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Kirche im Widerstreit. Eine Auseinandersetzung mit altem und neuem Atheismus
Vortrag beim "Herrenseminar" der Johanniter in Lehnin am 14.04.2012
1. Atheismus im Osten Deutschlands als gesellschaftliches Milieu
Der Atheismus ist ein in ganz Deutschland verbreitetes Phänomen. Viele Menschen haben sich aufgrund unterschiedlichster Erfahrungen auf ihrem Lebenswege oder durch die Erkenntnisse der Wissenschaften die Meinung gebildet, dass Gott nicht existiert und dass er deshalb keine Bedeutung für das eigene Leben hat. Sie wollen dementsprechend mit der Religion nichts zu tun haben, in welcher die Gottesverehrung praktiziert wird. Sie halten sich von den Kirchen fern. Nach den neuesten Erhebungen des Religionsmonitors der Bertelsmann-Stiftung sollen sich ca 20 % der Menschen in den alten Bundesländern als Atheisten verstehen. Das sind nicht wenige, die im gesellschaftlichen Dialog, wie wir besonders in Berlin durch allerlei „Zugereiste“ erfahren, auch eine nicht unbedeutende Rolle spielen. Manche dieser Atheisten haben es sich zur Aufgabe gemacht, mit politischen Mitteln und publizistischem Druck den Einfluss der Kirchen auf das gesellschaftliche Leben zurück zu drängen.
Dennoch kann man nicht sagen, dass Atheismus in der westlichen Bundesrepublik eine das Bewusstsein der ganzen Gesellschaft prägende Überzeugung ist. Es handelt sich hier um die Ansicht sehr vieler Einzelner, die aus den unterschiedlichsten Gründen Atheisten sind. Im Osten Deutschlands aber ist das anders und auf dem Hintergrund dieser anderen Erfahrung mit dem Atheismus rede ich im Folgenden auch zu ihnen. Hier nämlich ist der Atheismus der Bevölkerung die nahezu erfolgreichste Hinterlassenschaft des „real existierenden Sozialismus“. Diesem Gesellschaftssystem, das den Atheismus zu seinen wesentlichen ideologischen Grundlagen zählte, wurde 1989 unter gewichtiger Assistenz der evangelischen Kirche das Ende bereitet. Der Atheismus allerdings, mit dem die DDR-Bevölkerung vom Kindergarten bis ins Altersheim indoktriniert wurde, erwies sich als „Wende“-schlüpfrig.
Auch nahezu zwanzig Jahre nach dem epochalen Ereignis der „friedlichen Revolution“ sind über drei Viertel der Bürgerinnen und Bürger der neuen Bundesländer in einer nicht ernstlich „religiös“ zu nennenden Weise „konfessionslos“. In Ost-Berlin gehören nur 9,1 % der Bevölkerung der Evangelischen Kirche an; in manchen Stadtteilen sind es gerade einmal 2 %. Berlin ist vom amerikanischen Soziologen Peter Berger deshalb die „Welthauptstadt des Atheismus“ genannt worden. Von einer „Wiederkehr der Religion“ oder von einer „Respiritualisierung“ der Gesellschaft, wie sie in Westeuropa und anderen Teilen der Welt beobachtet wird, kann hier nicht die Rede sein. Die Erwartung, dass sich die Menschen nach dem Zusammenbruch einer vierzigjährigen atheistischen Weltanschauungsdiktatur wieder den Kirchen oder sonst einer religiösen Lebensorientierung zuwenden werden, hat getrogen. Selbst Sekten fassen hier keinen Fuß, wie anfänglich befürchtet. Der Osten Deutschlands ist ein religiös dürres Land geworden. Das aber hat Konsequenzen nicht nur für die Kirchen, die Mühe haben, ihre geschichtlich ererbte Struktur der Verbreitung über das ganze Land aufrecht zu erhalten. Es hat auch Konsequenzen für die ganze Gesellschaft, die sich fragen muss, welcher Geist sie beherrscht, wenn der Atheismus die Federführung bei den Lebenseinstellungen der Menschen übernimmt.
Im Osten Deutschland ist die dominante Rolle des Atheismus für das gesellschaftliche Klima aufgrund seiner massenhaften Verbreitung nicht zu übersehen. Atheismus ist hier nicht nur eine persönliche Einstellung von Einzelnen, sondern ein die Gesellschaft prägendes Milieu. In diesem Milieu ist das Leben ohne den Gottesglauben und ohne die Kirche zur Selbstverständlichkeit geworden. Der größte Teil der Bevölkerung hat sich durch die Jahrzehnte hindurch einfach daran gewöhnt, dass Gott und die Kirche in ihrer Lebensführung nicht vorkommen. Diese Gewöhnung hat im geistigen Haushalt der Menschen zu einem tief greifenden Traditionsabbruch der christlichen Überlieferungen und Lebensorientierungen und zur Entfremdung von den kulturellen Prägungen unserer Gesellschaft durch das Christentum geführt. Christlicher Glaube oder christliche Frömmigkeit kommen in den Familien nicht mehr vor. Schon die Großeltern, vielleicht sogar die Urgroßeltern, waren nicht in der Kirche; die Nachbarn, Freunde und Arbeitskollegen sind es auch nicht. Begegnungen mit der Kirche werden gemieden. Man kann sich darum die Unwissenheit in religiösen Dingen selbst bei Gebildeten gar nicht groß genug vorstellen. Es gehört zum Selbstverständnis des Milieuatheismus, von der Religion keine präzise Ahnung zu haben, aber dennoch Alles, was ausdrücklich mit „Religion“ zu tun hat, von sich abzuweisen.
