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29.01.2012 00:00 Age: 12 yrs
Category: Predigten

Der "Gnadenstuhl" des Augustinusfensters in Erfurt

Predigt in der Nordendgemeinde Berlin am 29.01.2012


Liebe Gemeinde, in unserem heutigen Gottesdienst soll ein Bild der Predigt zugrunde liegen. Das bedeutet nicht: Heute stellen wir die Bibel einmal in die Ecke. Denn in dem Bild, um das es uns geht, begegnen uns sogar gleich mehrere Bibeltexte auf einmal. Sie sprechen uns diesmal nur nicht mit Worten an, die wir hören, sondern mit Formen und Farben, die wir sehen. Das ist solange schön und gut, wie die Geschichten gemalt werden, welche uns die Bibel von Menschen erzählt, die im Glauben an Gott auf dem Wege waren. Sie illustrieren und vertiefen das, was diese Menschen erlebten. Unser Bild aber malt keine Menschen. Der Künstler, der dieses Bild vor 700 Jahren gestaltete, hat es gewagt, Gott zu malen. Er hat ihn wie einen Menschen mit einem Gesicht und allen Körperteilen dargestellt. Er ist also stark verdächtig, einem naiven Gottesbild aus vergangenen Zeiten verhaftet zu sein. Die Frage ist darum, ob uns heute eine gemalte Gottesgestalt überhaupt etwas bedeuten kann. Die Älteren unter uns, wie ich selbst, kennen derartig naive Gottesbilder vielleicht sogar noch aus Kinderbibeln des 19. Jahrhunderts. Gott wird wie ein gütiger, alter Großvater mit einem Rauschebart gemalt. Viele kritische Geister in unserer Kirche wünschen sich heute, es hätte diese Art von christlicher Kunst niemals gegeben. Sie verschafft bloß den Atheisten Auftrieb, die Gott ohnehin für ein Phantasieprodukt von Menschen halten. Mehr noch: Sie verletzt den einfachsten Grundsatz des christlichen Glaubens. Der aber lautet: Gott kann man nicht sehen und folglich kann man ihn auch nicht malen. „Du sollst Dir kein Bildnis machen“, von Gott kein Bildnis machen, lautet darum das zweite der zehn biblischen Gebote. Martin Luther hat es unberechtigterweise aus den 10 Geboten gestrichen. Aber dass menschliche Abbilder von Gott ihn zum Abgott, zum Götzen zu machen drohen, war trotzdem seine feste Überzeugung. Solche Bilder versuchen, Gott in den Maulwurfsperspektiven unserer Augen unterzubringen. Sie machen ihn zu einem Stück Welt. Sie verleiten zur Anbetung menschlicher Machwerke, auch wenn sie künstlerisch noch beeindruckend sind, wie zum Beispiel Michelangelos Gott bei der Erschaffung Adams. (1. Bild) Bilder dieser Art, die Gott zum Gegenstand von Malerei machen, nagen deshalb am Glauben. Denn was man sehen kann, braucht man nicht glauben. Glauben ist da nötig, wo wir nichts sehen. Gott und Glaube gehören zu haufe, gehören zusammen, hat wiederum Luther in seinem „Großen Katechismus“ gesagt. Gott zu sehen, sein Antlitz zu schauen, aber wird uns nach dem einhelligen Zeugnis des Neuen Testaments erst in der Ewigkeit geschenkt werden. Wir gehen also ein ziemliches Risiko ein, liebe Gemeinde, wenn wir ein Bild, auf dem Gott gemalt ist, unserer Predigt zugrunde legen, die zum Glauben an den unsichtbaren Gott ermutigen möchte. Gerechtfertigt ist das nur, wenn eine derartige Gottesmalerei uns dennoch etwas zu sagen vermag, was uns dem unsichtbaren Gott näher bringt und uns gerade nicht daran festhält, wie Menschen sich Gott ausmalen. Und das ist bei unserem Bilde der Fall. Wir machen, um uns dieses Bild anzusehen, im Geiste eine kleine Reise nach Erfurt. Wir besuchen dort das Augustinerkloster, in dem der junge Martin Luther das Leben eines Mönchs geführt hat. Wir folgen seinen Spuren, indem wir in den Chor der Augustinerkirche gehen, der uns durch drei lange, farbige Fenster schon von weitem anzieht. (2.Bild) Wir aber setzen uns in die „Sediliennische“ auf der rechten Seite. Das war Luthers Platz bei der Messe. Wenn wir dort sitzen, schauen wir wie weiland er auf das sogenannte Augustinerfenster.  