Predigten
< Die "dunklen Seiten" der Bibel
16.10.2011 00:00 Alter: 13 yrs
Kategorie: Predigten

Die 'Flüche der Gottlosen' und die 'Hallelujas der Frommen'

Predigt in der Luisenkirche Berlin am 16.10.2011


Liebe Gemeinde,

„die Flüche der Gottlosen klingen in Gottes Ohren manchmal besser, als die Hallelujas der Frommen“. Dieses nicht ganz genaue Zitat Martin Luthers hat in unserer Kirche durch Dietrich Bonhoeffer eine gewisse Berühmtheit erlangt. Er zitiert es mehrmals in seinen Schriften.

Es ist aber auch mit einer Begegnung verbunden, die für den Weg der Bekennenden Kirche in der Nazi-Zeit eine nicht unwesentliche Bedeutung hatte. Das ist die Begegnung des jungen, hoch begabten Berliner Theologen mit dem berühmten Schulhaupt der sog. „dialektischen Theologie“ Karl Barth im Jahre 1931. Bonhoeffer hatte sich in Berlin, wo man von Karl Barth gar nichts hielt, völlig selbstständig für das theologische Anliegen Barths geöffnet. Dieses Anliegen bestand darin, Theologie nicht als Ausdeutung menschlicher, religiös-kultureller Möglichkeiten, sondern als Auslegung des „Wortes Gottes“ zu verstehen, das uns von außerhalb unserer selbst trifft.

Bonhoeffer hatte schon länger den Wunsch, Karl Barth persönlich kennen zu lernen. Er nutzte darum drei Wochen vor Antritt seiner Berliner Dozentur und reiste nach Bonn, wo er sich in Barths Seminar setzte. Dort hat er an irgendeiner Stelle jenes Lutherzitat eingeworfen: „die Flüche der Gottlosen klingen in Gottes Ohren manchmal besser, als die Hallelujas der Frommen“. Barth hat gleich zurück gefragt: „Wer hat das hier beigetragen“? Und er als das wusste, hat er Bonhoeffer zu sich eingeladen. Damit begann eine Beziehung, der die Bekennende Kirche dann viel Orientierung auf ihrem Wege verdankte.

Aber merkwürdig bleibt es schon, dass diese Beziehung ausgerechnet mit jenem Lutherwort begann. Es ist ja ein steiles Wort, das jedem Frommen – also auch uns, will ich mal vermuten – quer im Magen liegen dürfte. Ersten sollen wir überhaupt nicht fluchen. Zweitens sollen wir nicht gottlos sein. Und drittens dürfte es uns schmerzen, dass hier unser Gotteslob so abqualifiziert wird. Aber Luther, Barth und Bonhoeffer waren offenkundig der Meinung, dass es Fälle gibt, auf welche jenes Wort zutrifft. Verallgemeinern kann man es nicht. Die Flüche der gottlosen Nazis, mit denen sie ihre Verbrechen begleiteten, sind in Gottes und in unseren Ohren sicherlich nur verabscheuungswürdig.

Was aber ist, wenn es Flüche von Menschen gibt, die in all ihrer Gottlosigkeit dennoch etwas ausdrücken, das vor Gott Bestand hat? Was ist, wenn unser Halleluja die Wahrheit, die in solchen Flüchen stecken kann, nur vernebelt und überjubelt? Diese Fragen sind im Grunde die einzige Rechtfertigung dafür, dass wir heute in einem Gottesdienst die sogenannten „Neuen Atheisten“ zum Gegenstand einer Predigt machen.

Denn eine Predigt ist kein Vortrag, der ein Problem hin und wälzt, so dass sich alle, die das hören, hinterher irgendeine Meinung bilden können. Einer Predigt liegt ein Text oder ein Thema zugrunde, das geeignet ist, Menschen Gottes Geist spüren zu lassen, den Glauben an Gott zu wecken und zu stärken, sowie zu einem christlichen Leben zu ermutigen. Das Alles aber will weder ein alter noch ein neuer Atheist. Sein Metier ist das Einüben der Gottlosigkeit. Keine Christin und kein Christ kann „Amen“ zu dem sagen, was er sagt. Darum gehört er nicht auf die Kanzel, sondern höchstens in eine Diskussionsveranstaltung.

Lassen wir ihn dennoch hier rauf, dann tun wir das also in der Erwartung, dass er einer der Fälle sein könnte, den Luther und unsere beiden Theologen aus dem vorigen Jahrhundert vor Augen hatten. Er könnte uns Christinnen und Christen auf eine verborgene, verquere Weise vielleicht mit einer Wahrheit Gottes auf den Leib rücken.