In dieser Verfassung regeneriert sich die Massenatheismus über den Umbruch der Gesellschaft vor über 20 Jahren hinweg beständig selbst. Unterstützt wird das bei der heranwachsenden Generation heute in nicht geringem Maße durch die Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen, von denen die große Mehrheit nach der „Wende“ weitermachen konnte. Sie sind aus alter Gewohnheit selbstverständlich Trägerinnen und Träger atheistischer Überzeugungen. Das Urteil z.B., dass Religion „unwissenschaftlich“ sei und mit abenteuerlichen Vorstellungen von der Welt einer vergangenen Zeit angehöre, findet hier immer neue Belebung. Es ist darum ganz schwierig, den in der Verfassung Deutschlands garantierten Religionsunterricht an den Schulen zu etablieren. In Berlin wird er zur Zeit durch das für Alle obligatorische Pflichtfach „Ethik“ an den Rand gedrängt. Das geht, weil Lehrer und Eltern weitaus überwiegend der Meinung sind, dass „Religion“ nicht an die Schule gehört.
Es wäre jedoch verkehrt, angesichts des Widerstandes, der sich hier gegen die Bildungsaufgabe der Kirchen im öffentlichen Raum zeigt, die Glaubensferne der konfessionslosen atheistischen Bevölkerung mit einer kämpferischen Wendung gegen den Glauben gleichzusetzen. Vom Freiheits- und Emanzipationspathos des europäischen Atheismus im Namen der Verwirklichung wahren Menschseins und gerechter gesellschaftlicher Verhältnisse ist der Gewohnheitsatheismus, von dem wir hier reden, ziemlich weit entfernt. Dergleichen treffen wir heute eher weiter westlich an, wie z.B. jetzt gerade bei den sogenannten „neuen Atheisten“ oder „brights“, auf ich noch zu sprechen komme. Sie wollen über die Verderblichkeit von Religion und Gottesglaube aufklären. Die atheistische Konfessionslosigkeit im Osten Deutschlands aber hat im Ganzen keine Aufklärungsinteressen. Sie zeichnet sich vielmehr durch eine gänzliche Gleichgültigkeit gegenüber dem Gottesglauben aus. Die Menschen machen sich mit der Frage „Gibt es einen Gott“? keine mehr Mühe mehr. Sie sind weder an der Widerlegung des Gottesglaubens noch an Begründung des Atheismus interessiert. Für sie ist der Glaube an Gott unter die Schwelle der Konfliktfähigkeit gesunken. Charakteristisch ist die Äußerung von Jugendlichen bei einer Befragung auf dem Leipziger Hauptbahnhof. Auf die Frage, ob sie sich „eher christlich oder eher atheistisch“ verstehen, haben sie geantwortet: „Weder noch, normal halt“ Vgl. Monika Wohlrab-Sahr, Religionslosigkeit als Thema der Religionssoziologie, Pastoraltheologie 90 2000, 152). Nur, was ist „normal“?
Diese Frage ist für die Kirche und die Theologie, die sich bemühen, in einen Dialog mit den Menschen aus dem atheistischen Milieu zu kommen, gar nicht einfach zu beantworten. Dennoch können wir mit einiger Vorsicht einige Eckpunkte benennen, zwischen denen sich das Leben abspielt, in dem Gott vergessen und der Atheismus als solcher uninteressant ist.
2. Östlich-Atheistische Perspektiven für das menschliche Leben nach der Wende
Keine bedeutende Rolle – können wir als Erstes sagen – spielt im atheistischen Bewusstsein der konfessionslosen Bevölkerung des Ostens Deutschlands die Weltanschauung des dialektischen und historischen Materialismus mehr, mit welcher den Menschen in sozialistischen Zeiten mit gehörigem staatlichen Druck einmal der Glaube ausgetrieben wurde. Das komplizierte Konstrukt einer Weltanschauung, nach der „die Materie“ sich gesetzmäßig in „dialektischen Sprüngen“ bis auf das Niveau des menschlichen Bewusstseins entwickelt hat und zugleich den Verlauf der Geschichte in „Klassenkämpfen“ vorzeichnet, lebt heute nur noch in der Köpfen von ein paar alten Parteikadern. Ansonsten ist die Weltanschauungsliteratur des Marxismus-Leninismus in den Jahren nach 1989 massenweise in den Müllcontainern gelandet.
