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20.01.2019 22:45 Age: 5 yrs
Category: Predigten

Jesaja 11, 1-10

Predigt im Universitätsgottesdienst am 20.01.2019 in der Golgathakirche Berlin


Im Rahmen der Predigtreihe dieses Semesters mit ausgewählten Texten aus dem Buch des Propheten Jesaja wollen wir heute auf einen Teil des 11. Kapitels dieses Buches hören. Dort lesen wir:   

(1) Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stumpf Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. (2) Auf ihm wird ruhen der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn. (3)  Und Wohlgefallen wird er haben an der Furcht des Herrn. Er richtet nicht nach dem Augenschein und entscheidet nicht auf bloße Gerüchte hin, (4) sondern mit Gerechtigkeit hilft er den Geringen zum Recht und spricht rechtes Urteil den Elenden im Lande, und er wird mit dem Stabe seines Mundes den Gewalttätigen schlagen und mit dem Hauch seiner Lippen den Gottlosen töten. (5) Gerechtigkeit ist der Gürtel seiner Hüften und Treue der Schurz seiner Lenden.

(6) Da wird der Wolf beim Lamm wohnen und der Leopard beim Böcklein lagern. Kalb und Löwe werden miteinander grasen und ein kleiner Knabe hütet sie. (7) Kuh und Bärin werden zusammen weiden und ihre Jungen beieinander lagern; und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind. (8) Und ein Säugling wird spielen am Loch der Viper und ein kleines Kind wird seine Hand ausstrecken nach der Höhle der Natter. (9) Nichts Böses und nichts Verderbliches wir man tun auf meinem ganzen heiligen Berg; denn das Land wird voll sein von Erkenntnis des Herrn wie von Wassern, die das Meer bedecken.

(10) Und an jenem Tage wird es geschehen, dass die Wurzel Isais da steht als Zeichen für die Völker. Nach ihm werden die Nationen fragen. Denn ihr Wohnsitz wird Herrlichkeit sein.

Liebe Universitätsgemeinde,

in der alten Ordnung der Predigtexte des Kirchenjahres war Jesaja 11, Vers 1-10 für den 2. Weihnachtsfeiertag vorgesehen. Das ist – man weiß eigentlich nicht so recht, warum – in der neuen Perikopenordnung geändert worden. Der weihnachtlichen Beheimatung in Kirche und Gemeinde ist dieser Text aber dennoch nicht entlaufen.

Die Besucherinnen und Besucher der Christvesper am Heiligen Abend – sicherlich Sie alle! – dürften in dieser Epiphaniaszeit wenigstens den Anfang des ersten Teils dieses Textes noch im Ohr haben. Er wird da zusammen mit anderen Texten des Alten Testaments bei Jesaja und Micha als Weissagung der Geburt Jesu Christi und damit der Menschwerdung Gottes verlesen.

Diese anderen Texte reden davon, dass dem Volk Israel, welches unter der Herrschaft einer Fremdmacht im Finstern wandelt, ein großes Licht scheint. Denn es sei ihm ein Kind geboren, das Namen trägt wie „Wunder-Rat“, „Gott-Held“, „Ewig-Vater und „Friede-Fürst“. Von seiner Herrschaft des Friedens auf dem Throne Davids heißt es, dass sie kein Ende haben werde, weil sie sein Königreich stützt mit „Recht und Gerechtigkeit“. Ganz in diesem Sinne sagt auch der Prophet Micha, dass aus Bethlehem Ephrata, der Stadt Isais, des Vaters von König David, der Mensch kommen wird, welcher der Garant des Friedens sein werde bis „an die Enden der Erde“. Er selbst wird der Friede sein, prophezeit Micha.

Das alles passt ohne Zweifel haargenau zusammen mit der Zukunftsschau des 11. Kapitels des Jesajabuches, die wir eben vernommen haben. Jesaja prophezeit: Aus der schon fast ausgestorbenen – einem übrig gebliebenen Baumstumpf vergleichbaren – Nachkommenschaft Isais wird ein Mensch hervor gehen, der für Gerechtigkeit auf dieser Erde sorgen wird. An diesem Nachkommen Isais wird sich nicht nur Israel orientieren. Er wird ein für alle Völker der Erde aufgerichtetes Ausrufezeichen für eine Welt der Gerechtigkeit und des Friedens sein, die Gott im Sinne hatte, als er die Schöpfung ins Dasein rief.

