Category: Artikel
Gott der ganze Andere – „unhaltbar, verkehrt und heidnisch“
Die Kirche 20/2011
Unsere Zeitung hat mit Karl Barth offenbar kein Glück. Es ist 47 Jahre her, als er der Redaktion auf die Bitte hin, etwas über die Bedeutung der Barmer Theologischen Erklärung zu schreiben, einen Korb gegeben hat (Die Kirche vom 31.05.1964). Er habe „keine Zeit, Lust und Kraft“, den „Museumsführer“ zu spielen, war seine Antwort. Wenn diese Erklärung etwas für die Kirche bedeute, dann seien jetzt Jüngere an der Reihe, das darzulegen.
Ein solcher Jüngerer hat sich zum 125. Geburtstag von Barth zu Worte gemeldet (Die Kirche vom 08. Mai 2011). Aber damit hatte unsere Zeitung auch kein Glück. Was Barmen betrifft, so wird uns hier nämlich an zentraler Stelle ein sinnentstellendes Zitat der 1.These vom Barmen präsentiert. Barmen 1 schließt im Bekenntnis zu Jesus Christus bekanntlich aus, dass die Kirche „andere Ereignisse und (!) Mächte, Gestalten und Wahrheiten“ als „Quelle ihrer Verkündigung“ und als „Gottes Offenbarung anerkennen“ dürfe. Die Version dieser These lautet jetzt: Die Kirche dürfe solche „Ereignisse, Mächte, Gestalten und Wahrheiten“ nicht als „Gottes Offenbarung erkennen“.
Erkenntnisverbot war demnach die Direktive, unter die sich die Bekennende Kirche gestellt haben soll. Es ist demgegenüber nicht beckmesserisch, wenn auf dem wahren Text dieser These bestanden werden muss. Sie schließt nämlich nicht aus, dass sich Gott – Originalton Barth! – „in einem blühenden Rosenstrauch, in einem toten Hund oder im russischen Kommunismus“ offenbaren kann. Sie schließt nicht aus, dass es „wahre Worte außerhalb der Kirche“ und „Gleichnisse des Himmelreichs“ in der Welt gibt. Aber sie stellt dergleichen in das Licht Jesu Christi. Sie beurteilt von daher, was als Offenbarung Gottes anzuerkennen ist. Die Macht der Nazis und der antisemitische Rassismus der „Deutschen Christen“ verdienten diese Anerkennung nicht. Sie zerstörten die Kirche. Darum ging es im Kirchenkampf von 1933/34, der mit dem Kampf gegen die „Gleichschaltung der Gewissen“ nur auf oberflächliche Weise beschrieben wird.
Aber Oberflächlichkeit ist nun gerade das, was der Theologie Barths bescheinigt wird. Sie sei „hemdsärmelig“. „Hemdsärmelig“ bedeutet: burschikos, unverantwortlich, nicht ernst zu nehmen. Dieses Urteil über eine der umfassendsten theologischen Denkbemühungen seit Friedrich Schleiermacher ist abstrus. Man mag zu dem Riesenwerk von Karl Barth stehen wie man will. Es ist der intensivste Versuch seit der Reformationszeit, die Grundbeziehung des Glaubens an Gott in Jesus Christus in allen ihren Dimensionen und Verästelungen zu durchdenken und damit dem Auftrag unserer Kirche zu dienen.
Der Artikel „Gott ist der ganz Andere“ bedient dagegen ein verbreitetes Klischee. Danach hat uns Barth (obwohl er auch irgendwie von der Menschlichkeit Gottes redet) Gott vor allem als den Fremden, der uns richtet, eingehämmert. In der Tat: Der junge Karl Barth hat 1919 und 1921 nicht nur, aber auch so geredet. Ich selber habe manchmal auch Lust, so zu reden; z.B. wenn an Ostern die Auferstehungsbotschaft in eine seichte Moralpredigt verwandelt wird. Aber Gott den „ganz Anderen“ zu predigen, stiftet mich die „Kirchliche Dogmatik“ nicht an. Denn dieses Hauptwerk Barths hat mit Gott „dem ganz Anderen“ nichts am Hut. Dort lese ich vielmehr: Unsere Meinung, dass Gott nur der oder das „ganz Andere“ sei, erweise sich angesichts des Lebens und Sterbens Jesu Christi als „unhaltbar, verkehrt und heidnisch“.