Keine Rolle mehr spielt zweitens die besondere marxistische Religionstheorie. Sie besagte, dass Religion als „Opium des Volks“ ein illusorisches Hinwegtrösten über ungerechte und elende gesellschaftliche Verhältnisse sei, das den Unterdrückern und Ausbeutern im Klassenkampf nutzt. Entstehen gerechte gesellschaftliche Verhältnisse, dann stirbt die Religion von alleine ab. Diese Behauptung ist in der DDR-Realität auf doppelte Weise widerlegt worden. Zum einen starb die Kirche nicht ab. Den Verlust ihrer Mitglieder verdankt sie nicht den fabelhaften gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnissen in der DDR, sondern der Durchsetzung des Atheismus durch die Machtpolitik der SED. Zum anderen war es am Ende der DDR die Religion in Gestalt der Kirche, die zur engagierten Anwältin real gerechter und freier gesellschaftlicher Verhältnisse wurde, während Unterdrückung und Illusionismus für die atheistische Weltanschauungspartei typisch waren.
Das atheistische Milieu hat drittens nach dem Wegfall des Marxismus-Leninismus kein geistiges Zentrum mehr. Zwar bemüht sich der „Humanistische Verband“ als Sachwalter aller ostdeutschen und gesamtdeutschen konfessionslosen Atheisten aufzutreten. Aber dieser Verband hat faktisch bloß die Größe einer Splittergruppe. Der Atheismus ist den Menschen nicht so viel wert, um ihn organisiert zu vertreten. Die Folge ist, dass die unterschiedlichsten Lebensorientierungen in das atheistische Milieu einwandern und dort irgendwie privatisiert werden. Denn Atheismus ist ja eigentlich nur eine Negation. Die alles entscheidende Frage ist, was nach dieser Negation an Position kommt. Friedrich Nietzsche hat diese Frage klassisch und bis heute gültig im Aphorismus 125 der „Fröhlichen Wissenschaft“ mit den Fragen eines „tollen Menschen“ formuliert, der am hellerlichten Tage eine Laterne anzündet, um Gott zu suchen. „Was taten wir“, fragt dieser „tolle Mensch“, „als wir diese Erde von ihrer Sonne (Gott) losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? ... Stürzen wir nicht fortwährend? ... Gibt es noch ein Oben und eine Unten? Haucht uns nicht der leere Raum an?“ Solche Fragen wurden in der DDR- nicht zugelassen. Nietzsche kam in den Bibliotheken in den „Giftschrank“. Das änderte sich erst Ende der achtziger Jahre.
Die Empfindung der Sinnlosigkeit des eigenen Lebens, der Nietzsche Ausdruck gab, vor allen unter Jugendlichen, denen die Sinnlosigkeit ihres Daseins aufs Gemüt fällt, war aber schon in der DDR unter Jugendlichen ziemlich verbreitet. Heute ist es leider wahr, dass Rechtsextremisten sich das nutze machen. Unter der älteren Generation, welche sozialistische Werte der Gemeinschaftspflege verinnerlicht hat, hat dergleichen dagegen gar keine Chance. Hier ist der Wunsch nach Geborgenheit in der Gesellschaft und in der Familie dagegen ein starker Lebenszweck. Sehr viele aber verhalten sich so, wie wiederum Friedrich Nietzsche die Reaktion der Gaffer auf dem Marktplatz auf die Fragen des tollen Menschen beschrieben hat. Sie machen faule Witze. „ Ist er (Gott) denn verloren gegangen“, fragen sie unter großen Gelächter. „Hat er sich verlaufen? ... hält er sich versteckt? ... Ist er zu Schiff gegangen, ausgewandert?“ Sie tun also so, als sei der Verlust Gottes eine alberne, nebensächliche Kleinigkeit. Die Herausforderung, die Welt und ihr Leben besser in den Angeln zu halten, als der verloren gegangene Gott, lassen sie nicht an sich heran kommen. Was dabei heraus springt, ist nach einer repräsentativen Studie der „Identity Foundation“ über die spezifische „Spiritualität in Deutschland“ das Leben von „unbekümmerten Alltags-Pragmatikern“. Menschen verstehen sich demnach als Produkt der Naturgesetze. Ihr Lebenssinn es ist, aus ihrem begrenzten Dasein, bis es nicht mehr geht, das Beste für sich, aber auch für die Kinder, zu machen und dann möglichst schmerzlos aus dieser Welt zu verschwinden.
Dass ein derartiger unbekümmerter und diffuser Alltagpragmatismus kein geistiges Potenzial für die Zukunft unserer Gesellschaft und unserer Welt darstellt, brauche ich hier nicht lange zu begründen. Seine Nähe zum Nihilismus einerseits und zum Bedürfnis, sich in Kuschelecken der Gesellschaft zu bergen, machen ihn zudem zu einem zwischen Lebensverneinung und Lebensbejahung hin und her schwankenden Phänomen. Es muss darum im Interesse nicht nur der Kirche, sondern auch der Gesellschaft liegen, diesen Atheismus im Dialog mit den Menschen, die ihn vertreten, um der Zukunft unseres Landes willen auf seine Tragfähigkeit für die Lebensorientierung von Menschen hin zu befragen. Merkwürdigerweise herrscht in dieser Hinsicht in der Kirche, die auf die „Wiederkehr der Religion“ von alleine setzt, und im gesellschaftlichen Diskurs aber eine eigenartige Funkstille. Sie scheint das Spiegelbild des atheistischen Milieus zu sein, das mit solchen Fragen nicht behelligt zu werden möchte und keine Lust hat, sich selbst zu rechtfertigen.
