Predigten
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09.11.2014 12:44 Age: 9 yrs
Category: Predigten

Heil denen, die Frieden schaffen (Matthäus 5, 9)

Predigt in der Luther- und Nordendgemeinde Berlin am 09. November 2014)


Liebe Gemeinde, 

wir wollen heute an diesem besonderen Tag der Erinnerung an den Fall der Berliner Mauer vor 25 Jahren der Predigt die sechste der sogenannten Seligpreisungen Jesu aus dem Anfang der Bergpredigt zugrunde legen. Wir haben sie vorhin bei der Lesung des Evangeliums gehört. In der Übersetzung Martin Luthers lautet diese Seligpreisung: „Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen“. Ich aber übersetze Jesu Vergewisserung der Menschen, die für den Frieden unter Gottes Geschöpfen auf dieser Erde eintreten,  ein wenig wörtlicher und dann lautet Matthäus 5,Vers 9 so:

„Heil denen, die Frieden schaffen, denn sie werden Gottes Söhne genannt werden“.            

Das klingt sehr viel weniger beschaulich, als Luthers Rede von den Friedfertigen, die als Kinder Gottes selig gepriesen  werden. Luther umgeht mit der Rede von den „Kindern“ zwar das Problem der exklusiven Sprache, in der die Frauen nicht vorkommen und bloß von Gottes Söhnen die Rede ist. Neuere Bibelübersetzungen, die sich an den Wortlaut des Textes halten, fügen deshalb auch die Töchter dazu. Und sie tun recht daran.

Sie schwächen damit freilich aber auch ein wenig das steile Niveau ab, welches das Wort „Gottes Sohn“ im Neuen Testament hat. Das führt uns nämlich nicht in eine Krabbelstube von Kindern. „Gottes Sohn“ ist der Titel, den die Christenheit Jesus selbst zuerkannt hat, weil sie in seiner Botschaft und in seinem Auftreten seine Verwandtschaft mit Gottes Geist wahrnahm. Wer Frieden schafft, gehört zu Gott wie zu einer Friedensfamilie. Jesus selbst gibt darum in der Bergpredigt seine Erhöhung zum ersten Verwandten Gottes an die weiter, die in einer friedlosen Welt „Frieden stiften“, wie unser Vers jetzt in der Regel übersetzt wird.

Das meint aber nicht Menschen, die ihre Friedfertigkeit so unter Beweis stellen, dass sie sich in ihr Wohnzimmer oder in ihren Kleingarten zurückziehen, niemand etwas zu Leide tun und auf diese Weise selig sind. Das deutsche Wort „selig“, so wie es heute gebraucht wird, ist im Grunde viel zu harmlos, um auszudrücken, was Jesus hier sagt. „Selig“ – das klingt in unseren Ohren so wie ein gemütliches Gefühl. Die „Insel der Seligen“ ist geradezu sprichwörtlich für Leute, die sich’s  abseits vom Weltgetriebe auf ihrem Sofa gut gehen lassen.

Doch was Jesus hier sagt, eignet sich nicht dazu, eingerahmt über dieses Sofa gehängt zu werden, auf dem wir friedfertig schlummern und dösen. Denn die starken Worte, mit denen Jesus nach dem Evangelium des Matthäus seine Bergpredigt beginnt, sind Worte für Menschen, die auf den Straßen unterwegs sind. Es sind Ermutigungsworte für Leute, die seine Verkündung des Reiches der Liebe und des Friedens Gottes von den Sofas aufgescheucht hat. Es sind Worte für Menschen, die Erfahrungen damit haben, wie das ist, in den Fußspuren des Sohnes Gottes unterwegs zu sein.

Aus Anlass des heutigen Erinnerungstages wäre an dieser Stelle sicherlich genug Gelegenheit, viel, sehr viel davon zu erzählen, wie es Menschen in der DDR ergangen ist, die für ihre Verwandtschaft mit dem Gott des Friedens eingetreten sind und von den Mächtigen dafür als „Speerspitze des Imperialismus“ und dergleichen drangsaliert wurden. Das war schlimm 

Die Regierung der DDR verbot Anfang der achtziger Jahre zum Beispiel den Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“. Auf dem war ausgerechnet die sowjetische Skulptur vor der Uno in New York abgebildet, die einen Menschen zeigt, der ein Schwert zum Pflug umschmiedet. Volkspolizisten und sogar Lehrer aber schnitten Jugendlichen aufgrund des „Missbrauchs“ dieses Symbols – wie es hieß – den Aufnäher von den Parkern. Sie beschlagnahmten ganze Kleidungsstücke. Wer sich nicht fügte, wurde aus der Erweiterten Oberschule oder der Universität geworfen. Lehrstellen für Auszubildende wurden verweigert. Wer diesen Aufnäher trug, wurde am Betreten Volkseigener Betriebe gehindert, usw. usw.

