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Mit der Stasi versöhnen?
Die DDR-Vergangenheit im Land Brandenburg lässt sich nicht ablegen wie ein alter Hut (Die Kirche 50/2009)
Der Prozess der „Versöhnung“, den der Brandenburgische Ministerpräsident mit der rot-roten Koalition in Gang setzen wollte, ist ins Stocken gekommen. Höchst unversöhnlich sind die Abgeordneten an den Pranger gestellt worden, die ihre Tätigkeit als „IM“ der Stasi verschwiegen haben. Trotzdem soll die „Versöhnung“ weiter gehen, d.h. die Brandenburgerinnen und Brandenburger sollen „mit einander ins Reine kommen“. Aufgrund der „tätigen Reue, Offenheit und Bewährung“, welche die ehemaligen SED-Kader gezeigt haben und zeigen, können sich die, die unter ihnen gelitten haben, jetzt mit ihnen „versöhnen“. Die Frage stellt sich, was damit gemeint ist.
So wie der Begriff „Versöhnung“ hier gebraucht wird, könnte man meinen, es handele sich um eine Verbrüderung von zerstrittenen Menschen. Sie bereuen ihren Zwist und vertragen sich wieder. Man solle deshalb auch von „Vertöchterung“ reden, hat ein Internetnutzer gefordert, der fürchtet, die Frauen kämen bei dieser „Versöhnung“ zu kurz. Doch das Wort „Versöhnen“ hat von seinem biblischen Ursprung her mit „Söhnen“ und „Töchtern“ nichts zu tun. Seine Bedeutung ist vielmehr „versühnen“. „Christ ist erschienen, uns zu versühnen“, werden wir am Heiligabend in singen.
Versühnen bedeutet: Schuld abtragen. Wer das weiß, kann das Unwohlsein verstehen, das die Brandenburger Versöhnungsinitiative bei denen auslöst, die unter der SED-Herrschaft wirklich gelitten haben. Sie kehrt das Verhältnis von Tätern und Opfern um. Die Opfer müssen die Schuld ihrer Unversöhnlichkeit abtragen, während die Täter versöhnungsbereit da stehen. Wie brüchig es um Letzteres bestellt ist, haben die jüngsten „Stasi-Fälle“ gezeigt. Andererseits ist aber auch nicht zuzugeben, dass jemand als unversöhnlich gilt, der z.B. nicht möchte, dass ein ehemaliger Wächter im Stasigefängnis heute politische Entscheidungen für sein Leben fällt.
Es ist darum geraten, die politische Entscheidung für die rot-rote Koalition nicht mit einer verqueren Versöhnungsrhetorik zu überhöhen. Unsere Gesellschaft hat den „reuigen“ Tätern längst eine „zweite Chance“ gegeben, politisch zu wirken. Das wird allseits akzeptiert. Weil die Vergangenheit sich aber nicht einfach ablegen lässt wie ein alter Mantel, ist es auch normal, wenn genau hingesehen wird, wie diese „zweite Chance“ in einem politischen Amt genutzt wird. Mit Unversöhnlichkeit hat das nichts zu tun.
Was aber die IMs der Stasi betrifft, so sind jene Potsdamer Abgeordneten nur die Spitze eines Eisbergs. Sie bestätigen eine – bis auf wenige Ausnahmen – tausendfach gemachte Erfahrung. Die geheime Tätigkeit in der DDR wird so lange geleugnet, bis es nicht mehr geht. Wieviele es in der Bevölkerung sein mögen, deren Spitzeltätigkeit nach wie vor verborgen ist, kann man angesichts des ungebrochenen Bedürfnisses nach Akteneinsicht nur ahnen. Die gleichsam weihnachtliche Vision, dass sie sich aufmachen, um sich mit ihren Opfern „zu versühnen“, gehört leider ins Reich der Träume von einer anderen Welt.