In gewisser Weise können wir darum durchaus dafür dankbar sein, dass sich der Atheismus (statt sich nur als diffuses Milieu zu präsentieren) in jüngerer Zeit lautstark und mit Argumenten von sog. „neuen Atheisten“ zu Worte gemeldet hat. Sie könnten den „alten Atheismus“ provozieren, sich mit der Religion wirklich zu beschäftigen, statt sie ohne Kenntnis für erledigt zu halten. Dieser „neue Atheismus“ könnte auch für die Kirche eine Gelegenheit sein, den Atheismus als geistiges Projekt ernster zu nehmen, als das der diffuse Alltagspragmatismus nahe legt, welcher sich als Restbestand der marxistisch-leninistischen Ideologie im Bewusstsein so vieler Menschen im Osten Deutschlands fest gesetzt hat. Jedenfalls interessiert es einen Menschen wie mich, der den Hauptteil seines Lebens atheistischer Propaganda ausgesetzt war, sehr, wie die „neuen Atheisten“ den „alten Atheisten“ a la DDR auf die Sprünge helfen könnten.
3. Die Merkmale des „neuen Atheismus“
Mein beschriebenes Interesse an den Argumenten des „neuen Atheisten“ ist bei der Lektüre einiger ihrer Bücher leider schon ziemlich bald enttäuscht worden. Allesamt haben nämlich von der Realität des Atheismus, wie sie bis 1989 die östliche Halbkugel der Erde beherrscht hat, schlichtweg keine große Ahnung. Sie stehen auch nicht in der Tradition der großen Religionskritiker der europäischen Welt wie Immanuel Kant, Ludwig Feuerbach, Karl Marx, Friedrich Nietzsche, Sigmund Freud oder Ernst Bloch. Wenn sie sich zu einer von diesen europäischen Geistesgrößen äußern, dann kann man meistens nur mit dem Kopf schütteln. Sein Profil gewinnt der „neue Atheismus“ dagegen dadurch, dass er aus einem ausgesprochen religiösen Land stammt, nämlich aus den USA. Entstanden ist er dort vor allem aus zwei Anlässen.
Die eine Veranlassung ist der islamistische Terroranschlag auf das World-Trade-Center in New York vom dem 11. September 2001. Das religiöse Motiv dieses Anschlags, nämlich die Vernichtung von Ungläubigen und die Verheißung des Paradieses für die Attentäter, hat dem Argument Auftrieb gegeben, Religion überhaupt sei eine Quelle der Gewalt gegen Nicht- und Andersgläubige. Sie müsse deshalb um des Friedens der Menschheit willen beseitigt werden. Sam Harris, ein amerikanischer Neurowissenschaftler und Publizist, hat in seinem Buch, „Das Ende des Glaubens. Religion, Terror und das Licht der Vernunft“ daraus die Konsequenz gezogen, nur der Atheismus könne die Welt vor solcher Gewalt bewahren. Ohne Religion, behauptet Harris, gäbe es keinen Hass auf Anders- oder Nichtgläubige und keine Kriege, wobei der Marxismus gleich mit zu den Religionen gezählt wird. Alle Religionen, sagt Harris weiter, stehen sich „ihrem Wesen gemäß feindlich gegenüber“. In ihnen ist „keine echte Grundlage für religiöse Toleranz und religiöse Vielfalt zu finden“. Die neuatheistische Literatur ist darum eine Sammlung von Gewaltgeschichten aus allen Religionen. Mit ihnen wird belegt, „wie die Religion die Welt vergiftet“. So lautet der Untertitel des Buches des Journalisten Christopher Hitchens, eines ehemaligen Trotzkisten, „Der Herr ist kein Hirte“.
Die andere Veranlassung ist der in den USA verbreitete christliche Fundamentalismus. So nennt man eine Ausprägung des Christentums, welche die antiken biblischen Vorstellungen der Bibel von der Welt und vom Menschen wörtlich als von Gott geoffenbarte Wahrheiten versteht. Die sog. „Kreationisten“ (die es auch in Deutschland gibt), lehnen darum die naturwissenschaftlichen Theorien der Weltentstehung und der Evolution des Lebens ab. Sie übertragen die moralischen Vorstellungen der Bibel von Staat und Gesellschaft, Ehe und Familie direkt in unsere Zeit und betrachten z.B. die Homosexualität als Sünde. Die „neuen Atheisten“ behaupten nun, dass alle Religion fundamentalistisch sein muss. Der Grund dafür ist ihre Unwissenheit in Hinblick auf die wissenschaftliche Erkenntnis der Welt und des Menschen.
