Vorträge
< Für Jürgen Henkys anlässlich seines 80. Geburtstages
28.02.2010 00:00 Alter: 14 yrs
Kategorie: Vorträge

Der Glaube an den einen Gott und die vielen Religionen

Sonntagsvorlesung in der Nordendgemeinde Berlin am 28.02.2010:


Der Zufall hat es gewollt, dass unsere Sonntagsvorlesung auf einen Sonntag fällt, den die Evangelische Kirche in Deutschland zum „Tag der verfolgten Christen“ in aller Welt erklärt hat. Es handelt sich dabei – von China und Nordkorea abgesehen – vor allem um von anderen Religionen oder Religionsangehörigen verfolgte Christen. Denn gedacht ist insbesondere an die Christenverfolgungen im Irak, in Nigeria und Malaysia und auch in Ägypten. Wir müssen auch sonst der Tatsache ins Auge sehen, dass es mit der Toleranz der Religionen untereinander nicht sonderlich gut bestellt ist. In Indien prallen der Hinduismus und der Islam aufeinander. Der islamistische Terrorismus löst Angst und Schrecken, ja Kriege aus. Die Schweiz verbietet Minarette. Lybiens Staatschef ruft den Heiligen Krieg gegen unser Nachbarland aus. Unser Thema „Der eine Gott und die vielen Religionen“ steht deshalb im Schatten der Problematik „Die Religionen und die Gewalt“. Was die christlichen Kirchen dazu beitragen können und müssen, den Frieden zwischen den Religionen und damit den Frieden auf unserer Erde wirksam zu befördern, ist deshalb meine leitende Frage. Ich behandele sie vier Hinsichten:

1. Die Religionen und die neue Religiosität
2. Wahrheit und Gewalt
3. Grundsätze des Verhältnisses des Christentums zu anderen Religionen
4. Die Berufung auf den Glauben Abrahams im Islam

 

1. Die Religionen und die neue Religiosität

Ich setze mit einem Hinweis ein, der in unserer vom Atheismus des größten Teils der Bevölkerung geprägten Weltecke leicht aus dem Blick verloren wird. Die Religionen der Welt haben für die Zukunft der globalisierten Welt eine gar nicht hoch genug einzuschätzende Bedeutung. Sie bestimmen das Lebensgefühl und das Wertbewusstsein der Völker und Nationen der Welt. Sie schließen Menschen zu Gemeinschaften mit gleichen Überzeugungen zusammen. Sie prägen die Menschenbilder und die Kulturen. Ohne die Religionen werden die Konflikte und Herausforderungen nicht zu lösen sein, vor welchen die zusammen gerückte Weltgesellschaft heute steht. Der Anteil der Menschen an der Weltbevölkerung, die sich dagegen als nicht-religiös verstehen, betrug – wenn man den auf Umfragen beruhenden Zahlen trauen darf – im Jahre 2000 12 % (mit abnehmender Tendenz). Da es sich bei den Nicht-Religiösen im Regelfall nicht um organisierte Gemeinschaften handelt, ist ihr Beitrag zum Selbstverständnis der Erdbevölkerung diffus und zersplittert.

Schon dieser kurze Blick auf die Weltkarte der Religionen zeigt, dass eine Grundbehauptung der europäischen Religionskritik, die sich auch der Marxismus zu eigen gemacht hatte, nicht zutrifft. Diese Behauptung besagt, dass mit dem Fortschreiten der wissenschaftlichen Erkenntnis, der technischen und wirtschaftlichen Gestaltung der Welt der religiöse Glaube seine lebenstragende Funktion für die Menschen verliert und „abstirbt“. „Das ist manifest falsch“, wird heute von den Religionswissenschaften und den Kulturwissenschaftengesagt. Überall auf der Welt blühen die Religionen auf und wachsen zahlenmäßig, gerade auch in hoch technisierten Gesellschaften wie etwa in Süd-Korea, um von den USA zu schweigen. In Europa und weltweit aber sei das Aufleben einer „neuen Religiosität“ zu beobachten. Denn die Verunsicherungen, welche die Modernisierungsprozesse in der Gesellschaft auslösen, würden den Grund für eines neues Aufleben von Spiritualität legen, sagt zum Beispiel der Münchener Soziologe Ulrich Beck. Den Menschen reicht es nicht, ihr Leben nur mit Konsum und den hohlen Vergnügungen der „Spaßgesellschaft“ zu verbringen. Wissenschaft, Technik und Alltagsbetrieb können das Streben von Menschen nach Ganzheitlichkeit, nach Sinn, nach Erfahrung des Heilsseins, nach Vertiefung des Lebens nicht stillen. Darum suchen die Menschen nach Erfahrungen, die über das Diesseits hinaus gehen