Der Charakter dieser Prophetie Jesajas vor nahezu 3000 Jahren ist für alle von uns klar erkennbar. Es handelt sich um politische Prophetie. Es geht darum, wie aller Gewaltherrschaft auf diese Erde durch eine Politik gerechten Herrschens das Wasser abgegraben werden soll. In der Vorstellung Jesajas ist das eine wahrhaft königliche Politik, die einem besonderen Menschen zugetraut wird, für den „Gottesfurcht“ die erste Maxime seines Handelns ist. Denn „Gottesfurcht“ – wir sagen besser: Gotteserkenntnis – hat nichts damit zu schaffen, Menschen und Völker im Kampfe für das Recht des Stärkeren gegeneinander zu hetzen. Gotteserkenntnis senkt jedem das Anliegen ins Herz, alles zu tun, was dem Dasein jedes von Gott geliebten Menschen zugute kommt.

Jesaja wird da ganz konkret; konkret allerdings in der Vorstellungswelt der damaligen Zeit. Da konnte man sich eine Politik gespeist aus Gotteserkenntnis nicht anders vorstellen als so, dass sie ein König, also ein einzelner von Gott besonders begnadeter Herrscher ins Werk setzt, in unserem Falle also ein Mensch aus dem Geschlecht Isais.

Wollten wir die steile Zukunftsvision, in die hinein Jesaja das Wirken dieses Königs stellt, ein wenig einebnen, dann könnten wir durchaus sagen: So wie dieser Herrscher hier beschrieben wird, können wir uns tausende Jahre später durchaus auch Politikerinnen und Politiker wünschen, die für unsere Gesellschaft Verantwortung tragen.

Lebenserfahrene Weisheit und kritischer Verstand soll diese Menschen auszeichnen. Dummheit gemischt mit dumpfen Vorurteilen über Menschen anderer Rasse, Religion und Weltanschauung haben in der Politik, für die der von Jesaja verheißene königliche Messias Israels ein Vorbild ist,  nichts zu suchen. Kluges Ratschlagen und nicht hochmütiges Niederwalzen anderer Meinungen, wie wir es in den Zeiten von Terror und von Hassmails erfahren, ist für die angesagt, die für Gerechtigkeit und Frieden Sorge zu tragen haben. Oberflächlichen Populismus will Jesaja nicht haben, weil der sich bloß den Augenschein zunutze macht, um Menschen zu diffamieren. Rechtes Richten in Konflikten, die es heute wie ehedem mehr als genug gibt, und nicht Befördern von Gerüchten, die Menschen verächtlich machen, soll für die Gesellschaft selbstverständlich werden 

Vor allem aber soll für die Politik der Zukunft ein absolut einseitiges Eintreten für die, welcher unter machtsüchtiger Dummheit, hochmütiger Herrschaft und Lügen zu leiden haben, verbindlich sein. Den Erniedrigten und Beleidigten, den Armen und Elenden gilt nach Jesaja zuerst alles Engagement dessen, auf dem „der Geist des Herrn“ ruht. Das Ausrufezeichen, das er für die Völker der Welt mit diesem Engagement setzt, sollte dementsprechend auch für die Regierenden von heute erste Verpflichtung ihres Handelns in der Gesellschaft sein.

Angesichts dessen, wie die Völker der Welt und die vielen Gesellschaften dieses Ausrufezeichen auch und gerade heute missachten und sich an ihm vorbei in Hass und Gewalt verstricken, können wir wohl sagen: Ja, die politische Prophetie Jesajas ist hoch aktuell. Sie ist unentbehrlich und darf nicht vergessen werden, wenn unsere Welt eine Zukunft haben soll. 

Doch wiewohl es nicht verkehrt ist, die politische Prophetie Jesajas als eine Art Ratgeberin oder auch Mahnerin für politisches Handeln aller Zeiten bis heute ernst zu nehmen und zu aktualisieren, so ebnet es – wie gesagt – diese Prophetie doch ein. Es macht sie zu einem Element der Welt, wie sie schon immer war. Es ordnet sie in eine alte Welt ein, die ihre prophetischen Ecken und Kanten der Vision einer neuen Welt abschleift.

Denn so wie sich Jesaja die Herrschaft eines Nachkommens Isais vorgestellt hat, wird sie unsere alte Welt grundlegend verändern, ja sie wird in einer veränderten, neuen Welt stattfinden. Wenn dieser Mensch herrscht, da wird – so heißt es in unserem Prophetentext ganz unvermittelt – Gottes Schöpfung anders sein als so, wie wir sie bis heute kennen. Da wird der Wolf bei dem Lamm lagern, Kalb und Löwe werden mit einander grasen, Kinder werden mit Giftschlangen spielen usw., usw.

