Kategorie: Predigten
Von originalen Engeln
Christvesper 2016 im Lutherhaus Berlin
Liebe Gemeinde,
in der Weihnachtsgeschichte, die wir eben gehört haben, spielen Engel ohne Zweifel eine zentrale Rolle. Es ist ganz eindeutig, dass wir sie ernst nehmen müssen, wenn wir die Geburt Jesu Christi feiern wollen. Denn ohne sie wäre es nach der Weihnachtsgeschichte, wie sie uns Lukas erzählt, nicht Weihnachten geworden. Die Hirten hätten sich weiter um ihre Schafe gekümmert, statt zur Krippe zu laufen. Der Stall in Bethlehem hätte kein Oberlicht, Licht von Gott, bekommen. Ohne die Engel sackt die Weihnachtsgeschichte in sich zusammen. Nur mit den Engeln ist’s also eine starke Geschichte.
Es verwundert darum nicht völlig, dass in unserer nun gerade nicht sehr religiösen Gesellschaft zur Weihnachtszeit ausgerechnet die Engel einen starken Auftritt haben. So wie Weihnachten hier öffentlich und privat inszeniert wird, verleihen sie diesem Fest sein eigentümliches Flair. Engellieder tönen aus Lautsprechern. Engel lachen uns auf Postkarten und Postern niedlich entgegen. Sie bevölkern die Kaufhäuser und Weihnachtsmärkte in 1000 Gestalten. Da kannst Du alles haben: Holzengel und Strohengel, dicke und dünne, singende und sprechende, herrlich angezogene und nackte und viele andere mehr.
Und alle haben sie Flügel. Das gehört nach allgemeiner Überzeugung offenbar zu einem richtigen Engel dazu. Denn die Lüfte sind sein Revier und nicht der Boden, an den wir schweren Menschen gefesselt sind. Wo die Engel sind, da wird eben ein bisschen der Himmel wahr, die bessere Welt, in der bei sanfter Musik alle Träume in Erfüllung gehen.
Das ist eine Welt ohne Streit, ohne Arbeit und Mühe, ohne Tränen und Schmerzen; eine Welt des Lachens und der Lieblichkeit. Fast alle diese Weihnachtsengel haben Kindchenmerkmale, die auf uns Menschen anziehend wirken und uns das Herz weich machen. Wenn uns die Engel anrühren, dann beginnen wir eben selbst ein wenig vom Erdboden abzuheben – und das nicht nur zur Weihnachtszeit.
Denn erstaunlicherweise boomen die Engel in unserem Lande. Umfragen haben zu Tage gefördert: 66 % der deutschen Bevölkerung glaubt an Schutzengel. Engelausstellungen erfreuen sich vieler Besucherinnen und Besucher. Engelliteratur wird gut verkauft. Für Berlin gibt es einen ganzen Engelstadtplan.
Verwunderlich ist das schon. Denn solche Zwischenwesen zwischen Himmel und Erde gelten in unserem aufgeklärten Zeitalter eigentlich als typisches Produkt eines kindlichen, kindischen Weltbildes von vorgestern. Uns allen ist auch bewusst, dass es sich bei den Engelfiguren um von Menschen phantasievoll angefertigte Gestalten handelt.
Aber trotzdem: Die Engel bedeuten Menschen heutzutage offenkundig mehr als Jahresendflügelpuppen, wie unsere DDR-Atheisten die Engel taufen wollten. Schon alleine ihre Körpersprache reicht weiter als ihre allzu menschliche Machart. Denn sie geben der urmenschlichen Sehnsucht nach einem heilen Leben Ausdruck. Ist es falsch zu sagen: Sie sind so etwas wie Signale dafür, dass jeder Mensch ein Recht auf sein eigenes, wundergutes Geheimnis hat, an dem sich andere Menschen nicht vergreifen können und nicht vergreifen dürfen?
Die vielen Weihnachtsengelchen wären dann doch so etwas wie entfernte Verwandte der originalen Engel der Weihnachtsgeschichte. Denn diese originalen Engel offenbaren das Geheimnis eines Menschen – des Menschen Jesus in diesem Falle – und sie bewahren es zugleich, indem sie selbst völlig geheimnisvoll bleiben. Du kannst sie nicht packen und irgendwie einsortieren. Wie sie aussehen, ist gänzlich verborgen. Von Flügeln ist erst recht keine Rede.
Das outfit spielt bei einem originalen Engel im Unterschied zu unseren handgefertigten Weihnachtsengeln überhaupt keine Rolle. Wir wüssten überhaupt nicht, dass da überhaupt ein Engel ist, wenn…, ja wenn er nicht reden würde. Das ist das Einzige, was ihn auszeichnet und was auch bleibt, wenn er wieder weg ist. Würde er nicht reden, dann wäre er gar nicht da. Hätte er keine Botschaft, dann wäre er gar kein Engel.
