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31.10.2012 00:00 Alter: 11 yrs
Kategorie: Vorträge

Frieden in einer friedlosen Welt. Ein Gespräch mit Martin Luther über Krieg und Frieden

Vortrag zum Reformationstag am 31.10.2012


I. Reformation im Schatten von Kriegsgefahr

Es ist heute nicht ganz einfach, in das Gespräch mit Luther über Krieg und Frieden an der richtigen Stelle hinein zu kommen. Denn es gibt dazu eine Fülle von Stellungnahmen Luthers die in unterschiedliche Richtungen weisen. Das hat ihm schon bei seinen Zeitgenossen den Namen „Martinus Luther Siebenkopff“ eingetragen und auch später dazu geführt, das sich sowohl Militaristen wie Pazifisten auf ihn berufen  haben. Es gibt bei ihm keine sich durchhaltende Lehre darüber, wie Frieden in dieser Welt zu schaffen ist. Vielmehr treffen wir bei ihm auf immer wieder andere Reaktionen auf die Kriegsgefahren und Kriege seiner Zeit. Das gilt in erster Linie in Hinblick auf die Bedrohung Europas Nr. 1. Das war der Vormarsch  der Türken und damit die Gefahr der gewaltsamen Ausbreitung des Islam  im christlichen Europa.

Die große Bedeutung, die das damals für das Klima der Zeit hatte, wird sehr oft unterschätzt. Als Luther seine Ablassthesen veröffentlichte, war Europa regelrecht von einer panischen Türkenangst erfüllt. An Aufrufen zum Kriege gegen die Türken im Namen Jesu Christi hat es darum nicht gefehlt. Darauf nimmt Luther schon zur Verteidigung der 5. seiner Ablassthesen im Jahre 1518 Bezug. Er deutet hier das Vordringen  der Türken als eine Zuchtrute, mit der Gott den Abfall der Kirche von Christus straft. Er spricht sich darum gegen einen Kreuzzug gegen die Türken im Namen Jesu Christi aus. Seine Position lautet vielmehr:  „Gegen die Türken kämpfen, heißt gegen Gott kämpfen, der damit unsere Sünden bestraft“ (WA 30/2, 93.). Das Los der Christenheit soll es sein, diese Zuchtrute zu ertragen  und Buße zu tun.

Lange Zeit galt das geradezu als ein „Dogma Luthers“. Die römische Bannandrohungsbulle hat es ausdrücklich verdammt. Doch bei diesem „Dogma“ ist es nicht geblieben. Die Siege Suleimans II. haben dafür gesorgt, dass Luther seine Haltung immer wieder korrigiert hat. Dabei hat er zunächst an der Ansicht festgehalten, dass die Kirche keine militärische Gewalt in Anspruch zu nehmen darf, um den Glauben gegen das Andringen der Militärmacht einer anderen Religion zu verteidigen. Das Modell, in dem er jetzt denkt, ist das von den zwei „Regimenten“, die Gott in der Welt errichtet hat, um seine Gerechtigkeit zu verwirklichen.

Die Schrift „Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“ von 1525 beschreibt diese Regimente so: Das geistliche Regiment sorgt durch die Predigt dafür, dass sündige Menschen vor Gott gerecht werden. Das weltliche Regiment aber handhabt die Gerechtigkeit Gottes durch das Schwert, indem es die, die in der Welt nicht fromm und gerecht leben, im Zaum hält. Es sorgt also auf äußerliche Weise für Frieden, indem es, wie es drastisch heißt, der „blutigen Bestie“ „die Kette an den Hals“ legt. Worauf es Luther vor allem ankam, war demnach die klare Unterscheidung beider Regimente. Die Kirche richtet das Evangelium zu Grunde, wenn sie es mit Gewalt durchsetzen will. Die Obrigkeit missbraucht die Schwertgewalt, wenn sie dadurch Menschen zum Glauben zwingen will. Begrenzt auf die Aufgabe, die Übeltäter im Zaum zu halten, ist die Obrigkeit aber eine gute Ordnung Gottes. Sie schützt die Schwachen vor Untaten. Sie dient also letztlich dem Liebesgebot Jesu Christi.

