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Im Namen Gottes Gutes sagen
Im biblischen Verständnis hat jeder Christ die Vollmacht, den anderen zu segnen... (Die Kirche 23/2014)
„Segnen“ ist etwas, was in unserer Gesellschaft nur in den Kirchen oder in anderen Religionsgemeinschaften vorkommt. Menschen, die nicht an Gott glauben, segnen sich nicht und lassen sich nicht segnen. In ihrem Leben begegnet das Wort „Segen“ höchstens zufällig, zum Beispiel wenn vom „Kindersegen“ oder vom „Erntesegen“ die Rede ist. Darin klingt noch nach, dass Segen etwas Gutes ist. Wo Gott jedoch aus dem Horizont des Lebens verschwindet, verschwindet auch das Segnen. An seine Stelle treten dann gute Wünsche.
Auf den Geburtstagskarten , die im Internet angeboten werden, sucht man "Glück- und Segenswünsche darum weithin vergebens. Es sind nur "Glückwünsche" übrig geblieben. "Glück", das Menschen sich wünschen, aber ist eine ziemlich wacklige Angelegenheit. Einm,al hat ein mensch Glück und ein anderes Mal nicht. Meistens hat er es erfahrungsgemäß nicht. Es waren dann eben bloß gut gemeinte Wünsche, mit denen Menschen sich gratulieren.
Wird der Glückwunsch dagegen mit dem Segenswunsch verbunden, dann gewinnt das Glück Stabilität. Es ruft einen anderen auf, der für das Gute, das wir uns wünschen, einstehen kann. „Segnen“ heißt in der Bibel wörtlich: Im Namen Gottes „Gutes sagen“. Es spricht einem Menschen das Einstehen Gottes für sein Ergehen oder einer Gemeinschaft für ihren Weg zu. Es öffnet ihr Leben zu einem Raum, den Gott mit seinem guten Geist erfüllt. Vergangenes braucht nur gesegnet zu werden. Unsere Zukunft braucht Segen. Segnen heißt darum: Gott für die zukunft unseres Lebens Raum geben. Die einzigen Menschen, die jesus gesegnet hat, waren Kinder, die das ganze Leben noch vor sich haben.
Die meisten Menschen treffen von heute auf das Segnen in den Gottesdiensten der christlichen Gemeinden. Darüber hinaus erfahren sie Segnungen bei Taufen, bei der „Einsegnung“ (wie die Konfirmation nicht ganz unproblematisch auch genannt wird), bei Trauungen, bei Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare und Beerdigungen. Segnungen einzelner Menschen wie bei Krankenbesuchen, bei Andachten in Familien oder – wo so etwas in unserer evangelischen Kirche noch vorkommt – bei der persönlichen Beichte sind dagegen seltener. Das alles aber wird von „Amtsträgerinnen“ und „Amtsträgern“ unserer Kirche ins Werk gesetzt. Im biblischen Verständnis aber hat eigentlich jeder Christenmensch die Vollmacht, den anderen zu segnen. Doch in den Familien, unter Freundinnen und Freunden und allen sonstigen Beziehungen von Menschen ist das Segnen heute durchaus keine Selbstverständlichkeit christlichen Lebens mehr.
Das ist schade. Denn Segnen und Sich-Segnen lassen, verbindet das Leben von Menschen auf eine eigenartig intensive Weise mit Gott und untereinander. Es ist von altersher mit bestimmten Gesten verbunden. Das Auflegen der Hände bekräftigt, dass Gottes Segen einem Menschen ganz persönlich gilt. Es vermittelt nicht etwa „magische“ Kräfte. Das Segnen von Dingen scheidet darum aus. Segen gilt dem Leben und nicht toten Sachen und schon gar nicht Waffen, mit denen Menschen sich töten. Segnen betrifft die Dinge höchstens mit, sofern sie zur Lebenswelt von Menschen gehören und von ihnen gebraucht werden. Das Erheben der Hände weist in diese Lebenswelt aber vor allem als Raum ein, in dem lebendige Menschen nicht mehr mit sich alleine, sondern zusammen mit Gott sind. Das Schlagen des Kreuzes erinnert daran, dass Gottes Segen Menschen nicht irgendeine Tralala-Fröhlichkeit verheißt. Gottes Segen gilt unserem Leben in den Grenzen unserer Endlichkeit, in denen auch Schmerzen und Leiden anzunehmen sind. Er umfängt nicht nur die Licht- sondern auch die Schattenseiten unsres irdischen Daseins.
Alles dieses kommt in dem aronitischen Segen (4.Mose 6, 24 -26), der in unserer Kirche durch Martin Luther zur Grundform christlichen Segnens wurde, auf beeindruckende Weise zum Ausdruck. Er steht am Ende jedes Gottesdienstes und gibt den anderen Segensworten unserer Kirche den Grundton vor. Denn er bündelt alles, was Christenmenschen bewegen kann, wenn sie segnen und sich segnen lassen. Er gebraucht allerdings eine Sprache, die unser alltägliches Gerede nachhaltig unterbricht und unsere besondere Aufmerksamkeit erfordert. "Der herr segne dich und er behüte dich", lautet seine Grundaussage. Das ist ein Gebet. Es ist die Bitte um den Segen, den alleine gott schenken kann. Segnen ist in der Bibel die Schwester des Betens. Es wendet Menschen zu, was wir von Gott erbitten. Was ist das?
Die folgenden Worte antworten auf diese Frage mit den Worten: „Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig. Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden“.