Neu an diesem Suchen ist jedoch, dass es sich an keine vorgegebenen religiösen Muster und Dogmen der existierenden Religionen und so auch der Kirchen gebunden weiß. Das gilt auch für die charismatisch-enthusiastischen Gruppierungen, die heute etwa in Lateinamerika und Afrika an den Rändern der großen Kirchen entstehen. Aber dort spielt das religiöse Gemeinschaftserlebnis eine große Rolle. Die „neue Religiosität“ ist jedoch durch und durch individualistisch, ja privat. Die Menschen basteln sich für ihr religiöses Leben Versatzstücke aus den Weltreligionen zusammen, die ihnen zur Lebensvertiefung nützlich erscheinen: Ein bisschen Buddhismus, ein bisschen Mystik, etwas Esoterik, stressmindernde Meditationsrituale usw. wandern auch in unsere Kirchengemeinden ein.

Beck lobt diese neue Religiosität ausdrücklich. Denn sie hat gegenüber den existierenden Religionen einen großen Vorzug. Sie ist gegenüber anderen religiösen Glaubensformen tolerant. Der „Bastelreligiosität“ ist es egal, was andere Menschen glauben. Sie hat kein Interesse daran, andere Menschen zu missionieren. Sie ist sich selbst genug und darum friedlich. Den organisierten Religionen aber wird vorgehalten, dass sie zu Intoleranz und Gewalt gegenüber anders Glaubenden tendieren und darum die große Verantwortung, die sie für die Zukunft der Welt haben, zu verspielen drohen. Und damit wären wir bei dem Thema des Verhältnisses der Religionen zueinander.

 

2. Wahrheit und Gewalt

Das Thema „Religion und Gewalt“ zieht spätestens seit dem islamistischen Anschlag auf das World-Trade-Center in New York große Aufmerksamkeit auf sich. Die Religionen der Welt werden angesichts einer Geschichte von gegenseitiger Bekämpfung und Gewalt, die bis heute andauert, nach ihrer Friedensfähigkeit gefragt. Ulrich Beck hat auch gleich eine Antwort darauf, wie sie diese Friedensfähigkeit erlangen können. Diese Antwort lautet: Die Religionen müssen auf ihren Anspruch, die Wahrheit zu besitzen, verzichten. Sie müssen aufhören, anderen Menschen ihren Glauben an Gott oder das Göttliche aufdrängen zu wollen. Es gibt auch schon Stimmen in der christlichen Theologie, die sich diese Forderung zu eigen machen. Auch der christliche Glaube, fordern sie, darf sich nicht als allein wahrer Glaube aufführen. Das Argument dafür ist: Gott ist eine für alle Menschen unendlich entzogene, gänzlich unzugängliche Wirklichkeit. Menschen können allenfalls Aspekte von ihm erfassen. Alle Religionen sind demnach nur verschiedene, menschliche „Wahrnehmungsgestalten“ Gottes, die prinzipiell alle gleich berechtigt sind. Keine darf der anderen absprechen, in ihrer relativen Weise auch wahr zu sein.

Mein ehemaliger Berliner Kollege in der Praktischen Theologie, Klaus-Peter Jörns, hat in seinem Buche „Notwendige Abschiede“ daraus z.B. die Konsequenz gezogen, dass die Bibel nicht mehr als Kanon, als Maßstab des Gottesglaubens, beansprucht werden kann. Auch die anderen Schriften und Zeugnisse der Religionen seien in ihrer Weise anzuerkennende Wahrnehmungen Gottes. Grundlage der zukünftigen Verkündigung der Kirche soll darum eine Sammlung von Texten aus den verschiedenen Religionen werden. Auch die Anliegen der Naturreligionen sollen wieder in die Kirche einwandern.