Dieser Aufgabe der Obrigkeit hat Luther auch das sog. „rechte Kriegen“ zugeordnet. Es ist dann geboten, wenn ein Land mit der Absicht auf Beute und Landgewinn überfallen wird. Dann ist die Obrigkeit verpflichtet, ihre Untertanen zu schützen. Das gilt auch vom Krieg gegen die Türken, die eindeutig einen Angriffskrieg führten. In der Schrift von 1526 „Ob Kriegsleute auch im seligen Stande sein können“, reagiert Luther darum auf die Verunsicherung, die bei den Militärs der protestantischen Länder angesichts seines Votums gegen den Türkenkrieg um sich gegriffen hatte. Sie antwortet auf eine Anfrage des kursächsischen Feldobersten Assa von Cramm und versichert ihn dessen, dass die Abwehr der Türkengefahr ein gutes Werk der Obrigkeit sei, an dem sich auch ein Christ beteiligen könne.

In seiner Schrift von 1529 „Vom Kriege wider die Türken“ unterscheidet Luther jedoch dieses gute Werk scharf vom Kreuzzugsgedanken. „Wenn ich ein Kriegsmann wäre“, sagt er da, „und sehe zu Felde ein Pfaffen oder Kreuzpanier, wenn’s gleich ein Kruzifix selbst wäre, so wollt ich davon laufen als jagt mich der Teufel. [...] Wenn (aber) Kaiser Karolus Panier oder eines Fürsten zu Felde ist, da laufe ein jeglicher frisch und fröhlich unter sein Panier“ (WA 30/2, 112). Der Übergriff in das geistliche Regiment darf also der Türkenkrieg nicht sein, kein heiliger Krieg also, sondern das rechtschaffene Werk der Obrigkeit.

Das wird jedoch in der „Heerpredigt wider die Türken“, die Luther 1529 unter dem Eindruck der Belagerung Wiens durch Suleiman II. verfasste, anders. Während er daran schrieb, hatten sich die Türken freilich schon zurückgezogen. Aber dennoch wird er jetzt regelrecht zum Kriegstreiber. Ich kenne recht „meine lieben Deutschen, die vollen Säue“, heißt es da, „so wollen sie sich ihrer Weise nach wohl wiederum nieder setzen und mit gutem Mut in aller Sicherheit zechen [...] und denken: ha, der Türke ist nun weg und geflohen“ (WA 30/2, 160). Demgegenüber wolle er die Deutschen nun „zur Faust vermahnen“ (WA 30/2, 161). Das aber geschieht aus einem besonderen Grund in einem aufgeregten,  ja wüsten Tone.

Denn bei Luther hat sich in dieser Zeit aufgrund seiner Auslegung von Daniel 7 die Überzeugung verdichtet, dass der jüngste Tag unmittelbar bevor stehe. Er deutet das Wüten der Türken, die „Kind und Weiber, Junge und Alte erwürgen, spießen und zerhacken“ (WA 30/2, 162) als Auftreten des „Antichristen“ vor Einbruch des Weltendes. Wer gegen den „Türken“ streitet, streitet deshalb gegen Gottes Feind, ja gegen den Teufel selbst. An dieser Stelle bricht darum ein ganzes mittelalterliches Szenario in Luthers Argumentation ein.

Die christliche Soldat wird als „Scharfrichter“ und „Henker“ Gottes gegen seinen „großen verdammten Feind“ gepriesen (vgl. WA 30/2, 174). Wird er selbst getötet, kommt er wie auch die ermordeten Kindlein direkt in den Himmel, während die Seelen der getöteten Türken direkt zur Hölle fahren (vgl. WA 30/2, 177). Leider hat Luther Scheußlichkeiten dieser Art auch noch in die Ausgabe des Neuen Testaments von 1530 eintragen lassen. Die Löwenreiter von Offbg.  9 sind nicht wie bei Albrecht Dürer  symbolische Gestalten, sondern die Türken, die vor Wien direkt in die Hölle geschickt wurden.

In der „Vermahnung zum Gebet wider den Türken“ von 1540 bricht der Kreuzzugsgedanke vollends durch. Wir werden das heute mit gespitzten Ohren hören, weil wir da nur allzu deutlich wieder erkennen, was uns heute aus der Ecke eines extremen Islamismus begegnet. Wir fragen uns, ob es nicht gerade die Aufgabe des geistlichen Regiments gewesen wäre, Freiräume für ein Verstehen dieser anderen Religion zu schaffen, in denen sich auch Horizonte der Verständigung über den Frieden mit ihr auftun. Ansätze dazu hat es zu dieser Zeit durchaus gegeben. Doch Luther hat sie als abseitige „Türkenhoffnung“ empört beiseitegeschoben. Das aber hängt nicht nur mit seinem Bild vom Islam zusammen, das er sich auch aufgrund seines Studiums des Koran gebildet hatte. Hier spielt noch etwas Anderes hinein.

