Category: Vorträge
Für Jürgen Henkys anlässlich seines 80. Geburtstages
Laudatio auf einem Symposium in Berlin am 07.11.2009
Herr Bischof, Magnifizenz, Spectabilis, meine Damen und Herren, vor allem aber lieber Jürgen!
Du sollst zum Abschluss dieses langen Tages im Zentrum einer Lobrede stehen, die auf Dich zu halten übernommen habe. Mir ist jedoch – ehrlich gesagt – ein bisschen mulmig dabei zumute. Denn wer Dich kennt – zumal, wer Dich so lange kennt, wie ich Dich – der weiß, dass Du durchaus nicht begierig auf dergleichen bist, ja sogar ein inneres Sträuben überwinden musst, um Dir gefallen zu lassen, dass jemand anfängt, Dich und Dein Werk auf die Wogen von Lobesworten zu heben. Aus vielen Gesprächen mit Dir weiß ich, dass – wenn es um Dich geht – jene Lobabwehr durchaus nicht irgendeiner Genierlichkeit oder zimperlich falschen Bescheidenheit entspringt. Wenn ich das recht verstanden habe, ist es die Praxis Deiner alltäglichen theologischen, ästhetischen und kirchlichen Arbeit mit allen ihren Mühen, Zweifeln und schlaflosen Nächten, die den selbstkritischen Abstand zu dem, was dabei heraus kommt, zu einem stabilen Element Deiner theologischen Existenz gemacht hat. Da mag es Dir wohl scheinen, dass etwas weggespült wird, was zu Dir gehört, wenn jene Wogen des Lobens Dich herein brechen.
Und nun musstest Du an diesem Tage schon so viel Gutes über Dich hören, konntest das dankbare Echo auf Dein hymnologisches Schaffen in einem vielfältigen Chorus von Beiträgen bei einem beeindruckenden Symposion zu Deinen Ehren vernehmen und durftest erleben, wie wir Deine Lieder hören und in sie einstimmen konnten. Da kann ich mir schon vorstellen, dass Du in Deinem Herzen sprichst: Es ist genug. Nun bitte nicht noch zu später Stunde das Sahnehäubchen einer regelrechten „laudatio“ auf das Alles. Kurz und gut, weil ich vermute, dass solche Empfindungen in Dir da sind, ist mir als Dein Laudator etwas mulmig zumute. Doch wir beide, lieber Jürgen, haben mindestens zwei Möglichkeiten, die Schatten unangemessener Kauchesis hinter uns zu lassen, ja geradezu zu verlachen.
Die eine Möglichkeit ist die Erinnerung an den gemeinsamen Weg, den wir beide in den Jahren des Sprachenkonvikts und dann an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen und den Studierenden gegangen sind. Sie sollte an diesem Tage nicht fehlen, weil sonst etwas von Dir selbst fehlen würde. Sie meldet sich im Übrigen auch von ganz alleine, wenn wir es beide mit einander zu tun haben. Da können wir gar nichts dagegen machen. Es ist die Erinnerung an die jahrzehntelange Leitungsverantwortung für eine Institution freier theologischer Forschung und Lehre inmitten eines realsozialistischen Machtgefüges, das uns – O-Ton ZK der SED – als „Zentrum reaktionärer Kräfte und feindlicher Ideologie“ auf dem Kicker hatte und uns das auch bei jeder Gelegenheit spüren ließ. Es ist die Erinnerung an ein ungewöhnlich intensives theologisches Zusammenarbeiten, an viel Lachen und Feiern, aber auch an quälende Stunden mit ihren Verzagtheiten und Traurigkeiten. Und es ist schließlich die Erinnerung an das Loslassen des Sprachenkonvikts, an dem unser Herz hing, und den entschlossenen Übergang an die Theologische Fakultät. Du hast an ihrem Neuaufbau intensiv mitgewirkt und wurdest der hier erste Universitätsprediger nach langer Zeit.
So wenig wir nun dagegen tun können, dass uns diese lange Geschichte mit ihren Höhen und Tiefen immer irgendwie gegenwärtig ist, wenn wir einander begegnen, so wenig kann ich dagegen tun, dass Du für mich und die Vielen, die mit Dir auf dem Wege waren, in dieser Geschichte schlicht und einfach ein wunderbar menschlicher Kollege und ein Gefährte der Wahrhaftigkeit und Redlichkeit geworden bist. Die Dankbarkeit dafür, dass man sich einfach auf Dich verlassen konnte und kann, wenn Wahrheit und Menschwürde auf dem Spiele stehen, muss nicht irgendwie hoch geholt oder ins Laudatorische erhoben werden. Sie ist einfach da. Und ich will hier nichts weiter tun, als Dich zu bitten, sie Dir einfach fröhlich und frei gefallen zu lassen.