Auf den ersten Blick sieht es allerdings nicht so aus. Denn die sogenannten „Neuen Atheisten“ unterscheiden von den alten, mit denen wir hier es tagaus- tagein in Berlin zu tun haben, durch einen ausgesprochen wilden, aggressiven Ton. Sie fluchen tatsächlich. Der sound, in dem hier geredet wird, klingt bei dem Bekanntesten dieser Atheisten, Richard Dawkins, so:

Gott – das ist ein „psychotisches“ „grausames Ungeheuer“, ein „Monster“, nämlich „ein kleinlicher, ungerecht nachtragender Kontroll-Freak; ein rachsüchtiger blutrünstiger ethnischer Säuberer, ein frauenfeindlicher, homophober, rassistischer, kinds- und völkermörderischer, ekliger, größenwahnsinniger, sadomasochistischer, launisch-boshafter Tyrann“. Jesus – das ist der Vertreter einer jüdischen „Gruppenmoral“, die „Anweisungen zum Völkermord“ gibt. Glauben – das ist „Gott in den Hintern kriechen“. Christliches Leben – das ist eine „ethische Katastrophe“. Kirche – das ist Kindesmissbrauch, d.h. nicht nur „Fummelei in der Sakristei“ und das Quälen von Mädchen durch „grausame Nonnen“, sondern das Verderben des Geistes von Kindern mit „Unsinn“.

Die immer an Skandalösem interessierte Presse in unserer Gesellschaft hat solche Flüche auf den christlichen Glauben vor fünf/sechs Jahren gerne verbreitet. Unterdessen hat sich das Sensationelle abgenutzt. Der „humanistische Pressedienst“ segelt allerdings noch bis heute in diesem Fahrwasser, indem er Kinderbücher verbreitet, in denen Vertreter der Religionen als dumme, hasserfüllte Schreckensgestalten dargestellt werden und Religionslehrern das Etikett von Idioten angehängt bekommen.

Klingen diese Flüche auf unseren Glauben in Gottes Ohren besser als unser Halleluja? Wenn wir einmal den wilden, fluchartigen Ton wegnehmen, den die „Neuen Atheisten“ anschlagen, dann werden wir wenigsten inne halten mit dem Halleluja im höheren Chor. Wie haben wir alle darauf gewartet, dass der Papst sich zu den Missbräuchen in unserer Schwesterkirche äußert, die auch unsere reformatorischen Kirchen erschüttern! Wie haben wir gehofft, dass „Christentum“ heißt, Einheit im Geiste Jesu Christi finden. Statt dessen wird mit versteinertem Gesicht im Augustinerkloster in Erfurt Abwehr demonstriert und den Neuen Atheisten Recht gegeben, dass Religion nichts als Abgrenzung, wenn nicht Schlimmeres produziert.

Unsere Kirche aber hat auf die lauten Flüche der „Neuen Atheisten“ äußerst gelassen reagiert. In den Papieren, die sie mit viel Aufwand zur Zukunft unserer Kirche verbreitet, findet sich das Stichwort „Atheismus“ allenfalls am Rande. Und das, obwohl es z.B. in unserer Stadt Bezirke gibt, in denen sich über 90% der Menschen als Atheisten verstehen. Aber es ist in der Tat ein anderer Atheismus als der „neue“. Denn obwohl er manchmal auch seine Zähne zeigt, ist er im Grunde gemütlich.

Ich rede jetzt ein bisschen aus meiner östlichen Erfahrung. Da haben sich Menschen nach einer 40jährigen atheistischen Weltanschauungsdiktatur in der Überzeugung eingerichtet, dass es keinen Gott gibt und dass man an die Bekämpfung des Glaubens an Gott keinen Schweiß mehr wenden muss. Er ist unter die Schwelle der Konfliktfähigkeit geraten. Er interessiert einfach nicht. Deshalb hat sich eine Nebellandschaft von Gottesgleichgültigkeit gebildet, in der Alles, was mit Gott zu tun hat, versickert. „Lassen sie mich damit in Ruhe“, bekommen Christinnen und Christen zu hören, die mit der Botschaft von Gott an die Türen klopfen.

Aber nicht nur das. Auch der Atheismus als selbst zu vertretende Weltanschauung interessiert im Grunde nicht. Charakterisch ist die Äußerung von Jugendlichen bei einer Befragung auf dem Leipziger Hauptbahnhof. Auf die Frage, ob sie sich eher als Christen oder als Atheisten verstehen, haben sie geantwortet: „Weder noch; normal halt“. Nur: was ist normal?