Doch bevor uns das verdeutlichen, wollen wir nach so viel „Kriegsberichterstattung“ erst einmal ein Friedenslied singen: EG 430: 1-4: Gib Frieden, Herr, gibt Frieden.

 

II. Der Papst, die Türken und Thomas Müntzer

Eine Zuspitzung der Argumentation Luthers in Bezug auf den Türkenkrieg hält sich durch. Das ist die Beschuldigung der römisch-katholischen Kirche, diese Strafe Gottes verursacht zu haben, indem sie den Menschen den Glauben an Gott – genauso wie die Türken – mit weltlicher Macht aufzwingen wollte. Was ihm bei den Türken begegnete, war genau das, was er innerhalb der christlichen Kirche bekämpfte. „Mohammed machts’s zu grob; der Papst aber ist [...] der subtile, gleißende Teufel“, sagt er darum (WA 53, 394). Wir singen sein (merkwürdigerweise) als Kinderlied gedachtes Lied „Erhalt uns Herr bei deinem Wort“ heute in der Version „und steure deiner Feinde Mord“ (EG 193). Es hieß aber ursprünglich: „und steu’r des Bapst und Türcken Mord/ die Jesum Christus, deinen Sohn/ wollten stürzen von deinem Thron.“ Beide – der Papst an erster Stelle und dann die Türken – stehen in Luthers Sicht für das Erzübel, Gott mit menschlicher Gewalt in der Welt Raum schaffen zu wollen.

         Zu seinem Schrecken musste Luther jedoch erleben, dass auch seine eigene Botschaft von Anhängern der Reformation zu einer Gewalt begründenden Ideologie umfunktioniert wurde. Das geschah bei Thomas Müntzer und den anderen „Rottengeistern“, wie Luther die nannte, die den Bauernkrieg theologisch begründet haben. Sie wollten das Reich Gottes auf der Erde errichten und die Gerechtigkeit Gottes für die vom Adel geschundenen Bauern mit Gewalt durchzusetzen. Auch Müntzer wird von Luther darum in eine Reihe mit den Türken gestellt. Er wollte ein „neuer türkischer Kaiser“ werden und Türken dürften ruhig „müntzerisch“ genannt werden (WA 30/2, 123. 128). Beide Male ginge es um einem götzenhaften „Lügengeist“, der zu Raub, Mord, Jammer und im Falle von Müntzer zu Aufruhr führt.

Aufruhr aber ist noch schlimmer als Raub und Mord. Raub und Mord sind einzelnes Unrecht. Beim Aufruhr aber geht es um einen Krieg der Untertanen gegen die Obrigkeit, welcher die von Gott gewollte Rechtsordnung außer Kraft setzt. Ein solcher Krieg ist nach Luther schlechterdings verboten. Er richtet sich gegen Gott, der durch die Obrigkeit selber für Recht und Frieden sorgt. Luther hat zwar den gerechten Forderungen der schwäbischen Bauern anfangs zugestimmt und der „tyrannischen und tobenden Obrigkeit“ hart ins Gewissen geredet. Nicht zuletzt auf Grund der Gewaltexzesse der Aufständischen in Thüringen hat er dann aber den berüchtigten Sendbrief  „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der anderen Bauern“ geschrieben. In ihm werden die „Herren und Fürsten“ in wüster Weise aufgerufen, die Bauern abzuschlachten wie „tolle Hunde“ oder „Diener des Teufels“.

         Schon damals hat dieser Aufruf des Predigers des Evangeliums der Liebe Entsetzen ausgelöst. Er ist nicht zu rechtfertigen. Er weist auch keinen vernünftigen Weg, was zu geschehen hat, wenn die Obrigkeit ihr Amt missbraucht und selber schreiendes Unrecht anrichtet. Die Auskunft, die Luther da – auch unabhängig vom Bauernkrieg – gibt, lautet, dass die Untertanen eine solche Plage dann zu erleiden hätten. Das gilt auch, wenn die Obrigkeit gegen ihren Auftrag, Frieden zu halten, einen ungerechten Angriffskrieg anzettelt. Der einzelne Christ kann sich der Teilnahme an solchem Krieg verweigern und muss dann die Konsequenz tragen, dass er bestraft wird. Er hat aber nicht das Recht, zu revoltieren, und die Obrigkeit als solche in Frage zu stellen. Es gibt hier keine Instanz – keine „dritte Gewalt“ würden wir heute sagen –  welche eine solche Obrigkeit mit Vollmacht in die Schranken weisen könnte. Sie gab es auch nicht im Bauernkrieg, so dass die bloße Ausübung der Schwertgewalt einfach mit der Vorstellung von der Ausübung des Rechts zusammen fiel.

