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21.09.2014 10:25 Age: 10 yrs
Category: Predigten

2. Korinther 5, 17-21

Predigt in der Nagelkreuzkapelle Potsdam am 20.09.2014


Ist jemand in Christus, so ist er ein neues Geschöpf. Das Alte ist vergangen. Siehe, Neues ist geworden. Aber das alles kommt von Gott, der uns durch Christus mit sich selber versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung gegeben hat. Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich, indem er den Menschen ihre Verfehlungen nicht anrechnete und unter uns das Wort der Versöhnung aufrichtete.

So sind wir nun Botschafter für Christus, denn Gott ermahnt durch uns. Wir bitten an Christi Stelle: Lasst euch versöhnen mit Gott. Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit Gottes würden.

 

Liebe Gemeinde,

das Wort „Versöhnen“ ist ohne Zweifel das Hauptwort in diesem dichten Spitzentext des Neuen Testaments, den wir da eben gehört haben. Es kommt gleich fünfmal vor. Ich weiß nicht, was Ihnen, liebe Schwestern und Brüder, spontan einfällt, wenn sie dieses Wort hören. Vermutlich geht es Ihnen so wie den Meisten, die das Wort „Versöhnung“ heute gebrauchen. Sie denken dabei daran, dass sich Menschen oder gar Völker, die sich zu Feinden geworden sind, möglichst mit Gottes Hilfe wieder vertragen, zu ihrer Schuld stehen und sich dennoch ihre Vergehen aneinander nicht mehr vorrechnen. Sie denken daran, dass versöhnte Menschen in einem neuen Miteinander zusammen leben.

Wo Versöhnung staatfindet, ging also Streit, Kampf und sogar Krieg voraus. Wo Versöhnung stattgefunden hat, brechen Menschen, ja Völker zu einem Leben in gegenseitiger Anerkennung und Achtung auf. Das ist – so wie das Wort „Versöhnung“ in unseren Ohren klingt – auch alles ganz richtig. Mit sich wieder vertragenden, zerstrittenen Söhnen hat Versöhnung, wie mir vor einiger Zeit jemand erklären wollte, in seiner deutschen Bedeutung freilich nichts zu tun, so dass sich auch das Reden von „Vertöchterung“ erledigt. Das Wort "Versöhnen" leitet sich vielmehr per Lautverschiebung vom mitthochdeutschen „Versuenen“ her. „Christ ist erschienen, uns zu versühnen“, singen wir dementsprechend noch heute in der Weihnachtszeit.

Doch so hat dieses Wort in den Ohren der Leute in Korinth, an die der Apostel Paulus geschrieben hat, nicht geklungen. Von „Sühnen“ ist gar nicht Rede. Den Korinthern sind auch nicht an erster Stelle Menschen eingefallen, die sich irgendwie wieder miteinander vertragen. Das Wort „Versöhnen“ hat vielmehr in unserem Text eine ganz eigenartige Bedeutung. Es heißt schlicht „Vertauschen“. Wo die Versöhnung stattfindet, von welcher der Apostel redet, da findet ein Tausch statt, den es in dieser Weise zwischen Menschen überhaupt nicht geben kann. Da vertauschen nämlich Gott und Mensch gegenseitig den Ort, an den sie normalerweise gehören. Da findet ein Ortswechsel von Gott und uns Menschen statt, der das Menschenmögliche sprengt.

Das klingt merkwürdig, wenn nicht ganz und gar unwahrscheinlich. Denn einerseits ist und bleibt doch die gute alte Erde der Ort von uns Menschen, von dem wir nicht mehr wegkommen, so lange wir leben. Es gibt zwar den abenteuerlichen oder vielmehr den schrecklichen Versuch von Menschen, selber den Ort Gottes auf der Erde einzurichten und sich dann so zu benehmen wie allmächtige Götter. Doch diese Götter sind und bleiben richtige Erdgötzen.

Sie bringen mit ihrer Erhebung über andere Menschen und ihrer Sucht, sie zu beherrschen nichts wie Elend und Verderben über sie. Die große Blutspur, die ihr Wahnwitz in unsere Menschengeschichte gezeichnet hat, zeugt davon –  zeugt davon hier in Deutschland und gerade heute wieder in dem uns so unheimlich nahe gerückten „nahen Osten“ und in der Ukraine.

