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18.05.2017 09:42 Age: 7 yrs
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Luthers Streitlust. Einfach nur deftig oder voll daneben?

Paternoster. Die Zeitschrift der Emmaus-Ölberg-Gemeinde 1/2017


„Denn Gott weiß, daß wir an dieser schrecklichen Uneinigkeit nicht Lust oder Freud haben.“ So hat Philipp Melanchthon seine „Apologie“, die Verteidigung der Augsburgischen Konfession, des Grundbekenntnisses der Reformation von 1530, beschlossen. Es war ein versöhnliches Bekenntnis, das in 21 Artikeln darlegte, worin die Kirche der Reformation mit der römisch-katholischen Kirche übereinzustimmen hoffte. Nur 8 weitere Artikel klagten „Missbräuche“ an, die überwunden werden sollten.

         Die römisch-katholische Kirche aber hat sich auf dieses Angebot der Verständigung im Streit um das wahre Verständnis des Evangeliums nicht eingelassen. In seinem Ursprung sollte das ja eigentlich ein friedlicher akademischer Streit sein. Luthers 95 lateinische Thesen über den Ablass von 1517 waren für eine wissenschaftliche Disputation gedacht. Doch diese Disputation fand nie statt. Nachdem die 95 Thesen eine rasante Verbreitung gefunden hatten, hat Rom den Hammer der Bannandrohung gegen Luther aus dem Sack geholt. Seither ging es nicht mehr bloß um einen Streit, bei dem Argumente ausgetauscht wurden. Jetzt ging es – auch wenn Luther und Johannes Eck 1519 in Leipzig öffentlich „disputierten“ – um einen Kampf, der von römischer Seite auf die Vernichtung eines „Ketzers“ zielte. Jetzt ging es um Leben und Tod.

Bei Luther aber stieß die römische Kampfansage auf  Beton. Er ließ die Bannandrohungsbulle samt den römischen Gesetzen vor den Toren Wittenbergs verbrennen. Mit politischer Rückendeckung durch seinen sächsischen Kurfürsten verweigerte er 1521 auf dem Reichstag zu Worms den Widerruf seiner reformatorischen Schriften. „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, hat er jedoch wahrscheinlich nicht gesagt.

Aber fortan konnte er im Unterschied zu seinem aus Ausgleich bedachten Freunde Melanchthon in der Tat nicht mehr anders, als die römisch-katholische Kirche kompromisslos zu bekämpfen. Denn er hatte sich schon lange vor dem Reichstag von Augsburg die Meinung gebildet, dass der Papst als Repräsentant dieser Kirche der „Antichrist“, ja der „leibhaftige Teufel“ sei. Mit ihm war nicht zu diskutieren und mit der römischen Delegation in Augsburg auch nicht. „Gott gebe, dass sie der Teufel bescheiße. Amen“, hat er in einem Brief an seine Frau Katherina vom Juni 1530 geschrieben.

Man kann eine derartige Äußerung Luthers, der viele andere fäkalische Beschimpfungen seiner Gegner zur Seite gestellt werden können, nicht bloß auf seinen „Grobianismus“ zurückführen.  Der war sicherlich immer auch mit im Spiele. Eine neuere Lutherbiographie stellt Luther regelrecht als einen „Rabauken“ dar, der an der Verunglimpfung seiner „Feinde“ Gefallen fand. Seinen Kontrahenten bei der Leipziger Disputation Dr. Johannes Eck hat er kurz „Dreck“ genannt und seinen wahrlich auch nicht zimperlichen Gegner Cochläus „Rotzlöffel“.

Doch lustig können wir das heute nicht finden. Denn dahinter steckte bei Luther eine ganze Weltanschauung. Er war nämlich fest davon überzeugt, dass noch zu seinen Lebzeiten das „jüngste Gericht“ hereinbrechen werde, bei dem Christus dieser Welt ein Ende bereiten und die Toten und Lebendigen richten werde. Den Einbruch dieses Gerichts aber glaubte er daran zu erkennen, dass nach 1. Johannes 2, 19-23 vorher der „Antichrist“ auftritt, der Gott den Vater und den Sohn leugnet. Als diesen „Antichristen“ identifizierte er den Papst und ihm zugeordnet die „Türken“, die 1529 bis nach Wien vorgedrungen war. In seiner „Heerpredigt wieder die Türken“ aus diesem Jahre heißt es darum:

