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19.12.2020 10:25 Age: 3 yrs
Category: Artikel

Meine Zeit steht in deinen Händen

In: Die Kirche Nr. 51/52 vom 20/27.12.2020, 8


Meine Zeit steht in Deinen Händen

Im ewigen Gott und in seiner Güte sind alle unsere Lebenszeiten gegenwärtig. Gedanken zum Jahreswechsel


Für unser eigenes Leben haben die vielen Jahreswechsel, die zu diesem Leben gehören, gemeinhin keine allzu große Bedeutung. Die Jahresrückblicke und die Silvesterfeiern veralten erfahrungsgemäß ziemlich schnell. Sie hinterlassen kaum deutliche Spuren in unserem Leben. Nur wenn ein besonderes Ereignis den Jahreswechsel prägt – wie etwa der Mauerfall im Jahre 1989 – dann bleibt uns seine Feier nachhaltig in Erinnerung. Die bloße Veränderung eines Jahresdatums im Kalender als solche aber sagt wenig darüber, was unserer Lebenszeit Bedeutung und Gewicht gibt.

Darum ist es auf den ersten Blick eigentlich gar nicht so schlimm, dass in diesem Jahre die Silvesterpartys ausfallen müssen. Es gibt Menschen, die sogar froh darüber sind, dass die staatlichen Maßnahmen gegen die Ausbreitung von Covid 19 auch der Knallerei und Sauferei am letzten Tag des Jahres einen Riegel vorschieben. Doch wenn sich dieses Virus wie ein dunkler Schatten über diesen Tag legt, dann droht das andere Extrem: Silvester wird zu einem Tag des Trübsinns und der Sorge, der schon den ersten Tag des neuen Jahres, wenn nicht das ganze neue Jahr verschattet und verdüstert. Eine andere Zeit – Corona-Zeit – legt sich mit Infektions- und Todeszahlen schwergewichtig und bedrohlich über die Kalenderzeit. Sie wird zu einer Zeit, von der es in Psalm 31 heißt, dass sie voll ist von Gram, Kummer und Seufzen.

Erfahrungen mit solchen Zeiten, in denen wir uns wie ein „zerbrochenes Gefäß“ fühlen (Psalm 31, 13), begegnen uns in der Bibel auf Schritt und Tritt. Sie ähneln den Erfahrungen, die wir auch in unserer durch Wissenschaft und Technik geprägten Zeit machen. Denn wir sind und bleiben, - auch wenn heute sehr viel mehr Leid gelindert werden kann -  verletzliche Menschen. Krankheiten und andere Übel vermögen uns  - nicht erst wenn wir sterben müssen - das Leben schwer zu vergrämen. Worte, die uns aus dann der Gefangenschaft in einer tiefen Traurigkeit herausführen können, sind darum bis an unser Lebensende unentbehrlich, wenn wir nicht einfach in Sinnlosigkeit vergehen und zugrunde gehen sollen.

„Meine Zeit steht in Deinen Händen“ – mit diesem Wort der Gottesgewissheit lässt der leidgeprüfte Mensch, der den 31. Psalm betet, die Erfahrung eines von Gram, Kummer und Seufzen zerstückelten Lebens hinter sich. Jochen Klepper hat dieser Gewissheit mit dem Lied zur Jahreswende „Der du die Zeit in Händen hast“ (EG 64) auf eine ganz anrührende Weise Ausdruck gegeben. Als dieses Lied 1938 geschrieben wurde, war Kleppers Familie von der Judenverfolgung und den Schikanen der Nazis aufs Schlimmste bedroht. „Dieses Jahres Last“ lag schwer auf seiner Seele.  Alles menschliche Tun und Lassen, das „im Fluge der Zeiten“ zerrinnt und veraltet, erwies sich da als ungeeignet, eine solche Last zu stemmen. Aber Gott, der „allein der Ewge heißt“ und mit seiner Ewigkeit die Seele berührt, vermag das nach Kleppers Gotteserfahrung.

Denn Gottes Ewigkeit tut sich nicht als endlose Erstreckung, in der wir irgendwie untergehen, vor uns auf. Im ewigen Gott und seiner Güte mit uns Menschen sind vielmehr alle unsere Lebenszeiten zu einer Einheit versammelt und gegenwärtig. In seinen „Händen“ zerstieben die Zeiten nicht wie im Winde. In seinen „Händen“ werden vielmehr gerade die Zeiten der Angst und der Sorgen verwandelt in den Segen von Stationen unseres Lebens auf dem Wege zu Gott.

Das Besondere solcher Stationen ist, dass wir an ihnen der Ewigkeit Gottes als einer bleibende Quelle von Lebensbejahung inne werden. Auch die Corona-Zeit, in der Menschen ganz persönlich viel intensiver als sonst daran erinnert werden, dass ihr Leben endlich und verletzlich ist, kann uns zu einer solcher Station werden. Wenn das geschieht, haben der Trübsinn, der Missmut und die Aggressivität, die sich unter den Bedingungen des „lockdown“ unter uns auszubreiten drohen, keine Chance. Gerade an der letzten Station dieses Jahres wird dann unsere Bitte an den ewigen Gott sein: „Bleib Du uns gnädig zugewandt und führe uns an deiner Hand, damit wir sicher schreiten“.

 


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