Die Problematik dieses Vorschlages ist mit Händen zu greifen. Würde sich die Kirche darauf einlassen, dann würde sie aufhören, christliche Kirche zu sein. Die „Abschiede“, die Jörns fordert, wie z.B. den Abschied vom Verständnis Gottes als Person, den Abschied vom Verständnis des Menschen als Gottes Ebenbild oder den Abschied vom Glauben an den uns mit Gott versöhnenden Tod Jesu Christi weisen denn auch deutlich in diese Richtung. Doch unsere Kirche kann Menschen nicht einladen, „im Leben und Sterben“ auf Jesus Christus zu vertrauen (wie wir uns das in der Sonntagsvorlesung des vorigen Jahres über die Barmer Theologische Erklärung verdeutlicht haben) und zugleich erklären, dieses Vertrauen könnte auch unwahr oder falsch sein. Ebenso würde es dem muslimischen Glauben widersprechen, wenn ein Immam verkündete, der Koran sei möglicherweise eine falsche oder auch nur unzureichende Orientierung der Gotteshingabe der Muslime. Ähnliches gilt für andere Religionen. Kein Mensch würde sich auf den achtfachen Pfad der Erlösung vom Leiden im Buddhismus begeben, wenn zugleich gelten würde, er führe möglicherweise gar nicht zu dieser Erlösung.

Es liegt deshalb im Wesen allen religiösen Glaubens, dass er Menschen mit Wahrheitsgewissheit erfüllt. Wahrheit verstehe ich dabei nicht als irgendeine Richtigkeit. Wahrheit wird im biblischen Sinne vielmehr als ein Offenbarwerden Gottes in einer bestimmten geschichtlichen Situation verstanden, welches Menschen die Gewissheit vermittelt, dass sie sich auf diesen Gott unbedingt verlassen können. In Israel war das die Erfahrung des Auszugs aus Ägypten, im Christentum ist es die Erfahrung Jesu Christi, die solche Gewissheit auslöst. „Deine Wahrheit ist Schirm und Schild“, haben wir in diesem Sinne am vorigen Sonntag mit dem 91. Psalm gebetet und Gott als „meine Zuversicht und meine Burg“ angerufen.

Für andere Religionen sind es zweifellos andere geschichtliche Erschließungssituationen, in denen sich ihnen Gott oder die Götter oder das Göttliche als Wahrheit aufdrängt. Für die Muslime ist es der Muhammed offenbarte Koran. Für die großen asiatischen Religionen sind es Erfahrungen, die eine günstige Wiedergeburt oder die Erlösung aus dem qualvollen Kreislauf der Wiedergeburten versprechen. Für die Naturreligionen sind es Erfahrungen mit den Kräften der Natur, die sie mit religiösen Praktiken und Riten zu beeinflussen trachten. In allen Religionen geht es darum, dass sie Menschen Gewissheiten verleihen, die für sie „Schirm und Schild“ in den Gefahren und Herausforderungen des Lebens sind. Deshalb haben alle Religionen eine Tendenz, sich von anderen Religionen abzugrenzen, die ihnen diese Gewissheiten nehmen wollen. Ich halte darum nicht viel von den Theorien des Heidelberger Religionshistorikers und Ägyptologen Jan Assmann, die in den Diskussionen der letzten Jahre um das Thema „Religion und Gewalt“ für Furore gesorgt haben.

Assmann hatte nämlich behauptet: Nur der Monotheismus, der Ein-Gott-Glauben, der in Israel begründet wurde und im Christentum sowie im Islam weiter lebt, sei in seinem Wesen intolerant und gewaltbereit gegenüber anderen Religionen. Denn er muss im Glauben an den einen außerweltlichen Gott notwendig bestreiten, dass die vielen Götter, die im Polytheismus verehrt werden, überhaupt Götter seien. Sie sind „Nichtse“, sagt die Bibel (1. Kor 8,4). Der Polytheismus erscheint demgegenüber als die friedlichere Religion. In ihm können die Gläubigen an viele Götter friedlich nebeneinander existieren. Wer in Griechenland einmal eine Tempelanlage besucht hat, bekommt das ja auch eindrücklich vor Augen geführt. Die fremden Besucher brachten Weihegaben für die Götter Griechenlands von ihren heimischen Göttern mit.