Auf ihm sind die Lebensstationen des Kirchenvaters Augustin aus dem 5. Jahrhundert abgebildet. Ganz oben aber sehen wir ein Art Medaillion, das offenbar daran erinnern soll, welche Bedeutung Augustin für die Erklärung des Verständnisses des dreieinigen Gottes gehabt hat. Es stellt jedenfalls den dreieinigen Gott – den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist – bildlich dar. (3. Bild). Von unten kann man dieses Bild kaum erkennen. Es ist darum zweifelhaft, ob es Luther besonders beeindruckt hat. Er hat jedenfalls nirgendwo davon geredet. Und doch vermittelt es eine Botschaft, die seinem Verständnis Gottes, das die Reformation der Kirche Jesu Christi antrieb, eigenartig nahe kommt. Dieses Bild malt nämlich einen Gott, den kein Mensch ersinnt, um sich in ihm selbst zu verehren. Dieses Bild malt keinen Gott, den wir uns wünschen. Es malt einen unendlich traurigen Gott. Das ist der erste und beherrschende Eindruck, den dieses Bild vermittelt. Gott, der Vater, starrt mit weit aufgerissenen, irgendwie leeren Augen und mit einem von Schmerz nach unten gezogenem Mund vor sich hin. Besser: Er starrt in die Menschenwelt hinein – dürfen wir wohl sagen – die Schreckliches angerichtet hat. Sie hat den, der ihr im Namen Gottes Wege der Liebe bahnte, der sie Barmherzigkeit und Güte lehrte, getötet. Das Kreuz, an welches Jesus Christus geschlagen wurde, liegt nun auf den ausgebreiteten Armen Gottes des Vaters. Das heißt: eigentlich liegt es nur auf dem rechten Unterarm. Es wirkt in seiner Schieflage wie hinein geschleudert in Gott. Mit der linken Hand hält der Vater es fest, damit es nicht abrutscht in unendliche Tiefen. Die rechte Hand ist dagegen so geöffnet, wie wir es tun, wenn wir mit den Händen etwas darbieten. Am Kreuz selbst aber hängt der tote Jesus Christus, Gottes Sohn, mit geneigtem Haupt – entsprechend dem, dass es im Evangelium heißt: „und er neigte das Haupt und verschied“. Es gibt, liebe Gemeinde eine große und lange Tradition in der christlichen Kirche, die behauptet, Gott könne nicht leiden. Das sei seiner Hoheit und Majestät nicht würdig. Auch in Jesus Christus habe nur der Mensch gelitten und nicht der ewige Sohn Gottes. Im Umkreis dieses Gottessverständnisses ist all der Unfug gediehen, den man bis heute und gerade heute dem christlichen Glauben an Gott unter die Nase reibt. Den erhabenen, majestätischen Gott soll es demnach nach einem Menschenopfer gelüstet haben, das seinen Zorn über die Gottlosigkeit seiner Geschöpfe besänftigen soll. Einen „Kannibalen im Himmel“ hat einer, der sich Philosoph nannte, den Gott des christlichen Glaubens darum genannt. Er hat halt niemals in der Augustinerkirche gesessen und auf unser Bild geschaut, in welchem dem unendliche trauernden Gott sein toter Sohn von einer gottlos gewordenen Menschheit in die Arme geschleudert wird. Wir aber müssen uns angesichts des Einbruchs von Tod und Verderben in Gott, den dieses Bild zeigt, fragen: Wo ist da denn noch ein Ausweg? Begegnet uns hier nicht ein schlechthin zukunftsloser Gott, der uns mit seinen vor Entsetzen traurigen Augen gar nichts mehr verheißt? Ist sein uns belebender, ermutigender Geist so kraftlos und schlapp geworden wie die Taube, die da als Symbol der Heiligen Geistes neben Gott dem Vater auf den toten Jesus Christus hernieder stürzt? Man kann darüber streiten, ob es sich hier um einen „Sturzflug“ des Heiligen Geistes handelt, der mit seiner belebenden Kraft dem toten Jesus Christus zu Hilfe eilt oder ob diese Taube nicht eher einem abgeschossenen Vogel ähnelt, der zur Erde fällt. Jedenfalls ist von der ausstrahlenden Kraft selbst, welchen in der Bibel den Heiligen Geist auszeichnet, in dieser Darstellung wenig zu merken. Es ist, als habe der Tod Jesu das Leben Gottes verwirrt und ins Stocken gebracht. Es gibt jedoch drei Hinweise in dieser Darstellung des dreieinigen Gottes, welche seine Erschütterung durch den Tod Jesu Christi in eine Perspektive mit Zukunft stellen. Den ersten Hinweis bemerken wir, wenn wir auf die perspektivisch ungeschickt dargestellte Kiste sehen, auf der Gott, der Vater sitzt. Wir wissen aus den biblischen Lesungen schon, worum es sich handelt. Es ist die Bundeslade, in