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25.07.2013 00:00 Alter: 11 yrs
Kategorie: Vorträge

Die Attribute Gottes in der neueren deutschsprachigen evangelischen Dogmatik

Vortrag bei einer Internationalen Tagung der Katholisch-Theologischen Fakultät Augsburg am 25.07.2013


1.     Ein breiter Konsensus: „Eigenschaften Gottes“ sind Weisen der Liebe Gottes

Wenn wir nach dem Verständnis der „Eigenschaften Gottes“ in der neueren evangelischen Dogmatik fragen, dann können wir mit einer erfreulichen Feststellung einsetzen. Es hat sich hier nämlich ein ziemlich breiter Konsensus heraus gebildet, der umso erfreulicher ist, als er nicht nur auf die evangelische Theologie beschränkt ist. Es handelt sich vielmehr auch um einen ökumenischen Konsensus, so dass wir das, was aus der evangelischen Dogmatik zu berichten ist, ebenso gut auf der Basis von Bemühungen römisch-katholischer Dogmatiken (und sogar des Papstes!) um das Verständnis des Wesens und der Eigenschaften Gottes darstellen könnten. Als ich mein Buch über „Gottes Klarheiten“ verfasst habe (vgl. Wolf Krötke, Gottes Klarheiten. Eine Neuinterpretation der Lehre von Gottes „Eigenschaften“, Tübingen 2001), waren mir die Arbeiten zum Gottesverständnis aus dem evangelischen und römisch-katholischen Raum ohne irgendein konfessionelles Hemmnis völlig gleichwertige Hilfen bei meiner Absicht, „Eigenschaften Gottes“ als die sprachlich artikulierbaren und artikulierten Konkretionen  der Göttlichkeit Gottes zu verstehen, mit denen unsere Kirchen Menschen heute zum Glauben an Gott einladen.

         Ich habe mich dabei nicht ganz dem Konsensus angeschlossen, der heute in der Gotteslehre konfessionsübergreifend konstatiert werden kann. Es gibt – wie wir sehen werden – auch sonst Einwände gegen ihn. Aber dieser Konsensus hat doch gewissermaßen eine theologische Atmosphäre geschaffen, in der sich die denkende Verantwortung des Glaubens an Gott und das Reden unserer christlichen Kirchen von Gott heute weithin bewegt. Sie ist grundgestimmt von der Erkenntnis, dass Gottes Wesen, also Gottes Göttlichkeit, die Liebe ist. Alles, was von Gott weiterhin zu sagen ist, kann, wenn das gilt, deshalb nicht im Absehen von der Liebe gesagt werden, weil es Gottes Göttlichkeit dann verfehlen würde:

„Wird das Wesen Gottes als Liebe bestimmt, muss jede Eigenschaft Gottes als Eigenschaft der Liebe verstanden werden“, heißt es im Artikel „Gott“ von Christoph Schwöbel in der 4. Auflage der RGG von 2000  (1124). „Alle Eigenschaften Gottes“ sind „Konkretisierungen, Spezifizierungen und Qualifizierungen der göttlichen Liebe“, sagt Wilfried Härle in seiner „Dogmatik“ (Berlin/New York 1995, 256). Auch in Wolfhart Pannenbergs „Systematischer Theologie“ hören wir: Eigenschaften Gottes „sind „durchweg Eigenschaften“ oder „konkrete Aspekte der Wirklichkeit der göttlichen Liebe“(Band 1, Göttingen 1988, 466).

Und Eberhard Jüngel schließlich, der 1977 mit seinem Buch „Gott als Geheimnis der Welt“ die theologische Konzentration auf die Liebe als ontologische, das Wesen Gottes zum Ausdruck bringende Kategorie vor allem befördert hat (Tübingen 1986; 7. Aufl. 2001), nennt Eigenschaften Gottes „Wesenszüge“ der Liebe, die Gott ist (vgl. Thesen zum Verhältnis von Existenz, Wesen und Eigenschaften Gottes, in: Ganz werden. Theologische Erörterungen V, Tübingen 2013, 266).

         Im Einzelnen weisen diese zusammen stimmenden Plädoyers für die Verankerung des Verständnisses von „Eigenschaften Gottes“ in der Liebe als dem Wesen Gottes zwar eine Reihe von Differenzen auf. Das gilt vor allem Hinblick darauf, wie, von woher und in welchem Umfang Eigenschaften Gottes seinem Wesen als Liebe zugeordnet werden können. Eines aber ist bei diesen Plädoyers, die noch mannigfach zu ergänzen wären, aber unverkennbar. Das ist die Verschiebung des systematisch-theologischen Ortes, der hier der überlieferten Lehre von den „Eigenschaften Gottes“ widerfährt.  Diese Lehre hat ihre Ausformung und ihr Profil im Zeitalter der vorneuzeitlichen Metaphysik gewonnen. Sie war wesentlicher Bestandteil der theologia naturalis, der Erkenntnis Gottes auf den Wegen der Vernunft, die Gottes mit den Möglichkeiten vorneuzeitlichen Vernunftgebrauchs vage eruiertes Dasein und Wesen als causa und finis des Welt näher zu bestimmen trachtete.

Der Konsensus, dass Gottes Wesen Liebe sei, aber holt die Erkenntnis von „Eigenschaften Gottes“ grundsätzlich in die Offenbarungstheologie hinein. Er verankert  diese Erkenntnis sogar in der spezifischsten Einsicht, die der christliche Glaube aufgrund von Gottes Zuwendung zur Welt in Jesus Christus gewonnen hat, nämlich im trinitarischen Gottesverständnis. Dass Gott schon immer in Beziehungen lebt, einer und ein anderer ist und darin sowohl ganz mit sich zusammenstimmt wie auch die Geschöpfwelt in sein Beziehungs-Leben hinein holt, wird der eigentliche Grund, Gottes Wesen als Liebe zu verstehen.