„Die Schrift weissagt uns von zwei grausamen Tyrannen, welche sollen vor dem jüngsten Tage die Christenheit verwüsten und zerstören. Einer geistlich mit […] falschen Gottesdienst und Lehre wider den rechten christlichen Glauben. […] Das ist der Papst. Der andere mit dem Schwert. […] Das ist der Türke. […] Also muss der Teufel, weil der Welt Ende vorhanden ist, die Christenheit zuvor mit beider seiner Macht aufs aller greulichst angreifen, […] ehe wir gen Himmel fahren“. Darum gelte es jetzt, dem Auftreten des „Antichrist“ mit dem Zeugnis vom wahren, biblischen Glauben Widerstand zu leisten. „Erhalt uns Herr, bei Deinem Wort/ und steure des Papst und der Türken Mord,/ die Jesus Christus, deinen Sohn/ wollen stürzen von deinem Thron“ hat Luther 1543 in einem Kirchenlied gedichtet, das er merkwürdigerweise als „Kinderlied“ verstanden hat. Es steht noch heute im Evangelischen Gesangbuch; freilich in der abgemilderten Form: „…und steure deiner Feinde Mord“ (EG 193).

Diese Endzeitstimmung, in der Luther lebte, erklärt, warum in seinen Auseinandersetzungen mit Abweichungen von seiner reformatorischen Lehre je länger je mehr alle versöhnlichen, kompromissbereiten Zwischentöne fehlen. Das gilt nicht nur im Hinblick auf das Papsttum. Besonders übel ist sein Wüten gegen die Juden, das sich auch dieser Endzeitstimmung verdankt. Die Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ (1543), die Christus nicht bekennen wollen, zählt zu dem Widerlichsten, das Luther geschrieben hat. Man schämt sich heute geradezu, daraus zu zitieren.

Doch nicht nur das. Als andere Reformatoren in Süddeutschland und in der Schweiz seine Lehre von der realen Gegenwart des irdischen Jesus in den Elementen von Brot und Wein in Frage stellten, hat er auch bei ihnen den „Teufel“ am Werke gesehen. Er hat dadurch die sich von der römischen Kirche trennende Kirche noch einmal gespalten. Als er 1546 starb, hat er eine zertrennte und auch in „lutherischen Landen“ eine in lauter Gezänk und elende Grabenkämpfe verstrickte Kirche hinterlassen.Muss einem die Lust, diesen Reformator zu preisen, angesichts von alledem und noch viel mehr nicht eigentlich vergehen?

Eigentlich schon. Doch das Verzwickte ist, dass Luther in all seinen Grenzen und seiner Befangenheit im Mittelalter dennoch das Tor zu einem neuen Zeitalter aufgestoßen hat. Seine Botschaft von der „Freiheit eines Christenmenschen“, d.h. eines Menschen, der allein Gott verantwortlich ist und seinem Nächsten dient, hat über die Zeiten hinweg Wellen geschlagen, die auch noch heute Menschen mitnehmen und ihnen Lust und Freude machen, ihr Leben in dieser Freiheit zu führen.

Sie werden dabei die Zwangsvorstellungen abschütteln, mit denen Luther selbst seine Freiheitsbotschaft verdorben hat. Sie werden auch den Streit nicht scheuen, wenn es gilt, diese Freiheit in den Auseinandersetzungen unserer Zeit zu behaupten. Aber dieser Streit soll nimmermehr in einen mörderischen Kampf ausarten wie zur Reformationszeit. Ein freier Christenmensch sucht in der Achtung vor anderen freien Menschen vielmehr die Verständigung, weil er – wie weiland Melanchthon – an der Uneinigkeit der Christenheit „weder Lust noch Freud“ hat.    

 

    Kreuzweises Verdammen

(erst von oben nach unten, dann von links nach rechts zu lesen)

 

Ich sage gänzlich ab,                         der römisch Lehr und Leben

Luthero bis ins grab                           will ich sein gantz ergeben

ich hasse und verspott                       die Mes und ohren Beicht

Luthero sein Gebot                            ist mir gar Süs und Leicht

ich hass je mehr und mehr                 All, die das Papsttum Lieben

die Lutherische Lehr                           hab ich ins Hertz geschrieben

Hinweg aus meinem Land                   All Römisch Priesterschaft

was Lutherisch ist verwandt                schütz ich mit aller Kraft

wer Lutherisch lebt und stirbt              der muss den Himmel Erben

in Ewigkeit verdirbt                            der Römisch kommt zu Sterben

 

Schönschreibübung des 14jährigen Johann Michael Geiger aus Bofsheim bei Osterburken (Baden-Württemberg) aus dem Jahr 1782.

 

 

 


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