Ulrich Beck hat die These Jan Assmanns vom friedlichen Polytheismus so beeindruckt, dass er sie auf die sog. „Wiederkehr der Religion“ heute projiziert hat. Die „Bastelreligiosität“ sei eigentlich als „Wiederkehr der Götter“ zu verstehen, sofern hier jeder zu dem Gott beten könne, der ihm genehm sei. Wenn jemand einen anderen Gott wähle, sei das auch in Ordnung. Doch historisch gesehen ist die Gegenüberstellung eines aggressiven Monotheismus und eines friedlichen Polytheismus schlicht falsch. Die polytheistischen Religionen, die im Ganzen auch ein Wahrheitssystem darstellen, haben – unsere eigenen Vorfahren, die Germanen, sind des Zeuge – das Aufkommen des Monotheismus ebenso gewaltsam bekämpft wie das leider umgekehrt von den monotheistischen Religionen zu sagen ist.. Der sog. „Wiederkehr der Götter“ aber fehlt das Entscheidende jeder polytheistischen Religion, nämlich der Glaube an das unabwendbare Geschick, das die Menschen von den Göttern bereitet wird. Im historischen und gegenwärtigen wirklichen Polytheismus wird nicht „gebastelt“. Da stehen die Menschen im Banne ihres Götterglaubens.

Im Verhältnis aller Religionen zueinander bleibt es deshalb dabei, dass hier verschiedene Wahrheitserfahrungen Gottes oder der Götter aufeinander treffen, die im Grundsätzlichen nicht miteinander zu reimen und auszugleichen sind. Alle Versuche, diesem Dilemma zu durch die Schreibtisch-Konstruktion einer Einheitsreligion zu entkommen, scheitern daran, dass in solchem Konstrukt niemand auf der Welt lebt. Wir haben im Verhältnis der Religionen zueinander vielmehr davon auszugehen, dass sie gemeinsam ein Problem haben, welches sie nicht lösen können, ohne sich selbst aufzugeben. Ist mit dieser realistischen und nüchternen Feststellung besiegelt, dass sie einander bekämpfen müssen? Meine Antwort lautet: Nein, das ist nicht der Fall. Denn unter der Schwelle eines nicht lösbaren Problems finden sich in jeder Religion eine Fülle von Möglichkeiten, der anderen Religion im Zeichen der Verständigung über Gemeinsamkeiten, in denen Friedenspotenziale schlummern, zu begegnen. Ich erläutere das in Kürze an unserer eigenen Religion, dem Christentum.

 

3. Grundsätze des Verhältnisses des Christentums zu anderen Religionen

Wir wissen nicht, warum es Gott gefallen hat, sich in Jesus Christus so zu offenbaren, dass ein großer Teil der Menschheit davon unberührt geblieben ist. Auf dem Hintergrund des Alten Testaments hat sich das die junge Christenheit mit dem Gedanken der Erwählung erklärt. Um Menschen nicht mit göttlicher Übermacht zu überfallen und sie zum Glauben zu zwingen, erwählt Gott Menschen als seine Partnerinnen und Partner, die er beauftragt, die ganze Welt mit seiner Menschenfreundlichkeit vertraut zu machen. Der christliche Glaube ist darum in seinem Wesen missionarisch. Er drängt auf die Mitteilung seiner Gotteserfahrung, so wie es der Missionsbefehl Jesu Christi denn auch ausdrückt.