         Damit löst oder entspannt sich das Problem, an dem sich das metaphysische Verständnis des Wesens und der Eigenschaften Gottes abgearbeitet hat, nämlich dass die im Unterschied zur begrenzten, veränderlichen Welt eine und einfache Gottheit keine voneinander abgrenzbaren Eigenschaften vertrage. Eine Wirklichkeit, die von Beziehungen geprägt ist, verträgt Grenzen dagegen nicht nur; sie lebt geradezu in ihnen und mit ihnen, wie das Verhältnis Jesu Christi zu Gott, dem Vater, der Christenheit grundlegend eingeprägt hat. Der nach vorneuzeitlicher metaphysischer Lesart von der Welt her angenommene Zusammenhang von Geschöpf und Schöpfer gestattet es dagegen nur, Eigenschaften Gottes zu formulieren, die für Gott selbst nur uneigentlich gelten können. Sie stehen unter dem Vorbehalt, dass Gott sich der Sagbarkeit durch Menschen letztlich entzieht.

Eberhard Jüngel hat deswegen die ontologisch grundierte Sprachregel der analogia entis, in deren Bahnen sich die metaphysische Lehre vom Wesen und den Eigenschaften Gottes bewegte, eine „Analogie des Vorbehalts“ genannt (vgl. Thesen, a.a.O., 265). Sie ist die Negativfolie, in Abgrenzung zu der er das Verständnis des Wesens Gottes als Liebe, wie es sich in der Christusoffenbarung erschließt, begründet hat. Das bedeutet allerdings nicht, Karl Barths Diktum, die analogia entis sei eine „Erfindung des Antichrist“ (Die Kirchliche Dogmatik [KD] I/1, München 1932, VIII), werde damit ins Recht gesetzt. Historisch und sachlich ist das ein Fehlurteil, weil es unterstellte, die Seinsanalogie als Prinzip der Gotteserkenntnis ordne Gott in das Gefüge von Mensch und Welt ein. Gerecht geurteilt ist das Gegenteil der Fall. Weil zwischen Schöpfer und Geschöpf – mit dem 4. Lateranense geredet – keine Ähnlichkeit behauptet werden kann, ohne ihre noch größere Unähnlichkeit zu betonen, ist hier zweifellos das Interesse am Werke, die Göttlichkeit Gottes in ihrem kategorialen Unterschiedensein von der Welt und vom Menschen zu wahren.

Karl Barth hätte sich in der „dialektischen“ Phase seiner Theologie der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts, in der er mit Søren Kierkegaard den „unendlichen qualitativen Unterschied“ von Zeit und Ewigkeit und damit von Mensch und Gott eingeprägt hat (vgl. Der Römerbrief [Zweite Fassung 1922], Karl Barth. Gesamtausgabe II/47, Zürich 2010, 17), durchaus auf diese Pointe der analogia entis berufen können. Das lässt sich an seinen Göttinger und Münsteraner Dogmatik-Vorlesungen übrigens auch ganz gut zeigen. Nicht ungewichtige Nachklänge des theologischen Anliegens, Gottes uns Menschen schlechthin entzogene und verborgene Göttlichkeit eigens zu wahren, finden sich aber auch noch in der „Kirchlichen Dogmatik“, in der Barth sich programmatisch vom Diastase-Denken seiner „dialektischen“ Anfänge abgewendet hat. Das Zusammensein von Gott und Mensch in Jesus Christus und damit von Gott und Menschheit wird hier zum cantus firmus seines theologischen Denkens. In diesem Zusammensein erschließt sich uns Gottes Wesen und damit auch seine „Eigenschaften“, die Barth mit Thomas von Aquin aber lieber „Vollkommenheiten“ nennen wollte, weil sie alle in verschiedener Hinsicht das Wesen Gottes des „ewig reichen Gottes“ zum Ausdruck bringen. Dieses Wesen ist, „der in Freiheit Liebende zu sein“ (KD II/1, Zollikon 1958, 362).

Das ist nicht einfach dasselbe, wie die Aussage, das Wesen Gottes sei die Liebe. Die Betonung dessen, dass es Gottes Wesen ist, „in Freiheit“ zu lieben, dient bei Barth vielmehr dazu, die Souveränität und Ungebundenheit des göttlichen Liebens in selbständigen Reflexionsgängen zu unterstreichen. Warum Barth solchen Wert darauf legte, lässt sich theologiegeschichtlich leicht erklären. Denn dass Gott die Liebe sei und „Eigenschaften Gottes“ als „Verfahrensweisen“ (so Albrecht Ritschl, Geschichtliche Studien zur christlichen Lehre von Gott, in: Gesammelte Aufsätze. Neue Folge, Bonn 1896, 167), „Wirkungsweisen“(so Theodor Häring, Der christliche Glaube. Dogmatik, Stuttgart 21912, 383) oder „Momente“ dieser Liebe zu verstehen sind, war ein beliebtes Muster des Gottesverständnisses des theologischen Liberalismus im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Gottes Liebe wurde dabei als sein durch den irdischen Jesus erkennbarer Liebeswille verstanden, die Menschheit zum Reiche Gottes – nämlich zu einer echten ethischen Gemeinschaft – heran zu bilden (vgl. Albrecht Ritschl, Die christliche Lehre von Rechtfertigung und Versöhnung III, Bonn 41895, 411f.). Gottes Liebeswille koinzidierte auf diese Weise mit bestimmten gesellschaftlichen Zuständen – eine Koinzidenz, gegen die Barths Römerbriefauslegung angeschrieben war und gegen die sich auch die Betonung der göttlichen Freiheit in der „Kirchlichen Dogmatik II/1“ wendet.