Wir sind heute ja in der glücklichen Lage, uns nicht bloß aus den Akten der Stasi, sondern auch aus denen von Partei und Regierung ein Bild davon zu machen, welch eine panische Angst dieser an sich harmlose Aufnäher den Mächtigen einflößte. Sie bastelten darum an einer Fülle von sogenannte „Maßnahmeplänen“, welche die Stimme des Propheten Micha in ihrem Einklang mit der Stimme Jesu ersticken sollte.

Doch das war schwierig für sie – nicht bloß, weil sich in vielen Gemeinden „Friedenskreise“ bildeten und die „Friedensdekaden“ die Losung einprägten: „Frieden schaffen ohne Waffen“. Schwierig war der Umgang mit der Friedensbewegung in der Kirche für die Mächtigen vor allen Dingen darum, weil ihnen hier ein Wort weggenommen wurde, das eigentlich zum Propaganda-Repertoire der real-sozialistischen Staaten gehörte.

Die „Friedenspolitik“ der DDR zu rühmen, gehörte zu den ideologischen Mindestanforderungen an eine DDR-Bürgerin und einen DDR-Bürger. Auch international wurde von der Sowjetunion eigens die sogenannte Prager Allchristliche Friedenskonferenz in Leben gerufen, welche die Christenheit im östlichen Europa auf den mit Atombomben „bewaffneten Frieden“ einschwören sollte.

Damit war es nun nichts, als sich in unserer Kirche durch viele Menschen mit durchaus unterschiedlichen Motiven das Wort „Frieden“ als Kampfparole eines Diktaturstaates zum Wort im Geiste von Micha und Jesus wandelte.

Es gibt heute ja viele Erklärungen dafür, warum jener Staat letztlich scheiterte, warum die Mauer aufging und die „friedliche Revolution“ gelang. Sie haben sicherlich, liebe Schwestern und Brüder, ihre eigene Meinung dazu und ich will mich auch gar nicht in diese Diskussion einmischen. Unter dem Strich ist es eine Vielzahl von weltpolitischen, wirtschaftlichen, militärischen und anderen Faktoren im gesellschaftlichen Leben der sozialistischen Staaten gewesen, die hier zusammen gekommen sind. Die ganze Zufälligkeit und Verwirrung, in der die Mauer am 09. November 1989 aufgegangen ist, unterstreicht das ja auch irgendwie.

Doch was die „friedliche Revolution“ in der DDR betrifft, so ist sie zweifellos nicht erst mit den Montagsdemonstrationen in Leipzig und mit der Kundgebung am 04. November auf dem Alexanderplatz Berlin losgegangen. Da hat sie sich zugespitzt. Doch sie hat eine längere Vorgeschichte, ohne die es nicht möglich gewesen wäre, dass ganz glaubensferne Menschen unsere Kirche als Konzentrationsort ihrer Friedens- und Freiheitsliebe angenommen und – das klingt nicht so schön – auch benutzt haben.

Aber wie dem auch sei: Unsere Kirche ist diesmal nicht wie so oft – wie viel zu oft in ihrer Geschichte – als Parteigängerin Menschen unterdrückender Macht auf dem Plan gewesen. Sie hat – vor allem durch die Gemeinden vor Ort – auf der Seite der Menschen gestanden, die ihr Menschenrecht auf freie Entfaltung ihres Lebens in Frieden bei ihr wohl aufgehoben wussten.

In der Zeit nach der deutschen Vereinigung ist dieser Dienst der Gemeinden für die DDR-Gesellschaft im Ganzen dann vor allem aus Richtung Westen ziemlich zerrupft worden. Das war auch verständlich. Denn aufs Ganze der 40 Jahre „DDR“ gesehen hat es da Anpassungen unserer Kirche an das System sozialistischer Machtausübung gegeben, die nicht gerade ein Ruhmessblatt christlicher Standhaftigkeit waren. Viel Ängstlichkeit gegenüber den Mächtigen hat auch eine Rolle gespielt. Es wurde geschwiegen, wo hätte geredet werden müssen. Es wurde ein kurzatmig geredet, wo Schweigen am Platze gewesen wäre und vieles, vieles andere mehr.

Wer diese Zeit miterlebt hat, braucht auch gar nicht mit dem Finger auf andere zeigen. Aus einer nach menschlichem Ermessen unabsehbaren Diktatur von der Art der DDR kommt an ihrem Ende, mit dem keiner gerechnet hat,  niemand als ganz weißes Schaf heraus, selbst wenn er sich nicht auf Verstrickungen in die Machtausübung dieses Staates eingelassen hat.

Und doch bleibt es ein eigentlich in der Kirchengeschichte einzigartiges Faktum, dass eine Kirche zur Triebkraft einer „Revolution“ wurde, die einem Staat sein Ende bescherte. So etwas war im Staatsverständnis aller christlichen Kirchen nämlich niemals vorgesehen. Der Staat wurde nämlich in der christlichen Tradition als eine Zwangsordnung Gottes für das menschliche Zusammenleben verstanden, dem alle Menschen zum Gehorsam verpflichtet sind. Das gilt auch, wenn er unrecht handelt. Da kann zwar der einzelne Mensch Widerstand leisten. Er muss dann aber die Folgen seines Widerstandes auf seine eigene Kappe nehmen. Die Geltung der göttlichen Ordnung darf er aber nicht in Frage stellen. 