Bei dem Wort „Mission“ wird jedoch heute vielen Menschen unwohl. Sie denken dabei an erster Stelle an die gewaltsamen Missionierungen, die sich unsere Kirche im Laufe ihrer Geschichte hat zuschulden kommen lassen. „Schmerzpunkt Mission“ – unter diesem Titel kündigt die Ev. Akademie gerade eine Tagung an. Zu diesem „Schmerzpunkt“ ist zu sagen: Die Verbindung der christlichen Mission mit militärischer Gewalt und staatlichen Zwangsmaßnahmen war eine schwere Sünde gegen den Geist und den Sinn des christlichen Missionsauftrages und sollte für immer der Vergangenheit angehören. Mission im Namen Jesu Christi, des Repräsentanten der Liebe Gottes in der Welt, der lieber leidet, als zum Schwert zu greifen, ist nur ohne Anwendung von Gewalt rechte Mission. Sie kann, wie der Apostel Paulus in 2. Kor. 5 sagt, nur die Gestalt der Bitte, der freundlichen Einladung, haben. So begegnet unsere Kirche in unserem Umfeld den Menschen, die sich als Atheisten verstehen. So begegnet sie auch den Religionen und den Menschen, die ihnen anhängen. Sie kann, wie das Augsburgische Bekenntnis sagt, nur sine vi, sed verbo, ohne Gewalt, sondern mit dem Wort, eine echte Begegnung sein.

Solche echte Begegnung ist von drei Voraussetzungen geprägt. Die erste besteht darin, dass Gott im christlichen Verständnis der Schöpfer aller Menschen ist. Jedem Menschen kommt von seiner Bejahung durch den Schöpfer her darum die Würde eines göttlich geehrten und geachteten Menschen zu. In dieser Achtung und im Eintreten für diese Achtung begegnet das Christentum darum Menschen mit einer anderen Religion. Es ist ein konsequenter Anwalt ihrer Menschenwürde.

Die zweite Voraussetzung dieser Begegnung ist, dass Gott nach christlicher Überzeugung in seiner unsichtbaren Geisteskraft allen Menschen gegenwärtig ist. In der Art und Weise, wie Menschen einer anderen Religion diese Gegenwart wahrnehmen, spiegelt sich darum in verschiedenen Graden und in unterschiedlichen Ausprägungen etwas von dem Gott, der im Christentum erfahren wird. Das ist der Grund dafür, warum es in allen Religionen Spuren und Zeichen gibt, die mit dem christlichen Glauben und Leben zusammen stimmen. In allen Religionen können wir z.B. Phänomene echter Hingabe an Gott oder Göttliches, von der Bestimmung von uns Menschen zur Liebe oder von menschlicher Weisheit in der Erfahrung der Geheimnisse unseres menschlichen Daseins wahrnehmen. Bei der Begegnung mit anderen Religionen wird die christliche Kirche deshalb Wert darauf legen, diese Spuren und Zeichen der Gemeinsamkeit ans Licht zu heben. Sie wird den anderen Religionen zu verstehen geben, was Christenmenschen an ihrer Religion erfreut. Sie wird fragen, ob diese Gemeinsamkeiten nicht tragfähig für ein gemeinsames Eintreten in Hinblick auf ein friedliches Zusammenleben der Menschen auf unserer Erde sein können.

Die dritte Voraussetzung der Begegnung der christlichen Kirche mit anderen Religionen bremst jedoch die Erwartung, es könne einen glatten Weg zum Einverständnis der Religionen miteinander geben. Denn der christliche Glaube ist – darin zusammenstimmend mit dem Glauben Israels – von Hause aus eine religionskritische Religion. Das hat in der Tat etwas mit der Wendung dieses Glaubens gegen den Polytheismus und damit auch gegen die Naturreligionen zu tun. Die vielen Götter oder göttlichen Mächte sind mystifizierte Repräsentanten und Ausdruck von Kräften und Vorgängen in der Natur und auch in der Geschichte. Der Glaube Israels an einen außerweltlichen Gott aber hat – so sagt man – die Welt „entgöttert“. Die Welt, welche Gott geschaffen hat, ist nichts als Welt. Die darf ein echtes Gegenüber zu Gott sein. Sie ist kein Ausfluss und Anhang des Göttlichen. Sie ist nicht durchwaltet von Dämonen und Geistern.