Diese Betonung aber führt dann zu Äußerungen, die tatsächlich wie ein Vorbehalt gegenüber der Liebe klingen, in der Gott sich in Jesus Christus offenbart hat bzw. zu Annäherungen an die Vorstellung einer potentia Dei absoluta. Gott müsste nicht tun, was er in Christus tut. Er könnte auch ganz anders, ist der Tenor dieser Annäherungen (Vgl. z.B. KD II/1, 315, 339, 459, 520 u.ö.). In der Lehre von den „Vollkommenheiten Gottes“ wirkt sich das so aus, dass Barth eine Reihe von Vollkommenheiten der Liebe Gottes zusammen gestellt hat, in denen seine Liebe die Freiheit dominiert (Gnade und Heiligkeit, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, Geduld und Weisheit). Von ihr wird eine andere Reihe von Vollkommenheiten der Freiheit unterschieden, in denen die Freiheit Gottes die Liebe dominiert (Einheit und Allgegenwart, Beständigkeit und Allmacht, Ewigkeit und Herrlichkeit) (vgl. die §§ 30 und 31 in KD II/1, 394-764: „Die Vollkommenheiten des göttlichen Liebens“ und „Die Vollkommenheiten der göttlichen Freiheit“). Diese Unterscheidung hat Eberhard Jüngel bei seiner Begründung, dass Gottes Wesen Liebe sei, scharf kritisiert. Denn Freiheit ist in seinem Sinne „ein konstitutives Moment der Liebe. Es ist daher nicht nur überflüssig, sondern völlig unangebracht, die Bestimmung des göttlichen Seins als Liebe durch die weitere Bestimmung des göttlichen Seins als Freiheit zu kontrapunktieren. Freiheit ist kein Kontrapunkt der Liebe, so wenig in der Liebe die Freiheit verlorengeht“ (Jüngel, Geheimnis, 301). Ich lasse jetzt einmal dahin gestellt sein, inwieweit Jüngel hier von einer gewissen Selbstkorrektur Barths Gebrauch macht, welche durch die erwählungstheologische Präzisierung der Trinitätslehre in der „Kirchlichen Dogmatik“ Platz greift (vgl. hierzu Wolf Krötke, Die Summe des Evangeliums. Karl Barths Erwählungslehre im Kontext der Kirchlichen Dogmatik, in: Michael Beintker/Christian Link/Michael Trowitzsch (Hgg.), Karl Barth im europäischen Zeitgeschehen (1935-1950). Widerstand – Bewährung – Orientierung, Zürich 2010, 67-82). Uns interessiert in der Sache, wie sich das trinitätstheologisch verankerte Verständnis des Wesens Gottes als Liebe auf die Entfaltung der Lehre von den Eigenschaften auswirkt und welche Probleme dabei auftreten bzw. welche Alternativen dazu bedacht werden müssen.

 

2.     Trinitarische Einbettung des Verständnisses von Gottes Eigenschaften

Eberhard Jüngel hat die Konsequenzen aus seinem Verständnisses des Wesens des trinitarischen Gottes als Liebe für das Verständnis von „Gottes Eigenschaften“ erst über 20 Jahre nach dem Erscheinen von „Gott als Geheimnis der Welt“ gezogen – und das auch nur in kurzer thetischer Form (vgl. Thesen, 252-273). Er hat dabei eine, wie er sagt, „gegenüber der Tradition neue Methode theologischer Begriffsbildung“ (a.a.O., 268) zur Artikulation von Eigenschaften Gottes entwickelt. Wesentlich für diese „Methode“ ist der Perspektivwechsel gegenüber der Tradition, der freilich schon bei Karl Barth angelegt ist. Nicht einem uns fernen Gott gilt es, auf mühselige Weise Eigenschaften zuzuschreiben, sondern der uns im Menschen Jesus in seiner Liebe nahe kommende Gott lässt uns „auf menschliche Weise“ (a.a.O., 264) immer schon sprachlich an seinem Wesen teilhaben.

Das Menschsein Jesu entspricht diesem Wesen auf vielfältige Weise und kann darum als sein „Gleichnis“ oder seine menschlich-irdische Entsprechung in vielfältigen Wesenszügen in Anspruch genommen werden. Diese „Analogie des Advents“ erlaubt es, auf dem Grundzug der Liebe „inmitten noch so großer Unähnlichkeit“ von Gott und Mensch ihre „immer noch größere Ähnlichkeit“ (a.a.O., 265)  auszusagen. Derartige Aussagen sind ihrem metaphorischen, anredenden Charakter gemäß aber eigentlich keine Begriffe, sondern vom Menschen Jesus zu erzählende Geschichten. Jüngel nimmt deshalb Ingolf  U. Dalferths Anregung auf, „Eigenschaften“ bzw. „Wesenszüge“ Gottes als „Kurzfassungen“ der Geschichte zu verstehen, in der sich Gott uns Menschen zugewendet hat (Religiöse Rede von Gott, München 1981, 676).