Religiöser Glaube erfindet, sagt Christopher Hitchens, weil Menschen es nicht besser wissen, aus Unwissenheit absurde Vorstellungen über die Welt, die Menschen und die Vorgänge in Natur, Geschichte und individuellem Leben. Gefährlich daran ist – und hier verbindet sich dieses zweite Motiv für den „Neuen Atheismus mit dem ersten –, dass jede Religion ihre unbeweisbaren Erfindungen für die allein richtigen hält und unfähig ist, sie zu korrigieren. Darum verbindet sich Religion immer mit Hass und Vernichtungswut gegen andere Menschen, die ebenso unbeweisbare Vorstellungen hegen. Die Tendenz zur Gewalt kennzeichnet alle Religionen, weil sie ihre absurden Vorstellungen nur so verteidigen können, dass sie Menschen mit anderen absurden Vorstellungen den Kopf einschlagen. „Dummheit, gekoppelt mit [...] Überheblichkeit“ – das ist das Wesen der Religion.
Um das drastisch einprägen, bedienen sie sich die „neuen Atheisten“ einer Sprache, die aus dem Rahmen aller Gesittung fällt. Es ist mir fast ein wenig peinlich, das hier zur belegen, weil mir nichts daran liegt, Menschen mit atheistischen Überzeugungen billig zu diskreditieren. Auf der anderen Seite spiegelt sich in der Sprache aber auch immer der Geist einer Überzeugung, so dass wir uns ein paar Kostproben dieser Sprache nicht ersparen können. Nach Richard Dawkins („Der Gotteswahn“) sind Menschen, die an Gott glauben, irrsinnig. Den Gott der Bibel nennt er einen „psychotischer Übeltäter“, ein „Monster“ und ein „grausames Ungeheuer“. Jesus – das ist der Vertreter einer jüdischen „Gruppenmoral“, die „Anweisungen zum Völkermord“ gibt. Kirche – das ist Kindesmissbrauch, d.h. nicht nur „Fummelei in der Sakristei“ und das Quälen von Mädchen durch „grausame Nonnen“, sondern das Verderben des Geistes von Kindern mit „Unsinn“. Keine Gelegenheit zum Zynismus wird ausgelassen, so wenn etwa den Christen empfohlen wird, elektrische Stühle statt Kreuze um den Hals zu tragen und sich bei einer schlechten Krebs-Diagnose auf eine „schnellere Reise in den Himmel“ wie auf „einen Urlaub auf den Seychellen“ zu freuen.
Von diesem Geist und seiner Sprache inspiriert hat Michael Schmidt-Salomon, der Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, einen „Dawkins für Kids“ verfasst, den der humanistische Pressedienst unter dem Stichwort „Ferkelgott“ als „Heidenspaß“ anpreist. „Wo bitte geht’s zu Gott? fragte das kleine Ferkel“ heißt dieses Machwerk. In ihm werden mit scheußlichen Illustrationen die Vertreter der verschiedenen Religionen als dumme hasserfüllte Schreckensgestalten lächerlich gemacht. Besonders abschreckend ist die Darstellung eines jüdischen Rabbis, die der antisemitischen Nazipropaganda entnommen zu sein scheint. Ursula von der Leyen wollte dieses Buch wegen seines jugendgefährdenden Charakters verbieten lassen. Sie hat glücklicherweise davon Abstand genommen, um es nicht durch ein Verbot erst richtig interessant zu machen.
Mich wundert angesichts der Sprache und der Maßlosigkeit, mit der hier über Menschen geredet wird, welcher einer Religion anhängen, dass dieser Atheismus den Anspruch erhebt, dem Frieden in der Welt zu dienen und dass Atheisten von sich behaupten, „die besseren Menschen“ zu sein (so der Untertitel des Buches von Schmidt-Salomon „Jenseitsvon Gut und Böse“, 2010). Hier werden die primitivsten Vorurteile gegen die Religion und damit doch auch gegen die Menschen, die ihr anhängen, fast ohne jedes Differenzierungsvermögen geschürt. Wie das dem gesellschaftlichen Frieden dienlich sein soll, ist mir unerfindlich. Hier wird kein Dialog angestrebt. Hier wird abgeurteilt und diskriminiert, ohne auch nur hinzusehen, wie z.B. in der weltweiten Christenheit über den Umgang mit der Bibel und die Anwendung von Gewalt gedacht wird. Es lohne sich nicht, sich mit diesem Atheismus auseinandersetzen, ist darum von vielen seiner Kritiker gesagt worden.
Auch ich würde, wenn es bloß um die Kirche und mich ginge, dieser Ansicht zuneigen. Die evangelische Kirche rechtfertigt aus Glaubensgründen keine Gewalt und kritisiert selbst entschieden jedes Bündnis von Glaube und Gewalt in Vergangenheit und Gegenwart. Um das zu tun, muss kein Mensch Atheist werden. Diese Kirche ist in ihrer Grundausrichtung auch nicht fundamentalistisch, sondern weiß sehr wohl zwischen der Wahrheit des Glaubens und weltbildhaften Vorstellungen ihres Ausdrucks zu unterscheiden. Sie bejaht und fördert die Wissenschaften, wie ich das speziell als Theologieprofessor tue. Insofern betrifft dieser Atheismus meine Kirche und mich nicht und ich könnte ihn getrost auf sich beruhen lassen.