Das wird Dir umso leichter fallen, wenn Dir vor Augen steht, was Dietrich Bonhoeffer, der für unser beider theologische Existenz ja so viel bedeutet, 1940 in einem kleinen Text über die Dankbarkeit geschrieben hat. Der Dankbare sagt er da, „unterscheidet nicht zwischen Verdientem und Unverdienten, Erworbenem und Empfangenen“. Das liegt daran, weil seine Dankbarkeit Menschen gegenüber eingebettet ist in die Dankbarkeit gegen Gott, die uns alles, auch das, was nicht glänzt und gleißt, sogar auch das Leid und den Schmerz, zur Gabe werden lässt. Wenn ich in diesem Sinne dankbar von Dir und zu Dir rede, dann können wir also alle Bedenklichkeiten, ob ich Dich mit einer „laudatio“ vielleicht auf einem Deinem Selbstverständnis ganz unangemessenem Felde platziere, getrost auf sich beruhen lassen.
Ich tue das im Übrigen auch im Blick auf mich selbst, der zu einer solchen Platzierung angesichts der Fülle dessen, was Dein sog. oevre auf einer beeindruckenden Liste von Dir verfasster Literatur ausweist, überhaupt nicht in der Lage ist. Schon gar nicht bin der Geeignete, mit der angemessenen Würdigung Deiner hymnologischen Arbeit fortzufahren, die diesen ganzen Tag bestimmt hat. Du weißt ja aus den unregelmäßigen Bitten um Belehrung, die ich an Dich richte, dass ich aus Gründen der Frömmigkeit und der Theologie zwar ein inniger Liebhaber des Kirchenliedes, aber im Hinblick auf sein Zustandekommen ein ziemlicher Dilletant bin. Das gilt summa summarum auch für das, was Du auf dem Gebiet der Liturgik im Ganzen und insbesondere für das Gedeihen der Katechetik und Gemeindepädagogik in den Kirchen und Gemeinden zur DDR-Zeit Wegweisendes beigetragen hast. In meinem Erfahrungshorizont mit Dir gehört das aber bleibend zu Deinem Profil als Praktischer Theologe, das nun so ist, wie es sich nicht alleine ein Systematischer Theologe nur wünschen kann.
Der ganze alberne Streit, welche der theologischen Disziplinen nun Krone oder Spitze, Grund oder Pointe der Theologie ist, hat zwar – ein bisschen frotzelnder Weise – auch hin und wieder einmal zwischen uns eine nebensächliche Rolle gespielt. Aber viel wesentlicher war und ist, dass Du die Praktische Theologie mit ihren besonderen Aufgaben der Darstellung und Vermittlung des christlichen Glaubens in den konkreten Lebenszusammenhängen von Menschen in unserer Zeit nach meiner Wahrnehmung als einen Beitrag und ein Befördern der Aufgabe der Theologie im Ganzen stark gemacht hast. Deine besondere Befähigung dazu ist eine Tugend oder Gabe, welche sich für unseren Beruf im Dienste des Wortes Gottes als so wertvoll erweist, wie kaum etwas.
Diese Tugend oder Gabe ist das sorgsame Achten auf das Wort, das Wägen der Worte, die Aufmerksamkeit auf die Sprache, das Nachspüren von Zusammenhängen, die im Sprechen und Aussagen anklingen. Darum bist Du ein leidenschaftlicher Exeget biblischer Texte und als Praktischer Theologe ein intimer Verbündeter der mühseligen Arbeit der Exegeten, trotz ihrer manchmal etwas skurrilen Ausflüge in das Luftreich des Hypothetischen. In Deinen liturgischen, katechetischen und homiletischen Seminaren und Vorlesungen, in Deinen Predigtmeditation und nicht zuletzt in Deinen Predigten konnte und kann man merken, wie hier der Staffelstab aufgenommen wurde, den die wissenschaftliche Bibelauslegung an die Praktische Theologie weitergibt. Wohl den Exegeten, denen das heute an unseren deutschen Universitäten widerfährt!
Aber auch die Kolleginnen und Kollegen von der kirchenhistorischen Zunft können sicher sein, dass bei einem Praktischen Theologen mit Wortsensibilität wie Dir, ihr Anliegen wohl aufgehoben ist, die historischen Zeugnisse des Glaubens und der Kirche so genau wie möglich zu vergegenwärtigen. Denn sie sind immer noch konkreter, vielfältiger und auch zukunftsträchtiger, als die Meinung, die sich darüber gebildet hat. Deine Interpretationen der Historie nicht nur von Liedern, sondern auch von Texten der sonstigen Kirchengeschichte und nicht zuletzt der Gefängnisdichtung Dietrich Bonhoeffers sind allemal Exerzitien historischer Belehrung, die sich jenem sorgsamen Achten auf das Wort und die Worte verdanken. Jürgen Henkys ist in seinen praktischen-theologischen Bereichen zweifelsfrei ein Verbündeter der kirchenhistorischen Zunft, auf dessen Mittun bei ihrem Bestreben jederzeit Verlass ist.