Eingebettet aber ist dieser Weg, Eigenschaften Gottes zu artikulieren, bei denen ihre Vielfalt kein Problem mehr darstellt, in das Verständnis des trinitarischen Gottes als Liebe, das Jüngel aufgrund der Getrenntheit und Gemeinschaft von Vater und Sohn im Tode Jesu Christi kreuzestheologisch begründet hat. Gottes Liebe erschließt sich hier als „die Einheit von Tod und Leben zugunsten des Lebens“ oder „formal  geurteilt, als Ereignis einer inmitten noch so großer und mit Recht noch großer Selbstbezogenheit immer noch größere Selbstlosigkeit“ (Geheimnis, 434). Diese Liebe ist im gegenseitigen Verhältnis von Vater und Sohn schon immer Ereignis. Sie gestattet aber eigentlich nur die Aussage, dass Gott liebt. Ihn selbst als Liebe zu verstehen, ermöglicht erst der Heilige Geist, der die Beziehung von Vater und Sohn so aufeinander bezieht, dass wir Menschen mit einbezogen werden. Sie ist ausstrahlende Liebe, deren Unerschöpflichkeit und Schöpfermacht sie erst als göttlich auszeichnet (a.a.O., 464f.).

         Wenn ich das richtig verstanden habe, versucht Jüngel nun, die beiden Argumentationsstränge, von denen einer auf die vielfältige Sagbarkeit von Gottes Wesen in der Geschichte seines Kommens zur Welt zielt und der andere das trinitarische Verständnis des Wesens Gottes als Liebe begründet, zusammen zu führen. Es soll verstehbar werden, dass die Vielfalt von Wesenszügen Gottes im Wesen trinitarischen Gottes begründet ist. Gottes „Eigenschaften“ oder „Wesenszüge“ werden darum als Relativierungen der proprietates personales einer trinitarischen Person durch die anderen interpretiert (vgl. Thesen 267).Wenn also z.B. die proprietas des Vaters, die darin besteht, dass er der „mit sich selbst Anfangende […] Allmächtige und Freie“ ist, vom Sohn und vom Heiligen Geist relativiert wird, dann wird seine Allmacht als „Allmacht der Liebe“ und seine Freiheit als „Freiheit zur Liebe“ aussagbar und verstehbar(vgl. a.a.O., 268). In vergleichbarer Weise werden die Weisheit, die Gerechtigkeit, die Ewigkeit, die Heiligkeit, die Wahrheit und die Herrlichkeit Gottes als Wesenszüge der Liebe, in der Gott sein Wesen in seinem innertrinitarischen Leben selbst differenziert und konkretisiert, verstanden.

         In der thetischen Form, in der Jüngel diese „neue Methode“ vorgeführt hat, fehlt freilich die Begründung dafür, warum das Gleichnis des Menschseins Jesu diese Auswahl von „Wesenszügen“ Gottes zwingend nahe legt, die Jüngel ohne Argumente „repäsentativ“ nennt (vgl. a.a.O., 267). Des Eindrucks, dass hier der traditionelle Kanon der Eigenschaften Gottes mit am Werke ist, kann man sich deshalb nicht ganz erwehren. Durchbrochen ist er allerdings darin, dass die negativen Gottesprädikationen gar nicht mehr gebraucht werden und dass die Unterscheidung zwischen inkommunikablen und kommunikablen Eigenschaften Gottes kassiert wird. Die Wesenszüge der Liebe Gottes werden allesamt in dem Sinne als kommunikabel verstanden, dass Gottes Liebe uns selbst zu Liebenden macht, Gottes Freiheit uns selbst zu Freien macht, Gottes Allmacht uns bevollmächtigt, für seine Schöpfung Sorge zu tragen, Gottes Wahrheit uns wahrhaftig sein lässt usw.

         Angesichts dieser durchgehenden Betonung des kommunikativen Charakters der „Wesenszüge“ Gottes als Liebe erübrigt sich wohl der Einwand, den u.a. Wolfhart Pannenberg gegen den Typos der Trinitätslehre erhoben hat, in den Jüngel im Anschluss an Barth sein Verständnis der Eigenschaften Gottes integriert hat. Dieser Typos bringe – so Pannenberg – die Relationalität der Liebe, die Gott ist, nicht hinreichend zur Geltung. Sie bleibe der Vorstellung Gottes als eines autoritären, ja totalitären „absoluten Subjektes“ verhaftet, was sich daran zeige, dass Gott von Jüngel „der ewig sich selbst Liebende“ genannt wird (Systematische Theologie, 460). Die „immer noch größere Selbstlosigkeit“, in welcher der Vater den Sohn und der Sohn den Vater liebt, und in welcher der Heilige Geist diese Liebe kommuniziert, wird bei diesem Einwand unterschlagen.

         Ich kann jetzt nicht in extenso auf die Fassung der Trinitätslehre eingehen, die Pannenberg der befürchteten Beförderung der Ansicht von der absoluten Subjektivität Gottes entgegen gesetzt hat. Sie läuft darauf hinaus, dass die Liebe als unpersonale Macht in der Weise eines „Kraftfeldes“ verstanden wird, das sich in völlig wechselseitigen Relationen zwischen den trinitarischen Personen „manifestiert“ (vgl. a.a.O. 414ff.). Für unser Interesse an den Eigenschaften Gottes aber ist bemerkenswert, dass dieses Verständnis der Liebe offenbar die Behauptung nicht zu tragen vermag, dass ihr Wesen das Wesen Gottes ist. Das Verständnis der Göttlichkeit der Liebe wird nach Pannenberg vielmehr durch einen „Vorbegriff“ von Gottes Wesen ermöglicht, der die „Voraussetzung der Zuschreibung von Eigenschaften“ Gottes aufgrund seines „Offenbarungshandelns“ ist (a.a.O., 426). Dieser „Vorbegriff“ von Gott ist der seiner „Unendlichkeit“, die laut allgemeiner religiöser Erfahrung und vernünftiger Reflexion das Irdische gründet und durchwaltet. Nur wenn man die Unendlichkeit mit der Macht der Liebe reimt, wie sie sich offenbarungstheologisch erschließt, kann die Liebe als göttlich gelten. Folgerichtig wird eine Reihe von Eigenschaften, in denen die Liebe von der Unendlichkeit geprägt ist, von einer anderen unterschieden, welche die Liebe Gottes „nach den verschiedenen Seiten ihrer Wirksamkeit“ beschreibt (vgl. a.a.O., 477ff.). Zur ersten Reihe zählen: Ewigkeit, Allmacht und Allgegenwärtigkeit. Zur zweiten Reihe zählen: „Güte, Barmherzigkeit, Gnade und Huld“ sowie „Gerechtigkeit und Treue, Weisheit und Geduld“ (vgl. a.a.O., 466).