Was mir dagegen Sorge macht, ist, dass dieser Atheismus, sofern er durch die Presse, aber auch durch den in den Schulen aktiven „humanistischen Verband“ verbreitet wird, das von mir geschilderte atheistische Milieu mit einem Zerrbild vom Glauben und von der Kirche zu befestigen droht. Darum ist es schon nötig, sich mit diesem Atheismus öffentlich und innerkirchlich auseinanderzusetzen. Bei dieser Auseinandersetzung geht es jedoch nicht nur um Richtigstellungen, sondern vor allem darum, durch allen neuatheistischen Rumor hindurch die Kernargumente ernst zu nehmen, die sowohl im „alten“ wie im „neuen Atheismus“ die Gleichen sind und die auch vielen Gliedern der Kirche zusetzen.
4. Gottesglaube und naturwissenschaftliche Erkenntnis
Nicht nur die „neuen“, sondern auch die „alten Atheisten“ sind der schon angedeuteten Meinung, dass Religion sich nicht mit der neuzeitlichen Naturwissenschaft vertrage. Wenn sich jemand dazu äußert, warum er Atheist ist, bekommen wir das in der Regel zu hören. Dementsprechend sagt auch Richard Dawkins mit seinem Argument Nr. 1. Die Naturwissenschaften können keinen Beweis für die Existenz eines Gottes, für einen übernatürlichen „Gestalter“ der Welt, liefern. Darum existiert Gott nicht. Hier wird dieser Glaube also als eine verkehrte „wissenschaftliche Hypothese“ über die Entstehung der Welt und des Lebens verstanden. Demgegenüber wird geltend gemacht: Das Werden des Universums und des Leben kann in jeder Hinsicht ohne die „Gotteshypothese“ erklärt werden. Aus naturwissenschaftlicher Perspektive Gott existiert mit über 50% Wahrscheinlichkeit nicht.
Doch dieses Argument ist mehr als schwach. Einen Gott, den man wie die Existenz von Dingen oder Sachen mit Naturgesetzen „beweisen“ und so in den Griff bekommen könnte, wie einen Computer, wäre gar nicht Gott, sondern ein Teil der Welt. Zu Gottes unsichtbarer, geistiger, jenseitiger Wirklichkeit gibt es nur einen Zugang und das ist der Glaube, der auf Gott trifft, indem er alles Weltliche transzendiert. Gott und Glaube gehören zuhaufe, sagt Martin Luther. Glaube ist aber nicht ein illusorisches Für-wahr-halten von irgendwelchen Naturvorgängen. Glaube ist das Vertrauen zu einer unsichtbaren, uns unverfügbaren Wirklichkeit. „Worauf du nun Dein Herz hängst, das ist eigentlich Dein Gott“, sagt wiederum Martin Luther. Der Glaube mit dem Herzen aber gehört in unser Leben und nicht in eine davon abstrahierte Theorie von der Wirklichkeit. Er entsteht aufgrund unserer geschichtlich-existenziellen Erfahrungen im Leben, die uns zu Begegnung mit einem Geheimnis unseres Daseins führen, das wir niemals objektivierend aufschlüsseln können. So wie wir z.B. der unverfügbaren Treue eines Menschen oder der Wahrhaftigkeit einer Freundin und eines Freunde vertrauen, so werden wir durch die Erfahrungen, die wir im Falle des christlichen Glaubens mit Jesus Christus machen, veranlasst, auf Gott zu vertrauen. Könnten wir das alles beweisen, dann brauchten wir nicht glauben.
Dawkins aber versteht die Frage nach der Existenz Gottes wie die Suche nach einem Ding, wie es – das sind seine Beispiele – eine Weltraum herum fliegende Teekanne oder ein Spaghettimonster wäre. Er bewegt sich auf dem Niveau des ersten Weltraumfahrers Juri Gagarin, der auch stolz verkündet hatte, dass er Gott bei seinem Weltraumflug nicht angetroffen hat. Dass Gott auf diese Weise nicht bewiesen werden kann, versteht sich von selbst. Für den Zugang von Menschen zu Gott und damit für den Glauben sind die Naturwissenschaften darum nicht zuständig. Sie können sich in der Frage, ob Gott existiert oder nicht, nur der Stimme enthalten.
Der Atheismus jedoch tut das nicht und hört damit auf, Wissenschaft zu sein. Er beurteilt und deutet die wissenschaftliche Erkenntnis aufgrund eines Fehlverständnisses des Glaubens so, dass ihr Nichterkennen Gottes die Nichtexistenz Gottes belege. Ein „Beweis“ für diese Nichtexistenz im strengen Sinne ist das allerdings nicht. Ein bisschen über 50% Wahrscheinlichkeit für die Nichtexistenz Gottes ist nicht viel, weshalb englische Religionsphilsophen sich heraus gefordert finden, mit dem Computer auszurechnen, dass doch einige Prozente mehr für einen übernatürlichen Gestalter der Welt sprechen. Doch das ist eine abwegige Diskussion, in der Dawkins sich mit dem atheistischen Argument Nr. 2 hervor gewagt hat,. Es lautet: dass etwas nicht existiert, braucht auch gar nicht bewiesen zu werden.
