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08.02.2013 00:00 Alter: 11 yrs
Kategorie: Vorträge

Die Negation des Sühnopfergedankens als Deutekategorie für den Tod Jesu bei K.P.Jörns

Diskussionsthesen für einen theologischen Arbeitskreis des Pfarrkonvents Cottbus vom 08.02.2013


Einführung in eine Auseinandersetzung mit der Negation des Sühnopfergedankens als Deutekategorie für den Tod Jesu, wie sie von K.P.Jörns begründet wird[1]

 

1. Der Mensch vor Gott – die Sünde

 

1. Die alttestamentliche Praxis des Sühnopfers verdankt sich der Erfahrung, dass Menschen durch ihre Sünde ihr Leben vor Gott verwirkt haben.
1.1. Sünde ist das, was Menschen nicht wieder gut machen können. Soll sie gesühnt werden, setzt das die „Bereitschaft zum Tode“ voraus (H. Gese). Der Mensch muss sich selbst opfern.
1.2. Im Opferkultus  geschieht das durch „Subjektübertragung“ auf das Opfertier. Seine Tötung ist stellvertretende Hingabe an das Heilige, dass aufgrund dieser Hingabe den schuldig gewordenen Menschen „inkorporiert“.

 2. Der Tod Jesu muss nicht mit der Vorstellung des Sühnopfergedankens gedeutet werden. Wie alle Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament setzt seine Verwendung aber voraus, dass „Sünde“ diejenige „Krankheit zum Tode“ ist (S. Kierkegaard), die nur Gott allein heilen kann.

 3. Heutige Kritik der Sühnopfervorstellung setzt darum mit einer Relativierung des Gewichts der Sünde vor Gott ein, die sich freilich auf eine fragwürdige Zuspitzung der kirchlichen Erbsündenlehre berufen kann.

 4. Dass die Sterblichkeit von Menschen eine Folge des „Sündenfalls“ Adams und Evas und als solche der „Sünde Sold“ (Römer 6, 23) und „Strafe“ Gottes sei, ist eine unzulässige Folgerung aus dem biblischen Verständnis der Sünde.

4.1. Es gilt vielmehr, zwischen unserer „natürlichen“ Sterblichkeit und dem Tod, den sich Menschen durch ihr Gott entfremdetes Leben zuziehen, zu unterscheiden.

4.2. Sünde ist der sinnlose, mächtige Drang von Menschen in die Verhältnislosigkeit, der sich als Zerstörung der Beziehungen zu Gott, zu den Mitmenschen, zum eigenen Selbst und zur Natur schon „mitten im Leben“ und letztlich im Ableben tödlich auswirkt.

 

5. Jörns, der den Begriff „Sünde“ am liebsten gar nicht verwenden möchte, führt das, was  nach seiner Ansicht mit diesem Begriff gemeint ist, auf den „Wunsch nach der Dimension des Totalen, des absolut gesetzten Ganzen“ zurück (A, 279).

5.1. Von daher versteht er den „jüdischen Gehorsamsglauben“ (A, 280), dem auch Paulus anhänge, selbst als sündige, lebensfeindliche Vorstellung: Er verlangt „totalen Gehorsam“ gegenüber Gottes Geboten und „projiziert“ die Forderung nach „absoluter Gerechtigkeit“ in Gott (A, 279).

5.2. An jenem Wunsch nach dem „Totalen“ müssen Menschen ebenso scheitern wie Gott, der auf ihren totalen Gehorsam aus ist, sie nur zum Tode verurteilen kann.

5.2. Wie jener Wunsch dem „Umschlag von Ur-Vertrauen in Mißtrauen, von kreatürlicher Angst in dämonische Angst“ (ebd.) entspringen soll und warum Menschen anderen Menschen ihre Würde bestreiten, bleibt unaufgeklärt.

 

6. In Summa wird „Sünde“ als die „Fehlbarkeit“ verstanden, mit der Gott uns geschaffen hat und die er aus Liebe zu den fehlbaren Geschöpfen vergeben kann. Die „Sündekultur“, die den Menschen als ganz von der Sünde beherrscht, versteht, muss darum überwunden werden.