         Zu zwei ganz ähnlichen Eigenschaftsreihen kommt auch Wilfried Härle, der seine Lehre von den Eigenschaften Gottes allerdings nicht direkt mit der Trinitätslehre verzahnt hat, sie aber implizit als Lehre von den Eigenschaften des trinitarischem Gottes verstanden willen will (vgl. Dogmatik, 384). Härle unterscheidet Eigenschaften Gottes, die den „kategorialen Unterschied“ zwischen Gott und Welt/Mensch zum Ausdruck bringen, von denen, welche die „reale Verbundenheit“ Gottes mit Welt/Mensch ausdrücken: Das sind: Allmacht und Allwirksamkeit, Allwissenheit, Ewigkeit und Allgegenwärtigkeit einerseits und Güte, Gerechtigkeit und Treue, Barmherzigkeit und Gnade, Heiligkeit und Zorn andererseits (vgl. a.a.O., 258-269).

Auch hier wird nach meiner Wahrnehmung kein Kriterium angegeben, das diese Auswahl leitet. Bemerkenswert ist dennoch, dass nach dieser theologischen Konstruktion der Gotteslehre ihren Konstrukteur die Behauptung selbst nicht überzeugt hat, dass die Liebe selbst ihre „Göttlichkeit“, ihr göttliches Wesen, ausweise. Es muss zu Argumenten aus der theologia naturalis gegriffen werden, um das einsichtig zu machen. Jüngel hat ihm das als Selbstwiderspruch angekreidet (vgl. Nihil divinitatis, ubi non fides. Ist christliche Dogmatik in rein theoretischer Perspektive möglich? Bemerkungen zu einem theologischen Entwurf von Rang, ZThK 86 [1989], 225f.). Aber hat er selbst überzeugender begründet, dass die Liebe, die Gott ist, aufgrund ihres Überströmens im Heiligen Geist „göttlich“ zu heißen verdient? Es gibt einen anderen Strang in der neueren evangelischen und vor allem von Martin Luther geprägten Theologie, die das nicht überzeugt.

 

3.     Lutherische Profile des Verständnisses von Gottes Eigenschaften

Schlagen wir noch einmal die 4. Auflage der RGG auf, dann lesen wir im Artikel „Eigenschaften Gottes“ von Oswald Bayer: „Die Theol(ogie) erläge einer enthusiastischen Ungeduld, wenn sie versuchen würde, Gottes Zorn und Langmut, v.a. aber“ die „schreckliche Verborgenheit (Gottes) als Gestalten seiner Liebe einsichtig zu machen“ (RGG 41999, 1140). Barth und – unausgesprochen – allen theologischen Konzeptionen, die Gottes Eigenschaften auf dem Grundzug seiner Liebe zu verstehen suchen, wird darum vorgeworfen, einem „Monismus“ zu huldigen, der „von der im Glauben erfahrenen Spannung zw(ischen) der Verschiedenheit der Widerfahrnisse Gottes und der nur doxologisch zu Sprache zu bringenden Einheit des Wesens Gottes als Liebe abstrahiert“ (a.a.O., 1141).  

Im Hintergrund dieser Beurteilung des theologischen Bemühens, Eigenschaften Gottes als Weisen, Momente, Wesenszüge, Konkretionen des Wesens des trinitarischen Gottes, der Liebe ist, zu verstehen, steht Martin Luthers Unterscheidung zwischen dem Deus absconditus und dem Deus revelatus. Nicht zuletzt unter dem Einfluss des Spätnominalismus hat Luther die Erfahrung der schrankenlosen, für Menschen nicht verstehbaren, dunklen Verwirklichung der Freiheit Gottes als grundlegende, unhintergehbare Gotteserfahrung verstanden. Den Deus absconditus jedoch können Menschen nicht zum Gott haben, dem sie glauben können. Er ist ihnen letztlich ein Teufel. Darum hat Luther der Christenheit geraten, sich von der unausweichlichen Erfahrung des unverstehbaren Deus absconditus zum Deus revelatus zu „flüchten“, dem Menschen aufgrund seines Wortes alleine als Gott vertrauen und seiner gewiss werden können (vgl. De servo arbitrio, WA 18, 685, 1-24).