Es ist ein ganzes anrührendes Panorama des Friedens in der Welt der Tiere, in der keines mehr das andere frisst, das hier ausgebreitet wird. Und es ist eine Szenerie des Friedens zwischen Tieren und Menschen, die mit dem Bilde der Kinder, die keine Schlangen mehr fürchten müssen, eröffnet wird.

Wir können, liebe Gemeinde, nur vermuten, warum Jesaja diese Prophetie einer neuen Schöpfung ganz eng mit seiner politischen Prophetie verzahnt hat. Naheliegend ist, dass nichts Böses, das heißt Leben Vernichtendes in der Schöpfung Gottes mehr sein soll. Löwen, die wie die Wölfe, Bären und Schlangen Vegetarier sind, stimmen zusammen mit der Menschenwelt, in der aufgrund einer gerechten Herrschaft kein Mensch mehr dem anderen Menschen zur tödliche Gefahr werden kann 

Wir nüchternen Menschen des 21. Jahrhunderts wenden  gegen die Vision einer derartigen Schöpfung natürlich sofort ein, dass Löwen, Bären, Wölfe und Schlangen schlicht krepieren müssen, wenn Gras ihr Futter ist. Wir kennen zudem auch die höchst aggressiven Pflanzenfresser, die aufeinander losgehen, wenn andere ihre Weidegründe stören.

Dass ein Vegetarismus der Tierwelt mit dem Errichten einer wahrhaft menschlichen Gesellschaft zusammen gehört, erscheint uns deshalb eher als ein prophetischer Überschwang und nicht als Ansage einer Zukunft, auf die hin wir unser Leben getrost wagen können.

Und dennoch hat unsere christliche Kirche von altersher die Prophezeiungen Jesajas in ihr Bekenntnis zu Jesus Christus aufgenommen. Sie hat das nicht getan, ohne auch Abstand von den Vorstellungen und Bildern zu nehmen, in die Jesajas Schau der Zukunft eingebettet ist. Nur ein leiser Nachklang seiner Vision vom Frieden der Menschen- und Tierwelt findet sich zum Beispiel in der Ausschmückung der Weihnachtsgeschichte in der christlichen Tradition bis heute. Ochs und Esel – zwei Vegetarier, die gleich zu Beginn des Jesjabuches erwähnt werden – haben da in unzähligen Darstellungen des Stalls von Bethlehem ihren Platz neben der Krippe des Friedenskindes gefunden, um zu annoncieren, dass in diesem Kinde die ganze Schöpfung Gottes eine neue Würdigung erfährt 

Dieses neue Würdigen und Hochschätzen der Prophezeiungen Jesajas, das sie zugleich verwandelt, ist überhaupt das Charakteristische ihrer Aktualisierung durch das Bekenntnis der Christenheit zu Jesus Christus. Denn in diesem Menschen ist es die Gerechtigkeit und Treue Gottes zu seiner Menschenwelt selbst, die in ihrer Geschichte einwohnte. 

In ihm hat die Zukunft schon begonnen, in der keinem Menschen mehr Unrecht widerfährt. Durch ihn zählt nicht mehr, was gestern war. Ist er eines jeden Menschen Bruder, und damit – wie es im Kirchenlied heißt – „ein Zweig an seinem Stamme“, vom Stamm Isais, dann kann jeder Mensch in seinem Leben selbst einen messianischen Geist haben. 

Was Jesaja beim Heraufführen einer gerechten Welt prophetisch nur einem Menschen zugebilligt hat, das kann durch Jesus Christus real zur Auszeichnung aller werden, die mit ihm Gemeinschaft haben. Denn es braucht weit über die Dimensionen politischer Herrschaft hinaus den „Geist der Weisheit und des Verstandes“ vieler Menschen, um in ihrem Lebensbereich, der Teil unserer zerrissenen Welt ist, Gerechtigkeit zu schaffen. Es braucht den Geist des „Rates und der Stärke“ an allen Ecken und Enden, um Frieden auf unserer Erde zu wahren. Vor allem braucht es den „Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn“,  durch den Gott jeden Menschen befähigt, verantwortlich für die Zukunft seiner Schöpfung und seiner Geschöpfe einzutreten. 

In diesem Sinne, liebe Schwestern und Brüder, ist die Prophezeiung Jesajas noch längst nicht abgegolten. Sie wartet darauf, im Leben von uns allen ein Echo zu finden. Amen.

 

 

 

 

 

 

 

  

 

 

 


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