Das griechische Wort „angellos“, von dem unser deutsches Wort „Engel“ abgeleitet ist, heißt deshalb auch schlicht „Bote“, Überbringer der Nachricht von einem Anderen, der nicht zur Welt gehört. Gesendetsein von Gott macht nämlich das Dasein eines originalen, biblischen Engels aus. Ohne Gott bekommt er dagegen die Schwindsucht, wird Flügelwesen, wird Kunst- und Kitschfigur ohne Sendung, religiöse Fledermaus unserer Träume. Aber mit Gott, da hat er power und was für welche!
Denn hier geht es nicht darum, einmal ein bisschen etwas Tieferes, Schöneres zu spüren, als nur die Tretmühle unserer täglichen Sorgen. Die Engel, die wir uns von Zeit zu Zeit herbeisehnen und vielleicht sogar auch spüren, huschen ohnehin nur vorbei wie Hauch, von dem wir schon im nächsten Augenblick nicht wissen, ob es überhaupt welche waren. "Tausendmahl berührt, tausendmal ist nichts passiert"
Hier aber, liebe Gemeinde, hier bei Maria und bei den Hirten auf dem Felde, da passiert’s nach dem Bericht des Lukas. Da gehen Menschen beim Anblick eines Kindes die Augen dafür auf, wie Gott uns alle eigentlich gemeint hat, als er uns schuf. Denn dieses Kind – so sagen es die Engel – repräsentiert die Menschheit, die im Frieden mit Gott endlich zu echten Frieden mit sich selbst und mit allen ihren Mitmenschen auf der weiten Erde fähig ist. Ohne das Wort von Gott, das diesen Repräsentanten einer menschlichen Menschheit trägt und adelt, wird er nur die große Ausnahme eines eigentümlich menschlichen Menschen in einer friedlosen Welt voller unsinniger Tode bleiben, die uns in diesen Tagen nun so nah gerückt ist.
Soll er für uns mehr sein als solche Ausnahme, dann brauchen wir – wie die Hirten – andere Augen als die, mit denen man Schafe zählt und sich für den Lebenskampf rüstet. Nur mit neuen Augen aus der Höhe kann man sehen, dass die Kraft und Ausdauer des ewigen Gottes mit dem Lebensentwurf dieses Menschen unzertrennlich verbunden ist. Und eben solche Augen haben der Engel und die himmlischen Heerscharen den Hirten und Maria verliehen.
Wir aber, liebe Gemeinde, waren nicht mit den Hirten auf dem Felde. Wir haben solche Augen nicht in der Art und Weise wie sie bekommen. Wenn wir sie haben – diese Augen - , dann sind sie uns durch den erwachsen gewordenen Jesus und durch seine Botschaft vom Gottesreich der Liebe geschenkt worden. Wir haben sie durch Gottes Geist bekommen, der von diesem Menschen ausgeht. Wir müssen nicht – wie es heißt – „an Engel glauben“, um die Weihnachtsbotschaft zu verstehen. Glaube verdient nur Gott, weil er der einzige ist, auf den wir uns wirklich verlassen können.
Wir werden uns darum hüten, alle möglichen spirituellen Fernrohre zur Engelschau zu benutzen, wenn wir Weihnachten feiern. Denn Engel an sich verdienen in der Bibel nirgendwo besondere Aufmerksamkeit. Sie sind nur wichtig, indem sie sich selbst gerade nicht wichtig machen. Sie sind nur wichtig, indem sie dem Wunder der Weihnacht, Worte verleihen, die Jesus mit seinem Leben als ein „Held der Liebe“ wahr gemacht hat.
Dieses Wunder besteht darin, dass der ewige Gott nicht aufhört, mit jeder und jedem von uns einen neuen Anfang zu machen, wenn uns unsere Stimme angesichts des hautnahen Andrangs von Hass und Vernichtungswut zu ersticken droht. Dieses Wunder holt uns aus dem Tal der Tränen heraus, in das uns der Strudel der Gewalt gegen Menschen ziehen will. Es macht uns Mut, uns aufzurichten und selber tatkräftige Menschen des Friedens zu sein, an denen Gott „Wohlgefallen“ hat und die ihre Mitmenschen durch ihre Menschlichkeit erfreuen.
Diesen Mut wollen die originalen biblischen Engel in unseren Herzen verankern. Wo immer wir in ihre Worte vom Frieden auf Erden einstimmen, sind deshalb die Engel da. Sie sind überall da, wo Weihnachten im eigentlichen Sinne gefeiert wird: Hier bei unserem Weihnachts-Gottesdienst im Pankower Lutherhaus und natürlich auch bei Ihrem ganz persönlichen Weihnachten zu Hause. Amen.