Was nun aber meine spezielle theologische Disziplin, die systematische Theologie und somit die Dogmatik und Ethik, betrifft, so war und ist es zwischen Dir und mir, lieber Jürgen, niemals strittig gewesen, dass es in der Theologie in allen ihren Zuspitzungen und so auch in ihrer praktischen Dimension um die Wahrheit gehen muss. „Wahrheit“ allerdings nicht in dem abstrakten Sinne, wie dieses Wort heute leider auch in der Theologie und noch mehr auf machen Ebenen unserer Kirche verballhornt wird; so nämlich, als ginge es bei der Orientierung an der Wahrheit um die Behauptung irgendwelcher subjektiver, religiöser Absolutheitsphantasien oder lebensferner Doktrinen. Wahrheit im biblischen Sinne ist vielmehr das Ereignis der Liebe und Treue Gottes, das uns begegnet, uns mitnimmt und uns mit seinem Reichtum inspiriert, aus uns heraus zu gehen.
Ich denke, es ist kein Zufall, dass Du bei Deinen Erkundungen des Wortes und der Worte der Wahrheit auf das Singen als einer ganz besonderen Weise gestoßen bist, in der wir Menschen uns in die lebenstragende Kraft dieser Wahrheit hinein loslassen können. Die ästhetische Dimension, die im übrigen durch Alles, was wahr zu heißen verdient, wach gerufen und beflügelt wird, hat Dich darum auch wiederum nicht zufällig zu einem einfühlsamen Interpreten von Lyrik und Literatur auch jenseits des sog. „Religiösen“ in engerem Sinne werden lassen. Deine Celan-Auslegung bei einem unserer unvergesslichen interdisziplinären Intensivkurse am Sprachenkonvikt ist mir z.B. bis heute gegenwärtig und hat bewirkt, dass die Einkehr bei diesem Dichter zu einer Konstante auf meinen systematisch-theologischen Wegen geworden ist.
Ich muss aber leider gestehen, lieber Jürgen, dass ich die Zentralstellung der Hymnologie und damit der Ästhetik in Deiner theologischen Existenz damals gar nicht so recht wahrgenommen habe, wie sie nun heute im Lichte steht. Das hängt sicherlich einerseits damit zusammen, dass das Hymnologisches nicht gerade im Zentrum theologischer Ausbildung zu stehen pflegt, und dass Du andererseits die 14 Jahre seit dem Ausscheiden aus dem Lehramt dazu genutzt hast, Dich gerade auf diese Deine besondere Vorliebe zu konzentrieren und Dein Schaffen auf diesem Gebiete so der kirchlichen und theologischen Öffentlichkeit eindrücklich zu machen.
Wer Ohren hat zu hören, wird aber unschwer erkennen, in welchen Kontext theologischen und kirchlichen Wollens Deine Lieder, Deine Nachdichtungen und Analysen ästhetischer Werke hinein gehören. Mit diesem Kontext hatten wir es vor allem zu tun, als wir die Verantwortlichkeit heranwachsender Generationen von Pfarrerinnen und Pfarrern für die Wahrheit des christlichen Glaubens in einem real-sozialistisch beförderten, glaubenslosen Umfeld der Gemeinden zu wecken und zu begründen versuchten. Ich habe Dich bei Deinem Bemühen als Praktischer Theologe in der Mitte von uns Exegeten, Kirchenhistorikern und Systematikern so verstanden, dass diese Verantwortlichkeit versäumt wird, wenn der stumme und tatenloser Nutznießer eines religiös-kulturellen Programms, der den Mund zukneift, wenn gesungen wird, zum Ziel der Dienste unserer Kirche würde.
Du hast als Praktischer Theologe mit eindeutig pädagogischem Schwerpunkt nach meinem Verständnis vielmehr versucht, die reformatorische Lehre vom „Priestertum aller Gläubigen“ als Aufgabe der Bildung in das Herz unserer Kirche – und das sind die Gemeinden – hinein zu übersetzen. Denn der „singende Glaube“ legt nicht los, wenn er nicht vorerst und vor allem ein redender und gelebter Glaube ist. Deine katechetischen Konzepte, Deine ungemein wichtigen gemeindepädagogischen Anstöße und Perspektivierungen der Jugendarbeit laufen darum alle darauf hinaus, den sprachfähigen, mündigen Christenmenschen in Wort und Tat so zu bilden und zu fördern, dass er am Ende „mit Herz und Mund“ auch singen kann. Den abseitigen Deutungen der kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit in der DDR, die ihr heute das Bestreben nach „Betreuung“ von Kindern und Jugendlichen im ruhigen Winkel kirchlicher Gettos unterstellen, bist Du darum mit für Dich ungewöhnlicher Schärfe in die Parade gefahren. Denn wenn es um das entschlossene Eintreten für eine Atmosphäre der Freiheit geht, in welcher alleine sich das Bildungspotenzial des christlichen Glaubens entfalten kann, dann lässt Du nicht mit Dir rechten.
So haben Dich Deine Schülerinnen und Deine Schüler erlebt. So hast Du Deiner Kirche mit vielfältigem Engagement gedient. So warst Du ein Hochschullehrer und Kollege, dessen Stimme damals unentbehrlich war und auch heute unentbehrlich bleibt, wenn es gilt, bei der Auferbauung der Gemeinden die richtigen Schritte zu tun.