 

 

II. Abschied von der Sühnopfervorstellung

 

7. Nach Jörns bestimmt die Sühnopfervorstellung das Christuszeugnis und das Gottesverständnis des Neuen Testaments (mit einigen Ausnahmen) durchgehend.

7.1. Er verifiziert das an der Struktur des Opferkultes: „Nehmen – Schlachten – Teilen“.

7.2. In diesem Sinne seien die synoptischen Passionsgeschichten konzipiert: Gefangennahme – Hinrichtung – Teilen (der Kleider?)  Brotbrechen.

7.3. Jener Dreischritt soll auch die „Einsetzungsworte“ des Abendmahls prägen: Nehmt, esst/trinkt , Dankgebet.)

7.4. Die Christenheit setzt damit die ihnen aus „anderen Kulten  geläufige  Opferfestmahlpraxis“ fort.

 

8. Das Johannesevangelium hat dagegen mit der Darstellung des Weges Jesu als eines „Weges zum Vater“ die Opferstruktur „bis zur Unkenntlichkeit aufgebrochen“:

8.1. Die Sühnopfervorstellung war für dieses Evangelium in seiner kulturellen Umwelt „peinlich“ Darum: kein Abendmahl; das „zentrale Sakrament“ ist die Fußwaschung; Joh 6, 54 (Wer mein Fleisch ist und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben) nachträglich interpoliert; das Mahl des Auferstandenen: Fisch statt Brot, kein Wein (Joh 21); „Lamm, das die Sünde der Welt wegnimmt“ (Joh 1,29): Jesus hat den Hass „lammfromm“ ertragen.

8.2. Joh 3, 16: „Gott gab seinen einzigen Sohn“ wird unberechtigterweise von 1. Joh. 2,2 (Sühnopfer für die Sünden der ganzen Welt) her interpretiert.

 9. Die Didache ist ein Beispiel für eine unblutige Gabenfeier: Brot und Wein: Dankopfer in Analogie der „Gaben an Götter“, während Ignatius von Antiochien in Anschluss an Paulus das Abendmahl als „pharmakon athanasias“ interpretiert.

10. Kriterium der Kritik an diesem Verständnis sind die „ursprüngliche Berichte“ vom Tode Jesu, die nichts davon sagen, „wie Jesu Tod zu verstehen ist und welche Wirkungen von ihm ausgehen“.

11. Die Sühnopfertheologie des Neuen Testaments ist anachronistisch und kehrt an den Anfang der Opfergeschichte zurück, weil sie die längst überwundene Vorstellung (1. Mose 22, Hos 6, 6 Iphigenie) erneuert, dass Gott Menschenopfer brauche, um versöhnt zu werden.
11.1. Sie widerspricht dem Gottesverständnis Jesu, der das Gottesverhältnis an keine kultische Bedingung geknüpft und sich selbst nicht als Geopferter oder sich selbst Opfernder verstanden hat.
11.2. Jesus ist deshalb „an Paulus und der christlichen Kirche gescheitert“: Die alte Logik von Vergehen und Strafe wurde durch den „Opfererinnerungskult“ wieder in Kraft gesetzt und wird ständig erneuert, obwohl Jesus Christus als Ende des Opferkultes verstanden wurde.
11.3. Die Folge ist, dass Gott als Gott der Gewalt verstanden wurde, der die Kirche selbst gewalttätig und bis heute den Tod von Menschen und Tieren legitimieren werden ließ.

12. Das Opferritual, das als „Angstabwehrritual“ einmal eine kathartische Funktion hatte (W. Burkert, R. Girard) kann diese Funktion heute nicht mehr erfüllen.

13. Dass Gott „unbedingte und „vergebende Liebe“ ist und übt, kann ohne den Bezug auf die Hinrichtung Jesu zur Geltung gebracht werden.
13.1. In diesem Sinne erlöst uns Jesus Christus als „neuer Gott“  vom Erlösungsglauben: Seine „Stellvertreter- und Mittlerrolle“ ist aufgehoben. Wir können durch den Geist wieder eine unmittelbare Gottesbeziehung haben.
13.2. Die Auferstehung bestätigt den Weg Jesu gegen die Macht des Todes und sagt uns, dass Gott im Tode Jesu „in keiner Weise“ Handelnder war.