Wir können deshalb eigentlich regelrecht erfreut sein, wenn wir eine Atheistin oder einen Atheisten antreffen, welche aufs Argumentieren mit uns Christinnen und Christen aus sind. Die „Neuen Atheisten“ bereiten uns diese Freude. Allerdings haben sie von dem Gewohnheitsatheismus, der unserer Kirche so zusetzt, keine Ahnung. Denn die bekanntesten dieser Atheisten stammen aus einem ausgesprochen religiösen Land, nämlich aus den USA. Entstanden ist der „neue Atheismus“ dort vor allem aus zwei Anlässen.

Die eine Veranlassung ist der islamistische Terroranschlag auf das World-Trade-Center in New York vom 11. September 2001. Dieser Anschlag hatte bekanntlich ein religiöses Motiv. Die Ungläubigen sollten vernichtet werden. Die Neuen Atheisten verallgemeinern dieses Motiv. Sie sagen: Religion überhaupt ist eine Quelle der Gewalt gegen Nicht- und Andersgläubige, weil sie den Gott oder die Götter der anderen Religionen verneinen muss. Religion muss deshalb um des Friedens der Menschheit willen beseitigt werden. Nur der Atheismus kann die Welt vor Hass, Krieg und Gewalt bewahren.

Der andere Anstoß für das Entstehen des „Neuen Atheismus“ ist der in den USA verbreitete christliche Fundamentalismus. So nennt man ein Christentum, das die antiken Vorstellungen der Bibel von der Welt und vom Menschen wörtlich als von Gott geoffenbarte Wahrheiten versteht. Die sog. „Kreationisten“ lehnen darum z.B. die naturwissenschaftlichen Theorien der Weltentstehung und der Evolution des Lebens ab.

Ein solcher Fundamentalismus wird wiederum allen Religionen unterstellt. Religiöser Glaube erfindet – so wird behauptet – aus Unwissenheit absurde Vorstellungen über die Welt und die Menschen. Er ist, weil er sich wissenschaftlicher Erkenntnis verweigert, unfähig, sie zu korrigieren. Darum verbindet sich Religion immer mit Hass Vernichtungswut gegen andere Menschen, die ebenso unbeweisbare Vorstellungen hegen. Religiöse Menschen können ihre absurden Vorstellungen nur so verteidigen, dass sie Menschen mit anderen Vorstellungen den Kopf einschlagen.

Natürlich sind alle diese Behauptungen wahnsinnig überzogen und schief. Dass der Atheismus der Welt den Frieden bringen wird, ist durch einen Massenmörder wie Stalin, um von Hitler zu schweigen, millionenfach widerlegt. In allen Religionen kann man umgekehrt auch einen Geist der Toleranz wahrnehmen. Und eine Religion wie das Christentum ist geradezu der Nährboden des Entstehens der neuzeitlichen Wissenschaft gewesen.

Aber wenn wir vor unserer eigenen Türe kehren, ist eines gar nicht zu bestreiten. Das Christentum ist auch mit einer Geschichte von Gewalt belastet. Es hat sich im Ausgang des Mittelalters auch in einen unseligen Konflikt mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen verwickeln lassen.

Unterdessen aber wissen wir es besser. Die Gewaltgeschichte des Christentums war nicht in der Friedensbotschaft Jesu Christi begründet. Sie wurde verraten, indem sich die Kirche von weltlicher Macht fremd bestimmen ließ. Und weiter: Die Freiheit zu wissenschaftlicher Erkenntnis der Welt ist mit dem Glauben an Gott, den Schöpfer, notwendig verbunden. Gott hat uns die Erde im Universum geschenkt, damit wir sie auch kraft unserer Fähigkeiten zu wissenschaftlicher Erkenntnis bebauen uns bewahren.

Ein Halleluja, das Gewalt verherrlicht und die Wissenschaft verteufelt, klingt darum zumindest in unseren Ohren schlimm. Doch es gibt bis heute nicht nur im Christentum, sondern auch in anderen Religionen solche Hallelujas, die uns ob ihres religiösen Fanatismus eine Gänsehaut besorgen. Da kann es schon sein, dass uns die Flüche der „Neuen Atheisten“ in all ihrer Unappetitlichkeit doch besser klingen als Hallelujas, die Gewaltbereitschaft und ein veraltetes Weltbild verherrlichen.

Sie fordern uns nämlich heraus, dem Geist des Friedens Gottes in unserem Leben noch eindeutiger Raum zu geben, als es heute geschieht. Sie fordern uns heraus, den Dialog mit den Religionen zu suchen, statt den Kampf der religiösen Kulturen zu befeuern. Sie machen es uns zur Aufgabe, den Glauben an Gott als einen Freund von Vernunft und wissenschaftlicher Erkenntnis zu bewähren. Sie lehren uns, dass wir nicht darum herum kommen, kritisch mit den zeitbedingten Elementen der biblischen Botschaft umzugehen.

