zum Diener. Denn ich möchte, nachdem ich anderen das Evangelium verkündigt habe, am Ende nicht selbst als Verlierer dastehen.
Jeder Vergleich, liebe Gemeinde, hinkt irgendwo. Davor ist auch der Vergleich des christlichen Lebens mit dem Hochleistungssport der isthmischen Kämpfer, den der Apostel hier anstellt, nicht gefeit. Denn das christliche Leben ist kein Wettkampf und schon gar nicht ein Boxkampf der Christinnen und Christen untereinander, bei dem es einen Gewinner und viele Verlierer gibt. Wenn solche Wett- und Boxkämpfe hin und wieder auch in unserer Kirche ausbrechen, dann ist das nichts als schlecht.
Der Vergleichspunkt des Apostels Paulus zwischen dem Sport seiner Zeit und dem christlichen Leben aber ist ein anderer, als das Zusammenspiel einer Mannschaft, die nicht gegeneinander arbeiten darf. Bei dem Gegner, gegen den ein Christenmensch anzutreten hat, handelt es sich seiner Optik vielmehr um ihn selber. Denn Leistungssport war schon vor 2000 Jahren wie auch heute nicht anders möglich, als mit Selbstüberwindung. Ich habe gerade gelesen, wie der Skilangläufer Rene Sommerfeld sich mit seinen Skiern im Laufschritt mehrmals auf den ca 1.200 Meter hohen Fichtelberg hinauf quält, um bei der „Tour de Ski“ eine Chance zu haben, der Erste zu sein.
Die isthmischen Sportler haben sich in der glühenden Hitze Griechenlands vergleichbar gequält, um sich Kondition, Spannkraft und Spurtkraft für den einen Lauf im Stadion anzutrainieren. Genau das ist der Punkt, auf den Paulus zielt. Auch christliches Leben ist ohne Training, das Selbstüberwindung kostet, nicht möglich. Denn dieses Leben – vom Geiste Gottes auf die Bahn, auf die Laufbahn des Glaubens gebracht – ist kein religiöses Herumspazieren und spirituelles Herumprobieren.
Es wird gestartet: Im christlichen Falle mit der Taufe. Und es hat ein Ziel: Das Reich Gottes, in dem Gott uns mit dem Frieden seiner Ewigkeit umfangen wird. Eingespannt zwischen Start und Ziel haben eine Christin und eine Christ ihr Leben wie eine Laufbahn vor Augen. Die heute so viel diskutierte Frage nach dem „Sinn des Lebens“ dürfte deshalb eigentlich nicht ihr Problem sein. Denn diese Frage drückt ja aus, dass unser Leben im Grunde startlos und ziellos ist und wir kleinen Erdenwürmer wie durch ein unendliches Nichts irren.
Ich bin und weiß nicht wer.
Ich komm’ und weiß nicht woher.
Ich geh’, ich weiß nicht wohin.
Mich wundert, dass ich so fröhlich bin!
Dieses Gefühl der Sinnlosigkeit des Lebens hat Angelus Silesius, der unter dem Namen Andreas Scheffler übrigens auch zweimal mit christlicheren Gedichten in unserem Gesangbuch vertreten ist, schon im Mittelalter ausgedrückt. Warum Menschen und wie Menschen inmitten des Gefühls von Sinnlosigkeit und Leere dennoch „fröhlich“ sein können, „Spaß“ und „fun“, „Jucks und Tollerei“ hoch schätzen, wollen wir heute einmal auf sich beruhen lassen. Das hohle Innenleben der sog. „Spaßgesellschaft“ ist ein Thema für sich.
Klar dürfte aber sein, dass ein Mensch mit einer Laufbahn des Lebens vor Augen inmitten von so viel Ziellosigkeit so vieler Menschen eigentlich ein fröhlicher, heiterer Mensch sein kann. „Er zog fröhlich seines Wegs“, heißt es in der Apostelgeschichte vom Kämmerer aus Äthiopien, als er sich nach seiner Taufe in seine Christus-ferne Heimat aufmachte. Von dieser Fröhlichkeit bemerken wir beim Apostel Paulus, der sich in missionarischer Absicht auf den Leistungssport einlässt, aber nun leider überhaupt nichts.
Er schildert uns die Laufbahn des Christenlebens vielmehr so, wie sie auf den von Anstrengung verzerrten Gesichtern der Sprinter und bei den wilden Schwingern in Erscheinung tritt, mit denen die Boxer ihre Gegner grün und blau zu schlagen versuchen. Sicherlich hat er dafür respektable Gründe. Denn die Laufbahn des christlichen Lebens ist nicht so abgezirkelt wie im Stadion von Korinth.