14. Gott hat sich dafür entschieden, dass es „Übergriffe“ auf das Leben von Menschen und Tieren  geben wird. Wir müssen zusehen, das Leben so lebensdienlich wie möglich zu gestalten und Leiden nach dem Beispiel Christi Leiden gewaltlos zu minimieren.

 

III. Praktische Folgerungen für den Gottesdienst

 

15. Die Verabschiedung der Sühnopfervorstellung kann in einer liturgischen Gestaltung des Gedenkens des Todes Jesu und der Auferstehung im Sinne eines „Kreuzweges“ Ausdruck.
15.1. Karfreitag: Die Religion der „Alten Welt“ wehrt sich gegen das Zeugnis von der Liebe Gottes, aber Gott hat sich mit uns verbunden und die absolute Trennung von Gott und Welt aufgehoben: Hass wird mit Liebe und Leiden beantwortet; in den Kreuzesschrei können alle Gewaltopfer einstimmen
15.2. Karsamstag: Der Gekreuzigte trägt das „Antlitz des mitleidenden Gottes“ in den Abgrund des Todes mit der Zuversicht auf „Transformation“ des Todes: Besuch in Krankenhäusern und Heimen.
15.3. Ostern: Feier Jesu Christi als „neuer Gott“, der alle in die Würde der Gotteskindschaft und des allgemeinen Priestertums einsetzt.

16. Sofern im Gottesdienst eine Mahlfeier stattfindet, soll ihr ein Ritual des Schuldbekennens und Freisprechens von Schuld vorangehen und sie eventuell mit einer exemplarischen Fußwaschung und mit einer Kreuzesmeditation und meditativer Stille verbunden werden.
16.1. Die Mahlfeier soll opferfrei sein; Brot und Wein werden „Lebensgaben Gottes“ gereicht.
16.2. Die Einsetzungsworte lauten:

Am Abend vor seinem Tod hielt Jesus mit denen, die ihm nahe waren, das letzte gemeinsame Mahl. Er dankte Gott für die Lebensgaben Brot und Wein und sprach: „Nehmt und teilt sie unter euch. Sooft ihr künftig von den Lebensgaben Gottes esst und trinkt und meiner gedenkt, bin ich in eurer Mitte.

oder:

Während des letzten gemeinsamen Mahls nahm Jesus Brot, dankte, brach’s, gab es den Seinen und sprach: „Nehmt und esst das Brot des Lebens (Das bin ich für euch)“. Nach dem Mahl nahm er den Kelch mit Wein, sprach das Dankgebet, gab ihnen den und sie tranken alle daraus. Und er sprach: „Ich werde von der Frucht des Weinstocks nicht mehr trinken bis zu dem Tag, an dem ich es neu mit euch trinken werde im Reich Gottes“.

                                                                 

IV. Gesichtspunkte zur Diskussion

 

17. Dass „Christus  für unsere Sünden gestorben“ ist, ist das älteste, uns überlieferte Bekenntnis der Christenheit (1. Kor 15, 3).
17.1. Die Bestreitung der Heilsbedeutung des Todes Jesu Christi tangiert die Identität des christlichen Glaubens.
17.2. Entscheidend ist, dass diese Aussage vom auferstandenen Jesus Christus gemacht wird und nicht vom irdischen Jesus an sich. Auferstehung aber heißt: Gott hat sich mit dem Menschen Jesus identifiziert (vgl. Römer 1, 4).
17.3. Das bedeutet in der Konsequenz: Gott hat das Leben und Sterben Jesu Christi für uns geteilt. Er hat den Tod in Einheit mit dem Menschen erlitten. „Für uns gestorben“ ist eine Aussage vom Kyrios Jesus. Nur so hat diese Aussage Sinn.
17.4. Gott, der den Tod mit dem Menschen Jesus teilt, schafft eine neue Ausgangssituation in unserem Leben: Zur Freiheit von der Sünde und zur Freiheit des Liebens hat uns Jesus Christus befreit (Galater 5, 1ff.). So ist er für uns.

