Category: Predigten
Zu Weihnachten jung werden - Jesaja 9, 1-6
Predigt zur Christvesper am 24.12.2018 in der Martin-Luther-Gemeinde Berlin-Pankow
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus sei mit euch allen. Amen.
Wir wollen in dieser weihnachtlichen Stunde auf die Worte hören, mit welchen der Prophet Jesaja lange vor der Geburt Jesu den Beginn einer neuen Welt des Friedens verheißen hat. Diese Worte lauten:
Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht,und über denen, die da wohnen im finsteren Lande, scheint es hell. [...] Denn Du hast ihr drückendes Joch […] zerbrochen wie am Tage Midians. Jeder Stiefel, der mit Gedröhn daher geht und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt […].Denn es uns ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Throne Davids und in seinem Königreich.
Liebe andächtige Weihnachtsgemeinde,
sicherlich hängt die eigenartige Faszination, die von diesen Versen der Bibel ausgeht, damit zusammen, dass es sich hier um ein Gedicht handelt. Martin Luther hat das in der deutschen Übersetzung ganz wunderbar nachempfunden. Wir merken da: Ein Gedicht reicht uns nicht wie ein Zeitungsartikel bloß ein paar Informationen herüber. Es schafft vielmehr eine Atmosphäre, einen Raum der Empfindung für etwas Wahres, auf das sich jeder Mensch versteht. In diesem Falle ist es eine Atmosphäre des Friedens mitten in einer Welt von Uniformen, von Knüppeln, Spießen und Schwertern.
Wir kennen diese Welt, in der die Stiefel der Krieger geputzt werden, die heute mit dem Gedröhn von Raketen, Kampfbombern, Flugzeugträgern und Panzern daherkommen. Wir sehen sie täglich im Fernsehen aus Syrien, aus dem Jemen und aus so vielen Gebieten unserer Erde. Und wir kennen die armen, geplagten, ausgezehrten Menschen, die damals wie heute unter den Schrecken mörderischer Kriege zu leiden haben. Niemand kennt die Zahl derer, die seit Jesajas Zeiten unter Schmerzen und Tränen darauf warten, dass endlich, endlich der „Tag Midians“ anbricht.
An diesem Tage nämlich – erzählt uns die Legende aus dem Alten Testament – soll ein Krieg zwischen Israel und einem feindlichen Stamm, dem der Midianiter, auf wundersam lächerliche Weise zu Ende gegangen sein. Gideon habe ein wüstes Posaunenkonzert veranstaltet. Da hätten die Midianiter einen höllischen Schrecken bekommen und seien durchgestartet. Zehntausende wilder Männer schmissen ihre Schwerter ins Gebüsch und machten, dass sie nach Hause kamen.
Die Sehnsucht, die in dieser Geschichte durch alle Ritzen guckt, ist ganz eindeutig. So möchte es einmal sein: Eine der schönsten Gaben von uns Menschen, das Musizieren, wird stärker als die Wut sein, in der Menschen sinnlos und im Namen aller möglichen religiösen und nichtreligiösen Ideologien aufeinander losgehen. Bei Gideon war’s noch ein wüstes Posaunenkonzert, das den Frieden erzwungen hat. Aber bei Jesaja wird es ein sanftes Lied – ein Lied vom Kinde, das die Hände zum Todschlagen untauglich werden lässt.
Wir wissen nicht, an welches Kind Jesaja gedacht hat, dem er das Lahmlegen unserer alten Stiefelwelt zugetraut hat. Auch seine Namen verraten es uns nicht. Denn wer nennt sein Kind schon Wunder-Rat oder Friede-Fürst? Das sind Jubel-Namen im höheren Chor und nicht solche, die wir unseren Kindern geben oder die wir selbst tragen. Und doch sind es Namen, die eigentlich nur für Kinder taugen.
Denn ein Kind ist ein Mensch am Anfang, in dem alle Möglichkeiten schlummern, so zu werden, wie Gott uns gemeint hat, als er uns unser wunderbares Leben schenkte. Jedes Kind ist ein solcher Mensch am Anfang, in dem sich die ganze Fülle einer Welt versammelt, die nur zum Freuen da ist. Kein drückendes Joch, keine Spieße, keine dröhnenden Stiefel und blutigen Mäntel werden an einer Wiege erfunden und schon gar nicht Atombomben und Kampfdrohen.