Wenn wir sie in ihrer Erstreckung hinein in zukünftige Zeiten vor uns sehen, scheint sie sich hinter Bergen und Kurven in undeutliche Horizonte hinein zu verlieren. Außerdem tun sich da eine Menge von Nebenstrecken auf, die mit Jogging, bei dem man nicht aus der Puste kommt, ein gemütlicheres Christsein versprechen. Auch Rasthäuser bieten sich unterwegs an, in denen man sich allerhand religiösen Speck anfuttern und die Einbildung nähren kann, schon am Ziel zu sein.
Die Briefe des Apostels Paulus geben Grund zu der Annahme, dass die Christinnen und Christen schon damals in der Gefahr waren, auf gemütlichen Nebenwegen und in religiösen Schlummerecken die Spannkraft eines christlichen Lebens zwischen Start und Ziel zu verlieren. Niemand ist davor gefeit; auch der Apostel nicht, dem man in seinem Missions- und Reiseeifer ja nun wahrlich nicht vorwerfen kann, auf der religiösen Bärenhaut zu liegen. Auch er muss sich selbst fit boxen, um inmitten all der Gefahren des Missionsberufes und der Knüppel, die man ihm vor die Beine wirft, nicht selbst aus der Bahn geworfen werden.
Allerdings wäre es wirklich besser gewesen, er hätte sich nicht ausgerechnet das Boxen ausgesucht, um sein Training für die christliche Lebensbahn anschaulich zu machen. Die blutigen Nasen und dicken Veilchen unter den Augen, die einem dabei sofort einfallen, haben leider immer wieder Menschen auf die Idee gebracht, sei besonders christlich, ihren Körper zu quälen und blutig zu schlagen. Paulus hat solche Selbstmisshandlung ganz gewiss nicht gemeint. Der Zielpunkt seines Boxens im übertragenen Sinne ist das Fit-Machen des ganzen Menschen, des Geistes und des Körpers, für die Laufbahn des christlichen Lebens, auf der so viele Hindernisse, abseitige Verlockungen und Stolpersteine lauern.
Es braucht ganz gewiss nicht den Sport, liebe Gemeinde, um uns klar zu machen, dass wir alle heutzutage einige Kondition benötigen, um inmitten von Atheisten und irgendwie nebelhaft religiös gestimmten Menschen auf der Lebensbahn des christlichen Glaubens voran zu gehen. Die Konzentration darauf und die Spannkraft dazu verleiht nur Gottes Geist aus dem Evangelium. Aber wenn die Sportbegeisterung damals und heute dazu hilft, Menschen diesen Geist des Trainings auf der christlichen Lebensbahn eindrücklich zu machen, dann können wir doch froh darüber sein, dass der Apostel Paulus damit angefangen hat.
Es ist nur eine einzige Stelle in der Bibel, an welcher der Sport eine so bedeutende Rolle für das Verständnis des christlichen Lebens spielt. Im Leben der Menschen von heute aber sind es Millionen und aber Millionen von Stellen, an denen der Sport Herz und Gemüt, Zeit und Kraft von Menschen beansprucht, ja sogar verschlingt. Für Viele ist er regelrecht zu einer Ersatzreligion geworden. Die Wirtschaft hat sich seiner bemächtigt. Statt mit Kiefernkränzen auf dem Kopf laufen die Sportler wie wandelnde Liftfasssäulen herum. Wir werden deshalb viel vorsichtiger sein, als Paulus zu seiner Zeit, den Sport von heute zur Veranschaulichung der Anstrengungen des christlichen Lebens heran zu ziehen.
Aber doch steckt in dem seit antiken Zeiten in der Menschheit verankerten Wunsch, sich in den begrenzten Räumen der Stadien und Sportplätze als Wesen mit Start und Ziel, mit Anpfiff und Schlusspfiff zu betätigen, ein meistens unbewusstes Wissen um unser göttlich bestimmtes Dasein auf dieser Erde als Laufbahn. Natürlich ist dieser Versuch, das wirkliche Leben auf den abgezirkelten Bezirken von Rennbahnen, Ringseilen, Außenlinien und erfundenen Regeln zu inszenieren, irgendwie kindisch. Zugleich meldet sich dort jedoch inmitten aller Verzerrungen etwas eigentümliches Menschliches. Es ist das Streben ein Ziel zu erreichen, den Punkt zu treffen, in den das Leben mündet.
Ob wir nun sportlich gesinnt oder nicht, werden wir zugeben müssen, dass es dieses heimliche Wesen des Sports verdient, in ernsthaftere Dimensionen überführt zu werden. Der Apostel Paulus hat an einer zugegeben einzigartigen Stelle in der Bibel damit angefangen. Wenn wir seinem Vorbild folgen, werden wir die massenhafte Sportbegeisterung der Menschen unserer Zeit trotz ihrer Auswüchse nicht verachten. Wir werden sie vielmehr für die göttliche Wahrheit in Anspruch nehmen, dass dem Training für ein wahrhaftes Ziel seines Leben kein Mensch entkommen kann. Amen.