Die weltgeschichtliche Bedeutung des Entstehens des Glaubens an den einen, außerweltlichen Gott kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Dieser Glaube hat dazu geführt, dass die Erde und das Leben der „ersten Freigelassenen der Schöpfung“ auf ihr (J.G.Herder) als Ort eigener, freier menschlicher Verantwortlichkeit begriffen werden konnte. Sie ermöglichte ein echtes Verständnis von menschlicher Geschichte mit einem offenen Zukunftshorizont. Sie begünstigte die Entstehung der Wissenschaft. Es ist kein Zufall, dass die neuzeitliche Naturwissenschaft – bei allen Irritationen im Einzelnen – auf dem Boden des monotheistischen Christentums entstanden ist.

Für den biblischen Glauben aber bedeutete die strenge Unterscheidung von Gott und Welt, dass er ein scharfes Gespür dafür entwickelt hat, wenn Menschen mit ihrer Religion beginnen, Gott zu verweltlichen und ihn in Regie zu nehmen wie einen Weltfaktor. Das ist der Grund, warum im Christentum eine kritische Theologie entstanden ist. Sie überprüft alle religiöse Praxis in der Kirche daraufhin, ob sie ihrem Ursprung in Gott treu ist oder Gottes Wirklichkeit mit allzu Menschlichem vermischt. Die Reformation des 16. Jahrhunderts, aber auch das Barmer Bekenntnis von 1934 waren z.B. in ihrem Kern solche religionskritisch-theologischen Vorgänge, welche eine welthörig gewordene Kirche wieder zu ihrer eigentlichen Quelle zurück gerufen haben.

Diese religionskritische Tendenz des christlichen Glaubens hat nun aber auch Auswirkungen auf die Begegnungen des Christentums mit den Religionen. Die christlichen Kirchen können hier nicht bejahen oder gar loben, was sie bei sich selbst kritisieren müssen. Wenn sie auf Religionen treffen, in denen Menschen zu Gegenständen religiöser Verehrung werden (wie die Boddhisatvas im großen Fahrzeug des Buddhismus) oder wo die Götter selbst dem Kreislauf der Wiedergeburten unterliegen (wie im Hinduismus) oder ein Geister- und Dämonenglaube die Menschen in Atem hält (wie im Schamanismus) oder eine bestimmte Nation sich göttliche Würde aneignet (wie im Shintoismus), dann trifft die christliche, an erster Stelle selbstkritische Religionskritik auch diese Religionen mit.

Angesichts der bunten Vielfalt, in der sich die Religionen der Welt heute darstellen, verbietet sich jedoch jedes kritische Pauschalurteil über sie. In den verschiedenen Erdteilen wird sich das Christentum nur mit ganz verschiedenen Schwerpunkten auf die religiösen Orientierungen der Menschen einlassen können. Die Aufgaben, die sich hier weltweit stellen, durchzugehen, überfordert die Möglichkeiten dieser kurzen Sonntagsvorlesung. Aber ein Problem, das in unserer deutschen Gesellschaft die Öffentlichkeit und die Kirchen intensiv beschäftigt, können wir, wenn von Religionen die Rede ist, sicherlich nicht liegen lassen. Das ist das Verhältnis der Kirchen zum Islam, der mit 3,5 Millionen Muslimen in Deutschland die stärkste religiöse Kraft nach den Kirchen ist.

 

4. Die Berufung auf den Glauben Abrahams im Islam

Ich lasse wegen der Kürze der Zeit jetzt alle Probleme der gesellschaftlichen Integration, der kulturellen und ethischen Besonderheiten des Lebens der Muslime unberücksichtigt. Sie werden in der EKD-Handreichung von 2006 „Klarheit und gute Nachbarschaft“, an der ich mitgearbeitet habe, ausführlich erörtert. Uns geht es hier um eine allerdings auch sehr grobmaschige theologische Einschätzung des Islam.