18. Diese Wahrheit hat das Neue Testament auch mit der Vorstellung vom „Opfer“, das Gott in Jesus Christus für uns erbracht hat, ausgedrückt. Es ist aber zu bestreiten, dass diese Vorstellung (auf Grund eines zwanghaften kulturellen Gedächtnisses) das ganze Neue Testament beherrscht).
18.1. Jörns trägt sie in biblische Zusammenhänge ein, die mit dieser kultischen Vorstellung gar nichts zu tun haben.
18.2. Dabei beherrscht die Vorstellung, dass Gott ein Menschenopfer brauche, um vergeben zu können, wie es der archaische Opferkultus intendierte und wie es Anselm von Can-terbury verstanden hat, in polemischer Absicht die Darstellung.
18.3. Dass Gott sich selbst „geopfert“  hat und dass dies die „Revolution“ im Gottesverständnis darstellt, muss dabei zwangläufig außer Acht bleiben.

19. Es ist nicht geraten, die Verkündigung Jesu und sein Geschick (das aus den Texten heraus destilliert wird) in den Gegensatz zur Erfahrung des Daseins Gottes für uns zu treiben.
19.1. Die Erfahrungen des Auferstandenen waren vielmehr so, dass sie die Verkündigung und das Geschick Jesu als Eintreten Gottes für uns bestätigten.
19.2. Wie Jesus von Nazareth seinen (auf einem Justiz-Irrtum beruhenden) Tod verstanden hat, wissen wir nicht. Wir können nur mutmaßen, dass er verzweifelt und angefochten an seiner Verkündigung des Gottes der Liebe festgehalten hat.
19.3. Für seine Jünger war dieser Tod zweifellos eine Katastrophe.

20. Was das Abendmahl betrifft, so ist es fester Bestandteil der Überlieferung, welches das Eintreten Gottes für uns im Sterben und Tode als „verbum visibile“ aktualisiert.
20.1. Im Sinne der „Leuenberger Konkordie“ vergegenwärtigt es das Dasein Gottes für uns in diesem Tode, das uns der Gegenwart des liebenden, mitleidenden Gottes im Leben und Sterben vergewissert.
20.2. Es besteht kein Grund, das Abendmahl mit der Erfindung von neuen Einsetzungsworten zu einer Art Erntedankfest umzumodeln.

21. Der marginale Gebrauch der Opferkultterminologie im Neuen Testament berechtigt dazu, auf diese Kategorie zu verzichten, wenn Gottes Eintreten für uns heute verkündigt werden soll.
21.1. Weil Menschen, wie Jesus, Opfer menschlicher Gewalt werden, bringt diese Kategorie aber vielleicht auch noch heute ein Wahrheitsanliegen zur Geltung.
21.2. Wie R. Schwager zu zeigen versucht, erträgt es Jesus, gewaltlos Opfer menschlicher Gewalt zu sein, entzieht ihr aber dadurch innerlich den Boden und wird von Gott darin bestätigt (vgl. R. Schwager, Die Spannung aushalten. Zu einer christlichen Theologie des Opfers, in: Leo Karrer: gewaltige Opfer. Filmgespräche mit Rene Girard und Lars von Trier, Köln 2000).
21.3. Das „Opfer“ wird so zum Aufruf, durch Gewaltlosigkeit und Verzeihen der Gewalttätigkeit, die Opfer braucht, das Wasser abzugraben.

22. Wenn sich die christliche Verkündigung  heute der Opfertodvorstellung bedient, dann korrigiert sie wie schon das Neue Testament alle archaischen Muster, die daran hängen, mit der Gewissheit, dass Gottes „Opfer für uns“ dem allen zuvor gekommen ist und es endgültig erledigt hat.

 


[1] Klaus-Peter Jörns, Notwendige Abschiede. Auf dem Weg zu einem glaubwürdigen Christentum, Gütersloh 2004, 266-341; ders., Lebensgaben Gottes feiern. Abschied vom Sühnopfermahl: eine neue Liturgie, Gütersloh 2007.


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