Jeder neu geborene Mensch ist darum die Chance des Werdens einer neuen Welt. Wir aber haben uns daran gewöhnt, dass der Anfang unseres wunderbaren menschlichen Lebens keine Fortsetzung findet, die dauerhafte Jubelrufe hervorruft.
Jesus jedoch, der einen Menschennamen trägt wie wir, war ein solcher Mensch. Sein Leben war übervoll von einer Menschlichkeit des Friedens aus Gottes Geist. Es war und ist die „ewige Option des Neuanfangs“, die in jedem neu geborenen Menschen wirklich zu werden beginnt, hieß es vorige Woche im Leitartikel der Wochenzeitung „Die Zeit“. Denn es hatte nichts mit den dröhnenden Stiefelmenschen und ihren blutigen Mänteln zu tun. Der laute Jubel über Gottes Eifer für uns Menschen und den Frieden zwischen uns begleitet darum von Anfang an Jesu Erscheinen auf unserer Erde: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens“, lautet er.
Dieser Jubel sagt uns auch heute: Wenn Gott eifert, dann eifert er für uns. Dann eifert er dafür, dass wir nicht aufhören, wieder und wieder mit dem Anfang anzufangen, der auch uns mit unserer Geburt geschenkt wurde. Wir werden wieder jung – ganz gleich, wieviel Jahre wir auf dem Buckel haben – wenn das Dasein des Friedenskindes in unser aller Leben eine Fortsetzung findet.
Jung sein bedeutet, immer noch mehr Möglichkeiten vor sich zu haben als wir in unserem Leben schon versäumt haben. Das sind die unerschöpflichen Möglichkeiten von Menschen des Friedens, die nach Gottes Vorbild ein „Wohlgefallen“ aneinander haben. Es ist darum gut, dass in diesen Weihnachtstagen so viele Menschen von diesen Möglichkeiten Gebrauch machen. Maria und Joseph, die Hirten und die Weisen aus dem Morgenlande stiften Junge, Erwachsene und Alte an, sich gegenseitig ihre Zuneigung zueinander, ihre Liebe zu zeigen. Doch der große, raumgreifende Schwung von Jesajas Friedensbotschaft, die in Bethlehem Realität wurde, gilt nicht bloß zur Weihnachtszeit.
Darum bieten uns die meisten Darstellungen der Geburt Jesu einen offenen Stall dar. Er zeigt an: Der Frieden zwischen Gott und Mensch, zwischen Mensch und Mensch, der in diesem Kinde real ist, verwandelt die Welt. Sie ist jetzt, weil der Friede-Fürst da ist, unwiderruflich eine andere Welt geworden.
Wir zählen deshalb ihre Tage und Jahre in unseren Kalendern, indem wir sie die Zeit „nach Christi Geburt“ nennen. Das ist mehr, liebe andächtige Weihnachtsgemeinde, als eine Datumsangabe. Das ist ein Beginn, der nicht mehr rückgängig zu machen ist, „seit – wie Dietrich Bonhoeffer gesagt hat – „unsere Erde gewürdigt wurde, den Menschen Jesus zu tragen“. Das ist ein Beginn, der es uns zur Lebensaufgabe macht, in jeder Hinsicht selbst Menschen des Friedens zu werden.
Die alte Stiefelwelt wehrt sich zwar mächtig dagegen. Sie führt heute mehr denn je harte Tatsachen und blutige Argumente gegen die Wirklichkeit des Friedens Gottes für uns ins Feld. Sie beansprucht die Herrschaft über unser Leben. Wenn das aber geschieht, dann wird es höchste Zeit, dem einzigen Wunder in unserem Leben weiten Raum zu geben, auf das wir uns wirklich verlassen können. Es ist das Wunder, dass der ewige Gott mit seinem Wohlgefallen allen Menschen – uns! – mit der Kraft seines Geistes so zur Seite tritt, wie dem Menschen Jesus. Es ist das Wunder, dass das Friedenskind Jesus in unserem Leben und in der ganzen Welt niemals veraltet. Amen.