Ich halte das für ein ehrliches Argument. Denn es gibt zu erkennen, dass die Überzeugung von der Nichtexistenz Gottes überhaupt nicht durch naturwissenschaftliche Erkenntnis zustande gekommen ist, sondern dadurch, dass dieser Atheist in seinem Leben schlicht ein Nicht-Glaubender ist, der keine Erfahrungen mit Gott gemacht hat. Er setzt die Nicht-Existenz Gottes deshalb einfach voraus und versucht das Vorurteil seines Nicht-Glaubens mit naturwissenschaftlichen Methoden zu begründen. Dabei macht er aus der Naturwissenschaft, die sich in Glaubensfragen nur der Stimme enthalten kann, eine antireligiöse Ideologie.
Der christliche Glaube wird sich hüten, dem mit einer religiösen Ideologie von der Welt- und Lebensentstehung Paroli bieten zu wollen. Auch er beurteilt und deutet das, was wir wissenschaftlich wissen, durchaus im Lichte seiner Gotteserfahrung, zu der er durch die wunderbare Fähigkeit von uns Menschen befähigt wird, uns das Geheimnis der Wirklichkeit, das Gott ist, angehen zu lassen. In seiner Perspektive verdankt sich die Welt und wir Menschen dem Wirken Gottes und nicht dem Zufall. Aber das ist ein Glaubensbekenntnis im Vertrauen auf Gottes Geheimnis, das unserem Leben Daseinsgewissheit und Sinn gibt und nicht ein unserem Wissen vom Werden des Universums und des Lebens mühsam abgezwirbelter Satz. Was jenes Wissen betrifft, so kann und soll uns die naturwissenschaftliche Forschung davon so viel wie möglich besorgen. Der Gott, der in uns Glauben weckt, ist ja zugleich der Schöpfer, der uns diese Welt zur freien Erforschung und Gestaltung frei gegeben hat. Je mehr wir von ihr wissen können, desto mehr wird uns das wunderbare, atemberaubend großartige Werk des Schöpfers gegenwärtig. Darum ist der Glaube in Freund der Naturwissenschaften. Aber den Naturwissenschaften die sie völlig überfordernde Aufgabe zuzuweisen, „Gottesbeweise“ zu liefern, wird einem Glauben an Gott, der sich selbst versteht, nicht in den Sinn kommen. Dass die Naturwissenschaft den Glauben an Gott nicht begründen kann, ist darum kein überzeugender Grund, Atheist zu sein.
5. Die Unentbehrlichkeit des Gottesglaubens
Auch die Atheisten bemerken natürlich, dass die Naturwissenschaften bis in die Existenz von Menschen reichende, tragfähige Begründungen für die Bestreitung des Glaubens an Gott nicht liefern. Darum schwenkt auch der „neue Atheismus“ von dem verunglückten Versuch, zu beweisen, dass es Gott nicht gibt, mit einem Argument Nr. 3 auf ein beliebtes Verfahren des alten Atheismus um. Er kann ja nicht ignorieren, dass der bei weitem überwiegende Teil der Menschheit religiös ist und dass das auch für viele Wissenschaftler gilt. Gerade heutzutage boomt Religion überall in der Welt, auch das Christentum. Statt Gott wird deshalb die Religion von Menschen, also die Art und Weise an Gott zu glauben und ihn zu verehren, aufs Korn genommen. Es soll nachgewiesen werden, dass Religion eine verkehrte Art ist, von unserem Bewusstsein Gebrauch zu machen.
Das geschieht, indem eine Theorie vom Entstehen der Religion konstruiert wird, die zugleich begründen soll, warum Religion überflüssig, ja verderblich ist. Wir kennen das aus der europäischen Religionskritik, die uns schon in ihrer marxistischen Gestalt begegnet war. Marx seinerseits bediente sich der Theorie von Ludwig Feuerbach, nach der die Religion eine Projektion menschlicher Wünsche an den Himmel ist. Friedrich Nietzsche dagegen hatte ihr Entstehen auf die Absicht einer Priesterkaste zurückgeführt, welche die starken Kräfte der menschlicher Lebensentfaltung durch den Gottesglauben zu schwächen trachtet. Sigmund Freud sah in ihr eine im Vaterkonflikt entstandene Neurose. All diesen Erklärungen des Entstehens von Religion bzw. von Gottesglaube fügt der Evolutionsbiologie Dawkins nun noch eine weitere hinzu. Er behauptet, dass Menschen beginnen, an Gott zu glauben, sei eine „Fehlfunktion“ der Evolution des menschlichen Lebens.
Unter „Fehlfunktion“ wird dabei ein verkehrter Gebrauch einer eigentlichen nützlichen genetischen Anlage unserer Gattung verstanden. Das Beispiel von Dawkins dafür ist die Motte. Sie ist genetisch darauf programmiert, sich am Mondlicht zu orientieren. Diese Programmierung verführt sie, sich mit tödlicher Konsequenz ins Kerzenlicht zu stürzen. Dementsprechend gilt: Wir sind genetisch darauf programmiert, unseren Eltern zu vertrauen und also zu glauben. Das verführt uns dazu, das Ziel unseres Vertrauens zu verselbständigen. Wir stilisieren dieses Ziel zu einer für sich existierenden „Überwelt“ Gottes. Durch sog. von Dawkins erfundene „Meme“ (Gedächtniseinheiten) soll sich dieser Glaube wie ein Virus fortpflanzen.