Nebenbei gesagt ist das eine Anschauung, die durch die Jahrhunderte hindurch bis in die theologische Rechtfertigung des DDR-Staates hinein wirksam war. Der gegebene Staat sei Gottes Anordnung „unabhängig von dem Zustandekommen der staatlichen Gewalt und ihrer politischen Gestalt“, lautete da der Grundsatz.  Jeder Staat – auch der „Diktaturstaat“ – befinde sich in „Gottes Hand“, präzisierte eine Synode der Evangelischen Kirche der Union im Jahre 1959 diesen Satz. Die Meinung des Berliner Bischofs Otto Dibelius, dass Christinnen und Christen einem Staat, bei dem die Macht das Recht bestimme, in ihrem Gewissen nicht zum Gehorsam verpflichtet seien, lösten darum einen erbitterten Streit aus.

Doch zurück zu Luther. Es wäre nach dem Gesagten ganz falsch, ihm zu unterstellen, er hätte in der Ausübung der Schwertgewalt als solcher schon einen Weg zum Frieden gesehen. Was wir bisher von ihm hörten, sind die Reaktionen, zu denen er die Obrigkeit angesichts eines tobenden Angriffskrieges bzw. eines Bürgerkrieges aufgerufen hat. Das normale Handeln der Obrigkeit aber, das er verlangt und befördert hat, aber geht bei weitem nicht in der Ausübung der Schwertgewalt auf. Es gibt vielmehr auch eine Linie, auf der bei Luther eine innere Beziehung des Auftrages der Obrigkeit zum Evangelium erkennbar wird.

Wir machen wiederum eine Pause, indem wir einem alten Hymnus singen, dessen Str. 2-4 Luther dazu gedichtet hat: EG 124, 1-3 Nun bitten wir den Heiligen Geist.

 

III. Sorge für Bedingungen des Frieden

Die Reformation der Kirche fällt in eine Zeit, die von kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den deutschen Kleinstaaten geprägt war. Der Wormser Reichstag von 1495 hatte zwar mit der Verkündigung des „ewigen Landfriedens“ für das Heilige Römische Reich deutscher Nation die mittelalterliche Institution der Fehde verboten. Sie erlaubte allen Fürsten, freien Städten, Grundherren und Rittern, gegenüber Rechtsbrechern die „Gerechtigkeit“ mit Krieg  „wiederherzustellen“. Die Durchsetzung dieses Verbotes erwies sich aber als schwierig, nicht zuletzt darum, weil der Papst die nötigen Reformen des Rechts behinderte. Die Folge war, dass – wie Luther in der Schrift „Von  Kaufhandel und Wucher“ von 1524 sagt –  „Rechten und Fechten“ die politische Wirklichkeit bestimmten. Es ist aber ganz klar, sagt er weiter, dass „das nicht der Weg zum Frieden“ ist  (WA 6, 40). Christus habe vielmehr gelehrt, dass man um des Friedens willen auch fähig sein müsse, Unrecht zu leiden. Das gelte auch für die Obrigkeit.

Sie darf nicht jedes Unrecht zum Anlass nehmen, Krieg zu führen und um eines „unnützen Mauls“ oder einer „bösen Hand“ willen „das Land voll Witwen und Waisen“ machen (WA 11, 275). Der alte Grundsatz „vim vi repellere“ (auf Gewalt ist mit Gewalt zu antworten) kann nicht gelten, wenn durch die Gewalt noch größeres Unrecht geschieht, als das, worauf sie reagiert. Das unrechte Handeln einzelner Personen, Ritter oder auch Fürsten darf nicht zum Anlass genommen wird, das ganze Land mit Krieg zu überziehen. Die Obrigkeit verletzt dabei das Recht von Menschen auf Leben und Besitz, aber auch auf Ehre, Vernunft und Weisheit, das Gott einem jedem Menschen gegeben hat. Sie bringt ihr einzelnes Recht in Gegensatz zu Gottes Recht. Dadurch gerät ihre eigentliche Aufgabe, den Frieden zu bewahren und zu fördern, in Gegensatz zu der ihr gegebenen Schwertgewalt.