Für die Geschichte der protestantischen Lehre von den „Eigenschaften Gottes“ hat das die Konsequenz gehabt, dass eigentlich gar kein Raum blieb, sie theologisch zu fixieren. Die sogenannte lutherische Orthodoxie hat sich unter dem Einfluss Melanchthons leider bloß wieder in das metaphysische Schema der Artikulation von Eigenschaften Gottes eingetaktet und zu ihrer Erfahrungsbezogenheit wenig beigetragen. So blieb Luthers Unterscheidung zwischen dem Deus absconditus und Deus revelatus  ein beunruhigender Faktor im konkreten Reden von Gott, der die theologische Festlegung auf Eigenschaften Gottes eher hemmte als beförderte. Oswald Bayers Ausführungen sind ein gutes Beispiel dafür. In seinem Artikel über „Gottes Eigenschaften“ wird keine einzige Eigenschaft Gottes begründet, auf die Menschen sich ohne die Verunsicherung durch den Deus absconditus verlassen können. Lutherische Dogmatiker im vorigen Jahrhundert wie Werner Elert, welche die nicht systematisierbare Spannung von Gotteserfahrung einprägen wollten, haben auf die Lehre von den Eigenschaften Gottes dementsprechend ganz verzichtet (Der christliche Glaube, Grundlinien der lutherischen Dogmatik, Hamburg 61988, 234-237).

In der jüngeren Theologiegeschichte aber hat sich Gerhard Ebeling in seiner „Dogmatik des christlichen Glaubens“ des Anliegens angenommen, die Spannung in der Gotteserfahrung nicht ohne, sondern mit einer systematischen Artikulation von „Eigenschaften Gottes“ aufrecht zu erhalten. Die Trinitätslehre spielt dabei keine Rolle. Ebeling hat sie auf 17 Seiten ins letzte Kapitel seiner dicken 3-bändigen „Dogmatik des christlichen Glaubens“ gesteckt (Dogmatik des christlichen Glaubens, Band 3, Tübingen 1979, 529-546). Denn sie duldet keine „Gegensätzlichkeit“, keine „Antithetik“ erfahrungsgesättigter Gotteserfahrung, wie Ebeling besonders gegen die Theologie Karl Barths, aber damit implizit zugleich gegen die Einbindung des Verständnisses von Eigenschaften Gottes in die Lehre vom trinitarischen Gott, der Liebe ist, eingewandt hat (vgl. Karl Barths Ringen mit Luther, in: Lutherstudien, Band III, Begriffsuntersuchungen – Textinterpretationen – Wirkungsgeschichtliches, Tübingen 1985,543-552).

         Die Basis, auf der es nach Ebeling alleine zu erfahrungsbezogener Artikulation von Eigenschaften Gottes zu kommen vermag, ist vielmehr die vom ihm sogenannte „Grundsituation“ von Menschen, die zugleich als „Sprachsituation“ verstanden werden muss (Dogmatik des christlichen Glaubens, Band 1, Tübingen 1979, 191). Die Sprache befähigt Menschen im Überschreiten alles Gegebenen und Vorhandenen, auszudrücken, dass ihre „Grundsituation“ in einem „letztinstanzlichen Angegangensein“ von einem „Geheimnis der Wirklichkeit“ besteht. Menschlich-sprachliches Leben wird in diesem Sinne als eine umfassende und vielfältige Sprachbewegung auf Gott zu verstanden, in der Menschen auf ein „Angegangensein“ vom Geheimnis der Wirklichkeit antworten. Die christliche Gottesrede partizipiert an dieser allgemein-menschlichen Sprachbewegung. Sie ist deshalb durch eine „Offenheit zum Religiösen insgesamt und zum Menschlichen überhaupt“ charakterisiert (a.a.O., 208). Sie konkretisiert dieses Sprachgeschehen jedoch so, dass Menschen dem in der Begegnung mit Jesus Christus erfahrenen Gott „Eigenschaften“ zusprechen. Die Sprachform, in der das geschieht, aber ist das Gebet. Es wird von Ebeling deshalb als „Schlüssel zur Gotteslehre“ verstanden (a.a.O., 193). Diesem Schlüssel gemäß wird die Gotteslehre – abgesehen von jenem Schlussschlenker hin zur Trinitätslehre – programmatisch als Lehre von Gott im Gebet zugesprochenen Eigenschaften entworfen.

         Das Vorbild für dieses Verfahren in der protestantischen Theologiegeschichte ist unverkennbar. Wir finden es in Friedrich Schleiermachers Glaubenslehre, in welcher die Gotteslehre ausschließlich als Lehre von den „Eigenschaften Gottes“ konzipiert ist, welche das christlich-fromme Selbstbewusstsein Gott zuspricht. Die Trinititätslehre hat Schleiermacherdagegen in Kürze an den Schluss seines opus magnum gestellt, weil sie keine „unmittelbare Aussage über christliches Selbstbewußtsein“ enthält (Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Zweite Auflage [1830/31], Teilband 2, hg. von Rolf Schäfer, Kritische Gesamtausgabe, Erste Abteilung, Band 13, 2, Berlin/New York 2013, 514).  Ich kann Schleiermachers Attributenlehre jetzt nicht im Einzelnen darstellen und diskutieren. Sie wird von Ebeling vor allem deshalb ausdrücklich gelobt, weil sie der christlichen Frömmigkeit zu „reichem sprachlichen Ausdruck“ verhilft und die „Erfahrung“ als „Ursprung der Sagbarkeit“ Gottes aufruft (vgl. Gerhard Ebeling, Schleiermachers Lehre von den göttlichen Eigenschaften, in: Wort und Glaube II. Beiträge zur Fundamentaltheologie und zur Lehre von Gott, Tübingen 1969, 317f.).