Die Widersprüchlichkeit dieser Art von Religionskritik ist mit Händen zu greifen. Erst wird uns erklärt, die wissenschaftliche Erkenntnis und damit auch die Einsicht in die Evolution des Lebens treibe uns den Gottesglauben aus. Dann aber wird behauptet, gerade diese Evolution veranlasse uns zu religiösen „Fehlfunktionen“. Doch wer entscheidet hier, was richtige Funktion von uns menschlichen Wesen und was „Fehlfunktion“ ist? Wenn wir einmal evolutionsbiologisch reden wollen, dann hat uns dieser naturgesetzliche Vorgang doch in die Freiheit gesetzt, das aufgrund unserer Erfahrungen mit unserem Leben und der Berührung unseres Geistes von der Transzendenz selbst zu entscheiden. Zu den Möglichkeiten dieser Freiheit gehört, Unverfügbares in Existenz und Geschichte in einer alles Objektivierbare überschreitenden Weise als Wirklichkeit wahrzunehmen. Unsere Wirklichkeitserfahrung, ja unser Leben, unterläge auch abgesehen von der Gotteserfahrung einer unsäglichen Verarmung, wenn sie auf die Wahrnehmung von Objektivierbarem und Messbarem reduziert würde.
Was aber unsere Fähigkeit betrifft, einem uns entzogenen Grunde und guten Geheimnis unseres Daseins zu vertrauen, das wir „Gott“ nennen, so ist das geradezu die Grundbedingung unseres Lebens. Ohne das Grundvertrauen dazu, dass unser Dasein bejaht und getragen ist, in einen sinnvollen Zusammenhang gehört und einen Horizont von weither hat, versinkt unser Leben nach aller Erfahrung in Verunsicherung und Sinnlosigkeit. Menschen sind darum unausweichlich religiös, auch die, welche sich der Gotteserfahrung verweigern. In die Stelle Gottes rückt dann irgendetwas Weltliches ein, dem Menschen in allerlei Ersatz- und Pseudoreligiosität vertrauen, wie einem Gott. Der Marxismus war in seinem Glauben an die Materie und das allmächtige Gesetz der Geschichte penetrant religiös und hat das in seinen Weihefeiern auch zum Ausdruck gebracht. Auch der Wissenschaftsglaube, den wir bei Dawkins finden, ist nicht zu Unrecht eine Religion genannt worden. Sam Harris verkündet im Unterschied dazu eine Art Buddhismus light und für die Alltagpragmatiker ist schließlich der Schrebergarten oder der Fußball ihr ein und alles.
Das Problem aller dieser religiösen Ersatzorientierungen ist, dass sie etwas Relativem im Raum der Welt wie einem sie absolut bestimmenden Gott vertrauen. Dergleichen verdient aber nicht Gott zu heißen, weil es das Leben nicht wertbeständig zu tragen vermag, sondern so dahin sinkt, wie wir es mit dem atheistischen Materialismus des Ostens erlebt haben.
Es ist aber auch zuzugeben, dass auch die Religionen, auch das Christentum, in der Gefahr sind, allzu menschliche Gottesbilder und irrtümliche Anschauungen von der Welt und vom Menschen die Stelle Gottes setzen. Sofern der Atheismus das kritisch aufpiekt und z.B. gegen das Einwandern von Unvernunft und Gewalt in die Religionen protestiert, ist er sogar ein Verbündeter des Glaubens an den Gott der Liebe, der im Christentum im Zentrum steht. Denn dieser Glaube ist von seinen Ursprüngen im Alten und Neuen Testament selber in eminenter Weise religionskritisch, indem er alle menschlichen Vereinnahmungen Gottes immer wieder mit der Öffnung für Gott selbst überholt hat. Dass er dazu nicht fähig sei, ist angesichts der Kirchen- und Theologiegeschichte eine unhaltbare Behauptung des Alten und Neuen Atheismus.
Ich würde mir wünschen, dass der alte und der neue Atheismus dies bemerken, und nicht dazu fortschreiten, seine Kritik an der Religion in eine Verzerrung des Glaubens an Gott ausarten zu lassen, die jeden ehrlichen Dialog zerstört. Noch mehr aber liegt mir am Herzen, dass der Massenatheismus des Ostens Deutschlands durch die schrillen Fanfarenstöße aus dem Westen nicht noch tiefer in ein Milieu hinein gestoßen wird, in dem die Sprachlosigkeit für die Grundprobleme unseres menschlichen Lebens brütet. Der Glaube an Gott ist neben allem, was sonst noch ist, eine Ermutigung für jeden Menschen, sich nicht in irgendeinem Milieu voller Ressentiments gegen die Religion einzugraben. Er lädt jeden Menschen ein, sich mit seiner Auszeichnung und Würde als von weither geliebter Mensch im Horizont einer großen Liebesgeschichte Gottes mit uns Menschen wichtig zu machen und sich für die Zukunft unserer Welt verantwortlich zu wissen.