Aber auch die heimlichen Tränen in den Potsdamer Häusern, die niemand sieht, und das verborgene Stöhnen im privatesten Bereich, das niemand hört, gehören zum Unheil, das die Erdgötzen anrichten. Das Gott-sein-Wollen von Menschen ist so schlimm, dass wir bei der Bitte des Vaterunsers „Erlöse von dem Bösen“ fast von alleine daran denken müssen. Was aber sollen wir dann von der Aussage des Apostels halten, dass nach seiner Erfahrung unser Lebensort mit dem Ort Gottes vertauscht worden ist?

Merkwürdig, wenn nicht ganz und gar unwahrscheinlich, klingt angesichts dessen auch die andere Seite des Ortswechsels, den der Apostel Paulus anvisiert. Gottes Ort ist, wie wir auch heute im Eingang des Gottesdienstes gesungen haben, „in der Höhe“. Das ist der bildliche Ausdruck dafür, dass Gottes unsichtbare, in der Kraft seines Geistes lebendige Wirklichkeit allem erdhaft Irdischen voran geht und voraus bleibt. Gott wird für uns Menschen darum immer Geheimnis bleiben. Das haben die Theologen und Philosophen, die Künstler aller Art oder auch die Weisen in den vielen Religionen auf dieser Welt in immer neuen Vertiefungen in das Jenseits unserer Welt nachhaltig einzuprägen versucht.

Vielleicht sogar ein bisschen zu nachhaltig, wenigstens in unseren europäischen Regionen. Denn hier hat das Großmachen, ja das Rühmen der Ferne Gottes in seinem Geheimnis an der Gewissheit genagt, dass es dieses Geheimnis überhaupt gibt. Es hat den Atheismus befeuert, der uns hier in Potsdam – nachdem er von der sozialistischen Weltanschauungsdiktatur in die Köpfe der Menschen gehämmert wurde –ziemlich zusetzt. Wer hier im Namen Gottes etwas anfängt, muss gewärtig sein, dass der Mehrheit seiner „konfessionslos-atheistischen“ Mitmenschen dabei nur Abstruses oder Verdächtiges einfällt.  

Wer hier also einen Ort der Versöhnung schaffen will, muss darum in zweierlei Hinsicht noch einmal neu mit dem Anfang anfangen, den uns unser Spitzentext aus dem Neuen Testament weist. Er stellt uns, wie es dort heißt, in den Dienst des Ortstausches von Gott und von uns Menschen. Dieser Dienst – der Dienst der Versöhnung – besteht darin, dem schlimmen Greifen von Menschen nach Gottes Göttlichkeit im Großen und im Kleinen das Wasser abzugraben. Er besteht aber auch darin, dem Abschieben Gottes in eine belanglose Ferne zu wehren.

Das, womit hier anzufangen ist, bringt Paulus auf den Punkt, indem er sozusagen die Kreuzung benennt, an dem Gott und wir Menschen uns begegnen, wenn Gott seinen Ort in der Höhe verlässt und wir Menschen unseren von Erdgötzen aller Art geschundenen Ort verlassen. Wir sind dann „in Christus“ und treffen dort Gott, der längst schon „in Christus“ war und ist. 

Wie wir da dahin kommen, liebe Gemeinde, „in Christus“ nämlich, ist nicht schwer zu sagen. Das Evangelium vom Leben, Verkündigen, Leiden und Sterben Jesu Christi holt uns ab in unserem Leben und berührt uns so, dass wir loslassen können, was unsere Geistigkeit, unser Denken und unsere Gefühle, unser Erleben und Erleiden, Versagen und Verschulden an die Welt, wie sie nun einmal ist, fesselt. Wir ankern dann mit unserem Leben außer uns.

Solches „Außer-uns-sein“ ist grundsätzlich noch nicht einmal etwas ganz Ungewöhnliches für uns mit Bewusstsein und Geist begabten Geschöpfe. Wir können „außer uns vor Freude“ oder auch „außer uns vor Glück“ sein. Wir geraten „außer uns vor Trauer“, „außer uns vor Zorn“ leider auch. Wir beziehen dann irgendwie unberechenbar einen Ort über den realen Verhältnissen. „Komm mal wieder runter“, pflegen Freundinnen und Freunde uns dann besorgt zu ermahnen. Denn sie fürchten, dass wir bei solchen Ekstasen die Wirklichkeit nicht mehr realistisch beurteilen können.