Der Islam gehört mit dem Judentum und dem Christentum zusammen, sofern er eine monotheistische Religion vom gleichen Typos ist. Mehr noch: Er ist eine mit dem Judentum und dem Christentum verwandte Religion. Denn als er ca 700 Jahre nach dem Auftreten Jesu Christi aufgrund der Offenbarungserfahrungen Muhammeds entstand, hat er sowohl von Traditionen der hebräischen Bibel wie des Neuen Testaments (freilich nur vom Hören-Sagen) Gebrauch gemacht. Im Koran – dem Buch der letztgültigen Offenbarungen Gottes an Muhammed – wird Abraham(!), allerdings in anderer Weise als im Judentum und im Christentum, als Stammvater der monotheistischen Gottesverehrung in Anspruch genommen. Die Kaaba in Mekka bringt das bis heute sinnenfällig zum Ausdruck. Sie wird als Ort der ursprünglichen Gottesverehrung Abrahams verstanden. Das Opferfest am Ende der Wallfahrt nach Mekka gilt darüber hinaus dem Gedenken an Abrahams Bereitschaft, seinen Sohn zu opfern. Dieser Sohn wird freilich mit Ismael und nicht wie in der Bibel mit Isaak identifiziert. Denn Muhammed führte die Abstammung der Araber auf Ismael zurück, den Abraham nach biblischer Überlieferung mit seiner Magd Hagar gezeugt hatte.

Es gibt heute nicht unwesentliche Strömungen in der evangelischen und in der römisch-katholischen Theologie, welche die Berufung der Muslime auf die Gestalt Abrahams theologisch sehr hoch anbinden. Es sei derselbe Gott, der unter Berufung auf Abraham im Judentum, im Christentum und im Islam Verehrung findet, wird dabei geltend gemacht. Es sei zu würdigen, dass die Muslime einige alttestamentliche Propheten und auch Jesus als Künder des wahren monotheistischen Gottesglaubens anerkennen. Sie teilen darüber hinaus mit dem Judentum und dem Christentum wesentliche Konkretionen des Glaubens an den einen Gott. Er wird als Schöpfer der Welt und als Weltenrichter am Ende der Zeiten verstanden.

Das Alles berechtigt nach der Überzeugung z.B. von meinem katholischen Kollegen Hans Küng in Tübingen oder von meinem evangelischen Kollegen Berthold Klappert in Wuppertal nicht nur, von den drei monotheistischen Religionen als von „abrahamitischen Religionen“ zu reden. Es fordert nach ihrer Meinung unsere Kirchen dazu heraus, regelrecht eine „abrahamitische Ökumene“ anzustreben, die sich im Bekenntnis zum Gott Abrahams, Isaaks und Ismaels zusammen findet. Die rheinische Landeskirche hat sich unter der Federführung unseres jetzigen Bischofs Markus Dröge im vorigen Jahre auf den Weg gemacht, in einer freilich etwas verschwommenen „Arbeitshilfe“, der man das nicht ganz gute theologische Gewissen anmerkt, dergleichen Ökumene in unserer Evangelischen Kirche heimisch werden zu lassen.

Doch zunächst einmal ist der Begriff „Ökumene“ ungeeignet, das Verhältnis der drei monotheistischen Religionen auf einen Nenner zu bringen. „Ökumene“ ist ein christlicher Begriff und meint einen Verständigungsprozess zwischen den christlichen Konfessionen, der zur Einheit Bekennens an Gott in Jesus Christus und zu gemeinsamer kirchlicher Praxis führt. Von solcher Einheit des Bekennens kann in Bezug auf den Islam nicht die Rede sein. Im Koran wird das christliche, trinitarische Gottesbekenntnis ebenso ausdrücklich bestritten wie die Gottessohnschaft Jesu Christi und sein Tod am Kreuz. Sowohl das Judentum wie das Christentum unterliegen trotz der Anerkennung einiger alttestamentlichen Propheten und Jesu als Vorläufer des Propheten Muhammed dem definitiven Urteil, Verfälschungen des wahren Ein-Gott-Glaubens Abrahams zu sein. Die Dialoge mit Vertretern des Islam und auch die jüdisch-christlich-muslimischen „Trialoge“ haben nicht erkennen lassen, dass sich an diesem Urteil etwas ändern wird. Das Herzstück des christlichen Glaubens ist von muslimischer Seite nicht mit dem Glauben Abrahams zu reimen. Auf der anderen Seite sind die Hinzufügungen zum biblischen Zeugnis und seine eigenartigen Umdeutungen, die sich im Koran finden, so gravierend, dass sie schwerlich mit der Grundlage des christlichen Glaubens, der Bibel, zusammen stimmen.