In diesem Sinne hat z.B. Dietrich Bonhoeffer seinen Widerstand gegen das Naziregime begründet. Es war sein eigenes Wagnis. Die Kirche hat er dafür nicht in Anspruch genommen. Ihr hat er vielmehr selbst für die Naziherrschaft den die Direktive verordnet: „Es gibt kein Recht auf Revolution“.

Man muss Bonhoeffer zubilligen, dass er mit der Vorstellung von einer „Revolution“ den Gedanken des gewaltsamen Umsturzes eines Staatswesens verband. Die Revolution, die sich in den Gemeinden und um die Gemeinden herum in der DDR anbahnte, aber stand unter dem Motto: “Keine Gewalt“. Der Begriff „friedliche Revolution“ – ich weiß gar nicht, wer den zuerst verwendet hat – aber wandelte die Vorstellung davon so ähnlich wie der Begriff des Friedens gewandelt wurde. Es ist möglich, sagt er nun, dass der Geist der Gewaltlosigkeit Menschen ergreift und sie so fähig macht, Frieden zu schaffen ohne Waffen.

Wir hatten so gehofft, dass der Geist der in diesem Sinne „friedlichen Revolution“ nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation die ganze Welt prägen und leiten würde. Ein paar Jahre lang konnte diese Hoffnung auch keimen. Aber dann kam am 11. September 2001 der Anschlag auf das world Trade Center in New York und in seinem Gefolge die Kriege, die heute auf unsere Erde wüten.

Die „friedliche Revolution“ von 1989 steht in diesem Umfeld heute gewissermaßen etwas verloren im Raume, obwohl sie doch einmal eine  ganze Weltordnung aus den Angeln gehoben hat. Doch auch wenn sie nur ein Zeichen dafür bleibt, dass Frieden im Geiste Jesu keine Utopie, sondern eine reale Möglichkeit ist, bleibt sie ein Ausrufezeichen für die Zukunft des Zusammenlebens von Menschen auf unserer Erde.

Dieses Ausrufezeichen steht gegen den „Geist des Verzagens“, der uns ergreifen kann, wenn der Einsatz von Waffengewalt wieder und wieder als einzige Möglichkeit erscheint, unschuldige Menschen vor dem Ausbruch von Hass und Vernichtungswut zu schützen. Doch „Gott hat uns nicht einen Geist des Verzagens gegeben, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“ steht im 2. Timotheusbrief, Kapitel 6 Vers 7. Das ist ein Ermutigungswort, welches die Evangelische Kirche in Deutschland der Friedensdekade dieses Jahres mit auf den Weg gegeben hat.

Kraft, Liebe und Besonnenheit schenkt Gott denen, die er in eine Welt sendet, in der Gewalt herrscht, in der Kämpfe toben, in der Menschen sich maßlos aneinander vergehen. Kraft, Liebe und Besonnenheit sind nötig, um in einer solchen Welt dem Evangelium vom Frieden Gottes im Sinnen und Trachten, im Handeln und Verhalten Raum unter uns Menschen zu schaffen.

Denn die Kraft, die von Gottes Geist ausgeht, ist etwas ganz anderes als Gewalt. Gewalt drückt nieder, schaltet aus, vernichtet. Kraft von Gott ist dagegen die Energie, die sich aus dem Evangelium Jesu speist. Sie richtet auf, lädt ein, beflügelt Leben in der Gemeinschaft. Sie stimmt mit der Liebe zusammen, die jeden Menschen mit göttlicher und menschlicher Bejahung seines besonderen Daseins würdigt.

Besonnenheit aber ist die Gabe Gottes an die Botschafterinnen und Botschafter des Evangeliums, die ihnen Nüchternheit, Realitätssinn, Vernunft und Augenmaß beim Wahrnehmen ihres Auftrags schenkt. Traumtänzerinnen und Traumtänzer, die Illusionen verbreiten, werden wir Töchter und Söhne Gottes in dieser friedlosen Welt wahrlich nicht werden, wenn wir wieder und wieder mit dem Anfang anfangen, den Jesus mit dem „Frieden auf Erden“ gemacht hat.

Und ein bisschen  können uns dabei auch die Erfahrungen helfen, die vor 25 Jahren bei der „friedlichen Revolution“ gemacht wurden und die wir in diesen Tagen an die neu heran wachsende Generation weiter geben. Denn gute Erfahrungen mit dem Schaffen eines Friedens, der diesen Namen verdient, sind Wegbereiterinnen in eine Welt, die Gott eigentlich gemeint hat, als er uns das Leben gab. Amen.

 

 

 

 

        

 

       

 

 


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