Beim Außer-uns-Sein des Glaubens, das uns im Leben und Sterben Jesu Christi beheimatet, aber besteht diese Gefahr des Realitätsverlustes nicht. Das meinen nur Leute, die den Glauben mit irgendwelcher Religion in einen Topf werfen, die Gott und die Welt auf irgendeine phantastische Art und Weise zusammen reimt oder – wie sogar der soziologische Fachausdruck dazu heute heißt – zusammen bastelt. Der Glaube aber, der uns außer uns „in Christus“ beheimatet, macht unvergleichlich realistischer. Denn er trifft im Leben und Sterben Jesu Christi auf unsere Realität en masse.

Er trifft dort auf alles, was wir schon immer kennen: auf das Herumspuken der Erdgötzen im Großen und Kleinen; auf den Versuch von Menschen, sich am eigenen Schopfe auf dem Sumpf zu ziehen, den diese Götzen zum Brodeln bringen; auf all den Jammer, mit dem Gottes Geschöpfe seine wunderbare Schöpfung verderben. An sich wäre das ja Grund genug für Menschen, die „in Christus“ sind, sich zurückplumpsen zu lassen in die alte Welt, um dort zu versuchen, sie mit der Erinnerung an ein paar Versatzstücke aus Jesu Worten ein bisschen besser, nämlich „christlich“ zurecht zu wurschteln.

Es gibt nur einen Grund, der Menschen, die das Wort von Christus außer sich gesetzt hat, an diesem Zurückplumpsen hindert. Das ist Gott, den sie an der Wechselstelle von Gott und Mensch, die Jesus Christus ist, antreffen. Das ist Gott, der mit Kraft aus der Höhe die Praktiken der Erdgötzen, die sich an Jesus Christus ausgetobt haben, in der Tiefe seines Lebens und Sterbens selbst aufgefangen hat. Ihre Vernichtungswut hat sich, indem Gott „in Christus“ war, selbst tot gelaufen. Sie ist bloß noch absurd und nichtig. Ihr fehlen bei Gott und bei uns fortan alle guten Gründe. Wer von uns Menschen durch den Glauben „in Christus“ ist, lebt also aus dem Gott, der dem Bösen innerlich den Zahn gezogen hat, lebt aus Gott, der sein Auswuchern in der Menschenwelt in unserem eigenen Leben mit sich selbst blockiert.

Zeichen, Symbol der Kreuzung, an der wir Menschen Gott begegnen, der das Wuchern des Bösen blockiert, ist von Anfang der Christenheit an das Kreuz Jesu Christi. Es ist ja eigentlich ein Zeichen, mehr noch eine Realität der Schande, mit der Menschen Jesus Christus brandmarken wollten. Es ist darüber hinaus ein furchtbares Zeugnis von Vorstellungen, die im Erdgötzenmilieu gedeihen. Menschen zu Tode zu quälen, galt den Römern als besonders starke Demonstration ihrer Macht. Diejenigen, die ihr nicht botmäßig sein wollten, sollten die Nichtigkeit ihres Daseins vor aller Augen selbst spüren.

Der Ortswechsel von Gott und Mensch im Leben und im Tode Jesu Christi aber hat das Kreuz zum genauen Gegenteil dessen werden lassen, was es, als es aufgerichtet wurde, einmal war. Es wurde gewandelt zu einem Zeichen der Versöhnung zwischen Gott und uns. Es schüttelt die Erdgötzen, die es errichtet haben, von sich ab. Es ruft diejenigen, die in seinem Zeichen außer sich sind, auf, zu leben, wie Gott uns gemeint hat, als er uns schuf. Die neuen Geschöpfe, von denen der Apostel spricht, sind darum die ursprünglichen; aber so, dass Gott sie in den Dienst der Erneuerung seiner Schöpfung stellt, die er nicht Preis gibt.

Das ist in unserer Zeit und besonders an unserem Ort hier in Potsdam ein schwieriger Dienst. Sie wissen es. Denn hier werden wir auf Schritt und Tritt daran erinnert, dass das Kreuz in der Geschichte der Christenheit nicht geblieben ist, was es einmal war und in den Herzen derer ist, die in Christus außer sich sind. Statt Zeichen zu sein, welches das Ende vom Wuchern des Bösen anzeigt, ist es – beileibe nicht nur, aber doch viel, viel zu oft – von der Christenheit auch in den Dienst dieses Wucherns gestellt worden. An ihm hängen auch die Untaten, die unter seinem Zeichen begangen wurden. Das Kreuz Jesu Christi davon zu reinigen und es als Zeichen in seinem ursprünglichen Sinne zu errichten, ist die Herausforderung, vor welcher der „Dienst der Versöhnung“ in unserer Zeit und an unserem Ort steht.