Das Verhältnis der christlichen Kirche zum Islam ist darum noch einmal ein anderes als das Verhältnis zum Judentum. Das Judentum repräsentiert – wenn auch im Modus der Ablehnung Jesu Christi – die bleibende Herkunft der Kirche aus Israel und die unwiderrufene Verheißung Gottes für dieses Volk. Seine Texte sind im Unterschied zum Koran auch die Texte der christlichen Verkündigung. Das Judentum ist darum im christlichen Verständnis streng genommen keine andere Religion, sondern gehört unlöslich mit der Geschichte des Christentums zusammen, wie schon Paulus in Römer 9-11 klar gemacht hat. Wir können diese wichtige Einsicht ja vielleicht einmal in einer eigenen Sonntagsvorlesung zum Thema machen.

Was aber das Verhältnis der Christenheit zum Glauben der Muslime betrifft, so ist es zwar richtig zu sagen, dass beide – vermittelt durch die Abraham-Tradition – denselben Gott meinen. Sie sind sich beide zusammen darum näher als anderen Religionen. Von einem gemeinsamen Glauben im eigentlichen Sinne des Begriffs kann aber schwerlich die Rede sein. So wie im Christentum an Gott geglaubt wird, können die Muslime eben nicht auf Gott vertrauen, ihr Herz an ihn hängen und Zuflucht zu ihm haben in allen Nöten. Angemessen ist es vielmehr zu sagen: Es gibt Berührungspunkte und strukturelle Ähnlichkeiten zwischen beiden Glaubensformen, wie den Glauben an den einen welttranszendenten Gott, den Schöpfer und Richter. Diese Berührungspunkte und Ähnlichkeiten können es muslimischen Gemeinschaften und den Kirchen ermöglichen, gemeinsame Ziele verfolgen. Ich denke da z.B. an die Verantwortung für Gottes Schöpfung. Denn im muslimisch und im christlich geprägten Glauben Abrahams ist das Anliegen verankert, diese Welt vor aller Vergötzung von Irdischem zu beschützen und sie als Schöpfung Gottes so zu bebauen und bewahren, dass menschliches Leben in Dankbarkeit gegen den Geber des Lebens aufblühen kann, wie in den maurischen Gärten.

Vor allem aber ist es meine Hoffnung, dass die Rückbesinnung auf den Glauben Abrahams ein Anstoß werden möge, mit denen Traditionen der Gewalt und der Intoleranz zwischen beiden Religionen überzeugend zu brechen. Abraham, den der Jakobusbrief mit einem Jesajazitat wegen seiner Werke der Liebe einen „Freund Gottes“ nennt (Jakobus 2, 23), sollte auch die Muslime ermutigen, die Texte, die im Koran zur Bekämpfung der Ungläubigen aufrufen, gegenüber denen hintanzustellen, die zum friedlichen Zusammenleben mit Juden und Christen aufrufen. Den Glauben an Gott kann man auch nach der Überzeugung des Koran niemals erzwingen. Der Anspruch auf Wahrheit kann in jeder Religion überhaupt nur in der Kraft eines menschenfreundlichen Geistes unter Beweis gestellt werden, der Gottes Geschöpfen kein Leid antut.

Wir müssen zum Schluss kommen. Die Religionen boomen in alter und neuer Gestalt, haben wir zu Beginn gesagt. Sie tragen der Wahrheit Rechung, dass wir Menschen Wesen der Transzendenz sind und nicht allein im Irdischen die Erfüllung unseres Daseins finden. Die Religionen schleppen jedoch ein Problem mit sich herum, das sie nicht lösen können. Sie treffen mit konkret unterschiedlichen Wahrheitsgewissheiten aufeinander, die sich letztlich nicht miteinander vermitteln lassen und die auch nicht mit einem religiös lebensfremden Wahrheitsrelativismus aus der Welt geschafft werden können. Aber sie haben als wesentliche Lebensäußerung der Geschöpfe Gottes Berührungspunkte, die stark genug, um die Religionen Kräfte eindeutiger Friedensliebe auf unser werden zu lassen. Sind sie das, dann kann der Streit um die Wahrheit zwischen den Religionen ein edler Streit in einem Dialog werden, der von Respekt und Achtung vor den Menschen einer anderen Religion getragen ist.


Nach oben