Demgegenüber kann das geistliche Amt dem weltlichen Regiment nur „vom Kriege zum Frieden raten“, wie es Luther in verschiedenen Auseinandersetzungen zwischen den deutschen Fürsten dann auch getan hat. Man kann „mit Worten und Briefen mehr denn genug tun, dass (es) weder Hauen noch Stechens bedarf“, war seine Erfahrung (vgl. WA 8, 630). Die Grundposition, die er dabei vertreten hat, war, „dass kriegen nicht recht ist“. Wer um „zeitlich Gut und Erwerben“ Krieg anfängt, tritt aus der Bahn. Denn „Gott will Friede haben und ist Feind denen, so Krieg anfangen und Friede brechen“, sagt er in der Kriegsleuteschrift (WA 19, 655).

Er hat dabei auch an so etwas wie eine Mitverantwortung der Untertanen für die Ausübung des weltlichen Regiments appelliert. Ihr Gehorsam gegenüber der Obrigkeit darf nicht dazu führen, dass sie das Brechen des Friedens durch die Obrigkeit widerstandslos hinnehmen. Wenn das Unrecht, das die Obrigkeit tut, ihr Gewissen verletzt, dann sind sie regelrecht verpflichtet, gewaltlos Widerspruch einzulegen. Die Gehorsamsverpflichtung gegenüber der Obrigkeit ist also kein Kadavergehorsam. Vielmehr gilt: „Der Obrigkeit soll man nicht widerstehen mit Gewalt, sondern mit Erkenntnis der Wahrheit“ (WA 11, 227). Wer für Wahrheit und Gerechtigkeit eintritt, sorgt mehr für einen Frieden auf der Grundlage göttlichen Rechts als der, der ihn äußerlich mit viel Blutvergießen erzwingen will.

         Luther hat darum der Obrigkeit hart ins Gewissen geredet, vernünftige Bedingungen des Friedens zu schaffen. Eine große Rolle hat dabei sein Eintreten für wirtschaftliche Verhältnisse gespielt, die nicht durch Wucherzinsen, willkürliche Preissteigerungen und Ausnutzung der Marktlage Menschen in verzweifelte Situationen führen. Nicht weniger wichtig war ihm die Bildung der Kinder, die man „zur Schulen halten solle“, damit sie nicht allein auf den Leib konzentriert sind und nur des Leibes Vorteil suchen. „Weisheit ist besser als Kraft“ heißt es in der diesbezüglichen Schrift von 1530. „Faust und Harnisch tuns nicht. Es müssen die Köpfe und Bücher tun. Es muss gelernt und gewusst sein, was unseres weltlichen Reichs Recht und Weisheit ist“. Das sei der beste „Schutz und Friede“ von Weib, Tochter, Sohn, Haus, Hof, Gesinde, Geld, Gut und Acker (WA 30/2, 558f.).

         Zu diesem Schutz gehört auch, dass die Obrigkeit für das Recht eines Jeden auf Glaubens- und Gewissensfreiheit einzutreten hat. Luther hat darum mit der mittelalterlichen Überzeugung gebrochen, dass dem weltlichen Regiment die Verfolgung und Bestrafung von Ketzerei obliege. „Die Seele ist nicht unter des Kaisers Gewalt, er kann sie weder lehren noch führen, weder richten noch beurteilen“ (WA 11, 266). Es sei darum besser, die Untertanen „schlecht irren zu lassen, als sie zur Lügen zu dringen“ (WA 11, 264). Dadurch entstehe nur Heuchelei, die eine Quelle des Unfriedens ist. Die Obrigkeit muss es ganz alleine dem geistlichen Regiment überlassen, Seelen zu unterrichten. Luther hat darum von der Obrigkeit Toleranz in Glaubenssachen verlangt.