Das klingt, liebe Gemeinde, anstrengend, ist es aber im Grunde gar nicht, wenn wir der Dienstanweisung folgen, die der Apostel Paulus am Wechselort von Gott und Mensch „in Christus“ vernommen hat. Denn außer uns in Christus werden wir Christinnen und Christen nicht mit einem ganzen schweren Paket von Programmen beladen, mit denen auf dem Buckel wir dann auf die Verhältnisse in unserer Welt zurück kommen müssen. Das „Wort von der Versöhnung“, das wir bei dieser Rückreise mit auf den Weg bekommen, ist nicht in Paragraphen oder Gesetze gegliedert, die wir schnaufend und prustend, argumentierend und protestierend, alle möglichen „Initiativen“ anwerfend abzuarbeiten haben. Es ist vielmehr ein einfaches, schlichtes Wort, in das wir auch das Symbol des Kreuzes Jesu Christi einzubetten haben. Es ist eine Bitte.

Das hat sich, liebe Gemeinde, in der Christenheit von gestern und auch von heute noch längst nicht überall herum gesprochen. Denn Bitten gehört im Leben von Glaubenden in das Gebet, in die Anrufung Gottes. Dabei bleibt es natürlich auch. Doch beim Ortswechsel von Gott und von uns Menschen, in dem beide „in Christus“ sind, hat sich auch Gott etwas Grundmenschliches, nämlich das Bitten zu eigen gemacht. Gott selbst bittet in Christus Menschen, sich seine Blockade des Bösen und seinen Einsatz für eine erneuerte Schöpfung angehen zu lassen. Er macht auch die zu Bittenden, denen er das „Wort der Versöhnung“ zu einem Herzensanliegen werden lässt. Anders als mit freundlichem, werbenden Bitten, das Menschen einlädt, mit dem Anfang anzufangen, den Gott mit der Erneuerung seiner Schöpfung gemacht hat, kann Wort „Versöhnung“ nicht rein und klar klingen.

Ist dieses Wort, sind die, die an der Stelle und im Namen Jesu Christi bitten, damit aber nicht in einer beängstigend schwachen Position? Bittende kann man leicht überhören, wegschieben und in den Winkel drängen. Ist es engagierten Christinnen und Christen darum zu verdenken, dass sie dieses Wort auch mit etwas mehr weltlicher power anzureichern versuchen und ins Bitten auch ein kräftiges Fordern mischen?

Wir können diese Frage nicht schlechthin verneinen. Denn unser Bitten muss und wird immer auch begleitet sein von Taten, von Verfahrensweisen, mit welchen die Praxis eines versöhnten Lebens mitten unter so viel Unversöhnlichkeit darzustellen und auch zu behaupten ist. Unser Bitten soll und darf auch in das Leben unserer Gemeinde, unserer Gesellschaft mit Nachdruck einwandern. Es ist recht, wenn die Bittenden sich darum bemühen, zu zeigen, dass das Wort der Versöhnung kraft seiner inneren Stärke auch das Vernünftigste für jeden Menschen, für jede Gesellschaft ist.

Doch wir müssen aufpassen. Es geht schnell, es geht sehr schnell, dass dem Bitten um die Versöhnung mit Gott die Luft ausgeht. In den Ebenen kirchlicher und gesellschaftlicher Alltäglichkeit schleift es sich ab zu irgendeinem religiösen Weltfaktor; zu irgendeiner Moral, für die dann mit allerhand Bandagen gestritten wird. Weil es dazu immer wieder kommt, ist es gut, dass das Wort der Versöhnung, in dessen Dienst wir stehen, ein lebendiges Wort ist. Es hört nicht auf, uns selbst andauernd aus solchen Verquickungen und Verstrickungen des Bittens um Versöhnung heraus zu holen. Indem Gott in Christus hier der erste Bittende ist, werden auch wir in der Kraft seines Bittens ausdauernde, starke Bittende sein. Amen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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