welcher das Volk Israel die zehn Gebote aufbewahrte. Auf dem Deckel dieser Bundeslade aber war ein Thron, von dem aus der unsichtbare Gott zu Moses, ja zu ganz Israel gesprochen hat. Luther hat diesen Thron „Gnadenstuhl“ genannt. Denn wenn Gott in unserer Welt gegenwärtig ist, ist das schon an sich Gnade, ungeschuldete Zuwendung zu uns Menschen. Es ist erst recht Gnade, dass er sich solchen Menschen zuwendet, die sich von ihm abgewendet haben und seine Gebote missachten. Für unsere Frage wichtig aber ist: Die Bundeslade steht nicht im Himmel fern weg von uns und der Gnadenstuhl auch nicht. Der Vater, der von diesem Stuhl aus redet, ist der zu uns kommende Gott, der mitten unter uns um uns bekümmerte Gott. Unser Bild stellt darum nicht ein jenseitiges Drama dar. Bei aller Erschütterung durch den Tod Jesu Christi ist es der lebendige Gott, der uns auf der Erde begegnet. Der Apostel Paulus hat darum in einem kühnen geistlichen Schwunge auch Jesus Christus einen „Gnadenstuhl“ genannt. Das Bild klappert ein wenig. Denn das Leben und Sterben Jesu Christi kann man schwerlich als Sitzen auf einem Stuhl verstehen. Wir müssen diese Bezeichnung Jesu Christi weitläufig deuten. Sein Leben und Sterben ist zum Ort der Gegenwart Gottes geworden. Fragst Du in unserer von so viel Not und Elend zerrütteten und angefochtenen Welt: „Wo ist Gott“?, dann musst Du mit unserem Bild antworten: „Hier ist Gott“. Es ist – wie gesagt – ein von den Untaten der Menschen zutiefst erschütterter Gott. Diese Erschütterung bleibt, wenn seine Gegenwart bei uns nun für immer den Tod des Menschen gegenwärtig werden lässt, in dem er jeden Menschen geliebt hat und liebt. Sie bleibt in den unendlich traurigen Augen Gottes. Aber da ist dann noch etwas anderes. Unser Künstler, der dieses Bild schuf, hat das Antlitz Gottes – und das ist der zweite Hinweis auf die Perspektive dieses Bildes – mit einem fast überdimensionierten Heiligenschein umrahmt. Ein solcher Heiligenschein ist von alters her ein Symbol für die Erhabenheit, Reinheit und Heiligkeit einer Person. In unserem Bilde umrahmt dieser Heiligenschein nur das Antlitz des Vaters. Aber das ist kein Ausdruck dessen, dass dieser Vater sich in seine göttliche Majestät zurückzieht und mit dem Elend der Welt nichts zu tun haben will. Wenn wir genau hinsehen, erkennen wir, dass sein Heiligenschein in der Mitte und an den Seiten unterbrochen ist. Er ist vom Symbol des Kreuzes unterbrochen. Die Macht und Erhabenheit Gottes kann von dem, der uns mit dem toten Christus auf seinen Armen begegnet, nur als Macht und Erhabenheit des Mitleidens Gottes mit seinen Geschöpfen verstanden werden. Mehr noch: Es ist eine Macht und Erhabenheit, die ihre belebende Kraft ganz unten erweist. Darum hat die geöffnete rechte Hand des Vaters – und das ist der dritte Hinweis auf die Perspektive dieses Bildes – sicherlich eine tiefere Bedeutung. Sie bietet uns Jesus Christus mit einer Gebärde des Schenkens gleichsam dar. „Für euch ertrage ich dieses Leiden“, sagt diese Hand. „Für euch antworte ich auf Eure Gewalt nicht mit meiner göttlichen Übermacht“. „Für euch leide ich lieber, als euch dem Verderben preis zu geben“. „Für euch soll meine göttliche Majestät für immer im Zeichen der Liebe stehen, mit der ich euch alle in meinem Sohne liebe, der in meinen Armen nicht für immer dem Tode preis gegeben ist“. Gott kann man nicht malen, haben wir zu Beginn gesagt. Dabei bleibt es auch, nachdem wir uns von diesem außergewöhnlichen Bild des dreieinigen Gottes haben anreden lassen. Niemand von uns wird von uns der Meinung sein, Gott sehe so aus, wie es sich ein Mensch vor 700 Jahren vorgestellt hat. Und doch konnten wir entdecken, dass die eher schlichte Kunst, mit der Gott hier gemalt wurde, uns allenthalben über das hinaus führt, was wir sehen können. Sie bringt uns das Geheimnis der Liebe Gottes nahe, die auch, wenn sie durch den Tod des Liebsten erschüttert wird, nicht erkaltet. Amen.

 


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