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Ethik der Verantwortung
Dietrich Bonhoeffer: Die letzten und die vorletzten Dinge (Ev. Zeitung 69/16 am 19.04.2015,24)
Dietrich Bonhoeffers besonderes Interesse galt in seiner theologischen und kirchlichen Existenz zeitlebens der „Ethik“. Das ist die Lehre vom guten Handeln und Verhalten von Menschen. Bonhoeffer hat in der Zeit seiner aktiven Beteiligung am Widerstand an einem Buch über die christliche Ethik gearbeitet. Vollendet wurde es nicht. Seine Bearbeitungen dieses Themas sind Fragmente. Sie wurden nach 1945 mit dem dürren Titel „Ethik“ veröffentlicht. Es hätte aber eher heißen müssen: „Ethische Ansätze oder Erkundungen“. Denn alle Kapitel dieses Buches brechen ab.
Es ist deshalb nicht geraten, aus Bonhoeffers Fragmenten ein „System“ zu basteln. Aber einige Grundsätze für eine christliche Ethik üben diese Fragmente dennoch ein.
Ein erster Grundsatz ist: Alles Handeln und Verhalten von Christinnen und Christen hat sich an der „Christuswirklichkeit“ zu orientieren. „Christuswirklichkeit“ ist das Zusammensein von Gott und von uns Menschen in Jesus Christus. Abseits von diesem Zusammensein, welches ethisches Denken leitet, geht die christliche Ethik in die Irre. Das stellten die „Deutschen Christen“, die Adolf Hitler als eine Gottesoffenbarung verstanden, in der Nazi-Zeit unter Beweis. Die Aufgabe der christlichen Ethik besteht demgegenüber darin, aufzuweisen, wie Christus im gesellschaftlichen Leben „Gestalt gewinnt“.
Ein zweiter Grundsatz christlicher Ethik war für Bonhoeffer die Unterscheidung zwischen „Letztem und Vorletztem“. Dass Gott Menschen ohne Bedingung annimmt, ist ein „Letztes“. Diesem Letzten hat die Christenheit den „Weg zu bereiten“. Das geschieht, indem sich die christliche Gemeinde für ein menschenwürdiges Leben aller von Gott geliebten Menschen einsetzt.
Damit klingt ein dritter Grundsatz an. Wer an Gott im Zusammensein von Gott und Mensch/Welt in Jesus Christus glaubt, übernimmt Verantwortung für ein wahrhaft menschliches Leben seiner Mitmenschen. Dabei beurteilt er ihre Situation „wirklichkeitsgemäß“. Bonhoeffer war ein starker Anwalt des unverstellten Blicks auf die Verbrechen des NS-Staates.
Der verantwortlich Handelnde ist aber kein Traumtänzer. Er macht sich sachkundig. Er versteht sich auf die sozialen, wirtschaftlichen, und politischen Gesetzmäßigkeiten, unter denen Menschen leben. Er kann vernünftige Vorschläge machen, wie für die nahen und die fernen Menschen ein menschenwürdiges Leben möglich wird.
Im Wahrnehmen solcher Verantwortung sind Christinnen und Christen zugleich gebunden und frei. Gebunden sind sie durch Gottes Gebot, den Nächsten zu lieben. Frei sind sie im Hören darauf, was dieses Gebot in einer konkreten Situation ihnen sagt. Das kann bedeuten, dass der verantwortliche Handelnde die Schuld der Übertretung von Gottes einzelnen Geboten auf sich nimmt. „Schuldübernahme“ war für Bonhoeffer ein wichtiges Thema seiner „Ethik“. Denn er war sich selbst seiner Schuld der Beteiligung an der Tötung eines Tyrannen bewusst. In tatenlosem Zuschauen noch schuldiger daran zu werden, wie Millionen von Menschen hinmordet werden, war für ihn in einem verantwortlichen Leben aber ausgeschlossen. Die drei skizzierten Grundsätze von Bonhoeffers Ethik gelten in der weltweiten Bonhoeffer-Rezeption als zukunftsweisend. Kritisch diskutiert aber wird sein Versuch, theologisch eine Gesellschaftsstruktur zu begründen. Er hat dabei auf die lutherische Lehre von den „Ordnungen“ Gottes für die Schöpfung zurück gegriffen. Nach Luther regiert Gott die sündige Welt durch die Obrigkeit, die Ehe und die Kirche.
Bonhoeffer hat diese Ordnungen als „Mandate“ Christi interpretiert. Das sind „Aufträge“ Jesu Christi an bestimmte Personen. Sie werden als „Stellvertreter Gottes“ bevollmächtigt, Herrschaft in der Welt auszuüben. Es gibt vier solcher „Mandate“: Die Arbeit (also die Wirtschaftsordnung), die Ehe, die Obrigkeit und die Kirche. Bonhoeffers Sprachgebrauch schwankt. Er kann auch von Kirche, Ehe und Familie, Kultur und Obrigkeit als Mandaten Christi reden.
Problematisch ist Bonhoeffers Ansicht, diese Mandate würden „irdische Autoritätsverhältnisse“ begründen. Die Struktur der Gesellschaft ist demnach durch ein „klares Oben und Unten“ geprägt. „Oben“ sind die Mandatsträger. „Unten“ sind die, welche ihnen in Gehorsam zu leisten haben. Bonhoeffer hat darum z.B. ein demokratisches, „von unten“ her begründetes Staatsverständnis, abgelehnt. Er hat sich für ein „recht verstandenes Gottesgnadentum der Obrigkeit“ ausgesprochen.
Diese antidemokratische Tendenz in Bonhoeffers Ethik hängt sicherlich mit dem Trauma zusammen, das im Widerstand gegen Hitler überhaupt verbreitet war: Die Deutschen hatten Adolf Hitler aus einer Demokratie heraus an die Macht gebracht. Doch eine Ethik, welche auf die Verantwortlichkeit aller für die Gesellschaft zielt, muss daraus nicht Bonhoeffers Konsequenzen ziehen. Sie ist heraus gefordert, darüber nachzudenken, wie die Demokratie vor dem Abgleiten in eine Gewaltherrschaft bewahrt werden kann.
Die internationale Bonhoeffer-Rezeption hat diese Herausforderung von Bonhoeffers ethischen Grundsätzen her angenommen.