Sind wir eine Kirche des Friedens, deren Glieder sich auch für das menschendienliche Werk der Wissenschaften verantwortlich wissen, dann läuft der wütige „Neue Atheismus“ im Grunde schon ins Leere. Was dann noch bleibt, ist letztlich Firlefanz. Der durch Deutschland tourende Atheismus macht das deutlich. Auf ihm steht geschrieben: „Es gibt – Klammer auf: „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ Klammer zu – „keinen Gott“.

Dieser Satz (mit klein Gedrucktem in der Mitte) soll das Haupt- und Staatsargument für den Atheismus sein. Er will sagen: Die Naturwissenschaften können Gottes Existenz nicht beweisen. Über 50 % Wahrscheinlichkeit sprechen dagegen, dass es Gott gibt. Darauf können wir nur antworten: Gott sei Dank ist Gott keine Wirklichkeit, die man errechnen oder in Naturgesetzen verorten und auf diese Weise vielleicht auch noch technisch verwerten kann wie die Atomkraft. Was Menschen zu errechnen vermögen, ist mit Sicherheit nicht Gott, sondern nur ein Teil der Welt, also ein Götze, ein Produkt des Aberglaubens.

Zu Gottes unsichtbarer, geistiger, jenseitiger Wirklichkeit gibt es nämlich nur einen Zugang. Das ist der Glaube. Glaube aber ist nicht ein Für-wahr-halten von irgendwelchen Vorstellungen über das Werden der Natur und von Phantasiegestalten wie – das sind die albernen Beispiele der Neuatheisten – Rumpelstilzchen, Feen oder Spagetthimonsters. Glaube ist vielmehr das Vertrauen zu Gott als dem tragenden, unverfügbaren Geheimnis unseres Daseins.

Er ist keine quasi wissenschaftliche Hypothese. Er entsteht durch Erfahrungen, die wir in unserem Leben machen. Im Falle des christlichen Glaubens sind das die Erfahrungen, die Menschen mit Jesus Christus machen. Sie wecken in uns das Vertrauen zu Gott, der die Liebe ist. Sie erfüllen uns mit seinem Geist und geben unserem Leben Sinn. „Gott und Glaube gehören zu Haufe“ (zusammen), hat Martin Luther diese Einsicht im „Großen Katechismus“ kurz und bündig auf den Punkt gebracht. Verfehlt die atheistische Kritik diesen Punkt, dann offenbart sie im Grunde nur, dass sie nichts von Gott versteht.

Das aber, liebe Gemeinde, ist kein Grund, uns zurück zu lehnen und uns resigniert und kopfschüttelnd damit zufrieden zu geben, dass die Atheisten sowieso nur an unserem Glauben vorbei reden. Denn dass sie so wütend und lautstark auftreten wie die „Neuen Atheisten“ ist doch letztlich ein Zeichen dafür, dass sich der Glaube an Gott auch für sie längst nicht erledigt hat.

Kann er sich für uns Menschen, deren Bewusstsein fortwährend an das Geheimnis unseres Daseins rührt, überhaupt je erledigen? Wird er sich nicht in allen möglichen verzerrten Gestalten wieder melden, so wie das auch bei den gottesgleichgültigen Menschen um uns her der Fall ist, die in der Kunst, im Fußball, in der Verehrung von „Stars“, in allen möglichen Heilkünsten, in Weihefeiern und schließlich im Schrebergarten den Sinn, den „Gott“ ihres Lebens suchen?

Die Frage nach Gott, liebe Gemeinde, hat viele sonderbare Gestalten und kommt in vielen Verkleidungen daher. So weit weg von Gott wie selbst die aggressivsten oder die dumpfesten Atheisten vorgeben, können sie gar nicht sein. Darum begegnen Christinnen und Christen ihnen in gespannter Aufmerksamkeit dafür, ob sich in ihrem Leben nicht etwas meldet, was ihre Bestimmung zur Gottesbeziehung spiegelt. Darum zahlen sie ihre Flüche nicht mit gleicher Münze heim, sondern hören im Respekt vor ihnen als Gottes Geschöpfen auf die Anfechtungen, die sich in diesen Flüchen Luft verschaffen.

Wenn wir Gott loben, liebe Gemeinde dann wird also unser Halleluja dem Gott gelten, der allen Menschen gegenwärtig ist und keinen verloren gibt. Es wird ein menschenfreundliches Lob sein, dem aller Hass auf Menschen, die seine Liebe noch nicht erfahren haben, fremd ist. Es wird ein Lob sein, das Frieden Gottes in unserer zerstrittenen Welt alles zutraut. Amen.


Nach oben