         Allerdings war das Toleranzprinzip zugleich schweren Belastungen ausgesetzt. Denn es wurde vom römisch-katholisch orientierten Kaiser und von den römisch-katholischen Ständen keinesfalls geteilt. Darum kam es in einzelnen Ländern immer wieder zu Gewaltmaßnahmen der Unterdrückung der lutherischen Lehre. Die Bündnisse altgläubiger Fürsten 1524 in  Regensburg und 1527 Breslau taten ihr Übriges. Sie hatten 1531 trotz der Warnungen Luthers vor militärischen Beistandspakten in Glaubensfragen die Gründung des protestantischen Schmalkaldischen Bundes zur Folge. Luther hat den protestantischen Ständen aber entschieden verwehrt, den reformatorischen Glauben mit obrigkeitlichen Mitteln durchzusetzen.

In den Fällen, wo es zur Unterdrückung dieses Glaubens durch die römisch-katholische Obrigkeit kam, hat er das Einschalten von Vermittlern, die Appellation an den Reichstag oder einfach nur das Erleiden von dergleichen angeraten. Der Frage, ob die protestantischen Stände dem Kaiser Widerstand leisten dürften, wenn der gegen die protestantische Gebiete vorgehen würde, ist er ausgewichen, indem er sie als eine juristische Frage des Reichsrechts qualifiziert hat, für das er nicht zuständig sei. Das war schwach und dennoch bedeutsam. Es bedeutet nämlich: Für Konfessionskriege, wie sie dann nach Luthers Tod geführt wurden, kann man sich nicht auf Luther berufen. Solche Kriege wären genau das Gegenteil von dem gewesen, was er mit der Reformation der Kirche und der Begrenzung der obrigkeitlichen Gewalt auf die Erhaltung eines weltlichen Friedens und des Rechts gewollt hat.

Wie Paul Gerhard Luthers Vision von einer Welt des Friedens war, hat Paul Gerhard nach dem Ende des 30jährigen Krieges ganz schön mit der Umdichtung des 85 Psalms zum Ausdruck gebracht. Wir singen vom Lied „Herr, der Du vormals hast Dein Land,  EG 283, die strophen1+3+7.

 

IV. Reformation der Kirche: Eine Bresche für den Frieden in einer friedlosen Welt  

Nur wenig von dem, womit Luther in Sachen Krieg und Frieden gerungen hat, ist 1:1 in unsere Zeit zu übersetzen. Und doch erkennen wir die Probleme, um die es vor nahezu 500 Jahren im kleinen Europa ging, in verwandelter Gestalt auch in unserer globalisierten Welt wieder. Und nicht nur die Probleme! Auch die Reaktionen auf die Bedrohungen des weltweiten Friedens durch religiös oder ideologisch motivierte Gewalt, durch Aufruhr, der heute terroristische Gestalt hat, und durch wirtschaftliche Interessen ähneln sich frappierend. Der „leibhaftige Teufel“ ist heute in Szenarien des jüngsten Tages gegenwärtig, welche nicht nur die Atomrüstung schafft. Immer noch mehr „zur Faust zu vermahnen“, die heute die Gestalt modernster Militärtechnik hat, scheint in den meisten Krisengebieten unserer Erde der einzige Weg zu sein, Konflikte auszutragen oder im Zaum zu halten. Der mittelalterliche Grundsatz, dass Gewalt mit Gewalt zu beantworten sei, ist nach wie vor lebendig. Unsere Kritik an Luther, die wir angesichts seiner Stellungnahmen zum Türken- und Bauernkrieg üben mussten, kann also keinesfalls vom hohen Ross her erfolgen. Sie wird Anlass zu Selbstkritik unseres Zeitalters sein – zur Buße, hieß das zu Luthers Zeiten.

         Aber dann schlägt dieser Reformator der Kirche in sein eigenes und auch in unser Zeit nicht verstimmendes Rufen nach mehr Gewalt angesichts von Gewalt doch eine Bresche. Es ist eine Bresche für Perspektiven des Friedens, auf die sich seine Zeit kaum eingelassen hat und die auch in unserer so ganz anderen Zeit immer neu geschlagen werden muss. Ich beschreibe diese Bresche etwas holzschnittartig unter vier Gesichtspunkten:

         1. Luthers Unterscheidung zwischen dem geistlichen und dem weltlichen Regiment verneint jede Art von Kreuzzug. Wahrheiten des Glaubens, der Religion, des Ethos dürfen niemals mit Gewalt oder mit Unterstützung von Gewalt verbreitet werden. Das gilt auch für Überzeugungen, wie sie der freiheitlichen Demokratie zu zugrunde liegen. Ihre Verbreitung mit Gewalt bewirkt keinen Frieden. Solange der Kreuzzugsgedanke immer wieder neu auflebt, wird es deshalb auch keinen Frieden auf Erden geben.