Den Grundsatz, nach dem Schleiermacher vom Bewusstsein der Sünde und der Erlösung sowie des darin schon immer vorausgesetzten Gottesbewusstseins her Gott Eigenschaften zugesprochen hat, teilt Ebeling allerdings nicht. Denn dieser Grundsatz lautet: „Alle Eigenschaften, welche wir Gott beilegen, sollen nicht etwas besonderes in Gott bezeichnen, sondern nur etwas besonderes in der Art, das schlechthinige Abhängigkeitsgefühl auf ihn zu beziehen“ (vgl. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Zweite Auflage [1830/31], Teilband 1, hg. von Rolf Schäfer, Kritische Gesamtausgabe, Erste Abteilung, Band 13, 1, Berlin/New York 2013, 300). Mit diesem Grundsatz wird die nominalistische Tradition, die zur Unsagbarkeit Gottes tendiert, auf die Spitze getrieben. Gott als transzendentaler Ermöglichungsgrund religiösen Selbstbewusstseins verträgt keine „Eigenschaften“. Besonderes, das wir Gott zusprechen, ist darum bei der Schleiermacher-Rezeption in Verdacht geraten, nur eine religiöse Bewusstseinsvariation zu sein.

         Ich will hier nicht der Frage nachgehen, ob Schleiermacher selbst seinen programmatischen Nominalismus in der Entfaltung seiner Eigenschaftslehre wirklich bestätigt. Darüber streiten sich die Experten. Ebeling jedenfalls ist ganz und gar nicht Meinung, dass Gott keine Eigenschaften vertrage. Denn die Anrufung Gottes mit besonderen Eigenschaften Gottes ist Menschen, die auf Grund der Begegnung mit Gott in Jesus Christus glauben, durch diese Begegnung ja allererst ermöglicht. Sie reagiert auf bestimmte Konkretionen, in denen Gott erfahren wurde (vgl. zum Folgenden: Gerhard Ebeling, Dogmatik 1, 241-244). In der Anrede spricht sie ihm Heiligkeit zu, weil seine Verborgenheit und Nähe erfahren wurden (wobei man freilich fragen muss, ob „Nähe“ und „Verborgenheit“ ernstlich als Attribute Gottes oder nicht vielmehr als Dimensionen menschlicher Gotteserfahrung verstanden werden müssen). Im Lob spricht sie ihm Doxa zu, weil seine Ewigkeit und Schöpfermacht untrennbar mit der biblischen Gotteserfahrung, die in Jesus Christus spezifisch verdichtet ist, verbunden sind. Im Vertrauen spricht sie ihm Liebe zu, die sich in Jesus Christus angesichts der Sünde als Gnade und Wahrheit konkretisiert. Anders als bei Schleiermacher werden diese drei Grundattribute aber nicht Element eines Strukturprinzips der Dogmatik, sondern finden im Rahmen der Christologie ihren verhältnismäßig relativen systematischen Ort. Die Menschwerdung Gottes erschließt seine Liebe, die Versöhnung durch den Tod Jesu Christi seine Heiligkeit und die Auferstehung Jesu Christi seine Doxa (vgl. Dogmatik des christlichen Glaubens, Band 2, Tübingen 1979, 98-119; 229-255).

         Die Offenheit für die religiöse Erfahrung und das allgemein Menschliche bei der Artikulation von Gottesattributen führt also bei Ebeling nicht dazu, durch Herumstochern in dieser Erfahrung und in Phänomen des Menschlichen eine Suche nach solchen Attributen zu veranstalten. Die Basis und der Rahmen der Artikulation von Gott zuzusprechenden Eigenschaften bleibt vielmehr die spezifisch christliche Gotteserfahrung. Ebeling nennt es „absurd“, wenn die christliche Theologie und erst recht die christliche Verkündigung so tun, als wüssten sie „davon noch nichts oder“ dürften „gar davon nichts wissen“ (Dogmatik, Band 1, 170). Deshalb unterscheidet sich sein Weg zur Artikulation von Eigenschaften Gottes nicht grundlegend von der offenbarungstheologischen Orientierung der neueren evangelischen Theologie, sofern sie sich der Aufgabe stellt, von Gott mit Eigenschaften als Konkretisierungen seines Wesens zu reden bzw. ihn in solche Konkretionen als Gott zu denken.

Und auch was Ebelings Abwehr eines monistischen, harmonistischen Gottesverständnisses der Liebe betrifft, so erweist sich diese Abwehr bei der Durchführung seiner eigenen Gotteslehre als so weitreichend nicht, wie es seine grundsätzlichen Äußerungen dazu erwarten lassen. Das macht sich schon darin bemerkbar, dass er seine Ankündigung mit der Heiligkeit Gottes die Attributenlehre zu eröffnen, nicht realisiert hat. Er setzt vielmehr mit der Liebe Gottes ein. Und von ihr sagt er: „Das Sein des lebendigen Gottes ist Liebe“ (Dogmatik II 111). Mehr noch: Die Liebe ist „Mitte und tragender Grund“ aller Eigenschaften Gottes (a.a.O., 110). Dementsprechend nennt er nicht nur die Gnade und die Wahrheit (a.a.O., 114 und 118), sondern auch die Heiligkeit und die ausstrahlende Doxa Gottes „Akte der Liebe“ (a.a.O., 239 und 349), in denen Gott auf das Zusammensein mit uns Menschen entgegen unserer Glaubens- und Lieblosigkeit zielt.