Solches Reden sind wir heute nicht gewohnt. Ein Angesicht, das leuchtet über ihm und oder sich erhebt auf ihn, kennt der Mensch nicht, der durchs Leben trottet. Für ihn sind alle Gesichter gleich. Sie künden von dem gleichen Stress, der sich auf ihnen spiegelt. Doch stimmt das? In der DDR-Zeit machten die Gedichte des russischen Dichters Jewjeni Jewtuschenko in vielen christlichen Gemeinden die Runde. Eines davon lautet: „Die Mütter gehen leise von uns fort“. Das ist eine Aufnahme der Bildsprache des aronitischen Segens, konzentriert auf den Segen, der von der Mutter des Dichters ausging. Es heißt dort: „Als dein Gesicht vor mir sich hob/ und aufging über meinem Leben/ begriff ich erst, erbärmlich arm/ war ich. Nichts konnte ich dir geben./ Du schenktest mir den Wald, den Fluss,/ das Meer in immer neuen Farben./ Durch dich erst war die Welt für mich/ gemacht aus Regenbogengarben“.
Es ist nicht schwer, in diese Grunderfahrung eines jedes Menschen einzustimmen. Das Gesicht der Mutter und natürlich auch des Vaters ist die erste Wahrnehmung von uns Menschen. Dieses „Angesicht über uns“ geleitet uns in das Leben. Es „leuchtet über uns“ und schenkt uns Augen, die ganze Welt in ihren Farben wahrzunehmen. Dass Gott sein Angesicht aufhebt "über uns" und "leuchtet über unserem Leben ist darum eine Erfahrung, die auch Entsprechungen in unserem irdischen Leben hat. Aber es sind menschliche Entsprechungen, Annäherungen an das Gesicht, mit dem sich Gott uns im Leben und Sterben Jesu Christi zugewandt hat.
Jewgeni Jewtuschenkos Gedicht endet damit, dass ihn die Angst ergreift, wenn die Mutter stirbt und nicht mehr über seinem Leben leuchtet. „Von Angst bin ich gepackt. Von Angst,/ wie schnell solch Augenblick vorüberweht./ Für mich sind alle Farben tot,/ wenn dein Gesicht mir untergeht.“ So schließt dieses Gedicht. Das Segnen, in welches die Bibel die Christenheit einweist, sagt dazu jedoch nicht "Amen". Es sagt nicht, dass der ewige Gott aufhört, sein Angesicht über uns leuchten zu lassen und uns unsere Welt in immer neuen farben zu schenken. Es weist Menschen von weiter her in Räume des Lebens ein, als wir Menschen sie uns gegenseitig zu geben vermögen. Es stellt unsere Füße in einen weiten Raum, sagt Psalm 31,0 - einen Raum, der im Glauben an Jesus Christus auch nicht durch den Tod von uns Menschen in sich zusammen sackt.
Wo in unserer zerrissenen Welt gesegnet wird, entstehen also Räume, in denen wir vorwärts gehen können. Denn es sind Räume, die uns in der freien Luft von Gottes gutem Geist aufatmen lassen. Es sind Räume, in denen der Mut wächst, den dunklen Mächten zu widerstehen, die in unser Leben einbrechen. Segensräume eben.
Die Mutter und der Vater, welche ihr Angesicht über ihrem Kinde erheben, indem sie an seinem Bettchen beten, tun sehr, sehr viel für das Entstehen solcher Räume in den kommenden Generationen. Die Familien, die vor dem Essen die Hände falten und Gott danken, tun dasselbe, was die Pfarrerin und der Pfarrer tun, wenn sie die Gemeinde segnen. Sie öffnen, ja wandeln den Raum, in dem wir unser Leben fristen, zum Raum Gottes. Das ist die Wirkung des Segens, die wir erfahren können. Sie lässt uns in diesem Raum dankbar „in allen Dingen“ sein (1. Thessalonischer 5, 18). Sie begründet die Gewissheit, aber auch die Erwartung, dass Gott in dem Geheimnis seiner unsichtbaren Gegenwart in unserem Leben bewirkt, was für uns gut ist.
Solches Segnen unterbricht den Alltag. Es erfordert ein Innehalten inmitten unserer Geschäftigkeit. Man kann es nicht erledigen wie unsere alltäglichen Verrichtungen. Wer segnet, muss sich Zeit nehmen – auch wenn es nur kurze Zeit ist. Denn wer segnet, konzentriert sich auf Gott. Die Gesten, die das Segnen begleiten, unterstützen solche Konzentration. Sie ist nötig, auch wenn uns Menschen spontan darum bitten, gesegnet werden. Wir werden dann einen Ort suchen, an dem solche Konzentration möglich ist.
Besonders sinnenfällig war einmal der Reisesegen, mit dem der Familienvater die segnete, die in eine ferne Welt voller unbekannter Gefahren aufbrachen. Heute, wo wir an einem Tagvon Berlin nach München und zurück düsen können, wirkt solcher Segegn vielleicht unzeitgemäß. Aber doch bleibt der Reisesegen auch in unserer Zeit, in der viele menschen sich Glück statt Sagegen wünschen, ein Modell für die Dynamik eines christlichen Lebens. Denn eine Reise in ein nach menschlichen Maßstäben unbekanntes Land ist unser Leben ohne Zweifel. Wer segnet und gesegnet wird, bricht in dieses unbekannte Land aber in der Gewissheit auf, dass es von Gott "längst entdeckt" und von ihm umfangen und getragen ist.