         2. Luthers Lehre von der Schwertgewalt des Staates zielt alleine auf die Abwehr unrechtmäßiger Gewalt. Der Angriffskrieg – auch der Präventivkrieg – scheidet damit als Option eines Staates aus. Mehr noch: Ein Staat ist nicht berechtigt, einen Krieg zu führen, bei dem die Bekämpfung von Unrecht mehr Leiden und Elend schafft, als das Unrecht selbst und er z.B. einen Krieg anfängt, der nicht zu beenden ist. Zu solcher zurückhaltenden Besonnenheit werden der Staat bzw. die Staatengemeinschaften aber nur in der Lage sein, wenn sie den Einsatz ihres Gewaltpotenzials nicht als das vornehmste Mittel ansehen, für Recht und Frieden zu sorgen. Es bleibt ein Potenzial für den Notfall, wenn entfesselte unrechtmäßige Gewalt nicht mehr anders zu stoppen ist.

         3. Luthers Lehre von der Schwertgewalt des Staates gehört in den Zusammenhang einer umfassenden Sorge für Bedingungen des Friedens, für die nicht nur der Staat, sondern alle Menschen Verantwortung tragen. Die Anerkennung der Rechte der Geschöpfe Gottes auf Leben, Unversehrtheit, Freiheit, Ehre, Bildung und Besitz (die bei Luther eine Vorform der Anerkennung der Menschenrechte ist) führt zu einer Gesinnung des Friedens, welche gewaltfreien Wegen zur Lösung von Konflikten immer die erste Stelle einräumt. Solche Gesinnung dringt auf die Herstellung von Rechtssicherheit, auf wirtschaftliche Verhältnisse, welche nicht zur Quelle von Aggressivität werden, und auf die Ausbildung der Fähigkeit, die Vernunft zu gebrauchen. Kriegsgründen, die einfach auf Dummheit zurückzuführen sind, muss das Wasser abgegraben werden.

         4. Luther hat dem geistlichen Regiment, also der Kirche, eine wesentliche Bedeutung für das Entstehen einer Gesinnung des Friedens in der Gesellschaft und für eine Politik des  Friedens durch den Staat zugesprochen. Die Kirche hat zu verkündigen und im Leben ihrer Glieder darzustellen, dass Gott keinen Krieg will. Die Anerkennung des sog. „rechten Kriegens“ ist dagegen der Tatsache geschuldet, dass in der Welt der Sünde realistisch mit dem Ausbruch unrechter, sinnlos zerstörender Gewalt zu rechnen ist. Luther hat darum seine pazifistischen Ansätze nicht durchgehalten. Dennoch bleibt es dabei, dass auch solches rechtes „Kriegen“ ein furchtbares Übel ist, bei dem das Böse getan wird – nämlich Töten von Menschen und das Zerstören ihrer Lebenswelt. Schon immer hat das auch Unschuldige betroffen und das heute mehr denn je. Die weltweite Christenheit kann sich dabei nicht beruhigen. Dietrich Bonhoeffers Forderung eines ökumenischen Friedenskonzils, das den Krieg im Namen Jesu Christi als solchen ächtet, ist unter Einbeziehung der anderen Religionen nach wie vor dringend.

         „Edlen Frieden“, wie es im Liede „Nun danket alle Gott“ heißt, wird es nur geben, wenn „Herz, Mund und Hände“ der Menschen bewegt und durchwaltet sind vom Gott des Friedens. Dass Luther diese Glaubensüberzeugung der Christenheit in den Konflikten seiner Zeit auch sehr verdunkelt hat, ist wohl wahr. Aber nichts zwingt uns, uns heute daran zu orientieren. Denn der Anfang, auf den uns dieser Wittenberger Professor verweisen wollte, war nicht er selbst mit seinen Thesen und Schriften. Das war vielmehr der Anfang, den der Geist Jesu Christi nicht aufhört, zu jeder Zeit mit uns Menschen und deshalb auch mit uns heute zu machen. Gott dafür zu danken und nicht zu resignieren, wenn die Botschaft vom Frieden in einer friedlosen auf so viel Widerstand trifft, steht uns wohl an. In diesem Sinne wollen wir unser Gespräch mit Martin Luther über Krieg und Frieden für heute beschließen, indem wir sein Lied „Nun danket alle Gott“ (EG 321, 1-3) singen.    


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