Dass Ebeling dabei in den Spuren Martin Luthers die Spannungen und Anfechtungen stark betont hat und ernst genommen wissen will, in denen gegensätzliche Erfahrungen Menschen die Begegnung mit Gott verbauen, ist angesichts der heute nicht nur in der Evangelischen Kirche anzutreffenden Tendenz, den Gott der Liebe in der Weise eines „Kuschelgottes“ zu verharmlosen, sicherlich zu unterstreichen. Die Eigenschaften Gottes, die Ebeling auf die genannten fundamentalen Eigenschaften konzentriert hat, ohne die Gott als Gott nicht geglaubt und erfahren werden kann, sind nicht nur Evangelium, sondern auch Gesetz. Sie können nicht ohne Kritik an der Lieblosigkeit, an der Lüge, am Machtmissbrauch, am Verfallen an die Endlichkeit und wie die vielen Gestalten der Sünde sich auch sonst zeigen, zu Sprache kommen. Sie müssen dennoch den größeren Horizont einer Einladung  zum Glauben haben, die von einem uns Menschen richtenden und noch dazu dunklen Gott schwerlich ausgeht. Nur den Gott mit Eigenschaften können wir unseren Gott nennen, verkündigen und anrufen.

 

4.     Schlussbemerkung: Zur Funktion der Lehre von Gottes Eigenschaften Gottes

Die Tradition der überlieferten Lehre von den Attributen Gottes zeichnet sich durch eine gewisse Uferlosigkeit aus. Das hängt in der altprotestantischen Theologie nicht nur mit dem Anschluss an die negative Theologie der Metaphysik zusammen. Es hat auch mit einer durch die Überzeugung von der Verbalinspiration beflügelten Schrifttreue zu tun, welche möglichst alle biblischen Aussagen von Gott, die als Gottesattribute verstanden können, erfassen wollte. In Johann Gerhards Loci Theologici von 1610ff. ufert die Lehre von den Attributen Gottes auf diese Weise z.B. so aus, dass nicht weniger als zehn Unterscheidungen aufgeboten werden, um zu einiger Übersichtlichkeit zu gelangen (Loci Theologici, Jena 1610ff., Kap. 1, I., 1, III/85). Demgegenüber zeichnen sich die neueren evangelischen systematisch-theologisch Konzepte einer Lehre von den Attributen Gottes zweifellos durch das Bemühen um Konzentration auf einige wesentliche, zur Artikulation der Göttlichkeit Gottes unerlässliche Attribute aus. Da und dort wird wie bei Barth, Pannenberg oder Härle und auch bei Ebeling zwar noch die alte Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Attributen Gottes in Anspruch genommen. Aber auch in diesem Falle wird der Kanon der Attribute Gottes doch auf wenige, grundlegend orientierende Attribute begrenzt.

         Ein klares, zusammen stimmendes Kriterium dieser Auswahl – von Karl Barth als Schöpfen aus einem „Ozean“ bezeichnet (KD II/1, 457) – ist dabei auch unter der Voraussetzung, dass Gottes Wesen als Liebe verstanden wird, nicht erkennbar. Wie wir gesehen haben, differiert die Zusammenstellung von Gottesattributen in den verschiedenen Konzeptionierungen der Eigenschaftslehre erheblich. Das könnte zu der Vermutung Anlass geben, dass hier doch wieder die alte Anschauung von der Uneigentlichkeit menschlicher Artikulationen des Wesens Gottes durchschlägt. Ein Aspekt dieser Anschauung ist angesichts des Spielraums, den es bei der Bevorzugung oder Vernachlässigung des einen oder des anderen Gottesattributs offensichtlich gibt, sicherlich mit ihm Spiele. Das ist die Relativität alles menschlichen Denkens und Artikulierens gegenüber dem Ereignis der Menschen immer ein Geheimnis bleibenden transzendenten Wirklichkeit Gottes selbst. Aber diese Relativität ist in der Begegnung mit dem in Christus offenbaren Gott kein Manko, sondern geradezu die Auszeichnung, die Menschen widerfährt. Sie dürfen und sollen in menschlicher Verantwortlichkeit und mit der Relativität sprachlicher Metaphorik dem Ausstrahlen der Doxa Gottes in die Menschenwelt dienen.

         Ich habe darum – nicht ohne Aufnahme und Kritik der wirkkräftigen Doxa-Kunde bei Pseudo-Dionysios-Areopagita – zu bedenken gegeben, ob man die Struktur und Dynamik von Johannes 1,14 nicht als Grundmodell der Formulierung von Eigenschaften Gottes verstehen kann. Gottes Doxa – im biblischen Sprachgebrauch: sein göttliches Wesen, dem auch die Metapher des „Lichtes“ zugeordnet werden kann – strahlt im Fleisch gewordenen Wort so aus, dass sie sich für uns als Gnade und Wahrheit präzisiert und wir ermächtigt werden, sie in solchen Präziserungen zu verkündigen. Von diesem Wort her und der Geschichte, die es in Jesus Christus, aber auch im Weltgeschehen macht, drängen sich aber eine ganze weitere Fülle von Präzisierungen der Doxa Gottes auf, durch welche die Christenheit zum Glauben an Gott einlädt. Die Formulierung von Attributen Gottes und die Erschließung ihrer theologischen Bedeutung werden so zu einer Funktion der Verkündigung bzw. alles Redens von Gott. Sie tendieren nicht ins Zeitlose, sondern sind darum bemüht, in den wechselnden Zeiten und Situationen, an den verschiedenen Orten und Gegenden das Reden der Christenheit von Gott so zu orientieren, dass es Menschen in ihrer Lebenswelt zu erreichen und der Nähe Gottes zu vergewissern vermag. Die Bevorzugung bestimmter Attribute Gottes in den hier dargestellten theologischen Konzeptionen ist ein Spiegel solcher geschichts- und zeitbezogenen Verantwortung des christlichen Redens von Gott. Er – dieser Spiegel – darf nicht in Zement gegossen werden. Was sich in ihm zeigt, muss – weil Gottes Doxa nicht aufhört, ihr Licht in unsere Welt zu senden – in immer neuer Klarheit artikuliert werden.


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