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Jürgen Henkys in memoriam
Bonhoeffer Rundbrief 111 - Nov. 2015
Am 22. Oktober 2015 ist Jürgen Henkys zwölf Tage nach dem Heimgang seiner geliebten Frau und Stütze seines Lebens Erika, geb. Gooße, im Alter von 85 Jahren gestorben. Er war ein Mitglied unserer Gesellschaft, der uns das Erbe Dietrich Bonhoeffers in unverwechselbarer und unersetzbarer Weise durch die Jahrzehnte hindurch als einen reichen Schatz erschlossen hat, der Kraftquelle eines christlichen Lebens in unserer Zeit ist.
Dass Bonhoeffer für ihn so wichtig wurde, verdankte er Albrecht Schönherr, einem Finkenwalder Schüler Bonhoeffers, der für den Weg der Evangelischen Kirche als erster Vorsitzender des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR so große Bedeutung gewann. Er lernte ihn im Predigerseminar in Brandenburg kennen, nachdem er mit seiner Frau im Jahre 1953 aus der Bunderepublik Deutschland in die DDR gekommen war, um dort dem Pfarrermangel abzuhelfen. 1956 wurde er Studieninspektor und später Dozent für Katechetik an diesem Seminar. Die Freundschaft mit Albrecht Schönherr aber wurde ein Kontinuum seines Lebens. Als er 2011 die bewegende Trauerpredigt für ihn in Potsdam hielt, nahm er Abschied von einem Menschen, der ihm das immer neue Hören auf Bonhoeffer zu einem Lebensanliegen als Praktischer Theologe im Dienste unserer Kirche gemacht hat.
1966 wurde Jürgen Henkys zum Dozenten für eben diese theologische Disziplin als Dozent an das „Sprachenkonvikt“ in Berlin berufen – einer Hochschule, die sich unter den Bedingungen der DDR unter einem Decknamen verbergen musste. Er war ein wunderbar menschlicher Kollege für alle, die mit ihm zusammen arbeiten durften. Seine Redlichkeit und Wahrhaftigkeit haben allen den Rücken gestärkt, die sich für Recht und Gerechtigkeit einsetzten. Seine Offenheit und Hörbereitschaft ließen ihn zu einem außerordentlich geschätzten Gesprächspartner der Studierenden werden. Seine Predigten mit dem immer genauen Achten auf das Wort und dem Ausloten der Wörter machten Menschen ebenso nachdenklich wie frei und fröhlich. Als er, nachdem das „Sprachenkonvikt“ im Jahre 1991 mit der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität fusionierte, der erste Universitätsprediger in Berlin nach Jahrzehnten wurde, hat er dieses Amt mit geistlicher Tiefe geprägt. Es verwies diese Fakultät in einer nicht einfachen Umbruchszeit auf ihre vordringliche Aufgabe, Menschen für den Dienst in unserer Kirche zu befähigen.
Dass er sich in seiner Lehrtätigkeit für die ganze Breite der Praktischen Theologie verantwortlich wusste, hat er in seinem Beitrag für das Handbuch der Praktischen Theologie von 1975 eindrucksvoll dargelegt. Wobei es ihm bei seiner wissenschaftlichen Arbeit aber vor allem ankam, war die Bildung der heran wachsenden Generationen mit dem Geist des Evangeliums. Schon seine Dissertation aus dem Jahre 1965 beschäftigte sich mit den Lehren aus der Jugendarbeit in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg. Während seiner Lehrtätigkeit am „Sprachenkonvikt“ hat er Wesentliches geleistet, um die „Christenlehre“ – den vom DDRStaat unabhängigen kirchlichen Unterricht – zu profilieren. Als Mitherausgeber des Bandes 14 der Bonhoeffer-Werke, der das pädagogische Bemühen Bonhoeffers im Predigerseminar in Finkenwalde umfänglich dokumentiert, war es sein Bestreben, die Bildung der heranwachsenden Generationen auf das Leben mit der Bibel und aus dem Evangelium zu konzentrieren. Dass die „Gemeindepädagogik“ heute ein eigener Berufszweig ist, geht auch auf seine Initiativen zurück, die darauf zielten, die Verkündigung unserer Kirche auf eine breite Basis über den Pfarrberuf hinaus zu stellen.
Seine besondere Aufmerksamkeit und Liebe aber galten durch die ganze Zeit seines Schaffens hindurch dem ästhetischen Ausdruck sowohl des christlichen Glaubens wie des Lebens überhaupt, wie es in der Literatur und der Poesie verdichtet wird. Er hat das Werk von Johannes Bobrowski, Erwin Strittmatter und Franz Fühmann ebenso feinfühlig interpretiert wie die Gedichte von Paul Celan. Der Tradition der Kirchenlieddichtung aber wusste er sich vor allem verpflichtet. Darauf hat er sich nach seiner Pensionierung im Jahre 1995 vor allem konzentriert. Seine drei Bände „hymnologischer Beiträge“, in welcher er Kirchenlieder analysiert und interpretiert, weisen ihn als einen der bedeutendsten Hymnologen der Gegenwart weltweit aus.
Aber nicht nur das. Jürgen Henkys hat sich von den Dichtern des Kirchenliedes auch inspirieren lassen, selbst Lieder zu schreiben und Lieder anderer Sprachen nachzudichten. Etwa 175 Kirchenlieder aus anderen Ländern hat er in der deutschen Sprache eine neue künstlerische Form gegeben. Über zehn Lieder davon sind in das Evangelische Gesangbuch von heute aufgenommen worden. „Morgenlicht leuchtet“, „Korn, das in die Erde“, „Holz auf Jesu Schultern“ und „Der schöne Ostertag“ zählen zu den Liedern, die in den christlichen Gemeinden heimisch geworden sind.
Die Sensibilität für die ästhetische Dimension des Lebens im christlichen Glauben und für das gesungene Gotteslob erklärt es auch, warum Jürgen Henkys sich der Dichtung Dietrich Bonhoeffers mit besonderer Sorgfalt zugewendet hat. In seinem Buch „Geheimnis der Freiheit“ von 2005 hat er die Gedichte, die Bonhoeffer im Gefängnis geschrieben hat, minutiös aufgeschlüsselt. Er hat sie nach den theologischen Intentionen befragt, die Bonhoeffer im Gefängnis umgetrieben haben. Er hat sie zu den Traditionen geistlicher und weltlicher Dichtung in Beziehung gesetzt, die bei Bonhoeffer zum großen Teil nur durchschimmern. An dem, was Jürgen Henkys in diesen Gedichten aufgehellt hat, wird fortan niemand mehr vorbeigehen können, der sich der Theologie und dem Leben Dietrich Bonhoeffers, die auch zum ästhetischen Ausdruck drängten, zuwendet.
Was Jürgen Henkys uns gegeben hat, ist darum mit seinem Heimgang ganz gewiss nicht vergangen. Es wurzelt für die, die mit ihm auf dem Wege waren, bleibend in ihrer christlichen und theologischen Existenz. Am Ende bleibt der Dank für dieses Leben. Er ist eingebettet in die Gewissheit, dass diesem Lehrer unserer Kirche jetzt das ewige Licht leuchtet, dessen Vorscheinen in unserem Leben sein Lebenswerk galt.